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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1268-1270

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ikpeamaeze, Christian Chibuike

Titel/Untertitel:

Evangelization Among Young People in Igboland. Towards a Dialogical Understanding of Evangelization as a Means of Empowering Young People in Nigeria.

Verlag:

Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2021. XXXVI, 480 S. m. Ktn. = Schriften zur Praktischen Theologie, 20. Kart. EUR 139,80. ISBN 9783339120885.

Rezensent:

Claudia Jahnel

Die Grundaussage der Veröffentlichung »Evangelization Among Young People in Igboland« ist so bekannt wie einleuchtend: Wesentliche Pfeiler der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung eines Landes sind das friedliche Zusammenleben der Religionen sowie die Förderung von Bildung. Ebenso bekannt ist freilich auch, dass die Umsetzung dieser Einsicht keinesfalls leicht ist und von vielfachen kontextuellen wie globalen Faktoren und Herausforderungen mit bestimmt wird.
Das Buch von Christian Chibuike Ikpeamaeze vermittelt eine Vision davon, wie Bildung und interreligiöser Dialog Nigeria voranbringen können, ein Land, das von religiösen Spannungen und Fundamentalismen ebenso gekennzeichnet ist wie von Armut, Gewalt und Strukturen globaler wirtschaftlicher Ungerechtigkeit. Es ist ein gleichermaßen leidenschaftliches und fundier-tes Plädoyer dafür, junge Menschen durch Bildung dazu zu befähigen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und notwendige sozio-politische Transformationen des Landes voranzubringen.
Der Titel mag deutschsprachige Leser und Leserinnen zu der Annahme verleiten, dass sich das Werk auf evangelistische Konzepte oder Veranstaltungen konzentriert, die auf Bekehrung zielen und interreligiösen Dialogbemühungen entgegenstehen. Dass dem nicht so ist, macht der nigerianische Theologe, der mit der vorliegenden Arbeit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar im Feld der Pastoraltheologie promoviert wurde, schon im ersten Kapitel deutlich. Aufbauend auf einschlägigen Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils insbesondere zum Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen sowie auf neueren katholischen Verlautbarungen präsentiert er hier ein »weites« Verständnis von Evangelisierung und Mission. Diesem liegt ein trinitarisches Verständnis von Mission zugrunde, wie es sich in den letzten 20 Jahren auch in der ökumenischen Bewegung durchgesetzt hat. Die Begriffe Bildung, Dialog, Transformation und Empowerment – allesamt Kernbegriffe des umfangreichen Werks – zeigen an, wie »evangelistische Bildung« hier verstanden wird: »Evangelization and dialogue are like identical twins which are inseperable« (XXIX). Gleichzeitig heißt Bildung »Leben im Gespräch«. So zitiert I. die Pädagogen Berghold und Boschki. »Sie entsteht im Zwischenraum zwischen Lernenden und anderen Menschen«, und ebendieses »Zwischen« bildet einen »in Freiheit eröffnete[n] Möglichkeitsraum« (57).
Dialog hat hier also zwei programmatische Stoßrichtungen und meint einerseits den Dialog zwischen Christentum, Islam und traditionaler Religion, andererseits den Dialog mit der jungen Generation. Ersterer ist für den beschriebenen Kontext Nigeria nicht ganz überraschend, wird aber informativ mit vielen Details aus-geführt.
So schildert Kapitel 2 Traditionen familiärer und gemein-schaftlicher Erziehung der Igbo in Nigeria, die Bedeutung reli-giöser Rituale, der Namensgebung oder der Spruchweisheiten (Proverbs) für die Bildung der jungen Generation sowie die Aushandlungsprozesse zwischen traditionellen religiösen Igbo-Praktiken und Praktiken des (westlichen) Christentums. Ferner werden jene Themenfelder diskutiert, die weiterer interreligiöser Auseinandersetzungen bedürfen, wie Wahrsagerei oder traditionale Heilkunst.
Christlich-muslimische Beziehungen werden in Kapitel 3 de­tailliert dargestellt. Systematisch unterscheidet I. schulische Re-gularien zum Thema Religion und Religionsdialog von Dialog-initiativen der Religionsgemeinschaften selbst sowie von Dialog-initiativen, die die Regierung ins Leben gerufen hat. Wer eine Übersicht über die vielfältigen Institutionen und Akteure des christlich-muslimischen Dialogs in Nigeria erhalten möchte, kommt hier also auf seine Kosten. Diesen gegenüber steht in Kapitel 5 eine Aufstellung verschiedener fundamentalistischer Gruppen, ihrer Entstehungshintergründe, Ausrichtungen und Organisationsformen. Dabei ist besonders beachtlich, dass I. neben muslimischen auch christliche Gruppen aufführt – und welche. Denn I. nimmt überwiegend charismatische, pentekostale und neo-pentekostale Bewegungen und Kirchen kritisch ins Visier, also jene Kirchen, die von der katholischen Kirche wie von anderen historischen Kirchen weltweit inzwischen als Konkurrenz wahrgenommen werden. In Nigeria haben pentekostale Kirchen seit der Zeit des Bürgerkriegs an Attraktivität und politischem Einfluss gewonnen (372).
Neben dem interreligiösen Dialog betont I. andererseits, wie erwähnt, die Notwendigkeit eines Dialogs mit der jungen Generation. Hierin liegt eine höchst innovative Wendung in dem Verständnis von Dialog, denn junge Menschen würden zwar oftmals als »agents of transformations« (439) verkündet, viel zu selten aber werde diese Einsicht auch in Programme umgesetzt und auf die Jugend gehört.
Diese Kritik richtet sich – so kann zwischen den Zeilen gelesen werden – sowohl an staatliche Institutionen wie die Schule als auch an die noch immer herrschenden Erziehungsvorstellungen kultureller und religiöser Institutionen. Aufbauend auf einer Analyse der besonderen Herausforderungen, vor denen junge Menschen in Nigeria heute aufgrund postkolonialer gesellschaftlicher Umbrüche und Abbrüche stehen – von Alkoholmissbrauch bis zu fundamentalisierender Manipulation – entfaltet I. im sechsten und letz ten Kapitel daher ein dialogisches Bildungsmodell, das er der katholischen Kirche als zentralen Baustein ihrer Jugendpastoral- und Evangelisierungsstrategie in Nigeria empfiehlt: die Dia-logical Teacher-Student-Relationship (DTS). Zu den Grundbausteinen dieses Konzepts zählen die Haltung des gegenseitigen Respekts zwischen Lehrenden und Schülern, das Empowerment der jungen Generation und die Entwicklung von Solidarität auch und gerade mit Menschen anderer Religionen. Hier wie auch in einem eigenen Kapitel zum Umgang mit neueren digitalen Medien in der christlichen Bildungsarbeit wird deutlich, dass die Arbeit einen Beitrag zur Reform und Modernisierung der konkreten Bildungsarbeit in der katholischen Kirche in Nigeria leisten möchte. Dass dies gelingen möge, ist nicht nur dem Autor, sondern auch der Kirche und sogar Nigeria, für dessen Transformation I. sich in der Arbeit leidenschaftlich engagiert, zu wünschen.
Als protestantische Theologin erlaube ich mir zudem zwei weitere Reformwünsche, nämlich zum einen den, auch protestantische Theologie und protestantische Kirchen als konstruktive Partner in diesem Prozess stärker mit einzubeziehen und den Fun-damentalismusverdacht deutlich zu differenzieren. Zum anderen wäre es für eine Weiterentwicklung dieser gründlichen Analyse und dieses innovativen Bildungskonzeptes eine wichtige und kritische Bereicherung, die Rolle von Frauen und Mädchen in der kirchlichen Bildungsarbeit noch stärker zu reflektieren und vor allem auch die Einsichten afrikanischer Wissenschaftlerinnen einzubeziehen.
Davon unbenommen ist das Buch ein großer Gewinn für die wissenschaftliche Welt, und zwar längst nicht nur in Nigeria oder anderen afrikanischen Ländern, sondern gerade auch für die west-liche Leserschaft und die akademische Welt. Denn sie eröffnet nicht nur wichtige konkrete Einblicke in den interreligiösen Dialog und die religiöse Bildungsarbeit in Nigeria, sondern macht Wis-senschaftlern im Westen auch eine Fülle von Werken nigeriani-scher und anderer afrikanischer Autoren und Autorinnen zugänglich.