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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

583–585

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schrijver, Georges de [Ed.]

Titel/Untertitel:

Liberation Theologies on Shifting Grounds. A Clash of Socio-Economic and Cultural Paradigms.

Verlag:

Leuven: University Press; Leuven: Peeters 1998. XII, 453 S. gr.8 = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 135. Kart. BEF 2100. ISBN 90-6186-833-1 u. 90-429-0302-3.

Rezensent:

Hermann Brandt

In der Mitte der neunziger Jahre, also ein Vierteljahrhundert nach der Formierung der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, haben sich einzelne Autorinnen und Autoren und verschiedene Projekte und Kongresse zunehmend der Frage nach den inneren Entwicklungen und äußeren Rezeptionen dieser ersten neuzeitlichen Theologie von der Peripherie gewidmet. Ein Beispiel für solchen bilanzierenden Rückblick und die mit ihm verbundenen Erwägungen verschiedener Zukunftsperspektiven der Befreiungstheologie ist auch die hier vorzustellende Veröffentlichung. Es handelt sich um die Dokumentation eines internationalen Symposiums, mit dem 1996 ein seit 1994 vom Zentrum für Befreiungstheologie an der Theologischen Fakultät der Königlichen Universität Leuven betriebenes Forschungsprojekt abgeschlossen wurde.

Der Band wird eröffnet - Teil 1 - durch ein "Diskussions-Papier" des Herausgebers, das mit über 80 Seiten eine eigene Monographie darstellt und in dem er - den Gesamttitel konkretisierend - seine These eines Paradigmenwechsels erläutert: "Paradigm Shift in Third-World-Theologies of Liberation: From Socio-Economic Analysis to Cultural Analysis?". Bedeutsam und kennzeichnend für das Zurücktreten einer nur auf die lateinamerikanische Befreiungstheologie ausgerichteten Perspektive ist auch, dass hier im Plural von Befreiungstheologien der Dritten Welt gesprochen wird.

Teil 2 umfasst die Reaktionen auf Schrijvers vorab versandten Text von sieben Theologen aus drei Kontinenten des Südens. J. C. Scannone (Argentinien), "’Axial Shift’ instead of ’Paradigm Shift’"; M. J. Rosado Nuñez (Brasilien), "Irreducible Multiplicity and the Search for a Common Project: A Feminist Perspective"; D. Irarrazaval (Peru), "Understanding Love: The Basic Paradigm in Latin-American Theology"; L. Magesa (Tansania), "The Political Axis of African Liberation Theology"; J.-M. Ela (Kamerun), "Globalisation et paupérisation. Un défi à la théologie africaine"; P. Caspersz (Sri Lanka), "The Future of the Theology of Liberation, if It has a Future"; J. De Mesa (Philippinen), "Attending to the Cultural in Contemporary Filipino Theologizing".

Teil 3 bringt kürzere Stellungnahmen auch von Repräsentanten der sog. Ersten Welt.

Zunächst (I) Beiträge des Symposiums, die einen besonders lebhaften Eindruck der Diskussion vermitteln (Wird die Befreiungstheologie den Bedingungen der Postmoderne unterworfen? Wo bleiben die Kontinuitäten im Paradigmenwechsel?): A. Kee (Schottland), "The Return to Idealism"; D. Gonzales (Philippinen), "Ghosts in the Symposium: A Personal Report". - Es folgen (II) Voten zum Themenkreis "Postmoderne und Globalisierung": M. Althaus-Reid (Schottland), "The Hermeneutics of Transgression"; L. Nauwens (Belgien), "Clash Between Globalization and Local Cultures"; J. Bloechl (Belgien), "Theology and the Postmodern Condition. The End of Christian Truth-Claims?"; L. Boeve (Belgien), "J.-F. Lyotard’s Critique of Master Narratives: Towards a Postmodern Political Theology?"; M. Widl (Deutschland), "Postmodernity and the Theologies of Liberation From the Perspective of a First-World Pastoral Theology"; P. De Mey (Belgien), "New Age’s Interest in Indigenous Cultures: The Case of J. Redfield".- Die letzte Gruppe (III) der Diskussionsbeiträge behandelt das Thema Paradigmenwechsel aus unterschiedlichen Perspektiven: P. J. Henriot (Sambia), "Grassroots Analysis: The Emphasis on Culture"; G. Boodoo (USA), "Paradigm Shift?"; J. Gordon (Großbritannien), "Clash of Paradigms: Report from the Caribbean"; K. Steenbrink (Niederlande), "Seven Indonesian Perspectives on Theology of Liberation"; A. Abascal-Jaen (Belgien), "Latin-American Liberation Theology: Paradigm Shift or Development-Deepening?"; A. M. Brazal, "Some Epistemological Implications of the Shift in Third-World Theologies of Liberation".

Am Ende stehen eine Nachschrift des Herausgebers sowie verschiedene Verzeichnisse (Abkürzungen, Personen- und Sachregister sowie Kurzinformationen über die Verfasserinnen und Verfasser der Einzelbeiträge des Bandes).

Insgesamt sind es 22 Beiträge von Autorinnen und Autoren aus 12 Ländern und 5 Kontinenten. Der Rez. hat zur Orientierung möglicher Interessenten bewusst alle Titel wiedergegeben, statt den untauglichen Versuch zu machen, sie zu synthetisieren (vgl. seinen Artikel Befreiungstheologie nach der Wende, in: ThLZ 124, 1999, 963-978). Wo die Schwerpunkte liegen, zeigen die in den Beiträgen am häufigsten herangezogenen Autoren, nämlich Leonardo Boff und Gutiérrez einerseits, Giddins, Hinkelammert, Lyotard und Marx andererseits. Die beiden Symbolgestalten lateinamerikanischer Befreiungstheologie werden so gesehen auf Autoren bezogen, die sich vorwiegend im Pro und Contra mit dem Marxismus, dem Markt und der Bestimmung der (Post-)Moderne beschäftigt haben. Befreiungstheologische Hermeneutik, Fragen der Spiritualität, überhaupt theologische Fragen im engeren Sinn treten dagegen zurück oder fehlen ganz. Dem entsprechen die häufigsten Themenfelder: Natürlich kulturelle und sozio-ökonomische (auch: marxistische) Analyse, Rassismus, Kapitalismus und Ökologie, Moderne und Postmoderne, Paradigmenwechsel und Massenmedien, lokale, indigene, populare Kulturen und Inkulturation auf der einen, Globalisierung auf der anderen Seite. Dagegen werden das befreiungstheologische Axiom "Kritische Reflexion der Praxis im Lichte des Wortes", seine biblische Begründung und prophetische Funktion, weniger (als implizierte Voraussetzung) oder gar nicht herangezogen. Jedenfalls bleibt nach der Lektüre die Frage offen, ob es eine eigene "theologische" Analyse gibt und, falls ja, wie sie sich zum Zwilling, der kulturellen und sozio-ökonomischen Methode, verhalten könnte bzw. sollte.

Unerachtet der gelegentlich einander widersprechenden Positionen vermittelt der Band den generellen Eindruck, dass die beiden zunächst alternativ vorgestellten Methoden - sozio-ökonomische und kulturelle Analyse - einander nicht ausschließen, sondern als miteinander verbundene bzw. zu verbindende aufgefasst werden, die gemeinsam, dann aber auch zureichend, auf die Herausforderung der Globalisierung antworten können. Mit anderen Worten: Es handelt sich nicht um einen innerbefreiungstheologischen Methodenkonflikt, sondern um eine Neuorientierung am Globalen; diese ist "forced upon by the world situation, which since the beginning of Liberation Theologies, has drastically shifted into new directions". Die Konferenz war sich dessen bewusst, dass die Untersuchungen der Einflüsse der Globalisierung auf die Kultur und über die Möglichkeiten der Organisierung kulturellen Widerstands gegen die "Kultur" des Marktes weitergeführt werden müssen. Die notwendige Differenzierung und Spezialisierung der Fragestellungen liegen für den Herausgeber aber "in line with the universal concern of ’liberation theologies’", nämlich der "restoration of human dignity to all persons around the world" (432 f.). So gesehen wird am konfliktiven Verhältnis zwischen der marktorientierten Globalisierung und dem "Universalismus" der Befreiungstheologie festgehalten und eine (befreiungs-)theologische Antwort auf die oben erwähnte offene Frage wenigstens angedeutet.