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Ausgabe: | Dezember/1998 |
Spalte: | 1201–1203 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Sawyer, John F. A. [Ed.] |
Titel/Untertitel: | Reading Leviticus. A Conversation with Mary Douglas. |
Verlag: | Sheffield: Sheffield Academic Press 1996. 290 S. gr.8= Journal for the Study of the Old Testament Suppl. Series 227. Lw. £ 45.-. ISBN 1-85075-628-7. |
Rezensent: | Henning Graf Reventlow |
Der Band enthält die Beiträge eines vom 30.5.-1.6.1995 an der Universität Lancaster gehaltenen Colloquiums, zu dem die Idee vor allem von der bekannten Religionssoziologin Mary Douglas stammte. Deshalb der Untertitel, der den ursprünglich geplanten: Unity, Purity and the Covenant: Reading Leviticus (vgl. Preface, 9) ersetzte. Dieser hätte den Inhalt umfassender wiedergegeben, denn das Gespräch mit M. Douglas ist nur ein, allerdings wichtiger Aspekt unter den vielfältigen hier vereinigten Vorträgen und Diskussionen.
Der Inhalt gliedert sich in drei Hauptabschnitte: I. Teil: Fragen von Text und Komposition (21-83), II. Teil: Reinheit und Heiligkeit (85-179), III. Teil: Kontext und Textgeschichte (181-274). Eine Bibliographie und Indices schließen den Band.
Auch wenn Mary Douglas nur einen einzigen eigenen Essay beisteuert, sind doch die beiden ersten Hauptschnitte von ihren Forschungen her inspiriert. Zu den Fragen der Komposition im Pentateuch hat sie unlängst eine eigene Monographie geliefert, in der sie das Buch Num als ein wohlstrukturiertes literarisches Werk beschreibt,1 und in einem Essay2 hat sie eine ähnliche "Ring-Struktur" auch für Lev angedeutet. - Rolf Rendtorff ("Is it Possible to Read Leviticus as a Separate Book?", 22-35) ist bereit, ihr darin weitgehend zu folgen, zögert aber im Blick auf Lev 26, in dem er Beziehungen zu Gen 17 und Ex 6 erkennen will, Lev als ein vollständig unabhängiges Buch zu verstehen. - Respondentin zu Rendtorff mit klassischen Parallelen ist die Gräzistin K. Gutzwiller (36-39). - G. Auld ("Leviticus at the Heart of the Pentateuch", 40-51) plädiert für eine sukzessive (serial) Entstehung von Ex, Lev, Num. - Es folgt eine längere Diskussion (52-64). - J. Milgroms3 Beitrag ("The Changing Concept of Holiness in the Pentateuchal Codes with Emphasis on Leviticus 19", 65-75), in dem er die Vier-Quellen-Theorie für den Pentateuch voraussetzt und an H als gesondertem Block festhält, fällt geradezu aus dem Rahmen. Er überprüft das an dem Verständnis von "Heiligkeit". H hat nach Milgrom Ps Definition von Heiligkeit dreifach weiterentwickelt: durch die Ausdehnung auf ganz Israel, durch den Einbezug ethischer Gebote und die Möglichkeit für Israel, seine Heiligkeit zu steigern oder zu mindern (67). Auch hier folgen Respondent (J. Rogerson) und Diskussion (76-83).
Teil II beginnt mit einem Beitrag von M. Douglas ("Sacred Contagion", 86-106). D. verbindet die Regeln über reine und unreine Tiere in Lev 11 und das Verbot des Blutgenusses in Lev 17 und sieht in beiden Schutzbestimmungen für (behindertes) Leben. Rituelle Unreinheit ist in Lev 11-16 ein Schutz für Behindertsein; sie ist außerdem heilbar und keine Sünde. Prophetische und priesterliche Religion sind kein Gegensatz - Vorwürfe gegen das Judentum werden hinfällig. Wie schon in früheren Beiträgen D.s4 steht die Theorie E. Durkheims im Hintergrund, daß Klassifikationen von Tieren Werte der Gesellschaft reflektieren. B. S. Jackson ("Talion and Purity", 107-123) sieht in den Talionsvorschriften eine Entwicklung von selbstwirkenden Tatfolgen zu institutionalisierten Regulierungen. Die Passagen in Lev sind eine Neubearbeitung der entsprechenden Vorschriften im Bundesbuch. - A. Destro ("The Witness of Times: An Anthropological Reading of NIDDAH", 124-138) beschreibt Unreinheit im Rahmen priesterlichen Zeitverständnisses als eine Periode, die den schöpfungsgegebenen Zeitablauf temporär unterbricht, eine von den Rabbinen fortgeführte Auffassung. - J. Magonet ("But if it is a Girl She is Unclean for Twice Seven Days ... The Riddle of Leviticus 12.5", 144-152) behandelt einige Spezialfälle von Unreinheit. - H. Maccoby ("Holiness and Purity: The Holy People in Leviticus and Ezra-Nehemia", 153-170) vergleicht Lev 19,5 f.; 11,45 mit dem Vorgehen gegen Mischehen in Esr-Neh. Die (nicht neue) Grundthese lautet: Mischehen waren verboten, wenn sie zum Polytheismus führten; Konversion zum Judentum war jederzeit und für alle möglich. - R. A. Segal ("Response ...", 171-173) wendet ein, daß der Bann gegen bestimmte Völker ewig dauere. - C. Carmichael ("A Strange Sequence of Rules: Leviticus 19.20-26", 182-205) sucht seine These5, die Gesetzesabschnitte im Pentateuch seien Aufnahme narrativer Abschnitte, mit der vermuteten kombinierten Bezugnahme dieser Bestimmungen auf die Josephsgeschichte und die Abimelech-Episode zu belegen. Obwohl m. E. wenig überzeugend, fand sie in der Diskussion (206-213) einige Unterstützung. - H. K. Harrington ("Interpreting Leviticus in the Second Temple Period: Struggling with Ambiguity", 214-229) referiert erhellend - wenn auch nicht unbedingt neuartig - über die Wirkungsgeschichte von Lev, indem sie die unterschiedliche Ausgestaltung der Vorschriften in Qumran (priesterlich-rigide) und bei den Pharisäern (großzügiger) beschreibt. - In seiner Antwort ("Leviticus as a Cultic System in the Second Temple Period", 230-237) sieht P. R. Davies eine engere Beziehung zwischen Qumran und Lev (bes. H) und fragt, ob Lev bereits auf dem Wege zu einer sektenhaften Entwicklung sein könne. - Auch der Essay von W. Johnstone ("The Use of Leviticus in Chronicles", 243-255) geht der Wirkungsgeschichte nach. Er vertritt (in Auseinandersetzung mit S. Japhet6) die Auffassung, daß Chron vielfach Lev (und den Pentateuch) aufnehme. - Nach A. Watson ("Leviticus in Mark: Jesus Attitude to the Law", 263-271) hat Jesus (in Mk 1.2.3.5.7.10.11) bewußt (meist mit Heilungswundern) das Gesetz übertreten. Das habe ihn zur gesteigerten Auseinandersetzung mit den Pharisäern, schließlich den Sadduzäern (Tempelaustreibung) und dem selbstgewollten Tod geführt. Jesus glaubte sich oberhalb des Gesetzes, Mk verstand ihn entsprechend von der Auferstehung her als Messias.
Der Band bietet viele Anregungen. Als Grundbedenken bleibt, ob nicht zu häufig - meist in apologetischer Absicht - rationalisiert und der Aspekt des Numinosen aus dem Bereich des Heiligen allzu selbstverständlich ausgeklammert wird. Der Name Rudolf Ottos taucht nirgends auf!
Fussnoten:
1 In the Wilderness. The Doctrine of Defilement in the Book of Numbers (JSOT.S 158), Sheffield 1993.
2 The Forbidden Animals in Leviticus: JSOT 59 (1993), 3-23, bes. 8 ff.
3 Bekannt als Verfasser des Kommentars über Lev in der Anchor Bible (bisher erschienen Lev 1-16, AB 3, New York u. a. 1991).
4 Grundlegend: Purity and Danger (1966), Harmondsworth 1970 (Penguin Books), dort bes. 54-72. Der Gedanke der Ordnung ist danach entscheidend, Anomalie macht unrein.
5 Vgl. ders., Law and Narrative in the Bible, Ithaca, N.Y. 1985. Damals mit viel Skepsis aufgenommen.
6 The Ideology of the Book of Chronicles and its Place in Biblical Thought (BEAT 9), Bern u. a. 1989; dies., I & II Chronicles (OTL), London 1993.