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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1203–1205

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Ludwig

Titel/Untertitel:

Gesammelte Aufsätze zum Pentateuch.

Verlag:

Berlin-New-York: de Gruyter 1998. VIII, 286 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 263. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-016123-0.

Rezensent:

Christoph Levin

Der Erlanger Ordinarius für Altes Testament legt elf Studien aus den Jahren 1973 bis 1998 als Sammelband vor. Die letzten drei, im Umfang vier Zehntel des Bandes, werden erstmals veröffentlicht. Zusammen mit den früheren Arbeiten ergeben sie ein profiliertes Bild vornehmlich der älteren Pentateuchquellen Jahwist und Elohist. Die Sammlung hat nahezu die Qualität einer Monographie. Kennzeichnend für die Arbeitsweise Schmidts sind seine vorzügliche Beobachtungsgabe, gutes Gespür für die tatsächliche Aussage des Textes und ein standhaftes Festhalten an der neueren Urkundenhypothese. Der Band ist chronologisch geordnet. Die ersten Beiträge, die jetzt ein Vierteljahrhundert zurückliegen, sind auch forschungsgeschichtlich von Belang.

Vier Studien haben die Väterverheißungen zum Gegenstand, die für Schmidt das wichtigste Kennzeichen der jahwistischen Pentateuchquelle darstellen. Die Berliner Habilitationsvorlesung von 1973 "Israel ein Segen für die Völker?" (1-17) widerlegt anhand von Gen 12,1-3 mit besten exegetischen Gründen die ethische Deutung des jahwistischen Kerygmas durch H. W. Wolff. Wenn freilich Schmidt an der Datierung ins 10. Jahrhundert festhält, gelingt das nur um den Preis, daß die Verheißungen nicht sein dürfen, was sie sind: Ermutigung zur Hoffnung auf eine ausstehende Zukunft. Versteht Wolff sie als Mahnung, so Schmidt als machtpolitische Ätiologie: "Der Jahwist hat das Großreich zum Zentrum der gesamten Welt gemacht, vor dem sich vernünftigerweise und um des eigenen Vorteils willen alle Menschen zu verbeugen haben" (11). Die Anstößigkeit wird kaum gemildert, wenn Schmidt dafür eine doxologische Absicht unterstellt: "Für das, was Jahwe im Großreich geschaffen hat, gebührt keinem Menschen, sondern ausschließlich Gott die Ehre". Wolffs ethische Deutung hatte angesichts der Frühdatierung zwingende Gründe. Wenn man ihm nicht folgt, sollte man das konsequent tun: Der Jahwist gehört nicht in die Zeit der größten Blüte Israels, sondern seines größten Elends.

Die "Überlegungen zum Jahwisten" aus dem Jahre 1975 (18-37) nehmen die einsetzende Pentateuch-Debatte auf. Mit Recht kritisiert Schmidt, daß für den Jahwisten allerlei Texte ins Feld geführt werden, die der Quelle gar nicht zugehören. Für Datierung und Absicht sei vielmehr Gen 12 der Schlüssel, insbesondere die Verheißung, Abraham zu einem großen Volk zu machen. Daraus folge, "daß der Jahwist sein Werk geschrieben haben muß, als das Großreich noch bestand. Die ... Verheißung ... hatte ja nach der Reichsteilung ihren Sinn verloren, zumal es in Israel nie mehr eine vergleichbare politische Machtentfaltung gegeben hat" (26). Bemißt sich der Sinn einer Verheißung nach ihrer Erfülltheit?

In der Studie "Väterverheißungen und Pentateuchfrage" von 1992 (110-136) wird die Frage der Datierung offener angegangen. In Auseinandersetzung mit E. Blum, M. Köckert und Th. Römer weist Schmidt nach, daß die Landverheißung an die Väter vor 587 bestanden habe: Das Deuteronomistische Geschichtswerk beziehe sich in Dtn 1,35 auf sie zurück. Der Beweis setzt voraus, daß Dtn 1,35 zur Erstgestalt des Geschichtswerks gehört hat, was außer Frage bleibt. Weil die ältesten Landverheißungen Gen 12,7 und 28,13-14 zu jener Schicht gehören, die die Väterüberlieferungen untereinander verknüpft hat, müsse bereits in vorexilischer Zeit ein umfassendes Erzählungswerk vorhanden gewesen sein. Der Beitrag "El und die Landverheißung in Bet-El" (1995, 137-149) fügt eine Exegese von Gen 28 hinzu, die sich gegen neuere Versuche richtet, die Uneinheitlichkeit des Textes mittels einer Ergänzungshypothese zu verstehen. Die Entdeckung, daß die Erzählung in V.11 eine zweite Exposition besitzt, ist interessant. Aber reicht sie hin, die jahwistische Verheißungsrede als Teil einer eigenen Erzählung zu erweisen, die neben der elohistischen Fassung bestanden hat?

Damit ist ein zweites großes Thema der Sammlung berührt: der Nachweis, daß es neben der jahwistischen die elohistische Quelle tatsächlich gegeben hat. Seit W. Rudolph und P. Volz den Elohisten als "Irrweg der Pentateuchkritik" bestimmt haben, hat sich die jüngere Forschung weithin entschieden, das "J-E-Spiel" im Sinne einer (wie auch immer gearteten) Ergänzungshypothese zu betreiben. Schmidt hält dagegen, indem er die Bileamerzählung Num 22-24 (1979, 57-84), die Erzählung vom Segensbetrug Gen 27 (1988, 85-109) und die Berufung des Mose Ex 3-4 jeweils auf zwei Hauptstränge aufteilt.

Diese Exegesen zeichnen sich, solange sie im analytischen Arbeitsschritt bleiben, durch eine sorgfältige und beobachtungsreiche Textbehandlung aus, von der viel zu lernen ist. Fraglich ist die Synthese. Das zeigt am deutlichsten der Beitrag "Diachrone und synchrone Exegese am Beispiel von Exodus 3-4" (1998, 224-250). In einer eigenwilligen Definition assoziiert Schmidt mit "synchron" eine Exegese, die wie R. Smend, H.-Ch. Schmitt und E. Blum den Endtext zum Ausgangspunkt der Analyse nimmt, und stellt ihr als "diachron" die Herstellung der Quellen entgegen, wie sie zu Zeiten der neueren Urkundenhypothese den ersten Schritt gebildet hat. Die Alternative ist unglücklich und wird den kritisierten Exegeten nicht gerecht. Auch wer an der Urkundenhypothese mit guten Gründen festhält, kann sie angesichts der Diskussionslage nicht mehr zum Ausgangspunkt nehmen.

Die neuesten Studien lassen eine gewisse Veränderung erkennen. Wurde in früheren Exegesen der Text nahezu restlos auf die beiden Quellen verteilt, rechnet Schmidt in Ex 3-4 mit umfangreichen späteren Ergänzungen, und Num 11-12 (1998, 251-279) wird gänzlich mit den zahlreichen Erweiterungen der jahwistischen Wachtelerzählung erklärt. Was das traditionsgeschichtliche Verhältnis angeht, habe die Quelle E sich unmittelbar auf die Quelle J bezogen. Diesem Nachweis dient unter anderem die ausführliche Exegese von Gen 26 (1998, 167-223). Der Schritt zur Ergänzungshypothese ist nicht mehr weit.

Für den Jahwisten bleibt Schmidt bei der überkommenen Sicht, die ihn als Sammler mündlichen Traditionsguts und als Erzähler versteht. Womöglich ist das allein eine Frage der Definition. In der Auslegung der Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok Gen 32,23-33 (1977/78, 38-56) ist der "Weg von der ältesten zu den jüngeren Stufen" in fast jeder Einzelheit nachvollziehbar, voran die Quellenzuweisung an J, die Abgrenzung des engeren jahwistischen Textanteils in V.28-30a und die Querbezüge in das übrige jahwistische Werk. In einer Detailanalyse, die man nur literarkritisch nennen kann, wird die Prämisse, "daß die Erzählung im wesentlichen literarisch einheitlich ist", genau besehen Schritt für Schritt widerlegt. Ein redaktionsgeschichtliches Verständnis der Quelle J ist dem Sinne nach erreicht.

Der theologisch belangreichste Beitrag ist unter dem Titel "Weisheit und Geschichte beim Elohisten" (1996, 150-166) dem elohistischen Kerygma gewidmet, wiederum in Anschluß an H. W. Wolff. Textgrundlage sind zur Hauptsache die Abrahamerzählungen Gen 20-22, denen man die literarische Eigenständigkeit schlecht bestreiten kann. Das leitende Motiv ist wie bei Wolff die Gottesfurcht. Sie ist "für den Elohisten in dem Unterschied zwischen Gott und Mensch begründet". Sie ist daher "für alle Menschen die richtige innere Einstellung". Wenn Elohim sich in besonderer Weise Abraham und seinen Nachkommen zuwendet, hat das, damit der notwendige Abstand zwischen Gott und Mensch gleichwohl gewahrt bleibt, jene schweren Prüfungen zur Folge, von denen die "Opferung Isaaks" erzählt. Man rätselt, wie dieses eindrückliche Zeugnis jüdischen Selbstverständnisses in vorexilische Zeit datiert werden kann. Ist nicht dieser Elohist ein weiteres Kapitel der spätalttestamentlichen Theologie, die Schmidt unter dem Titel "De Deo" (BZAW 143, 1976) beschrieben hat?

Schmidts Exegesen geben die Zuversicht zurück, daß gewissenhafte Konzentration auf den Text zu Beobachtungen führt, die jenseits der Beliebigkeit auf breiten Konsens rechnen können. Auch wenn man den herkömmlichen Synthesen keine große Zukunft voraussagen will, werden die exegetischen Ergebnisse den Streit überdauern.