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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

575–578

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Vetter, Martin

Titel/Untertitel:

Zeichen deuten auf Gott. Der zeichentheoretische Beitrag von Charles S. Peirce zur Theologie der Sakramente.

Verlag:

Marburg: Elwert 1999. XIV, 305 S. gr.8 = Marburger theologische Studien, 52. Kart. DM 58,-. ISBN 3-7708-1119-4.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Die Herausgeber der Zeitschrift "Merkur" haben kürzlich im Vorwort zu ihrem umfangreichen Doppelheft unter dem Thema "Nach Gott fragen" der gegenwärtigen Theologie "ein Ausweichen vor der letzten Objektivation" attestiert und hinter dem linguistic turn der Theologie "eine tiefe Unsicherheit" vermutet.1 Damit werden Ansätze interessant, die sich gerade mit diesem Problem befassen. In der Systematischen Theologie wird seit einiger Zeit der "semiotische Realismus" der Religionsphilosophie von Charles S. Peirce (1839-1914) diskutiert. Zu nennen sind vor allem die Arbeiten von Hermann Deuser, bei dem auch die hier anzuzeigende Dissertation entstanden ist. Über die Dogmatik hinaus ist die Arbeit aber wegen des Themas und wegen des methodischen Ansatzes auch für die Praktische Theologie von Interesse, weil dort seit einigen Jahren zunehmend semiotische Theorien rezipiert werden.

Das Buch begründet in der Einleitung zunächst die Wahl von Peirce auf der einen und Barth, Tillich und Pannenberg auf der anderen Seite (1-30): Peirce beziehe sich anders als Eco auch auf religionsphilosophische Fragestellungen; bei Barth, Tillich und Pannenberg werde "zeichenbegrifflich fundiert" vom Sakrament geredet (17).

Es folgt im ersten Hauptteil eine vorzügliche Einführung in die Semiotik von Peirce, und zwar von vornherein orientiert an Taufe und Abendmahl ("Die kategoriale Semiotik des Charles S. Peirce", 31-146). Hier ist vor allem die verständliche Einführung der Grundkategorien Erstheit, Zweitheit, Drittheit zu nennen (47-61), aus der sich die verschiedenen Trichotomien der Zeichen erst ergeben (68-123). Besonders gelungen ist die zusammenfassende Grafik, die als terminologisches Begleitblatt bei der Peirce-Lektüre sehr hilfreich ist (123). Sakramentstheologisch wie allgemein praktisch-theologisch folgenreich ist die doppelte Charakterisierung des Zeichens bei Peirce: Zum einen ist seine Materialität und Äußerlichkeit unhintergehbar, zum anderen seine Erschließung über das Denken, weil das Zeichen immer regelhaft, denkerisch (drittheitlich) funktioniert (62-73). Der interpretierende Geist und die Materialität des Zeichens verlassen die Dichotomie von Geist und Natur zugunsten des zeichenhaften Vermitteltseins beider in ihrer zeichenhaften Repräsentation.

Im zweiten Hauptteil ("Evangelische Sakramentslehre in semiotischer Perspektive", 147-266) wird der Zeichenbegriff von K. Barth, P. Tillich und W. Pannenberg untersucht, weil diese in ihrer Sakramentstheologie jeweils programmatisch den Zeichenbegriff verwenden. Das Ergebnis ist kritisch: Den drei Sakramentstheologien wird gleichermaßen nachgewiesen, dass sie mit einem dyadischen Zeichenbegriff arbeiten. Sie ordnen die "sakramentale Gabe dem menschlichen Verstehen sowohl noetisch als auch ontologisch vor und übergehen damit zeichenbegrifflich den an den Interpretanten gebundenen Glaubensbezug." (255 f.)

Barth, der in den Prolegomena seiner Dogmatik (KD I,1 u. I,2) das Sakrament als Repräsentation des Werkes Gottes angenommen hatte, ließ in der Tauflehre (KD IV,4) den Zeichenbegriff ersatzlos fallen zugunsten der sakramentalen Interpretation Jesu Christi selbst. Damit klammere Barth aber die semiotische Tatsache aus, dass in der sinnlich wahrnehmbaren Welt ein unmittelbarer Eindruck erst im Zeichenprozess Bedeutung erlange (171), während bei Barth eine "durchgängig platonische Prägung seines Zeichen- und Wirklichkeitsverständnisses" vorliege (173). Tillich verbinde mit Peirce die antinominalistische Grundhaltung, doch finde sich bei ihm eine Dualität von Denken und Sein, Subjekt und Objekt, Zeichen und Symbol. Die Rede von der "Seinsmächtigkeit" der Symbole umgehe den "bedeutungszuschreibenden Akt" und knüpfe "an eine bereits bestehende sachmächtige Beziehung an." (194) Mit der dialektischen Symbol-Objekt-Struktur negiere Tillich die relationale Struktur des Symbols überhaupt (218, Anm. 160) Zu Recht entdeckt V. bei Tillich ein "symbol-romantisches Konstrukt" (221), denn diese These ist stimmig zur Verwurzelung Tillichs im Umfeld der Jugendbewegung und der Berneuchener. Pannenbergs Unterscheidung von Zeichen und Anzeichen schließlich übersehe bei dem Bemühen, die Realität des geglaubten Gegenstandes herauszustellen, die Interpretantenrelation, in der sich das reale Objekt immer nur zeigen könne (234). Der Fehler der drei Zeichenkonzepte liege semiotisch darin, dass die Triade von Zeichen-Objekt-Interpretation in zwei Dyaden (Zeichen-Objekt und Interpretant-Zeichen) zerlegt werde, um den Glauben vor dem Subjektivismus zu sichern. Von Peirce her ist aber zu formulieren: "Eine triadische Relation kann nicht in etwaige untergeordnete Bestandteile zerlegt werden, sondern stellt eine unzerteilbare komplexe Einheit ein [sic]." (246) Dieser Satz enthält die dogmatisch wie praktisch folgenreiche These der Arbeit: Dem Interpretantenbezug müsse darstellungsbezogene Funktion für die Offenbarung eingeräumt werden (252).

V. fordert einerseits von Peirce her die Unterscheidung des zeichenexternen Objektes von der Repräsentation, um die "Objektivität der Offenbarung" sakramentstheologisch explizieren zu können (256). Andererseits aber gilt: Auch die Grundlage des Glaubens erscheint nur in menschlichen Aussagen, "da wir der Rede vom extra nos des Glaubens stets als fides in nobis gewahr werden." (265) Damit ist das Spannungsfeld von Objektivität und Subjektivität des Glaubens benannt, das am Ende "von einer idealistischen Bewusstseinstheologie" explizit unterschieden wird (265).

Die Arbeit ist sehr dicht, aber verständlich geschrieben und verrät eindrückliche Kenntnisse in der Peirce-Forschung wie in der theologischen und philosophischen Diskussion. Literaturverzeichnis und Register schließen den Band ab (267-305).

Meine Fragen ergeben sich aus der Entgegensetzung von nominalistischer (Eco) und realistischer Semiotik (Peirce), wodurch das Spannungsfeld von Subjektivität und Objektivität der Zeichen bisweilen zu Gunsten der letzteren aufgelöst zu werden scheint, wenn V. etwa im Gegensatz zum Schlusssatz aus Ecos Rosenroman ("Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus") programmatisch formuliert: "Signa plena tenemus." (258) An anderer Stelle hingegen wird durchaus die Bedeutung der intersubjektiven Erfahrung für die Semiose im Rückgriff auf Ecos Code-Begriff in Rechnung gestellt (82 f.) bzw. der für Peirce zentrale Begriff der Gewohnheit betont (113-118), womit auch hier die kulturelle Vermittlung von entscheidender Bedeutung ist, ohne dass man dies Nominalismus nennen muss.

Der gesamten bisherigen praktisch-theologischen Semiotikrezeption (u. a. Engemann, Meyer-Blanck, Volp) wird von V. vorgeworfen, Peirce nur verkürzt wahrgenommen zu haben: Die Unterscheidung des unmittelbaren (kommunizierten) Objektes und des dynamischen (dabei wirksamen) Objektes in religiösen Praxisvollzügen sei durchweg unbeachtet geblieben (25, Anm. 84). In der Tat dürften die Konsequenzen dieser Unterscheidung ein lohnendes Thema für die Weiterarbeit sein, und die vorliegende Besprechung zeigt bereits, welchen Gewinn der Rez. von dieser kritischen These des Buches gehabt hat.

Unzutreffend ist allerdings die Detailkritik an meiner semiotischen Revision der Symboldidaktik (20, Anm. 73), da sich diese wesentlich auf die breite Rezeption der Tillich’schen Entgegensetzung von Symbol und Zeichen in Theorie und Praxis der Religionspädagogik bezieht und weniger auf Peter Biehls Ricur-Lektüre, vor allem aber mit den Ergebnissen des Tillich-Teils bei V. weitgehend konvergiert.

Der Gewinn der Arbeit lässt sich so zusammenfassen: Für die Sakramente in dogmatischer wie in praktischer Sicht ist das Ineinander von Objektivität und Subjektivität unhintergehbar. Die Objektivität des zeichenexternen Objektes ist nur über subjektive Kommunikationsprozesse semiotisierbar (mit Eco), ohne dass jedoch die Subjektivität die bestimmende Realität wäre (mit Peirce). Der Buchtitel "Zeichen deuten auf Gott" muss demnach ebenfalls innerhalb der triadisch verankerten Interpretantenrelation gelesen werden, so dass die Objektivität dieser Aussage nicht anders als in Zeichen und damit in der kulturellen Gemeinschaft der Interpretierenden gegeben sein kann.

Insofern sind Taufe und Abendmahl nicht einfach objektiv wirksame Heilsgüter (etwa wegen der ihnen innewohnenden Macht). Sie sind aber auch nicht einfach an die individuelle religiöse Befindlichkeit der Feiernden gebunden. Sie sind vielmehr kulturell und geschichtlich vermittelte Interpretanten eines in ihrer Ursprungsgeschichte begonnenen Zeichenprozesses ("Einsetzung"), der sich aber nicht innerhalb der "drift" der Zeichen verliert, sondern sich auf ein Ziel hin bewegt. Insofern handelt es sich bei der Feier der Sakramente um eine Kommunikation, die sich auf ein außerhalb ihrer selbst liegendes "dynamisches Objekt" bezieht, das sie aber nicht ausweisen, sondern immer nur über die semiotisierten "unmittelbaren Objekte" kommunizieren kann. Sie muss demnach weder der Subjektivität vertrauen noch der Objektivität, sondern kann sich halten an den "long run" der Zeichen, die sich im Verstehen zunehmend erschließen, so dass die Feiernden auf die Wahrheit zu in Bewegung geraten.

Fussnoten:

1) Karl Heinz Bohrer u. Kurt Scheel, Zu diesem Heft, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken Nr. 605/606 (53/1999), 769-771, Zitate 769.