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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

399–416

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Michael Sievernich

Titel/Untertitel:

Jesuitenmission im 16. bis 18. Jahrhundert in Lateinamerika

Geschichte und neuere Forschung

Seit den biblischen Anfängen hat die Kirche ein Bewusstsein ihrer »Mission« in der »Welt« (vgl. Joh 17,18) herausgebildet und in den verschiedenen Epochen je neue Wege gefunden, dieser unabdingbaren Aufgabe gerecht zu werden.1 Einen besonderen Aufschwung nahm die misionarische Tätigkeit zu Beginn der Neuzeit, als die Entdeckung der Seewege nach Westen (1492) und nach Osten (1498) die europäische Expansion ermöglichte. Die iberischen Seemächte Portugal und Spanien konnten mit ihren seetauglichen Schiffen nicht nur ihre wirtschaftlichen Interessen voranbringen, sondern sorgten durch ihre Patronate (padroado, patronato) auch für die kirchliche Mission, die sie freilich auf diese Weise auch kontrollierten. Träger der frühneuzeitlichen Mission aber waren die (männlichen) Orden wie die Franziskaner und Dominikaner, die schon im Mittelalter im Orient und in China Erfahrungen hatten sammeln können. Die Mitglieder der Gesellschaft Jesu (vulgo Jesuiten) wa-ren frühneuzeitliche Nachzügler, da dieser junge Orden erst 1540 gegründet worden war, als die Mendikanten schon seit Jahrzehnten in Amerika, dem bislang unbekannten Kontinent, den christlichen Glauben verbreiteten. Ein Zahlenspiel gibt Aufschluss:

Allein im 16. Jh. wirkten insgesamt über 5.400 Ordensleute in Lateinamerika, davon fast 2.800 Franziskaner (OFM) und 1600 Do­minikaner (OP) und weitere wie Augustiner, Merzedarier und Karmeliten, während die Jesuiten (SJ) nur auf 350 Missionare kamen.2 Zuerst wurden die Jesuiten 1549 von der portugiesischen Krone in Brasilien zugelassen, doch im Laufe der Zeit wuchs die Societas Jesu zu einer global agierenden Organisation mit vielfältiger Vernetzung und zahlreichen Transferprozessen heran.3

I Jesuitenmission in Latein-Amerika

(Frühe Neuzeit)


Die Gesellschaft Jesu wurde von dem baskischen Adeligen Íñigo (latinisiert: Ignatius) de Loyola (1491–1556) und einigen Kommilitonen der Pariser Universität begründet und mit der Ausfertigung der Bulle Regiminis militantis Ecclesiae vom 27. September 1540 von Papst Paul III. als neuer Orden bestätigt.

Die Inspiration Loyolas lässt sich kurz so zusammenfassen: In der Epoche der europäischen Expansion und der Reformation verknüpft Ignatius seine spirituelle Erfahrung als »Pilger« mit der Ausbildung an Universitäten, bildet sich mithin in der geistlichen »Schule« der christlichen Freiheit (Exerzitien) und der intellektuellen »Schule« der Vernunft (Studium) methodisch aus, um in be­wusster Bindung an die katholische Kirche, insbesondere an den jeweiligen Papst, einen internationalen Orden zu formen, der aus apostolischen Gründen der Mobilität verpflichtet ist und sich in kirchlicher Sendung den zeitgenössischen pastoralen, spirituellen, pädagogischen und missionarischen Herausforderungen der Zeit s tellt, seien es Kirchenkrise, Bildungsfrage, laikale Spiritualität oder Mission in neuen kulturellen Kontexten.4 Im jesuitischen Milieu des 16. Jh.s bildete sich übrigens der Terminus »Mission« als Neologismus heraus, der zunächst eine personale Bedeutung hatte, später auch eine lokale und institutionelle Bedeutung annahm und schnell anderweitig rezipiert wurde.

Der neue Orden verfolgte das allgemeine Ziel, zur je größeren Ehre Gottes (ad maiorem Dei gloriam) und zum je größeren Wohl der Menschen »den Seelen zu helfen« (iuvare animas), wo immer es geboten erschien. Unter dieser Prämisse bildeten sich vor allem drei Tätigkeitsfelder heraus: (i) Seelsorge in den Städten Europas, d.  h. die Ausübung der gewöhnlichen pastoralen Dienste (consueta ministeria), nämlich der Dienst am Wort Gottes, der Dienst an den Sakramenten und der karitative Dienst etwa in Hospitälern und Gefängnissen. (ii) Des Weiteren engagierten sich die Jesuiten im urbanen Raum für pädagogische Dienste in meist neu gegründeten Schulen und Universitäten (Kollegien).5 (iii) Das dritte große Arbeitsfeld ist von Anfang an die Missionstätigkeit in Übersee, auf den neu wahrgenommenen Kontinenten. So heißt es in der Gründungsurkunde der Gesellschaft Jesu, dass die Ordensmitglieder sich dem römischen Papst für »Sendungen« (circa missiones) zur Verfügung stellen, »ob sie uns zu den Türken senden oder irgendwelchen anderen Ungläubigen, auch in die Gegenden, die man die Indien (Indias) nennt.«6 Tatsächlich lagen die Missionsgebiete in den »östlichen Indien« und den »westlichen Indien«, wie man da­mals die Kontinent Asien und Amerika nannte.7 Nach Franz Xaver 1542 in Indien erreichten die ersten Missionare 1549 Japan und Brasilien.

1 Missionsfelder in Luso- und Hispano-Amerika


Die Jesuiten in Meso- und Südamerika strukturierten ihre Arbeit territorial in sogenannte »Provinzen«, die bis heute üblichen Verwaltungseinheiten des Ordens. Eine Provinz umfasste die am Ort vorhandenen Institutionen wie Kollegien und Missionen sowie die dort tätigen Personen. In den Städten trafen sie in der Regel auf Konkurrenz der anderen Ordensgemeinschaften, während ihnen für die ausdrücklichen Missionen unterschiedliche Gebiete zugeordnet waren, die von den urbanen Zentren versorgt wurden.

Bekanntlich existierte der Orden und die Missionen nur bis zu seiner Aufhebung und wird daher die »alte« Gesellschaft Jesu genannt. In Spanisch-Amerika betraf das Verbannungsdekret des spanischen Königs Karl III. vom 27. Februar 1767 auch alle kolonialen Besitzungen in Übersee; alle dortigen Jesuiten wurden ausgewiesen, verhaftet, deportiert und alle Güter beschlagnahmt. Die Aufhebung des gesamten Ordens erfolgte wenige Jahre später durch das Breve Dominus ac redemptor vom 21. Juli 1773 durch Papst Gregor XIV. Die »neue« Gesellschaft Jesu, die in Russland und anderen Ländern überlebt hatte, wurde durch Pius VII. mit der Bulle Sollicitudo omnium ecclesiarum vom 7.8.1814 kirchlich wiederhergestellt, nachdem der Papst aus napoleonischer Gefangenschaft wieder nach Rom zurückkehren konnte.

Zur Charakterisierung der typischen Missionstätigkeit der Je­suiten weltweit hat man von einem »gelenkten Kulturwandel« gesprochen,8 eine Kategorie, die sich im Vergleich der methodischen Unterschiede zwischen Asien und Amerika bewährt. In den hochkomplexen asiatischen Kulturen wie Japan und China verlangt eine Akkulturation durch europäische Kultur und Religion ein wechselseitiges Messen auf Augenhöhe; aber kann sie den kulturellen Kern erreichen? In den weniger komplexen altamerikanischen Großreichen der Azteken und Inka oder unter halbnomadischen Ethnien dagegen kann kulturelle Anpassung bis hin zur Assimilation leichter gelingen, was freilich mit einem innovativen Umgang mit den kulturellen Ressourcen einhergeht. Da die missionarischen Kulturkontakte in China und Amerika zeitlich zum Teil parallel verliefen, wussten die Missionare durch Korrespondenz und Jahresberichte (Litterae annuae) voneinander und konnten so zu einem hilfreichen Wissenstransfer beitragen, ja sogar (über die Ordensapotheken) einen Heilmitteltransfer mit einer fiebersenkenden Heilpflanze (Chinin) aus Südamerika (Chinchona L.) organisieren, um durch die Hofjesuiten den Kangxi-Kaiser von China (1693) zu kurieren.9

Wir gliedern die Übersicht über die Jesuitenmission der »alten« Gesellschaft Jesu in Lateinamerika nach den sieben Provinzen,10 die im Lauf der jesuitischen Präsenz dort entstanden und knapp zweieinhalb Jahrhunderte Bestand hatten (1549–1667).

2 Die sieben Ordensprovinzen und ihre Missionen


Brasilien 1549
Eine erste Gruppe von Missionaren entsandte Ignatius 1549 nach Brasilien, wo schon 1553 auch die erste Ordensprovinz Amerikas gegründet wurde. Die portugiesische Krone regierte durch einen Gouverneur, der zunächst an den Küsten siedeln ließ (Salvador da Bahia, São Paulo) und dann erbliche »Capitanías« schuf, die sich ins Binnenland erstreckten. Die Missionare standen unter Leitung von Manoel da Nóbrega (1519–1570), der auch die neue Provinz leitete. In dieser Provinz entstanden im Lauf der Zeit zahlreiche Kollegien und Residenzen sowie in großer Zahl Missionsdörfer, die aldeias hießen und die Indianer zusammenführten. Die Haupttätigkeiten der Jesuiten im kolonialen Brasilien konzentrierte sich auf Schulen (meist für Europäer) und auf Missionen unter der indigenen Bevölkerung (Tupí). 1727, wenige Jahrzehnte vor der Ausweisung, entstand eine Vizeprovinz Maranhão (Amazonien). Am Ende der Jesuitenpräsenz in Brasilien in der Mitte des 18. Jh.s existierten dort über 130 Niederlassungen mit knapp 600 Ordensangehörigen. Neben Nóbrega, der gegen die Versklavung der Indios kämpfte, ragen Gestalten wie José de Anchieta (1534–1597) hervor,11 der als Begründer der brasilianischen Kirche gilt, sowie Antônio Vieira (1608–1697), der nicht nur rhetorisch zum großen Verteidiger der Indianer wurde.12

Peru 1568
In Hispano-Amerika erhielten die Jesuiten erst zwei Jahrzehnte später als in Luso-Amerika die Zulassung zur Mission durch die spanische Krone. Seitens des Ordens bemühte sich Francisco de Borja als dritter Generalobere der Gesellschaft Jesu (reg. 1565–1572), dessen Instruktion über die Missionsarbeit (1567) forderte, die Indios »sanft mit Worten und dem guten Beispiel des Lebens« zu gewinnen und die fremden Kulturen und Sprachen zu studieren. Die Jesuiten kamen 1568 nach Lima, der Hauptstadt Perus; im Lauf der Zeit wuchs eine starke Provinz heran, die im 18. Jh. fünf Kollegien allein in Lima und Cusco, sowie weitere etwa in La Paz, Potosí und Cochabamba unterhielt, dazu eine Universität (Chuquisaca, heute Sucre). Diese Kollegien, insbesondere das 1568 begründete Kolleg San Pablo,13 hatten größte Bedeutung für die Bildung, die schulische und universitäre Ausbildung. Hinzu kamen weitere Residenzen, unter anderen in Julí am Titicacasee, wo eine frühe Reduktion mit künstlerischer Ausgestaltung entstand. Eine Mission unter den Mojos im Tiefland bestand aus 20 Reduktionen für Tausende von Indios. Unter den rund 500 Mitgliedern der Provinz ragt José de Acosta (1540–1600) hervor,14 der maßgebend am III. Konzil von Lima (1582/83) teilnahm und ein kritisches Missionshandbuch De procuranda indorum salute (1588) verfasste, ein Standardwerk seiner Zeit. Von dieser Mutterprovinz Perú wurden im Lauf der Zeit vier weitere Provinzen abgeteilt: Quito (1605), Neugranada (1696) sowie Paraquaria (1607) und Chile (1624).

Mexiko 1572
Wenig später kam die Gesellschaft Jesu in das Vizekönigreich Nueva España (Neuspanien), das im ehemalige altamerikanischen Reich der Azteken entstand und dessen prächtige Hauptstadt Tenochtitlan-Tlatelolco (später México) 1531 von Hernán Cortez erobert worden war. Die Jesuiten kamen, weil die Stadt Mexiko König Philipp II. um Jesuiten gebeten hatte, die Bildung und Wissenschaft bringen und Mission unter den Indigenen treiben sollten. Diese Bitte leitete der König an den Jesuitengeneral Francisco de Borja (1510–1572) weiter, der dieser Bitte nachkam und ein Dutzend Jesuiten nach Mexiko entsandte. Die dreigeteilte Arbeit pastoraler, schulischer und missionarischer Art begann mit dem Colegio máximo San Pedro y San Pablo in der Hauptstadt und weiteren Kollegien in anderen Städten, oft von Wohltätern gestiftet, wie Pátzcuaro, Puebla, Guadalajara. Auch künstlerisch wertvolle Barockkirchen im churrigueresken Stil entstanden, wie in Tepotzotlán.

Jesuiten waren auch am III. Konzil von Mexiko beteiligt (1585), das die Reformen des Trienter Konzils durchsetze sollte. 1605 wurde von Mexiko aus eine Jesuitenprovinz auf den Philippinen begründet und eine regelmäßige Schiffsverbindung zwischen Acapulco und Manila eingerichtet. Bis ins 18. Jh. wuchs die Zahl von Neugründungen, etwa auf Cuba (La Habana), auf über 30 Häuser und auf nicht weniger als rund 700 Mitglieder. Von besonderer Bedeutung im kolonialen Neu-Spanien waren die 14 Missionen im Nordosten;15 die Gründungen begannen schon am Ende des 16. Jh.s bei den Chichimeken (1589), den Völkern in Sinaloa (1591) und bei den Tarahumaras (1606). Es folgten die Missionen in Pimería Baja y Alta (Arizona), wo der Tiroler Eusebio Kino (Kühn) (1645–1711) zu Pferd als Missionar und Kartograph wirkte. Auf der Halbinsel Niederkalifornien wirkte der Elsässer Johann Jakob Baegert, der nach der Ausweisung auf Deutsch ein ethnographisches Werk verfasste: Nachrichten von der amerikanischen Halbinsel Californien, 1773.16

Quito 1586
Aus der peruanischen Provinz, die ihre Reichweite im alten Inka-Reich nach Quito erweiterte, ging 1605 eine von Perú abhängige Vizeprovinz Nuevo Reino y de Quito hervor, die Kollegien in Quito, Popayán, Riobamba und an weiteren Orten errichtete. Kurz vor der Ausweisung waren dort 270 Jesuiten tätig, die in Pastoral, Bildung und Mission ihre Tätigkeitsfelder bestellten. Zur Vizeprovinz gehörten auch die nördlichen Teile der heutigen Staaten Kolumbien, Venezuela und Panamá sowie das weit entfernte Santo Domingo (heute Dominikanische Republik). Da die weiten Entfernungen erhebliche Probleme bereiteten, wurde diese Vizeprovinz in zwei selbständige Provinzen geteilt, die den Grenzen der beiden Audiencias (México, Santo Domingo) entsprach, die das Vizekönigreich Neu-Spanien strukturierten und wo sich die königlichen Gerichte befanden.

Neugranada 1698
Aus der Teilung der Vizeprovinz gingen 1698 die beiden nun selbständigen Provinzen Quito und Nueva Granada hervor; letzterer wurden Santa Fe de Bogotá, Cartagena, Buga im Valle del Cauca, Cali und andere Orte zugesprochen. Sie umfasste am Ende 220 Personen. Zu erwähnen ist die Gründung der bis heute bestehenden Universität Javeriana in Bogotá (1623), aber auch Cartagena, das den Hauptumschlagpatz für den atlantischen Sklavenhandel bot. Schwarze Sklaverei war gang und gäbe, auch auf den Landgütern des Ordens (haciendas), aus deren wirtschaftlichen Erträgen die großen Institutionen der Kollegien versorgt wurden. Hier wirkte Pedro Claver (1580–1654) pastoral und sozial unter den versklavten Afrikanern, von denen er mit der Selbstbezeichnung »esclavo de esclavos« die Ärmsten unterstützte.17 Von besonderer Bedeutung war die missionarische Präsenz im Gebiet des Orinoko, wo José Gumilla (1686–1750) im 18. Jh. Reduktionen gründete und eine Natur- und Kulturgeschichte des Orinoko schrieb (El Orinoco ilustrado, y defendido, 1741).

Chile 1593
Am Ende des 16. Jh.s entsandte Spanien 1593 von Perú aus eine Expediton zur Befriedung der Region Chile, die ein halbes Jahrhundert zuvor erobert worden war. Hier liegen die Anfänge der Jesuitenprovinz, und schon 1594 entstand in der Hauptstad Santiago de Chile ein neues Colegio de San Miguel. Die zahlreichen Erkundungen und missionarischen Unternehmungen fielen in unruhige Zeiten, da 1589 über mehrere Jahre ein bewaffneter Aufstand der Auraukaner (heute Mapuche) ausbrach. In dieser Zeit agierte relativ selbständig der Jesuit Luis de Valdivia (1561–1642); er kannte die indigenen Sprachen, hatte Kontakte zu Kaziken und beriet die politischen Autoritäten. Zunächst gehörte Chile neben der Region La Plata zu der 1607 gegründeten Provinz Paraguay, bis es 1624 zur Vizeprovinz erhoben wurde, aber erst 1683 die Eigenständigkeit als Provinz erhielt. Von Norden nach Süden maß die Provinz etwa 1.000 km Länge. Um 1750 zählte man etwa 240 Jesuiten in zehn Kollegien und einer 1627 gegründete Universität, wo auch indigene Sprachen gelehrt wurden. Neben dem Kronbeitrag stammten die Finanzen aus Stiftungen und wurden auf zahlreichen Landgütern ( hacienda) erwirtschaftet, meist von afroamerikanischen Arbeitskräften. Besondere Bedeutung hatte die Mission in Araukanien und in dem südlich gelegenen Archipel Chiloé. Eine herausragende Gestalt war der Kölner Bernhard Havestadt (1714–1781), der die Musik pflegte, linguistische Werke und eine zweibändige Natur- und Kulturgeschichte verfasste (Chilidúgu 1777). Wie in anderen Provinzen wirkten auch in Chile zahlreiche Missionare (über 80) aus deutschsprachigen Ländern mit.

Paraguay 1607
Das bekannteste und viel erforschte Missionsunternehmen der Jesuiten in Lateinamerika ist zweifellos die Paracuaria genannte Provinz, die 1607 von der Mutterprovinz Perú gegründet und personell auch von der brasilianischen Provinz unterstützt wurde. Sie geht auf einen Plan zurück, den Diego de Torres Bollo mit dem Generaloberen Claudio Acquaviva in Rom verhandelt hatte. Dieses Missionsgebiet lag im Stromgebiet, wo Río Paraná und Río Uruguay fast parallel zueinander verlaufen, im heutigen Dreiländereck von Argentinien, Paraguay und Brasilien. Erste Stützpunkte für Verwaltung, Ausbildung und Fernkommunikation waren La Asunción und Buenos Aires. Schon bald wählte man die Missionsmethode der »Reduktionen«.18 Darunter versteht man die Zusammenführung (span. reducción) nomadisierender Indianer, diesfalls der Guaraníes, in stabilen Siedlungen. In diesem relativ eigenständigen »Jesuitenstaat« im spanisch-kolonialen Kontext sollten die Indios zu einem sesshaften Leben mit arbeitsteiliger Gesellschaft in Ansiedlungen bis zur Größe von Dörfern oder kleinen Städten leben und zugleich zum christlichen Glauben angeleitet werden. Diese Orte waren im Schachbrettgrundriss geplant, mit einer zentralen plaza und den Hauptgebäuden (Kirche, Schule, Werkstätten, Wohnhaus der Patres) auf einer Seite und den Wohnhäusern auf den drei anderen Seiten. Für die Leitung des Gemeinwesens sorgten in kleiner Zahl Jesuiten sowie führende Kaziken durch Selbstverwaltung. In der Blütezeit um 1700 zählte man 30 dieser Reduktionen, die alle den Namen von Heiligen erhielten und in denen insgesamt etwa 140.000 Guaraníes lebten. Durch Akkulturation und Konvivenz bildete sich eine interkulturelle europäisch-indianische Synthese heraus, die sich in der politischen Ordnung, dem wirtschaftlichen Austausch, der gemeinsamen Verwaltung, den sozialen Strukturen, der Doppelsprachigkeit (Spanisch und Guaraní) der festlichen, mit Musik gefeierten christlichen Gottesdienste in barocken Kirchen widerspiegelte. Ein entscheidender früher Mitgestalter dieser Reduktionen war der aus Lima stammende Kreole Antonio Ruiz de Montoya (1585–1652),19 der als Linguist Grammatik und Wörterbuch des Guaraní (1639) veröffentlichte und eine frühe Geschichte der Reduktionen schrieb (Conquista espiritual, 1639).

Auch in weit entfernten andere Räumen entstanden Reduktionen der Jesuiten, so bei anderen indigenen Völkern wie den Mocobí im Gran Chaco, über die Florian Paucke (1719–1779) einen voluminösen illustrierten Bericht verfasste (Zwettler Codex). Missionen und Reduktionen gab es des Weiteren bei den berittenen Abiponen, sowie bei den Mojos im Norden des heutigen Bolivien20 sowie bei den Chiquitos im subtropischen Tiefland Boliviens; die aus Tropenstämmen erbauten Kirchen der dortigen Reduktionen zählen ebenso wie die Ruinen der steinernen Architektur in den Guaraní-Missionen zum Weltkulturebene der UNESCO.21

II Neuere Literatur zur frühneuzeitlichen Jesuitenmission


Die folgende Sammelrezension bezieht sich auf die Forschungsliteratur zur frühneuzeitlichen Jesuitenmission in Lateinamerika, die in Form von internationalen Buchpublikationen (Monographien und Sammelbände) in den beiden letzten Jahrzehnten (2000–2020) erschienen ist. Es versteht sich, dass aus Platzgründen eine Auswahl getroffen werden musste. Wir führen damit den Literaturforschungsbericht über die Jesuitenmissionen in Lateinamerika weiter, der bis zum Jahr 2000 führte.22

Seit 2005 erscheint ein mehrbändiges, »bio-bibliographisches Handbuch« besonderer Art zur Mission der Gesellschaft Jesu in Hispano- und Luso-Amerika. Es beschränkt sich auf die Missionare aus dem deutschen Sprachraum, die im Lauf der Zeit durch die Kronen von Portugal und Spanien zur Mission in den überseeischen Gebieten zugelassen wurden. Der Sprachraum umfasst in Zentraleuropa die drei deutschen Provinzen und die österreichische sowie die böhmische Provinz. Entsandt wurden die Missionare vom römischen Generaloberen, der oft auf Missionsgesuche ( Litterae indipetae) reagierte. Das Handbuch wurde von dem Mainzer Kirchenhistoriker Johannes Meier als DFG-Projekt (2000–2008) geplant und wird von ihm herausgegeben. Bisher sind vier Bände für die Ordensprovinzen in Iberoamerika erschienen; ein letzter Band über Paraguay steht noch aus. Die Ordensprovinz Mexiko wird nicht behandelt, da Bernd Hausberger sie schon in thematisch ähnlicher Weise bearbeitet hat.23

Der erste Band kam 2005 heraus und behandelt die Provinz Brasilien.24 Die formale Gliederung, welche die Folgebände des Handbuchs übernehmen, gestaltet sich folgendermaßen: (i) Ordensprovinz (Entstehung, Topographie, Wirtschaftliche Grundlagen, Arbeitsfelder; (ii) Historische Ethnologie der indigenen Bevölkerung (Soziale Organisationsformen, Religiöse Bräuche und Riten); (iii) Entwicklung der Missionsgebiete (Organisation und Statistik, Arbeitsfelder unter Indigenen); (iv) Missionare zentraleuropäischer Provenienz (Werdegang, Wirken in Übersee, Indiobild, Missionsverständnis, besondere Leistungen); (v) Missionen als »Projekt« der indigenen Völker (Perspektive der Indígenas); (vi) Ausweisung und historische Folgen; (vii) Epoche aus heutiger Sicht; (viii) Bio-bibliographisches Verzeichnis.

Der Bearbeiter des ersten Bandes über die brasilianische Jesuitenprovinz, Fernando Amado Aymoré, legt mit diesem Band eine akribische Studie vor, die zahlreiche, auch archivalische Quellen auswertet. Die standardisierten Fragebereiche erläutert er umfänglich (1–229), die Angaben zu den 31 bio-bibliographisch behandelten Personen fällt knapper aus (231–356); die Biogramme folgen ebenfalls einem vorgegebenen Muster (biographische Daten, Briefe, Werke etc.). Beide Teile sind eng miteinander vernetzt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Ausführungen über den innerjesuitischen Disput über den Einsatz von Sklaven, aber auch das ethnologische Kapitel (37–73); interessant die These, das höhere Bildungsniveau in den spanischen Kolonien sei auf die dort vorhandenen Universitäten zurückzuführen. Auch der Verweis auf die Wissenschaftler unter den Jesuiten wie den aus Böhmen stam-mende Valentin Stensel (328–337) ist aufschlussreich. Insgesamt bietet der Autor ein durch Quellenkenntnis differenziertes und aufschlussreiches Bild für Brasilien.

Der zweite von Michael Müller bearbeitete Band,25 handelt über die Provinz Chile, in der ein großes Kontingent von 85 Jesuiten zentraleuropäischer Provenienz ab Anfang des 17. Jh.s tätig war. Dieser Band beginnt mit der inhaltlichen Einführung (1–146) und um­fangreichen Biogrammen (147–458). Exemplarisch lässt sich an diesem Band die enorme Mühe ablesen, die handschriftlichen Quellen zu erforschen: So besuchte der Vf. annähernd 80 Archive, die meisten in Deutschland und Europa, einige in Chile. Kompetent ist der Autor diesen mehrsprachigen archivalischen Quellen nachgegangen. Inhaltliche Akzente liegen auf der Sklavenfrage und auf dem Indiobild der Missionare, besonders aber auf den »besonderen Leis-tungen«, von denen Kunsthandwerk, Architektur, Landwirtschaft, Pharmazie und höhere Ämter genannt werden. Zu diesen Personen gehörte auch der Münchener Grafensohn Karl Haimhausen († 1767), der meistens in leitenden Ämtern tätig war, aber auch als Organisator des Wiederaufbaus erdbebenzerstörter Kollegien. Ausgewählte Karten und Abbildungen vervollständigen das Bild einer Provinz, deren Erbe bis heute nachwirkt.

Von Christoph Nebgen, Professor an der Universität des Saarlandes, wurde der dritte Band bearbeite, der von der Provinz Neugranada mit der Hauptstadt Santa Fe de Bogotá handelt.26 Sie wurde 1604 als abhängige Vizeprovinz, 1696 als selbständige Provinz gegründet. Nach dem bekannten Schema bearbeitet Vf. zunächst die allgemeinen Kategorien (1–130), sodann die 45 Biogramme der zentraleuropäischen Jesuiten in Neugranada (131–244). Auch hier fällt die große Zahl von 35 besuchten Archiven in Chile, Kolumbien, und in europäischen Ländern ins Auge. Bei der inhaltlichen Be­schreibung ist besonders die Frage des Umgangs mit Sklaven bemerkenswert, da in dem Provinzgebiet die Hafenstadt Cartagena de Indias lag, wo nicht nur der Schiffsverkehr mit Europa abgewickelt wurde, sondern auch der atlantische Sklavenhandel aus Westafrika. Hier betont der Vf. diese Herausforderung für die Jesuiten, bei der Alonso de Sandoval (1576–1652) mit einem umfangreichen Traktat über die Kultur und Rettung der Afrikaner antwortete (De instauranda Aethiopum salute, 1627) (vgl. 31 f.100–103). Die ethnischen Gruppen der Region (40–48), aber auch Missionsmethoden werden differenziert erläutert (66 f.). Gute Karten der Niederlassungen und der hinterlassenen Kunstwerke und Architektur veranschaulichen die »Werke«.

Der fünfte Band über die Provinz Perú wurde von Uwe Glüsenkamp27 bearbeitet und umfasst nach dem gegebenen Schema zu­nächst die Liste der Biogramme und ein Vorwort sowie die übliche Dokumentation der handschriftlich und gedruckten Quellen so­wie der verwendeten Literatur (VIII–XXVIII). Darauf folgen die inhaltliche Darstellung (1–158) sowie die 43 Biogramme (159–350). Wie bei den anderen Bänden hat der Autor in vielen (45) Archiven in elf Ländern geforscht. Auch hier spiegelt sich das Ergebnis der mikrohistorischen Detailarbeit vor allem in den Biogrammen, die über die biographischen Daten (Werdegang, Ausbildung, Reiseangaben) hinaus die Aufgabenfelder in Übersee angeben (97–116). Hervorzuheben sind die Darstellung des Missionsgebiets in den Llanos de Moxos (im bolivianischen Tiefland) und die Art und Weise, wie die die Viehzucht in den estancias eingeführt wurde. Auch die konzise Kurzdarstellung der inkaischen Ethnohistorie fällt positiv auf (45–72). Zu Recht hebt der Autor den Schwarzwälder Joseph Dominicus Mayr hervor, dessen Korrespondenz postum unter dem Titel Neu-aufgerichteter Americanischer Mayerhof 1747 veröffentlicht wurde (s. u.). Nach diesen quellengesättigten Bänden hoher Qualität, welche die interdisziplinäre Forschung bereichern, kann man auf den in Arbeit befindlichen vierten und letzten Band über Paraguay gespannt sein.

Der italienische Historiker Paolo Broggio,28 der an der Universität Roma Tre lehrt, legt mit dieser originellen Studie über die Missionen der Gesellschaft Jesu im 16. bis 17. Jh. ein ambitioniertes Werk vor, das die Geschichte unter systematischen Gesichtspunkten analysiert. Daher arbeitet er gern mit Antagonismen wie Intern und Extern, Zentrum und Peripherie, Ideal und Praxis. Dabei be­zieht er sich auf Personen, die in der transatlantischen Missionsgeschichte eine zentrale Rolle gespielt haben. Er beginnt mit dem Generaloberen Claudia Acquaviva (1543–1615) und der internen und externen conquista religiosa, im Rahmen des humanistischen Ideals der Jesuiten. Die Realität der Mission wird exemplarisch aufgezeigt an den Alternativen Bildung oder Mission, Stadt oder Land, römische Vorgaben und lokale Resistenz. Am Beispiel von José de Acosta in Perú erläutert er den Antagonismus zwischen Institution (doctrina) und Wandermission. Ein weiteres Thema ist die Gegenüberstellung von Moriscos (Islam) und indigenen Religionen am Beispiel von Pablo José de Arriaga (1564–1622). Exemplarisch gilt auch die jesuitische Friedensvermittlung von Luis de Valdivia durch einen »Defensivkrieg« und ein »Parlament der Indios« während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Araukanern in Chile. Der Autor zeichnet sich durch gute Kenntnis der Jesuitica und der Missionsgeschichte Südamerikas aus und behandelt seine ausgewählten Themen mit großem vergleichenden Geschick.

Zu den jüngsten Monographien über die Jesuitenreduktionen in Paraguay zählt die Studie des italienischen Neuzeithistorikers Girolamo Imbruglia,29 die ein altes Thema (L’ invenzione del Paraguay, 1987) neu aufgreift und nun die zwei Themen von Mission und Utopie zu verknüpfen sucht. Damit hat er zwei Kontexte vor Augen: den theologischen der Jesuitenmissionare und den philosophischen der Aufklärung. Zunächst schildert die erste Hälfte der Studie (Kapitel 1–3) die Rolle der Orden in der frühen Neuzeit, etwa am Beispiel von José de Acosta und seiner Akkommodationsstrategie sowie am Beispiel der Gesellschaft Jesu und ihrer Missionen, insbesondere dem »Jesuitenstaat« von Paraguay, den er im Spiegel der Litterae Annuae (Jahresberichte) und anderer Quellen betrachtet. Schließlich reflektiert er im Kontext der »crisis of the European conscience« (113) den Wandel von diesen Litterae annuae zu den Lettres édifiantes et curieuses. Auch das Bild der Reduktionen in ihrer Spätzeit ist im Blick, den der italienische Gelehrte Ludovico Antonio Muratori 1743 darbot: Il Cristianesimo felice nelle missioni de’ padri della Compagnia di Gesù nel Paraguai (dt. Das glückliche Christentum in Paraguay, 1758). Auf diesen Wegen nähert sich Imbruglia seiner Grundthese von der »Metamorphosis of the missions into Utopia« (137). In der zweiten Hälfte geht es um eine Kulturgeschichte der Utopie, bei der die Thesen französischer Aufklärer (Kapitel 4–8) durchgespielt und deren Bezüge zu den Reduktionen diskutiert werden. Zu den vorgestellten Protagonisten ge­hören Montesquieu und sein Hauptwerk De l’esprit des lois sowie Rousseau und die Enzyklopädisten, gefolgt von Voltaire und seinem Candide, der bei seiner Suche nach der besten aller Welten unter anderem nach Paraguay verschlagen wird. Atypisch in dieser Liste erscheint freilich der Jesuit Joseph Gumilla mit seiner auf Erfahrung beruhenden Naturgeschichte des Orinoko von 1758 (s.  o.). Weitere Autoren sind Cornelis de Pauw und Reisende wie Bougainville mit einer realen Weltreise (1771) sowie Raynal, der aus der Literatur eine Histoire de deux Indes (1774) verfertigt. Zum Schluss lässt der Vf. Diderot zu Wort kommen, der ein rabenschwarzes Bild der Jesuitenmission malt und sie als despotische Theokratie ohne Glück und Freiheit (247–252) darstellt. Das Buch bildet eine spannungsvolle Synthese des theologischen Diskurses mit Einschluss wissenschaftlicher Weltkenntnis linguistischer, ethnographischer und religiöser Art einerseits und des »philosophischen« Aufklärungsdiskurses andererseits. Die Reduktionen bilden eine ideale Projektionsfläche, auf der die Aufklärung ihre Diskurse über Gesellschaft und Religion inszenierte, bis hin zur Rückprojektion des Kommunismus auf die »utopischen« Reduk-tionen. Das Buch von Imbruglia verfügt über eine breite Quellenbasis, was sowohl die Jesuiten als auch die Aufklärung angeht. Zweifellos führt dieses Werk zu größeren Klarheit über eine verwickelte Geschichte der Utopie und zeigt neue Forschungsperspektiven auf. Eine davon wird sein, das inhärente Stufenschema des Autors kritisch zu diskutieren, das von der biblischen Prophetie und den »Alumbrados« über die »katholische Utopie« und die aufgeklärte Utopie bis zur Republik der glücklichen und freien Menschen (vgl. 22 ff.) reicht.

In der Stadt Mexiko fand im September 2005 ein großer internationaler Kongresse über Jesuiten deutscher Sprache in den amerikanischen Missionen statt, dessen Beiträge in einem umfangreichen spanischsprachigen Band (741 S.) veröffentlicht wurden.30 Die Sammlung von 28 Beiträgen aus zehn Ländern geht auf die Initiative des Romanisten Karl Kohut (Katholische Universität Eichstätt) zurück, der von 2004 bis 2007 den Lehrstuhl Guillermo y Alejandro de Humboldt am renommierten Colegio de México innehatte. Die Menge der Beiträge erlaubt nicht alle zu erwähnen, wohl aber die sechs Abteilungen und besondere Inhalte. Die erste Abteilung (i) befasst sich mit den philosophischen und theologischen Grundlagen der Mission, etwa mit den spirituellen Fundamenten und dem jesuitischen Profil im konfessionellen Zeitalter (Peer Schmidt) sowie mit der reformerischen Anstrengung in der amerikanischen Mission, mit Bespielen der Missionare Eusebio Kino und Franz Hermann Glandorff im nördlichen Mexiko. Die folgende Abteilung (ii) widmet sich dem Leben an den »Grenzen«, zum Beispiel im Nordwesten Mexikos und in Niederkalifornien oder im Guaranitischen Krieg (Bernhard Nussdorffer). Des Weiteren befasst sich eine Abteilung (iii) mit der Kunst als Medium der Mission, etwa durch die Musik oder den Transfer von europäischen Marienbildern nach Lateinamerika (Pfeiffer). Die Rolle der Skulptur wird am Beispiel der Missionare Johann Xaver Treyer und Johann Philipp Bettendorf erläutert (Jens Baumgarten). Angesichts der indigenen Bevölkerung kommen (iv) das Beispiel des Missionars José Domingo Mayr (Briesemmeister) und die Arbeiten von Johann Jakob Baegert und Martin Dobrizhoffer zur Sprache, beide Vorläufer ethnologischen Denkens (Lüsebrink). Auch das linguistische Werk von Matthäus Steffel für die Tarahumara-Kultur wird thematisiert. Die Aneignung des Naturraums (v) kommt bei den Jesuiten wie Adam Gilg, Franz Xaver Eder (Beschreibung des Moxos-Landes) und Ignatius Pfefferkorn (Beschreibung von Sonora) zur Sprache (Manfred Tietz) sowie Gaspar Becks Sicht der Sáliva (Rey Fajardo). Schließlich geht es um die Rezeption von Jesuiten-Literatur in Deutschland, etwa eine Reisebeschreibung des Jesuiten Wolfgang Bayer von Würzburg nach Peru 1749–1769 (Kohut); um Joseph Stöckleins »Weltbott«, eine Quellensammlung in 38 Bänden (Hausberger), sowie um die Amerika-Bücher auf dem Büchermarkt des 18. Jh.s (Borja de González) und um Cortés im Jesuitentheater (Wimmer). Der Band zeigt exemplarisch eine Fülle der Themen und Akteure der deutschsprachigen Missionare in Amerika. Zugleich zeigt sich eine methodische Vielfalt von Perspektiven historischer, prosopographischer, linguistischer, künstlerischer, ethnologischer, politischer und theologischer Art, die zugleich derzeitige Forschungstendenzen repräsentieren.

In Sevilla veranstaltete die Escuela de Estudios Hispano-Americanos (CSIC) unter Leitung von José J. Hernández Palomo31 ein Symposion, dessen Ergebnisse zur Jesuitenmission in Hispano-Amerika in diesem Band gesammelt sind. International besetzt, nahmen unter anderen die Altmeister Manuel Ruiz Jurado (Rom), Fermín del Pino Díaz (Madrid) und José del Rey Fajardo (Caracas), aber auch Teilnehmer aus Deutschland und Chile teil. Thematisch finden sich Überblickaufsätze über die Gesellschaft Jesu und ihre Missionsmethoden sowie Aufsätze zu einzelnen Themen wie der Bedeutung der Musik in der Mission (Johannes Meier), zur jesuitischen Raumorganisation in Mexiko (Hernández Palomo), zu Orinoquia (Rey Fajardo); auch die Missionsarbeit in Amazonien, bei den Mojos sowie an der südlichen Peripherie Amerikas kommt zur Darstellung. Der Band zeichnet sich durch hohes akademisches Niveau aus und durch anregende Beiträge, die gute Impulse zum Thema geben.

Aus einem Symposion an der Universität Fribourg (Schweiz) entstand unter dem Titel Transfer, Begegnung, Skandal?32 ein stattlicher Band zu neuen Perspektiven auf die hispano-amerikanischen Jesuitenmissionen. Einführend fragt Mariano Delgado nach der »Singularität der Reduktionen«, die er auf die Anwendung sozio-ökonomischer Rationalität zurückführt, woraus sich die »Modernität« der Jesuiten ergebe. Fabian Fechner diskutiert die Bildpolitik anhand der antijesuitischen Druckgraphik. Weitere Themen sind die Vorgeschichte der Aufhebung (J. Meier), und die kulturelle »Übersetzung« des Christentums in den Reduktionen (Sievernich) und die aufklärende Rolle der Ex-Missionare in der aufgeklärten Öffentlichkeit (Nebgen). Ein zweiter Teil behandelt Wissen und Wissenstransfer, darunter die Zirkulation des Missionspersonals (Javier Francisco), die Kartographie am Río Marañón bei Franz Xaver Veigl (Pawlowsky) sowie der Umgang mit dem »gefährlichen Wissen« der Jesuiten und dem »Antidot« der Aufklärung (Renate Dürr). Im dritten Teil geht es um Rezeption und Weiterentwicklung durch Neubewertung der künstlerischen Produktion (Corinna Gramatke). Die Transformation der Missionen unter den Chiquitos und Mojos (Kühne), die wörtliche Überlieferung in der Chiquitanía (Falkinger) und ritualisierte musikalische Überlieferungen (Parzinger) sind weitere Themen. Der vierte Teil hat die Entwicklungen nach der Aufhebung zum Thema. Die insgesamt 16 Beiträge des Bandes sind interdisziplinär ausgerichtet und geben einen guten Einblick in neuere Forschungsergebnisse und -methoden.

Der Band über Jesuit accounts of the colonial America33 repräsentiert eine neue amerikanisch-kanadische Forschungsinitiative, welche ethnographische Berichte der Missionare im Gegenüber zur Aufklärung untersuchen. Wir beschränken uns auf die Beiträge, die von Ex-Jesuiten aus Hispano-Amerika handeln. Auf dem Hintergrund der Missionsidee der Jesuiten (Girolamo Imbruglia) werden der Italiener Filippo Salvatore Gilij und seine mehrbändige Natur- und Kulturgeschichte (Saggio di Storia Americana, 1780) diskutiert (Clorinda Donato); die Kulturanthropologie von Juan de Velaso, Historia del Reino de Quito, 1789 analysiert Eileen Willingham; die Geschichte der Abiponen von Martin Dobrizhoffer in postmoderner Perspektive Hans-Jürgen Lüsebrink. Nach diesem Teil über interkulturelle Wissenstransfers folgen im zweiten Teil entsprechende intellektuelle Dispute, wie die Analyse der Selbst- und Fremdwahrnehmung bei José Gumilla (Ute Fendler) oder das Tagebuch des Missionars Manuel Uriarte bei den Maynas. Im dritten Teil geht es um »Textualitäten« (Beiträge über Nordamerika lassen wir beiseite). Zu Spanisch-Amerika kommt das wissenschaftliche Erbe Gumillas zur Sprache (Margret R. Ewalt) sowie das Erbe von José de Acosta (Pierre Berthiaume). Die Berichte der Jesuiten die-ser Zeit erscheinen in literarischer und ethnographischer Betrachtung und im Gegenüber zur Tradition der Aufklärung, was die Differenz besser verstehen lässt und in der Jesuitenmissionsforschung Lücken schließt.

Der Historiker Rodrigo Moreno Jeria,34 der an der Universidad Adolfo Ibáñez (Chile) lehrt, befasst sich in seiner umfangreichen Arbeit (450 S.) mit den Jesuitenmissionen im südlichen Chile, nä­herhin im Archipel Chiloé, das von 1608 bis 1768 Bestand hatte. Die Arbeit speist sich aus der reichhaltigen Literatur und aus archivalischen Quellen, insbesondere aus dem Archivo General de Indias (AGI, Sevilla) dem Archivio Romano Socitatis Iesu (ARSI, Rom) und dem Archivo Histórico Nacional (Santiago de Chile). In einer überzeugenden Gliederung behandelt der Autor in zehn Kapiteln die ignatianische Fundierung der Gesellschaft Jesu und die ersten missionarischen Schritte durch Gründung von Jesuitenprovinzen in Amerika, darunter die von Paraguay und Chile (s. o.), um sich dann auf die südliche Region Chiloé mit ihren Ureinwohnern (Chonos, Huilliches) zu konzentrieren. Sorgfältig rekonstruiert er dann das besondere Missionsmodell von Chiloé und die Praxis der Wandermissionare in den etwa 80 Kapellengemeinden auf der Inselgruppe (103). Dem folgt ein Kapitel über die Missionare, die aus Spanien und fünf anderen europäischen Ländern stammten und einer Gesamtliste (291–300) zu entnehmen sind. Interessant erscheint die Aufteilung dieser Missionare in je ein Drittel Spanier, Kreolen und Ausländer (279). Des Weiteren werden die Finanzierung von Chiloé zum Gegenstand und die Anregung zu einer Synode von Luis de Valdivia. Schließlich analysiert der Vf. das Verhältnis zu den kirchlichen und staatlichen Autoritäten. Die mustergültig und bis ins Detail stimmige Arbeit zeigt exemplarisch die lohnende Befassung mit einzelnen Missionsgebieten des kolonialen Amerika.

Die folgenden Publikationen greifen jeweils einen wichtigen Aspekt der Jesuitenmissionen in Lateinamerika heraus.

Sozialanthropologie

Von dem argentinischen Sozialanthropologen Guillermo Wilde35 stammt eine sozio-historische Studie über die Guaraní-Mission, mit Fokus auf die indígenas, deren Ethnohistorie der Autor im Hinblick auf das Verhältnis von Religion und Macht diskutiert. In narrativem Stil analysiert und rekonstruiert er mit Bezug auf gedruckte und archivalische Quellen ambivalente Episoden und kritische Momente in der Zeit der Jesuitenreduktionen, aber auch in der Zeit nach der Vertreibung; denn im Verlauf des Niedergangs brachen die Konflikte zwischen den indigenen Eliten auf. Hierbei bezieht sich Wilde vor allem auf das Kazikentum, das in den Reduktionen privilegiert war, sowie auf die Rolle des hechizero (Medizinmann), gewissermaßen der religiöse Konkurrent des Jesuiten. Sieht man von der nachjesuitischen Zeit ab, geht es in den drei ersten Kapiteln um die Konversion, die mit einer »etnogenesis« anhebt, zu einem symbolischen Kampf zwischen Jesuiten und hechiceros führt und sich schließlich um die Legitimität dreht. Es folgt die Episode kriegerischer Auseinandersetzung beim Grenzstreit zwischen Portugal und Spanien, bei dem die Indios mit Feuerwaffen ausgerüstet wurden. Am Ende mussten die Jesuiten Amerika verlassen und die Guaraníes ihre internen Machtkämpfe ausfechten. Das gescheite Buch verfolgt einen neuen Zugang zu den Quellen und verschiebt den Fokus auf die indigene Bevölkerung und ihre kazikische Führung. Diese neue Perspektive bereichert Wissen und Einschätzung der Reduktionen.

Demographie

Das Buch von Robert H. Jackson36 enthält vergleichende Fallstudien zum demographischen Wandel und zum ethnischen Überleben der in den Reduktionen sesshaften Bevölkerungen. Die Basis für Untersuchungen zur historischen Demographie liegt im Datenmaterial, das von der »Buchführung« der Jesuiten in den Reduktionen quellenmäßig erhalten ist. Die Daten beziehen sich auf den regelmäßigen jährlichen Zensus in die Reduktionen und auf die kirchliche Statistik (Taufen, Kommunionen, Beerdigungen). Daraus lassen sich die Fertilitäts- und Mortalitätsraten ebenso errechnen wie die Frömmigkeitsfrequenzen. Der darauf spezialisierte Autor untersucht die Guaraní-Missionen mit 30 Reduktionen und die kleinere Chiquitos-Mission in der Endphase der ersten Hälfte d es 18. Jh.s. In dieser Zeit gab es mehrere Epidemien durch das hochinfektiöse Pockenvirus, das die sesshafte Bevölkerung hal-bierte, aber nicht auslöschen konnte, dank der vorgenommenen Quarantänemaßnahmen. Zahlreiche statistische Daten (186–272) untermauern die Ergebnisse. Dazu gehört, dass der soziale und kulturelle Wandel in den Reduktionen weniger disruptiv vonstattenging und die politische Führung mit den Kaziken geteilt wurde (vgl. 8.80–184). Ohne solche Daten wird man künftig die Geschichte der Reduktionen nicht mehr erzählen können.

Wirtschaft

Der schwere Sammelband (571 S.) von Sandra Negro und Manuel M. Marzal,37 der auf einen Kongress der Amerikanisten in Santiago zurückgeht, befasst sich vornehmlich mit den haciendas, also den Landgütern der Jesuiten zum Unterhalt der Schulen (Kollegien), Häuser und Missionen. Sie waren in den vier spanischen Vizekönigreichen Neuspanien, Peru, Neugranada sowie Río de la Plata verbreitet. Dabei stellte sich eine Grundsatzfrage moralischer Art, mit der die Jesuiten gerungen haben: Dürfen sie afrikanische Sklaven als Arbeitskräfte auf den haciendas beschäftigen? Unter der Kolonialherrschaft der iberischen Kronen hatte sich, trotz Intervention eines Bartolomé des Las Casas und anderer, afrikanische Sklavenhaltung durchgesetzt, auch in den Orden, die freilich eine gute Behandlung zusicherten. Diese Problematik wird im ersten Teil aus anthropologischer, historischer und theologischer Perspektive verhandelt, darunter von Manuel M. Marzal und Jean Pierre Tardieu. Im zweiten, umfangreichsten Teil geht es um die Haciendas und ihre wirtschaftliche Organisation. Dort werden vielfältige Beispiele der Finanzierung, auch durch Finanzfonds (›Fondo piadoso‹) mikrohistorisch dargestellt, aber auch spezielle Fälle, etwa der Herstellung von Glas oder Branntwein (aguardiente). Überdies werden in diesem Bereich be­kannte Akteure vorgestellt, wie der eigensinnige böhmische Mis-sionar Michael Schabel, der unter den afrikanischen Sklaven in Couração wirkte, später aber aus dem Orden entlassen wurde. Am Beispiel einer chilenischen hacienda wird die ökonomische Verwaltung expliziert und am Bespiel des kolonialen Rio de la Plata-Raums das ökonomische Denken der Jesuiten. Ein dritter Teil behandelt das Verhältnis von Raum und Architektur am Beispiel von haciendas im heutigen Venezuela sowie die Räumlichkeiten einer hacienda (schematischer Grundriss S. 462a), mit einem Seitenblick auf Kirchen und fazendas in Brasilien. Ohne diese ökonomischen Grundlagen wären pastorales und missionarisches Wirken kaum möglich gewesen.

Dem Thema der (schwarzen) Sklaven widmet sich der Band Slavery and salvation von Margaret M. Olson,38 deren jesuitische Leitfigur Afonso de Sandoval sie als »an advocat of African humanity and dignity in the seventeenth century« (2) vorstellt. Zunächst beschreibt sie den politischen und religiösen Kontext der Zeit, in dem ihr Protagonist lebte, sowie die Missionstätigkeit in Cartagena de Indias, wo seit 1606 auch afrikanische Sklaven anlandeten. Sandoval befasste sich mit den Bräuchen, Sprachen und Ethnien sowie der Evangelisierung, woraus das Werk De instauranda Aethiopum salute (1627, 1647) hervorging, dessen Text die Autorin minutiös studiert, analysiert und interpretiert. So differenziert sie die europäische, afrikanische und amerikanische Ebene und entdeckt, sensibilisiert durch den postkolonialen Diskurs, die marginalisierte Stimme der Schwarzen im Text. So zeigt sie, dass Sandoval ein Projekt der Inklusion verfolgt habe, nicht zuletzt mit der christlichen Integration der Schwarzen durch die Taufe. Sie zeigt, wie Sandovals kluges Buch damalige und heutige Leser verbindet.

Die sozioökonomische Geschichte der Guaraní-Mission thematisiert Julia Sarreal39 in ihrer Studie, die auch Archivalien heranzieht. Dabei verfolgt die Autorin zwei Perspektiven: einen chronologischen Blick und einen thematischen Zugang. Die ersten vier Kapitel untersuchen chronologisch die Gründungen, den Urbanismus, die Ökonomie der Mission; diese setzte auf die Lebensmittelerzeugung durch die von Indios bewirtschafteten Estancias, aber auch auf den Verkauf von Yerba Mate und Baumwolle. Die Kapitel 5 bis 8 bilden den zentrale Teil des Buchs, der erzählt, wie die Missionsreform nach Abzug der Jesuiten in den Bankrott trieb und warum die Indios in den Reduktionen verblieben oder sie verließen. Auch die demographischen Folgen und die Lebensstandards der Bleibenden kommen in den Blick, nicht zuletzt der Niedergang der kommunalen Struktur und der gemeinsamen Arbeit, mit dem Kollaps am Ende. Die mit zahlreichen Karten, Zeichnungen und Statistiken ausgestatte Arbeit glänzt durch konzise Analysen und Darstellungen mit großer Erklärungskraft.

Wissenschaften

Dass Jesuitenmissionare in Lateinamerika oft auch in wissenschaftlichen Feldern tätig waren, stellt das Buch von Andrés Prieto40 unter Beweis. So stellt er in drei Teilen jeweils solche Missonary scientists vor und untersucht den wissenschaftlichen Gehalt der Werke von José de Acosta in Perú (Naturforschung, geographische Hypothesen [Landbrücke zwischen Asien und Amerika], native Sprachen und Medizinalpflanzen). Des Weiteren behandelt er die anthropologischen und astronomischen Forschungen von Bernabé Cobo sowie die von Niccolò Mascardi und Alonso de Ovalle in Chile und Chiloé (Gezeiten, Kometen). Schließlich geht es nochmals um Acosta und seine Natur- und Kulturgeschichte, sein Pochen auf »Erfahrung« und die Bedeutung der Empirie gegenüber armchair philosophers (221). Der Autor lässt die Quellen reichlich fließen und gibt einen anregenden Überblick über missionarisch-wissenschaftlich arbeitende Jesuiten im Anden- und La Plata-Raum.

Pharmazie

Der »Missionspharmazie« widmet Sabine Anagnostou41 ihre pharmaziehistorische Habilitationsschrift, die inzwischen als Standardwerk gilt. Sie handelt hauptsächlich von den Jesuiten, erwähnt aber auch andere Orden und wirft einen Seitenblick auf das protes-tantische Beispiel der Dänisch-Halleschen Mission im indischen Tranquebar (361–380). Schwerpunkt sind die katholischen Missionen der frühen Neuzeit. Die Grundlagen der Missionspharmazie sieht sie in der »iatrotheologischen« Begründung des karitativen W irkens, der Krankenbehandlung und Arzneimittelversorgung durch die missionierenden Orden, insbesondere der Jesuiten. Dabei stützt sie sich auf zahlreiche Quellen aus Lateinamerika, bei denen sie die jeweilige Konzeption und die Materia Medica erläutert, indem sie etwa die Medizinalpflanzen klassifiziert und in ihrer Wirkung beschreibt. Bei den Autoren, fast durchweg Jesuiten, handelt es sich um folgende Schriften: Pedro Montenegro, Materia Médica misionera (Paraguay); Sigismund Aperger, Tratado breve de medicina (Paraguay); Marcos Villodas, Pojha ñaña (in Guaraní); Johann Steinhöfer, Florilegio medicinal (Mexiko), und andere. Des Weiteren hat die Autorin die Ordensapotheken in den Missionen im spanischen Kolonialreich untersucht, von denen sieben in Süd- und Mesoamerika lagen (etwa Buenos Aires, Lima, Mexiko), sowie den internationalen Heilmittel- und Wissenstransfer, den diese Missionsapotheken unterhielten. Bemerkenswert ist, dass die Heilpflanzen der einheimischen Flora mit Hilfe des indigenen Wissens gefunden und europäisch rezipiert werden konnten; die »Passionsblume als Sedativum« (398) ist nur eines von vielen Beispielen.

Künste

Der prachtvolle Band über den Barock in den Jesuitenreduktionen42 wurde von den Fachleuten Gianni Baldotto und Antonio Paolillo herausgegeben, kommentiert und mit zahlreichen Plänen und Landkarten versehen. Mit einer Vorstellung des üppigen Naturraums (subtropischer Urwald, große Ströme und Wasserfälle wie Iguazú) sowie der heutigen Bewohner (17–81) eröffnen sie die Bühne für die 30 Reduktionen, die bis zur Mitte des 18. Jh.s dort exis-tierten und nach der Vertreibung der Jesuiten entweder vom Ur­wald wieder verschlungen wurden oder zu Ruinen geworden sind. Diese »Ruinas jesuítcas« werden in ihren künstlerischen Hervorbringungen in vielen, auch großformatigen farbigen Abbildungen dargestellt. Dazu gehören zahlreiche polychrome Ganzplastiken aus Holz sowie Steinplastiken mit religiöser Motivik (Christus, Maria und Heilige), die heute in lokalen Museen präsentiert werden. Die Stücke dienten der reichen Ausstattung der Kirchen aus rötlichem Standstein. Diese Gotteshäuser waren meistens mit aufwendigen Bildhauerarbeiten geschmückt, sei es mit architektonischer Ornamentik oder Figurenreliefs, wie zum Beispiel ein Fries der musizierenden Engel (Trinidad del Paraná). Auch Frescomalerei findet sich (Santa Rosa). Dazu kommen reich geschmückte Retabeln und Malereien auf Holz. Die Figuren sind barock inspiriert, zeigen aber nicht selten indianische Züge. Das weist darauf hin, dass die indianischen Handwerker und Künstler bei europäischen Meistern des Barock nicht nur gelernt, sondern auch künstlerisch im Sinn ihrer Kultur oft eigenständig abgewandelt haben. Ohne diese hervorragende Architektur und Kunst bliebe das äußere und innere Bild der Reduktionen unvollständig.

Musikwissenschaft

Der Musik- und Literaturwissenschaftler Christian Storch43 hat einen wichtigen Band zur Musik- und Theaterpraxis in den Jesuitenmissionen im kolonialen Lateinamerika herausgegeben; er ist aus einem Symposion an der Universität Göttingen (2012) hervorgegangen. Die musikologische Perspektive zeigt das Spektrum der entsprechenden Aktivitäten vor allem in den Guaraní-Reduktionen, die mit dem Namen des Tirolers Anton Sepp verbunden sind, und seiner »Reißbeschreibung« (1696), die darüber Auskunft gibt (Esther Schmid Heer). Einen weiteren Schwerpunkt setzte im Missionsgebiet der Chiquitanía (heutiges östliche Bolivien) der Schweizer Martin Schmid, der einen großen Einfluss auf das Musikleben ausübte, das als Medium der Missionierung galt. Wie firm er auf den Gebieten der Instrumental- und Chormusik, sowie der Komposition für Fest und Liturgie war, arbeiten Jerzy Henryk Skrabania und Hans Jakob Zimmer heraus. Auch die Musikpraxis in der Jesuitenmission in Sonora (Nordmexiko) und in Brasilien (Theater-stücke von José de Anchieta) werden aus Quellen erarbeitet. Zu Recht sieht der Herausgeber in den Aktivitäten der Jesuiten in Südame-rika ein »Desiderat für die historische Musikwissenschaft in Deutschland« (41).

Quellenedition

Mit dem Buch Terra Amazonum44 (Land der Amazonen) ist ein wertvoller Quellenband zu Dominicus Mayr (s. o.) zugänglich. Er enthält sieben deutschsprachige Briefe an seinen Bruder in Konstanz von 1717 bis 1740, die erstmals postum 1747 in Augsburg publiziert worden waren (7–78). Zudem hat der Herausgeber zehn lateinische Briefe transkribiert und ins Deutsche übersetzte, die Mayr aus der Mojos-Mission (1716–1734) nach Deutschland ge­schrieben hatte (81–254). Das hervorragend ausgestattete Werk wird ergänzt durch einen Reisebericht von Franz Xaver Dirrheim sowie durch Gemälde des Protagonisten. Die deutsche und die lateinische Korrespondenz erlauben aufschlussreiche Einblicke in die zeitgenössische Missionsarbeit und die transatlantische Kommunikation.

Reduktionen

Zu den bekanntesten Projekten der Jesuiten zählen die Reduktionen unter den Guaraníes in Paraguay (vgl. 404 f.). Doch darüber hinaus existierten auch weitere Reduktionen wie die unter den Chiquitos in Bolivien. Eine groß angelegte Studie (740 S.) hierzu stammt von Roberto Tomichá Charupá (wie Anm. 21), der diese Arbeit an der römischen Universität Gregoriana angefertigt hat. Die Publikation umfasst zeitlich 75 Jahre in der Spätzeit der Chiquitano-Reduktionen (1691-1767). In einem ersten Teil stellt der Autor zum einen die »Protagonistas« dar, d. h. die meist spanischen, aber auch die kreolischen und die europäischen Jesuiten aus Italien, Flandern, Böhmen; aus Deutschland etwa Julian Knogler und aus der Schweiz Martin Schmid (154–159). Die Motivationen, Reisen, Fähigkeiten dieser Personen werden ebenso minutiös analysiert wie ihre ökonomischen Resourcen. Zum anderen geht es um die Personengruppe der Indígenas, deren Verbreitung, Ethnien und Sprachfamilien zur Darstellung kommen, des Weiteren deren ma­terielle und religiöse Kultur. Auf diesem Hintergrund entfaltet der Autor im zweiten Teil die Missionsmethodologie der Jesuiten und die indigenen Beiträge (»misioneros indígens«, 657). Zunächst bringt er die naturalen und kulturalen Kontexte zur Sprache, darunter die Epidemien und den Umgang mit der indigenen Bevölkerung. Zu den eigentlichen Missionsmethoden gehören Diffusion und Persuasion, Katechese und Unterweisung. In den verschiedenen Perioden entstanden insgesamt elf Reduktionen, von denen zahlreichen excursiones zu anderen indigenen Gruppen durchgeführt wurden. Schließlich werden die Ergebnisse der jesuitischen Mission an diesem Ort analysiert, aber auch die Teilnahme der Einheimischen an der Mission und die »Génesis del cristianismo chiquitano« (633), den er als inklusiv, harmonisch, kosmisch, laikal und sozial charakterisiert. Das Buch lässt systematische Kraft er­kennen, ist durch die Verwendung zahlreicher archivalischer und gedruckter Quellen aus Lateinamerika und Europa sowie durch die Fachliteratur bestens belegt und bildet ein wichtiges Standardwerk zum Thema.

Die internationale Literatur zur Erforschung der frühmodernen Jesuitenmissionen lässt deutlich neue Gegenstände und Forschungsmethoden erkennen, aber auch intensive interdisziplinäre Kooperationen, die weit über kirchengeschichtliche Fragestellungen hinausgehen. Man wird wohl auch in Zukunft neue Forschungsergebnisse erwarten dürfen, zumal die Jesuitenmissionen nicht nur Lateinamerika geprägt haben, sondern auch in Asien, vor allem in Indien, China und Japan weite Forschungsfelder bereithalten, die freilich Kenntnisse asiatischer Sprachen voraussetzen.

Abstract


This contribution combines a brief historical overview of early modern Jesuit missions in Latin America with a view of recent research literature on the subject. The overview arranges the ac­count in accordance with the administrative units of the order, specifically its seven provinces and its mission territories founded especially in the 16th century. Recent research comes to light in a subsequent collected review that presents more than twenty volumes published in various languages after 2000. While the historical overview provides a framework for research, the research work from numerous scholarly fields illuminates the Jesuit missions in new ways.

Fussnoten:

1) Zum Überblick vgl. Michael Sievernich, Die christliche Mission: Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2009.
2) Zur Rolle der Orden in Lateinamerikas vgl. Michael Sievernich/Arnulf Camps/Andreas Müller/Walter Senner (Hgg.), Conquista und Evangelisation: 500 Jahren Orden in Lateinamerika, Mainz 1992; hier bes.: Johannes Meier, Die Orden in Lateinamerika: Historischer Überblick, 13–33.
3) Vgl. Markus Friedrich, Die Jesuiten: Aufstieg, Niedergang, Neubeginn, München 2016, hier: 393–523.
4) Zur konfessionellen Differenz der beiden Zeitgenossen vgl. Michael Sievernich, Martin Luther und Ignatius von Loyola, in: Luther: Zankapfel zwischen den Konfessionen oder »Vater im Glauben«? Historische, systematische und ökumenische Zugänge, hgg. von Mariano Delgado/Volker Leppin (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte Bd. 21), Fribourg/Stuttgart 2016, 75–93; Gottfried Maron, Ignatius von Loyola. Mystik, Theologie, Kirche, Göttingen 2001.
5) Zum Ganzen vgl. John W. O’Malley, Die ersten Jesuiten, Würzburg 1995.
6) Ignatius von Loyola, Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, übers. von Peter Knauer, Würzburg 1998, 309.
7) Vgl. Luke Clossey, Salvation and globalization in the early Jesuit missions, New York 2008.
8) Vgl. Wolfgang Reinhard, Gelenkter Kulturwandel im 17. Jahrhundert: Akkulturation in den Jesuitenmissionen als universalhistorisches Problem, in: Historische Zeitschrift 223 (1976), 529–590.
9) Vgl. Reinhard Wendt (Hg.), Sammeln, Vernetzen, Auswerten. Missionare und ihr Beitrag zum Wandel europäischer Weltsicht, Tübingen 2001, 23–43.
10) Zum Überblick vgl. Ángel Santos Hernández, Los Jesuitas en América, Madrid 1992.
11) Michael Sievernich, José de Anchieta: Kirchenvater Brasiliens, in: Johannes Arnold/Rainer Berndt/Ralf M. W. Stammberger (Hgg.), Väter der Kirche. Ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit (FS Hermann Josef Sieben), Paderborn 2004, 967–992.
12) Vgl. Johannes Meier, Die Stimme erheben. Studien zur Kirchengeschichte Lateinamerikas und der Karibik, hgg. von Annegret Langenhorst/Christoph Nebgen/Veit Straßner (Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte 30), Wiesbaden 2018, 140–150 (Die Kirche und das Wirken der Jesuiten in Brasilien).
13) Hierzu Luis Martín, La conquista intellectual del Perú: El colegio Jesuita de San Pablo, 1568–1767, Barcelona 2001, Orig. englisch 1968.
14) Vgl. Claudio M. Burgaleta, Jose de Acosta SJ (1540–1600): His life and thought, Chicago 1999.
15) Vgl. Gerhard Decorme, La obra de los Jesuitas Mexicanos durante la época colonial 1572–1767: Compendio histórico, tom. 2: Las misiones, México 1941.
16) Zur Kartographie vgl. David Buisseret, Jesuit Cartography in Central and South America, in: Jesuit encounters in the New World: Jesuit chroniclers, geographes, educaters and missionaries in the Americas, 1549–1767, ed. by Joseph A Gagliano/Charles E. Ronan (Bibliotheca Instituti Historici S. I. 50), Roma 1997, 113–162; hier: 119–122.133.136.
17) David G. Sweet, Black robes and »black destiny«: Jesuit views of black slavery in 17th century Latin America, in: Revista de historia de America (México) 86 (1978), 87–133.
18) Vgl. Peter Claus Hartmann, Der Jesuitenstaat in Südamerika 1609–1768: Eine christliche Alternative zu Kolonialismus und Marxismus, Weißenhorn 1994, 2. Aufl. 2016; Guillermo Furlong, Misiones y sus pueblos Guaraníes, Buenos Aires 1962.
19) Hierzu Michael Sievernich, Sprache, Mystik und Missionen. Zum linguistischen, spirituellen und missionarischen Werk von Antonio Ruiz de Montoya in der Frühzeit der Reduktionen, in: Ders./Klaus Vellguth (Hgg.), Christentum in der Neuzeit: Geschichte, Religion, Mission, Mystik. Festschrift für Mariano Delgado, Freiburg i. Br. 2020, 585–606.
20) Josep M. Barnardas (Ed.), Mojos: Seis relaciones jesuíticas. Geografía, etnografía, evangelización 1617–1763, Cochabamba 2005.
21) Roberto Tomichá Charupá, La primera Evangelización en las reducciones de Chiquitos, Bolivia 1691–1767: Protagonistas y metodología misional, Cochabamba 2002.
22) Michael Sievernich, Die Jesuitenmissionen in Amerika: Ein Überblick über die neuere Forschung (16. bis 18. Jahrhundert), in: Theologie und Philosophie 76 (2001), 551–567.
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25) Wie Anm. 24; Band 2: Chile (1618–1771), bearb. von Michael Müller, Münster 2011.
26) Wie Anm. 24; Band 3: Neugranada (1618–1771), bearb. von Christoph Nebgen, Münster 2008.
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