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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1238-1240

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Propach, Jan Levin

Titel/Untertitel:

Alles kann, nichts muss?! Theorien der Modalität bei G. W. Leibniz, D. Lewis und A. Plantinga und ihre Vereinbarkeit mit Spielarten des Theismus.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2020. 294 S. = Studien zur systematischen Theologie, Ethik und Philosophie, 21. Geb. EUR 46,00. ISBN 9783402118306.

Rezensent:

Dirk Evers

Bei der zu besprechenden Studie von Jan Levin Propach handelt es sich um eine an der Universität Augsburg angenommene und von Thomas Schärtl betreute Dissertation. Ihr Vf. ist inzwischen Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der katholischen Fakultät der Universität Regensburg. Die Arbeit ist entstanden im Umfeld der so genannten Analytischen Theologie und versucht, verschiedene In­terpretationen modallogischer Semantik auf ihre Konsistenz mit unterschiedlichen Typen des Theismus zu untersuchen. Der Haupttitel der Studie »Alles kann, nichts muss« erklärt sich daraus, dass alle untersuchten modalsemantischen Konzepte irgendeine Form von »Existenz« des Möglichen voraussetzen und sich damit von einem Nezessitismus spinozistischer Prägung absetzen. In der Einleitung stellt der Vf. grundlegende Begriffe und Modelle der Modallogik und ihrer Semantik vor, wobei er besonders auf die Frage nach der »transmundanen«, also mögliche Welten übergreifenden Identität von Individuen im Zusammenhang von prädikatenlogischen Modalsys-temen abhebt. Leider behandelt er die Differenzierung verschie-dener modallogischer Semantiken anhand der Zugänglichkeitsrela-tion zwischen möglichen Welten nicht, so dass er verschiedene Stärken des Notwendigkeits- bzw. Möglichkeitsbegriffs nicht unterscheiden kann. Auf S. 62 in der Erörterung von Leibniz’ Modallogik werden zwar die Systeme S4 und S5 erwähnt, doch ohne dass diese eingeführt und erläutert werden. Im Fazit der Einleitung werden vielmehr verschiedene Formen eines Essenzialismus verschiedenen Modaltheorien zugeordnet. Wer einen Hyperessenzialismus vertritt (also wie z. B. Leibniz die Identität eines Individuums mit der vollständigen Bestimmtheit seiner Eigenschaften identifiziert, so dass es keine akzidentellen Eigenschaften geben kann), kann – logischerweise – keine Identitätserhaltung eines Individuums zwischen möglichen Welten zulassen. Das ist aber möglich bei Formen eines ge­nuinen bzw. trivialen Essenzialismus, die zwischen essenziellen und n icht-essenziellen Eigenschaften unterscheiden, wobei letztere dann unter Erhaltung der Identität des Individuums in möglichen Welten variiert werden können.
Der Vf. untersucht dann im ersten Hauptteil die drei im Untertitel der Arbeit angeführten Konzepte einer Mögliche-Welten-Semantik der Modallogik von Lewis, Leibniz und Plantinga. Die abweichende Reihenfolge im Untertitel mag darauf hinweisen, dass der Vf. am Ende Leibniz favorisieren wird. Die Darstellungen sind grundsätzlich verständig und zutreffend und bei Leibniz auch sehr detailreich. Der Vf. zitiert und verweist auf eine Fülle von Sekundärliteratur, allerdings ohne dass in jedem Fall der Status der Verweise (Hinweis? Zustimmung? Beleg? …) deutlich würde. Für Lewis macht der Vf. geltend, dass seine extensionale, mengentheoretische Auffassung der Möglichkeiten zusammen mit der relativen Identitätserhaltung durch die Identifizierung von Gegenstücken ( counterparts) in alternativen möglichen Welten konsistent ist, aber durch kontraintui-tive Auffassungen des Möglichen und durch eine überbordende Ontologie des Wirklichen erkauft wird. Die deutlich ausführlichere Darstellung von Leibniz endet mit der Qualifizierung von dessen Me­taphysik als platonisch und der Skizzierung seiner metaphy-sischen Schöpfungsgeschichte, die eine konsistente modallogische Semantik mit einer theologischen Theodizee verbindet. Als dritte Interpretation einer Semantik möglicher Welten wird nach Lewis’ Realismus und Leibniz’ Hyperessentialismus Alvin Plantingas Ak­tualismus vorgestellt. Hier lautet das Resümee der kurzen Darstellung, dass seiner Semantik eine Sachverhaltsontologie zugrunde liegt, allerdings unklar bleibt, wie der ontologische Status möglicher Welten genau zu bestimmen ist, die jeweils einen maximalen Sachverhalt darstellen. Sie sollen ›existieren‹, und zwar jeweils in jeder anderen möglichen Welt. Zudem sollen sie »bevölkert« sein von Eigenschaften und Essenzen. Bildet das alles insgesamt wieder einen maximalen Sachverhalt? Der Vf. deutet hier Probleme an, ohne sie allerdings gründlicher zu behandeln.
Es folgt nach diesen drei modalsemantischen Konzepten eine Darstellung verschiedener Spielarten des Theismus. Unterschieden werden der personale und der klassische Theismus sowie der Panentheismus. Der personale Theismus schwächt die Aseität Gottes zu­gunsten seiner Personalität ab, während es sich beim klassischen Theismus umgekehrt verhält; der Panentheismus hingegen versucht, die Gott-Welt-Differenz zu unterlaufen und doch an einer Wesensbeschreibung Gottes festzuhalten. Das Projekt eines Theismus überhaupt, der als metaphysische Theorie über das Wesen Gottes bestimmt wird, wird in seiner Möglichkeit gegen Einsprüche der negativen Theologie vom Vf. dadurch verteidigt, dass die Behauptung, von Gott könne man überhaupt keine Wesensaussagen treffen, sich selbst widerlege, da man damit ja schon eine Wesensaussage treffe. Der Vf. rettet sich in den Kompromiss, Gott sei zwar tatsächlich unbegreifbar, aber beschreibbar – und sei es auf analoge Weise.
Den eigentlich evaluativen Hauptteil der Arbeit bildet dann das folgende Kapitel, das die Kompatibilität bzw. die wechselseitige Affinität zwischen den modalsemantischen Konzeptionen und den Spielarten des Theismus untersucht. Es ist wenig überraschend, dass Lewis’ modalsemantischer Realismus, für den alle möglichen Welten gleich real sind, weder mit einem klassischen noch mit einem personalen Theismus kompatibel ist. Immerhin, für einen modal-realistischen Panentheismus kann der Vf. die Religionsphilosophie von Yujin Nagasawa als Beispiel anführen. Für Leibniz hingegen zeigt der Vf., wie er in alle drei Formen des Theismus verlängert und von ihnen adaptiert werden kann, da sein Gotteskonzept einerseits die Aseität Gottes als bedingungslosen Grund alles Bedingten und seine Personalität durch das Konzept des göttlichen Intellekts einschließt, andererseits der Partizipationsgedanke zwischen den geistigen Polen der Monaden und dem Göttlichen auch panentheistisch anschlussfähig erscheint. Für Plantinga wird eine Allianz mit dem Panentheismus von vornherein ausgeschlossen, da dieser dezidiert an einer Gott-Welt-Differenz festhält. Klassischen und personalen Theisten rät der Vf., dass sie »dieser [sic] Theorie meiden sollten« (259). Zur Begründung weist er auf zwei Inkonsistenzen bei Plantinga hin, die das Verständnis der Aktualisierung von Essenzen und das Verhältnis der wirklichen Welt zum ›Universum‹ betreffen. Ansonsten zeige Plantinga biographisch eine Wendung von einem klassisch zu einem personal orientierten Theismus, so dass trotz der grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber dem Gesamtsystem beide Formen des Theismus Anknüpfungspunkte bei Plantinga finden könnten.
In seinen Schlussbemerkungen fasst der Vf. in zwei Tabellen seine Ergebnisse zusammen: zum einen die Unterschiede der drei Semantiken möglicher Welten nach Lewis, Leibniz und Plantinga, zum anderen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen diesen Semantiken und den drei Spielarten des Theismus. Da Leibniz über Anknüpfungspunkte für alle drei Theismen verfügt, erscheint seine Metaphysik zusammen mit ihrer starken theozentrischen Ausrichtung für den Vf. als »attraktive Theorie« (271). Das dürfte aber nach allem, was in der Studie vorgeführt wurde, am Ende wirklich das sein, als was es formuliert ist: ein Geschmacksurteil. Abschließend formuliert der Vf. noch unerledigte metaphysische Hausaufgaben (271 f.), die dem Rezensenten allerdings eher als Hinweise auf die inneren Spannungen der dargestellten Konzepte erscheinen, als dass sich darin weiterführende Perspektiven mit Blick auf Logik und Ontologie des Möglichen erkennen ließen. Am Ende bleibt ein zwiespältiger Eindruck, so dass man versucht ist, den Titel der Studie als Fazit aufzurufen: »(Fast) alles kann, nichts muss«. Die Entscheidungen über ein angemessenes Verständnis von Logik, Semantik und Ontologie des Möglichen, das scheint mir das implizite Ergebnis der Studie zu sein, fallen wohl auf anderen Ebenen als der, auf der die vorgelegte Untersuchung agiert.