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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

558–560

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Busch, Eberhard

Titel/Untertitel:

Die große Leidenschaft. Einführung in die Theologie Karl Barths.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1998. 322 S. 8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-597-00408-5.

Rezensent:

Wolf Krötke

Der "Eifer um die Ehre Gottes" ist "die große Leidenschaft" des ganzen christlichen Lebens. So hat K. Barth die erste Bitte des Vaterunsers in der Ethik seiner Versöhnungslehre verstanden. E. Busch nimmt dieses Wort nicht nur auf, um ein bewegendes Motiv des Lebenswerkes von K. Barth zu charakterisieren. In dieser Einführung in Barths Theologie geht es ihm vor allem darum, zur Teilnahme an solcher Leidenschaft einzuladen. Er konzentriert sich dabei fast ausschließlich auf die "Kirchliche Dogmatik", deren Umfang und weit verzweigte Systematik ja schon einige Autoren veranlasst haben, Extrakte, Zusammmenfassungen und Überblicke zu erstellen, die den Umgang mit diesem Werk erleichtern sollen. Das jedoch leistet die vorgelegte Einführung eher nebenbei. Ihr geht es darum, den Geist von Barths theologischem Denken lebendig werden zu lassen, dem der letzte Assistent und Biograph Barths in der Tat kongenial Ausdruck zu geben vermag.

Sowohl in den "Hinweisen zum Verständnis" des Theologen Barth, mit dem das Buch beginnt (vgl. 13-61), wie bei der Explikation der "Themen seiner Theologie" (vgl. 65-297) geht es immer wieder darum, die erschließende, aber zugleich kritische Kraft des Anfangs aller christlichen Theologie, wie Barth sie verstand, zu vermitteln. Entsprechend der Absicht des Buches, in Barths Denken einzuführen, ist deshalb auch die wissenschaftliche Diskussion um Barths Theologie auf ein Minimum reduziert. Der die Barth-Literatur durchmusternde Forschungsbericht des Vf.s in der ThR 60 (1995) wäre darum mit heranzuziehen, wenn die berechtigte Frage gestellt wird, worin nach der Sicht des Vf.s die Bedeutung K. Barths in den theologischen Auseinandersetzungen der Gegenwart liegt.

Die Darstellung selbst versucht mit Geschick, den vielfach entstandenen Eindruck zu vermeiden, es handle sich bei Barths Dogmatik um ein von einem christologischen Prinzip her entworfenes "System". Barths Grundsatz, "mit dem Anfang anzufangen" (vgl. 25 ff.), entspricht darum eine Darstellungsweise, die einzelne "Themen" seiner Theologie anspricht, ohne sich an die Vorgehensweise Barths in der "Kirchlichen Dogmatik" selbst zu binden. Bei jedem "Thema" ist gewissermaßen die ganze Dogmatik präsent, die der Vf. dann auch mit zuweilen langen Zitaten aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen zu Worte kommen lässt. Im Zentrum steht dabei immer wieder das Bemühen Barths, die Menschenfreundlichkeit Gottes und die Befreiung von Menschen zu freier, verantwortlicher Menschlichkeit zur Geltung zu bringen. Angefangen mit Barths Lehre von der Offenbarung bis hin zu dem, was sich als Profil der von Barth nicht mehr geschriebenen Eschatologie erkennen lässt, wird von daher in dieser Einführung alles Wesentliche zur Sprache gebracht, was Barths theologisches Denken auszeichnete. Die Gründe für seine spezifischen und theologiegeschichtlich neuartigen Entscheidungen werden dabei so erhellt, dass auf das Einverständnis mit diesen Entscheidungen gezielt wird.

Das gilt insondere für Barths Wendung gegen die "natürliche Theologie" (vgl. 75 ff.), für die theologische Kritik der Religion (vgl. 137), für das Verständnis des Gesetzes vom Evangelium her (vgl. 161 ff.), für die Bestimmung des Verhältnisses von Bund und Schöpfung (vgl. 184 ff.) und die vielen überraschenden Zuspitzungen innerhalb der Versöhnungslehre (vgl. 207 ff.). Zwar könnten auch andere Schwerpunkte gesetzt werden, als es hier geschieht. Die explizite Christologie Barths wird z. B. verhältnismäßig kurz behandelt. Sein Verständnis der Auferstehung Jesu Christi verdiente größere Aufmerksamkeit. Das Sakramentsverständnis wird eher beiläufig gestreift. Dennoch ist das, was der Vf. hier zur Darstellung bringt, zweifellos eine verlässliche Hilfe zum Verstehen der Theologie Barths.

Diese Stärke des vorliegenden Buches könnte in seiner besonderen Art freilich zugleich auch seine Schwäche sein. So wie der Vf. Barth darstellt, erscheint dessen Werk so "dicht", dass diejenigen, die hier eingeführt werden sollen, eigentlich keine hinreichenden Ansatzpunkte für einen kritischen, über Barths Entscheidungen hinausgehenden Umgang mit seiner Theologie finden. Dass Barth selbst solches kritische Überholen seines Denkens für unausweichlich gehalten hat, wird zwar unmissverständlich deutlich. Nur wie das zu geschehen hat und wo im Sinne des Vf.s die echten Probleme von Barths theologischem Denken liegen, wird kaum sichtbar.

Wenn auf Positionen Bezug genommen wird, die Barth kritisieren, dann werden die Argumente dieser Kritik eigentlich durchgehend abgewehrt. Das hat seine Berechtigung dort, wo offenkundige Missverständnisse oder bloße Diskreditierungen von Barths Theologie abgewiesen werden. Dazu zählen solche Urteile wie die, Barth sei ein "autoritärer" Denker oder ein Theoretiker der religiösen Subjektivität gewesen, er schalte den Menschen aus, er vermöge nicht, überhaupt die Wirklichkeit der Welt wahrzunehmen und dergleichen Unfug. Es gibt jedoch auch Grenzen in Barths Theologie, um die in dieser Einführung erkennbar ein Bogen gemacht wird. Dazu zählt etwa seine Beurteilung der "analogia entis" als einer "Erfindung des Antichrist", die ja auch mit einem historisch fragwürdigen Verständnis dieser Lehre verbunden ist. Dazu zählt sein Umgang mit den Texten der Bibel, der ja nicht nur zu schönen Entdeckungen, sondern auch zu seltsam unkritischen Zuspitzungen, wie z. B. der Engellehre geführt hat. Bestimmte spekulative Elemente in der Lehre vom "Nichtigen" sind ebensowenig zu übersehen wie die anzufechtende Behauptung, dass es eine geschichtliche Darstellung der Verwerfung des Menschen durch Israel geben müsse. Man kann auch an eine Reihe von kurzschlüssigen Argumentationen in seiner Ethik erinnern. Sein Verständnis des Gefälles im Verhältnis von Mann und Frau (A und B!) diskreditiert heutzutage für nicht wenige sein ganzes Denken. Sein Umgang mit Dietrich Bonhoeffers Überlegungen zu einem "religionslosen Christentum" lässt fragen, ob er ein wesentliches Problem unserer Zeit hinreichend ernst zu nehmen in der Lage war. Kurz: Das Einüben der großen und bleibenden Möglichkeiten von Barths Theologie sollte auch einen klaren Blick auf ihre Grenzen nicht scheuen. Gerade im Umgang mit diesen Grenzen muss sich ja erweisen, wie tragfähig diese Möglichkeiten sind bzw. inwiefern sie noch einmal neu zu eigenen Möglichkeiten derjenigen werden können, die hier "eingeführt" werden sollen.

Am Rande sei bei dieser Gelegenheit vermerkt, dass es noch immer keine preiswerte Studienausgabe der "Kirchlichen Dogmatik" gibt. Das Auseinandernehmen einzelner Kapitel dieses Buches ist kein Weg, um Studierenden den Umgang mit diesem Werk im Ganzen zu ermöglichen. Dieser Zustand steht deshalb dem Bemühen der vorliegenden Einführung kontraproduktiv entgegen.