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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

580 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Meyer, Harding

Titel/Untertitel:

Versöhnte Verschiedenheit. Aufsätze zur ökumenischen Theologie I.

Verlag:

Frankfurt/M.: Lembeck; Paderborn: Bonifatius 1998. 253 S. gr.8. Kart. DM 42,-. ISBN 3-87476-339-0 u. 3-89710-059-2.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Anlässlich des 70. Geburtstags von Harding Meyer erscheint eine Sammlung einiger seiner grundlegenden Beiträge zum ökumenischen Gespräch der letzten knapp dreißig Jahre. Die Auswahl, die das Gesamtwerk des Verfassers natürlich nur zu einem sehr kleinen Teil wiederzugeben vermag, erfolgte nach dem Kriterium, ob die in den Texten erörterten Probleme auch heute noch von Relevanz sind (13). Genau dies wird man nach Lektüre der gesammelten Aufsätze und Reden gerne bestätigen.

Die Texte sind vier Themenbereichen zugeordnet. Im mit dem Titel "Einheitsbemühungen" überschriebenen ersten Teil verdient die Untersuchung über "Die Struktur ökumenischer Konsense" (60-74) besondere Beachtung, insofern hier die wichtige Frage nach der Gestalt erreichter und anzustrebender Konsense eigens reflektiert wird. Differenzierte, zur Gemeinschaft voll ausreichende Konsense zeichnen sich nach Meyer einerseits durch eine Konsensaussage über das in der jeweiligen Lehrfrage gemeinsam als grundlegend Erachtete und andererseits durch Übereinstimmung über die Zulässigkeit bleibender Differenzen in der jeweiligen Lehrfrage aus (72). Diese Perspektive findet er auch in neueren Erklärungen der römisch-katholischen Kirche wieder, etwa in der seit dem Zweiten Vatikanum geläufigen Differenzierung von depositum fidei und modus enuntiandi bzw. in der im Ökumenismus-Dekret gebrauchten Rede von der diversitas legitima. Im Themenbereich II über "Einheit und Einheitsvorstellungen" unterstreicht der gegenüber dem Erstabdruck von 1978 nur leicht überarbeitete Aufsatz zum Thema "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" (101-119) die Hintergründe, das Werden und die bleibende Bedeutung genau dieses Konzepts.

Nur auf den ersten Blick ist der den Themenbereich III "Konfessionen und die Einheit der Kirche" eröffnende, ganz in der Form seines Erstabdrucks von 1973 belassene Beitrag über "Konfessionalität und Ökumenische Gemeinschaft" (165-182) ein Dokument der zu diesem Punkt in den 60er und 70er Jahren geführten Debatten. Gerade hier macht die Lektüre eindrucksvoll die bleibende Relevanz der ökumenischen Konzepte Meyers bis in heutige Gespräche hinein deutlich: Der von ihm vertretene Begriff der Konfessionalität, verstanden als besonderes Identitätsprinzip der jeweiligen Kirche, soll das assertorische Moment von Bekenntnisaussagen, auch in seiner abgrenzenden Funktion, bewahren, entledigt sich dabei aber zugleich der für den Konfessionalismus typischen kondemnatorischen und daher kirchentrennenden Ausrichtung und wird so zum Schlüsselbegriff für alle Gespräche, in denen es um die Gemeinschaft konfessionsverschiedener Kirchen, um konfessional gegliederte ökumenische Gemeinschaft geht.

In Themenbereich IV "Bekenntnis und Verbindlichkeit" plädiert der 1984 entstandene Aufsatz "Schriftautorität und Überlieferungsdynamik als überkonfessionelles Problem" (227-240) dafür, dass das dogmatisch wie historisch durchaus schwierige (unlängst bekanntlich in den evangelischen Debatten um das Verständnis des "sola scriptura" neu aufgerollte) Schrift-Tradition-Problem endgültig der belastenden Funktion einer konfessionskontroversen Grenzsetzung benommen und stattdessen als Fragestellung von überkonfessioneller Relevanz und Reichweite neu wahrgenommen und auf dieser Ebene einer abermaligen Reflexion zugeführt werden sollte.

Die gesammelten Aufsätze von Harding Meyer bieten ein in sich geschlossenes Bild. Zwar repräsentiert der Band, wie es im Vorwort heißt, keine "Ökumenische Theologie" (13); das wäre bei einer Aufsatzsammlung auch schwerlich zu erwarten. Es zeigt sich aber in eigentlich allen hier zusammengestellten Texten ein klar konturiertes Herangehen an das gesamte Spektrum der Fragen der Ökumene, das dem vorgelegten Band eine innere Einheit verleiht. Dabei ist klar, dass die Positionen Meyers nicht unumstritten sind, wenn man etwa daran denkt, dass die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre", die ganz in der von ihm vertretenen Linie zu sehen ist, namentlich in Deutschland höchst kontrovers diskutiert worden ist und weiter diskutiert wird.

Es mag vor diesem Hintergrund erwähnt sein, dass zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Rezension gerade neue Pressemitteilungen über eine offizielle Bestätigung eben dieser Erklärung durch die römisch-katholische Kirche und die im Lutherischen Weltbund zusammengeschlossenen lutherischen Kirchen die Runde machen, die zumindest eine breite kirchliche Akzeptanz, vielleicht sogar eine Unumkehrbarkeit des von Harding Meyer eingeschlagenen Weges signalisieren. - Einige grundsätzliche Texte Harding Meyers zu kontroverstheologischen Einzelfragen sowie zu Gang und Ertrag einzelner Dialogkonstellationen, die im vorliegenden Band zunächst keine Aufnahme fanden, werden in einer zweiten Aufsatzsammlung erscheinen, die für 1999 angekündigt ist.