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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

560 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pfüller, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Theologie als Theiologie. Annäherungen an eine religiöse Theorie in christlicher Perspektive.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1998. 201 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXI: Theologie, 621. Kart. DM 65,-. ISBN 3-631-32888-5.

Rezensent:

Perry Schmidt-Leukel

W. Pfüller, Dozent für Systematische Theologie am Kirchlichen Seminar Eisenach, legt in diesem Band elf Aufsätze aus den Jahren 1981-1997 vor (zwei davon bislang unveröffentlicht), die zusammengenommen die Umrisse seines methodischen Verständnisses systematischer Theologie skizzieren. Dieses lässt sich durch drei hauptsächliche Zielsetzungen verdeutlichen: Erstens geht es P. darum, Theologie als ein theoriebildendes Projekt zu verstehen, das wissenschaftstheoretisch akzeptablen Standards verpflichtet sein muss. Für P. bedeutet dies einerseits die Bemühung um einen konsistenten, argumentativ überprüfbaren, soweit wie möglich begründbaren und empirisch relevanten Aussagenzusammenhang und andererseits die unzweideutige Absage an jede subjektivistische Willkür, auch und gerade dort, wo sie in Form eines biblizistischen Offenbarungspositivismus auftritt. Als Alternative hierzu bietet sich nach P. zweitens die Elaboration einer allgemeinen Theorie des Religiösen an, die die rationale Legitimität der religiösen Frage und zumindest die rationale Möglichkeit einer religiösen Antwort eruiert. Erst in diesem Rahmen kann dann drittens der Versuch unternommen werden, das Proprium einer genuin christlichen Form des Religiösen zu bestimmen und - in komparativischer Methode - seine Gültigkeit zu prüfen.

P. sieht den legitimen Ort von Religion in der ebenso berechtigten wie unausweichlichen Frage nach dem Sinnziel, nach Heil oder Unheil der Gesamtheit der endlichen Wirklichkeit, wobei das Spezifische der religiösen Antwort im Unterschied zur nichtreligiösen in der Erwartung des Heiles liegt (vgl. 26, 56ff., 89 f. u. ö.). Die transzendente Wirklichkeit - das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann - fungiert dabei als logischer bzw. ontologischer Garant dieser Heilshoffnung. Die religiöse Antwort steht nach P. "rational völlig gleichberechtigt" neben den Totalantworten des Atheismus bzw. Naturalismus und des Agnostizismus, die die Frage nach Sinn und Heil dezidiert verneinen bzw. dezidiert für unbeantwortbar erklären (vgl. 24). Dementsprechend kann und will P. auch dem Theodizee-Problem nicht ausweichen, da der Glaube an die Heilsmacht Gottes seine logische Bewährung gerade an Unheil und Übel in der Welt finden muss. All diese Überlegungen tragen für P. bewusst noch keinen spezifisch christlichen Charakter, sondern sind "Theologie als Theiologie", sind Theoriebildung über eine göttliche Wirklichkeit, deren Verständnis nicht von vornherein durch das einer bestimmten religiösen Tradition präjudiziert werden darf, sondern in jedem seiner Züge auf seine allgemeine rationale Akzeptabilität hin zu entwerfen und zu überprüfen ist.

In diesem Zusammenhang befasst sich P. ausführlicher mit zwei Seitenproblemen: zum einen mit der Parallelität der Versuche, einen normativen Begriff der Religion und einen normativen Begriff der Ethik zu begründen, zum anderen mit den aktuellen Diskussionen um die pluralistische Religionstheologie. Letztere nimmt P. vor allem als einen theologischen Ansatz wahr, für keine Religion von vornherein einen "Endgültigkeitanspruch" im Sinne von "Unüberbietbarkeit bzw. Unüberholbarkeit" ihrer Wahrheitsansprüche vorauszusetzen (vgl. 94 f.). In dieser Hinsicht genießt die pluralistische Religionstheologie P.s deutliche Sympathie, da hierdurch ein offener Vergleich der jeweiligen Wahrheits- bzw. Offenbarungsansprüche zum unumgänglichen methodologischen Desiderat erhoben wird. In diesen komparativen Wettstreit will P. nun allerdings mit einem Verständnis des Christlichen eintreten, das nach meinem Dafürhalten eher einen inklusivistischen Superioritätsanspruch als den einer pluralistischen Gleichwertigkeit bezeugt: dem Anspruch nämlich, dass Jesus "das mächtigste Zeichen der umfassenden, unumfassbaren Heilsmacht (Gott) ist" (143), das heißt "mehr als sonstige Offenbarungen und gegebenenfalls die bislang höchste Offenbarung der göttlichen Wirklichkeit" (187). Die Ansprüche einer klassischen chalcedonensischen Christologie hält P. allerdings für nicht einlösbar, weil hoffnungslos, d. h. unbehebbar aporetisch: "Die Behauptung, daß ein Mensch, der per definitionem Nicht-Gott ist, als einer und derselbe zugleich Gott ist, der doch per definitionem Nicht-Mensch ist, scheint mir eine contradictio in adiecto, ein kontradiktorischer Widerspruch zu sein" (123).

P.s Arbeiten zeichnen sich, wie er selber vermerkt, zum einen dadurch aus, dass sie nicht vor "nonkonformen" (vgl. 201) Positionen zurückscheuen. Zum anderen sind sie jedoch auch in ihrer Ausführung vielfach nonkonform: Denn die Verpflichtung auf begriffliche Präzision, auf nachvollziehbare und kontrollierbare Argumentation, die Bereitschaft in teilweise noch unfertige Schritte eigener gedanklicher Suchbewegungen Einblick zu geben sowie der Mut, hierbei vorläufige Standpunkte einzunehmen und sich dadurch angreifbar zu machen - all dies sind Tugenden, die bei P. durchgängig anzutreffen und auch durchaus konform sind mit jenen generellen geisteswissenschaftlichen Anforderungen, die P. für die Theologie einklagt, aber eben doch vielfach nicht konform gehen mit dem, was hierzulande an Gepflogenheiten unter systematischen Theologen weit verbreitet ist. Gerade dies macht die Lektüre von P.s Arbeiten für jeden nachvollziehbar, anregend und hilfreich, der - auch wenn er/sie anders optieren - dennoch mit denselben Problemen ringt. Dies gilt auch für meine eigenen Differenzen mit P. bezüglich einiger Grundfragen der pluralistischen Religionstheologie. Diese hier weiter auszuführen und zu diskutieren, würde allerdings den dieser Rezension vorgegeben Rahmen bei weitem sprengen und muss daher auf eine andere Gelegenheit vertagt werden.