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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

427–429

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Berges, Ulrich, Bremer, Johannes, u. Till Magnus Steiner [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Zur Theologie des Psalters und der Psalmen. Beiträge in memoriam Frank-Lothar Hossfeld. M. e. Vorwort v. F.-L. Hossfeld.

Verlag:

Göttingen: Bonn University Press (V & R unipress) 2019. 495 S. m. 1 Abb. = Bonner Biblische Beiträge, 189. Geb. EUR 65,00. ISBN 9783847109976.

Rezensent:

Peter Riede

Der zu Ehren des im November 2015 in Bonn verstorbenen katholischen Alttestamentlers Frank-Lothar Hossfeld erschienene Band versammelt 18 Aufsätze, die in der Ausrichtung dem von ihm 2009 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragten und bis August 2015 genehmigten Projekt »Theologie des Psalters« folgen und die auf eine Tagung in Bonn 2017 zur »Theologie des Psalters« zurückgehen.
Dabei spiegeln die Aufsätze das gegenwärtige Ringen um eine Theologie des Gesamtpsalters sehr gut wider, was sich insbesondere in der Vielfalt der Fragestellungen und methodischen und inhaltlichen Ansätze zeigt. Leider können im Rahmen dieser Rezension die vielen Einzelfacetten der Beiträge kaum adäquat erfasst werden, so dass jeweils wenige Stichworte genügen müssen.
Der Band ist in sechs Teile gegliedert, die auf die Projektskizze Frank-Lothar Hossfelds zurückgehen, die im Vorwort beigegeben ist.
In einem ersten Teil »Spannung von Klage und Lob« geht es Beat Weber »den Weg von der Tora JHWHs (Ps 1) zur Tehilla JHWHs (Ps 145)« (38) nachschreitend vor allem um die Verhältnisbestimmung von Lehre und Lob, wogegen Uwe Rechberger die Beziehung von individueller Klage und universalem Lob exemplarisch anhand der Psalmen 22–24 als »Itinerar eines Gebets-Pilgerweges« aufzeigt. Dabei schließt das Lob die Klage nicht aus, sondern ein, ja es wird durch die Klage sogar noch vertieft, wie William H. Bellinger jr. in seinem Beitrag zum 5. Psalmenbuch treffend bemerkt.
Der zweite Teil widmet sich dem »Echo auf die Geschichte«. Hier werden anhand der ersten Korachsammlung Geschichtserinnerung und Geschichtserfahrung (Kathrin Liess) thematisiert, aber auch die Reflexe auf Pentateuchüberlieferungen in den Psalmen 105 und 106 in Betracht genommen, die dort zur Quelle für den Lobpreis Israels werden (Dirk J. Human). Jorge M. Blunda Grubert untersucht das Geschichtsbild innerhalb der JHWH-König-Psalmen 93–100, das zwischen historischen Fakten und eschatologischer Hoffnung changiert.
Im dritten Teil nimmt zunächst Bernd Janowski unter Anknüpfung an K. Seybold »Das Thema der Präsenz Gottes in Raum und Zeit« anhand der Größen »Nähe«, »Weite«, »Höhe« und »Tiefe« auf und entfaltet darauf basierend die drei grundlegenden Raumkonzeptionen des Psalters: die tempeltheologische, die schöpfungstheologische und die anthropologisch-ethische Konzeption. Besonders hilfreich ist dabei der im Anhang beigegebene synoptische Überblick mit Themenaspekten und den psaltertheologischen Schwerpunkten der Gott/Raum-Thematik. Till Magnus Steiner dagegen fragt nach der Funktion der Zionstheologie im Rahmen der ersten Korachitensammlung und erkennt als deren prägende Kategorie die der Erinnerung. Corinna Körting wendet sich dem Wohnort (und Thron) JHWHs zu und richtet den Fokus ihrer Überlegungen vor allem auf die JHWH-Königspsalmen (Ps 93–99). Dabei fällt auf, dass in dieser Psalmengruppe Jerusalem gar nicht und der Zion nur einmal (in Ps 99,2; den Beleg in Ps 97,8 hält sie für sekundär) erwähnt wird. Das habe vor allem darin seinen Grund, dass einzig nach dem Exil, als die Vorstellung von JHWHs Rückkehr zum Zion und die Einladung an die Völker, dorthin zu kommen, virulent wurden, eine explizite Nennung des göttlichen Wohnortes notwendig wurde.
Der vierte Teil hat »David als Autorität des Psalters« zum Thema. Ausgehend von der Vielgestaltigkeit der Davidbilder außerhalb des Psalters zeichnet Johannes Schnocks deren Wichtigkeit auch für eine Theologie der Psalmen nach. Egbert Ballhorn dagegen setzt beim Titel »Knecht Gottes« an, der sowohl als Titel für David als auch als Selbstbezeichnung des davidischen Beters erscheint. Der einzelne Beter/die einzelne Beterin tritt so »nicht nur in das persönlich-spirituelle Erbe Davids, sondern auch in seine offizielle Funktion ein. Im Rahmen der Gottesbeziehung wird aus dem Beter ein ›Gottesknecht‹« (312).
Im fünften Teil findet die »Armentheologie« Berücksichtigung, die als eine »Hauptlinie des Psalters« (F.-L. Hossfeld) angesehen werden kann, wie auch Johannes Bremer in seinen Ausführungen festhält, wobei deren verschiedene Spielarten und Ausprägungen in den Psalmenbüchern oder -gruppen jeweils eigens zu berücksichtigen sind. Alphonso Groenewald dagegen verbindet mit den Armenaussagen der Psalmen eine Traumaperspektive, die gesellschaftliche Prozesse des 5. Jh.s v.Chr. in Juda widerspiegelt. W. Dennis Tucker Jr. hält fest, dass Armentheologie auch in Psalmen vorkommt, in denen das Wortfeld »arm« nicht präsent ist, sondern wie in dem von ihm exemplarisch herangezogenen Ps 71 die Ohnmacht (powerlessness) von Menschen im Vordergrund steht.
Der sechste Teil hat schließlich »die kanonische Bedeutung des Psalters« als Themenschwerpunkt. Ulrich Dahmen widmet sich in seiner Untersuchung den Verheißungstexten zum davidischen Königtum, die in ihrer produktiven Kraft und der kreativen Rezeption am Grundvertrauen auf Gott und seine Verheißungstreue festhalten. Susan E. Gillingham dagegen setzt bei der Landthematik an, wie sie in Ps 37,29 entfaltet wird, und geht den verschiedenen Verstehensmöglichkeiten in christlichen und jüdischen Kommentaren, aber auch in der darüber hinaus gehenden Rezeptionsgeschichte nach. Heinz-Josef Fabry fragt nach der Bedeutung von Qumran für eine Theologie der Psalmen und legt dabei den Schwerpunkt auf die große Psalmenrolle 11QPSa. Nancy Rahn schließlich ist interessiert am hebräischen Begriff Malkut »Königsherrschaft« bezogen auf die Psalmen 103 und 145 und dessen Rezeption im Werk von Franz Rosenzweig.
Der Band schließt mit einer Dokumentation der Abschlussdiskussion der Bonner Tagung, die die grundsätzliche Problemlage einer »Theologie des Psalters« widerspiegelt. Ziel dieser Diskussion war nicht eine Zusammenfassung der Tagung, sondern die »Intensivierung auf der Tagung angestoßener oder verbalisierter Gedanken, die auch über diese hinausweisen und auf das bleibende Desiderat einer ›Theologie des Psalters‹ verweisen« (473). Dabei spielten u. a. folgende Themen/Fragen eine zentrale Rolle: Genügen die im Band dokumentierten sechs Leitlinien für eine erschöpfende Darstellung der Psaltertheologie oder müssten sie nicht erweitert werden, um z. B. auch den weisheitlichen Elementen innerhalb des Psalters Rechnung zu tragen? Und wie ist die Vernetzung zwischen diesen und evtl. zusätzlich anderen Leitlinien, die im Psalter auszumachen sind? Kann das Königtum Gottes als zentraler Kern des Psalters angesehen werden? Wie ist das Spannungsverhältnis zwischen Gottesherrschaft und davidischem Königtum zu deuten? Wie steht es um das Verhältnis von Klage und Lob? Könnte die Orientierung an der Gerechtigkeit als Weltordnung nicht ein Grundthema des Psalters sein, in das sich z. B. die Bewegung von der Klage zum Lob, aber auch die Frage nach der Rolle des Königs oder die nach der durch den Tod tangierten Gottesbeziehung integrieren lässt? Welche Rolle spielen die Trägerkreise für die Entwicklung einer Theologie des Psalters? Wie ist das Verhältnis von Synchronie und Diachronie?
Neben den Hinweisen zu den Autorinnen und Autoren ist dem Band auch ein Bibelstellenregister beigegeben, das bei der Erschließung der Texte hilft.
Insgesamt enthält der Band viele hilfreiche Anregungen und Beobachtungen zu einem spannenden und für die Theologie des Alten Testaments insgesamt zentralen Thema, das immer neu herausfordert und wahrscheinlich nie abgeschlossen sein wird.