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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

567–569

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Knieling, Reiner

Titel/Untertitel:

Predigtpraxis zwischen Credo und Erfahrung. Homiletische Untersuchungen zu Oster-, Passions- und Weihnachtspredigten.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1999. X, 246 S. gr.8 = Calwer Theologische Monographien, 29. Kart. DM 49,80. ISBN 3-7668-3632-3.

Rezensent:

Birgit Weyel

Im Zentrum dieser Dissertation zur materialen Homiletik, die bei Manfred Seitz angefertigt wurde, steht der inhaltliche Vergleich der konkreten Predigtpraxis mit dem, was "die christliche Kirche bekennt und lehrt" (1). Ziel ist es, Perspektiven zu entwickeln, "wie die aufgetragenen Inhalte angemessen gepredigt werden können" (2).

K. setzt mit der "Beschreibung des ,Istgehaltes’ der christlichen Verkündigung" (ebd.) ein. Dies geschieht durch Analysen von Predigthilfen (CPhNF, GPM, PSt[S] und GDP[A]) und gedruckten Predigten (HMH und PBl) zu den zentralen christlichen Festtagen. Ausgewählte Beispiele, die seit 1990 in den genannten Zeitschriften erschienen sind, werden daraufhin befragt, was sie zu Ostern, Karfreitag und Weihnachten verkündigen bzw. den Lesern der Predigthilfe zur Verkündigung empfehlen. In drei Arbeitsschritten stellt K. zunächst ausführlich die zentralen Inhalte der Predigten bzw. Predigthilfen dar ("exemplarische Analysen"), benennt dann in engem Anschluss an exegetische Kommentare zu den gepredigten Perikopen und in Aufnahme dogmatischer Literatur grundlegende theologische Aspekte zu Jesu Auferweckung, Tod und Menschwerdung ("theologische Erwägungen"), um dann in einem dritten Durchgang die Ergebnisse der Predigtanalysen mit den "Bekenntnisinhalten" zu konfrontieren und entsprechend zu kritisieren ("Beurteilungen und Perspektiven"). Die sorgfältige und gut nachvollziehbare Darstellung dieses Verfahrens, das anhand von sechs (zu Weihnachten) bzw. je sieben (zu Ostern und Karfreitag) Predigthilfen durchgeführt wird, stellt den Hauptteil der Arbeit (B-D) dar. Ein sich anschließendes Kapitel E präsentiert zusammenfassend die beobachteten theologischen Probleme und fragt nach deren möglichen Ursachen. Abschließend formuliert K. "Perspektiven für die Predigtpraxis" (F), mit denen er Ansätze formuliert, wie seines Erachtens Gottes Heilshandeln lebensrelevant, d. h. "in seiner Bedeutung für das konkrete alltägliche Leben" (197), gepredigt werden kann.

K. konstatiert den Verlust der "Dimension des Handelns Gottes" (156 u. ö.) in den Predigten. Zentrale theologisch gefüllte Begriffe wie Auferstehung, Niedrigkeit, Sünde, Sühne, Gericht werden in neue Kontexte transportiert. Bei diesen Umwandlungsprozessen verflachen sie jedoch häufig, wenn sie nunmehr lediglich als innerpsychische Prozesse oder als Handlungsimpulse zur gesellschaftlichen Mitgestaltung verstanden werden. Überzeugend weist K. auf die Gefahr des Transzendenzverlustes hin. Die Notwendigkeit theologischer Reflexion innerhalb der Predigtarbeit empfiehlt sich dringend, zumal der Befund anlässlich christlicher Hochfeste festgestellt wurde. K. kritisiert, dass die Predigenden auf die Hauptfrage des Menschen "nach dem, was hilft" (176), sehr kurzatmig mit den Aspekten des christlichen Glaubens antworten, "die schnell und direkt etwas austragen für das alltägliche Leben" (ebd.). Die Fixierung auf die Gegenwartsrelevanz führe ebenso wie eine Verabsolutierung der Erfahrungskategorie und der Subjektivität faktisch zur Verkürzung der Botschaft. Die insgesamt beobachtete Distanz der Predigtpraxis zu Ergebnissen der Exegese und Dogmatik führt K. auf die Konzentration auf die Empirie, wie sie tendenziell für die homiletische Diskussion seit den 60er Jahren charakteristisch ist, zurück. K. befragt in einem die Ursachenanalyse abschließenden kurzen Kapitel (183-196) einige ausgewählte homiletische Theorieansätze und Konzepte auf die gezeigte Problemlage hin.

Positive Ansätze gewinnt er beispielsweise bei Christian Möller und Friedrich Mildenberger, weil diese die "Lebensrelevanz des Rechtfertigungshandelns Gottes" bedenken wollen, ohne sich wie manche andere der paarweise dargestellten Ansätze (zum Beispiel Ernst Lange und Henning Schröer sowie - deutliche Differenzen zwischen den beiden Konzeptionen übergehend - Gert Otto und Dietrich Rössler) "auf die am Verstehen beteiligten Faktoren und auf den Verstehensprozeß an sich" so zu konzentrieren, dass die "inhaltliche Reflexion dessen, was als ,Mitte der Schrift’ oder als ,gegenwärtige Relevanz der christlichen Überlieferung’" verstanden wird, vernachlässigt würde (192). Die Auseinandersetzung mit der praktisch-theologischen Homiletik nimmt wenig Raum ein und greift zu kurz.

Deutlich ist das Anliegen K.s, die Predigtpraxis mehr auf das Credo hinzuordnen und die von ihm konstatierte Konzentration auf die Erfahrung aufzugeben. K. will die Balance zwischen Credo und Erfahrung so halten, dass die Predigtpraxis das Heilshandeln Gottes in das Zentrum stellt und dieses dann lebensrelevant zu entfalten versucht. Allerdings bleibt zu fragen, ob er tatsächlich Credo und Erfahrung gleichermaßen gerecht wird. Offenbar aus theologischen Gründen will K. der Empirie keine eigenständige Bedeutung einräumen. Zudem scheint das, "was der Verkündigung inhaltlich aufgetragen ist" (2), von K. als verhältnismäßig konstante Größe verstanden zu sein. Das Credo kann jedoch in seiner sprachlichen Verfasstheit nicht von geschichtlichen Prozessen ausgenommen werden. Der Hinweis K.s auf alttestamentliche Psalmen und Kirchenlieder als Sprachhilfen für gegenwärtige Verkündigung hat daher Grenzen. Der konkreten Predigtarbeit im Zwischenraum zwischen Credo und Erfahrung ist daher aus meiner Sicht eine grundlegendere, die Bedingungen der Moderne reflektierende, Vermittlungsbemühung aufgegeben. Das Verdienst K.s liegt im überzeugenden Hinweis auf die Gefahr der Verflachung christlicher Predigt. Seinem Plädoyer für eine stärkere theologische Reflexion innerhalb der Predigtarbeit ist daher unbedingt zuzustimmen.