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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1199-1201

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Feldmeier, Reinhard

Titel/Untertitel:

Gottes Geist. Die biblische Rede vom Geist im Kontext der antiken Welt.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIII, 237 S. = Tria Corda, 13. Kart. EUR 29,00. ISBN 9783161596261.

Rezensent:

Ulrich Heckel

Diese Pneumatologie rundet die Gotteslehre (Der Gott der Lebendigen, 3. Auflage 2020; vgl. ThLZ 137 [2012], 651–654) und die Christologie (Menschwerdung, 2018; vgl. ThLZ 144 [2019], 306–309) ab, die Reinhard Feldmeier mit Hermann Spieckermann verfasst hat. Herausgefordert durch das stetige Wachstum (neo-)pentekostaler Kirchen und charismatischer Neuaufbrüche fragt er nach dem Wirken des Geistes und seinem Verhältnis zum Zeitgeist im Kontext der antiken Religions- und Geistesgeschichte. Dabei verfolgt er »das hermeneutische Ziel, sowohl der Geistvergessenheit der Kirchen der Nordhalbkugel wie der Geistversessenheit mancher Kirchen des Globalen Südens den kritischen Spiegel des biblischen Zeugnisses vorzuhalten« (VII), aber auch »neue Anknüpfungspunkte für den Dialog mit anderen Religionen und mit der Philosophie« zu bieten (200).
Im Prolog zum Geist und den Geistern (1–31) zeigt »Jesus als Charismatiker«, »wie elementar« die neutestamentliche Pneumatologie »trotz Hellenisierung in alttestamentlicher und frühjüdischer Tradition wurzelt« (9 f.). Nach einem Ausblick auf altkirch-liche Trinitätslehre, Stoa und Mittelplatonismus folgt eine Klärung der Begrifflichkeit, dass rûaḥ, πνεῦμα, spiritus ursprünglich »Hauch, Wind, Atem« bedeuten (20), anders als im Deutschen aber »nicht primär […] den Geist als Inbegriff von Rationalität, sondern die Bewegung, die Einwirkung auf anderes« bezeichnen (20). »Konstituiert der νοῦς den Menschen als animal rationale, als Vernunftwesen, so stellt das πνεῦμα den Einfluss des Göttlichen auf das menschliche Selbst dar« (22). Das Ergriffenwerden durch ein anderes gehört aber nicht auf die Seite des Irrationalen, sondern ist auch Voraussetzung für vertieftes Erkennen, wenn πνεῦμα in der Philosophie mit dem λόγος oder νοῦς, im Judentum mit Einsicht und Weisheit oder bei Paulus mit Weisheit und Erkenntnis verbunden wird.
Dass im Alten Testament (33–64) der Geist über Saul und Simson kommt, verrät bei allen archaischen Zügen bereits die spezifisch biblische Eigenart des göttlichen Geistes, der sich eines Menschen bemächtigt und ihn dadurch zu einem Dienst befähigt. Dass der Geist David in der Salbung als Amtscharisma übertragen wird und Propheten erfüllt, bestimmt auch das Bild Jesu als Prophet und Davidssohn. Im ersten Schöpfungsbericht ist der Geist die Gegenmacht gegen das Chaos (Gen 1,2), im zweiten wird er dem Menschen als Lebensodem eingehaucht, durch den er an der Lebendigkeit des Schöpfers partizipiert (Gen 2,7) und mit dem die Entstehung der Seele verbunden ist (SapSal, Philon, Josephus). Der Geist wird aber nicht zum naturgegebenen Bestandteil des Menschen, sondern bleibt auf den Schöpfer angewiesen (Ps 104,29 f.). Ethisch gewendet wird die Überwindung von Schuld als Akt radikaler Neuschöpfung durch den Geist verstanden, die den Menschen befähigt, Gottes Willen zu tun (Ps 51). Wie die schöpferische Macht des Geis-tes selbst Abgestorbenes wieder lebendig zu machen vermag, wird in Ez 37 erstmals als Vision beschrieben, in Qumran auf die endzeitliche Auferstehung gedeutet und von Paulus auf Christus bezogen (1Kor 15,45; 2Kor 3,6.17; Röm 8,11).
Während für Plato das Göttliche »Jenseits des Seienden« war, versteht die Stoa (65–89) alles Seiende als körperlich und daher auch das Göttliche irgendwie stofflich. Wie der Geist als Lebensatem den Körper durchdringt und zu einem lebendigen Wesen macht, so durchwaltet, ordnet und gestaltet er in der Stoa als göttliche Weltvernunft auch den ganzen Kosmos, bewegt, belebt und beseelt das gesamte Weltall zu einem sympathetischen Organismus. Bei Seneca erhält die göttliche Gegenwart (Ep. 41: Nahe ist dir Gott, mit dir, in dir) eine ethische Pointe in der Verpflichtung des Menschen als animal rationale »entsprechend seiner (vernunftbegabten) Natur zu leben« (secundum naturam suam vivere). Im Mittelplatonismus (90–99) ist es in einem religious turn der Geist, der der Seele ihre Unsterblichkeit garantiert. Da der Geist »nicht per se polytheistisch konnotiert war« (101), konnten biblische Autoren darauf Bezug nehmen. War der Geist »in der paganen Tradition zumeist eine anthropologische Gegebenheit, bisweilen auch eine numinose Macht, in jedem Fall aber eine apersonale Größe,« so bleibt die Eigenart des biblischen Geistbegriffs geprägt durch »die unbedingte Bindung des Geistes an einen personalen Gott« (102).
Im hellenistischen Judentum (103–141) hat SapSal »das πνεῦμα νοερόν, den die Wirklichkeit durchdringenden und vernünftig ordnenden stoischen Weltgeist, mit den dynamistischen Geistvorstellungen der biblischen Tradition kombiniert« (116). Vertieft wird die Auseinandersetzung mit platonischem und stoischem Gedankengut bei Philon (116–131).
Im Neuen Testament zeigt sich eine ungeheure Intensivierung der Geistthematik bereits im Prolog des Markusevangeliums (143–148), indem der Geist vom Täufer angekündigt wird, bei der Taufe auf Jesus herabkommt und ihn zur Versuchung in die Wüste treibt (Mk 1,8.10.12), d. h. den Heiligen Gottes (1,24) in die Konfrontation mit den widergöttlichen Kräften unreiner Geister. So erweist sich der Evangelist als »konsequenter Vertreter einer Geistchristologie« (2,8; 8,12; vgl. 12,36; 13,11).
Bei Paulus (148–167) wird die Gottessohnschaft Christi durch den Heiligen Geist (Röm 1,4) zum Herzstück seiner Soteriologie, indem die Gläubigen durch die geistgewirkte Adoption in der Taufe als Erben an Gottes Heil Anteil erhalten (Gal 3,26; 4,4–7; Röm 8). »Deshalb ist die Frucht des Heiligen Geistes nicht Erfolg und Machtgewinn, sondern die Liebe« (154), die Paulus ekklesiologisch (1Kor 12–14) und ethisch (Röm 8; Gal 5) entfaltet.
Lukas (167–182) macht die Gegenwart des Geistes zur Grundlage seiner Geschichtstheologie, indem er den mit dem Geist gesalbten Jesus an die prophetische Tradition und die biblische Heilsgeschichte zurückbindet (4,18 f. Zitat Jes 61,1 f.; Apg 10,38), im Blick auf seine Adressaten aber zugleich an außerbiblische Vorstellungen von der dynamischen Gegenwart des Geistes in der Welt anknüpft. Der Geist ist die treibende »Kraft aus der Höhe« (Lk 24,49), die ab Apg 8 zum eigentlichen Akteur wird (8,29; 10,19 f.; 13,2; 28,26 f. u. ö.).
Bindet die Inkarnationschristologie bei Johannes (183–194) im Prolog Jesus direkt an die Einheit mit Gott zurück, »so steht bei der Taufchristologie nicht mehr Jesu Gottesbezug im Zentrum, sondern die mit dem Geist verbundene Vermittlung des Heils durch den Menschgewordenen« (184), die in Taufe und Abendmahl mit der Verheißung ewigen Lebens verbunden wird (Joh 3 f.; 6). In 7,37–39 klingt an, was die Abschiedsreden entfalten: »Der Geist vertritt Jesus nach seinem Hingang zum Vater« (188). Hier zielt die vergegenwärtigende Anamnese (14,26) auf Empfang und Weitergabe der Liebe im Gegensatz zum Hass der Welt. Als Geist der Wahrheit ermöglicht der Paraklet das Zeugnis gegenüber der Welt (15,26 f.) und überführt diese zugleich ihres Unglaubens (16,7–11). »Sind bei Lukas Ostern und Pfingsten zeitlich getrennt, so findet bei Johannes Pfingsten bereits am Ostertag statt« (192; 20,22 f.). »So vollendet sich im jüngsten Evangelium die im ältesten begonnene Deutung des Christusereignisses durch den Geist« (194).
Ohne pagane Parallele bleibt in der biblischen Religiosität die transformierende Wirksamkeit des Geistes (Röm 8,14–17; Joh 3,5–7) und dessen Verbundenheit mit einem gleichermaßen personalen wie universalen Gott als einem souveränen Gegenüber extra nos. Als der Heilige ist Gottes Geist eine Gegenmacht zur Sünde, aus der er zu befreien vermag (Röm 8,2). »Geistlich« zu sein (Gal 6,1), ist deshalb kein Besitz, sondern Gabe (Gal 4,6; Röm 8,15) und Kampf (Gal 5,25; Röm 8,13). Die Eigenständigkeit des Geistes verleiht ihm personale Züge (1Kor 12,4.11; Gal 4,6; Röm 8,16.26 f.), er wird zum eigenständigen Akteur (Apg) und vertritt als personaler Paraklet den Erhöhten (Joh). Indem er Menschen be-geistert, gewinnt er Macht über sie und »treibt« sie (Gal 5,18; Röm 8,14). Pneumatische Ekstase ist aber keineswegs für sich schon etwas Gutes, sondern soll zum Nutzen aller, in Liebe und zur Auferbauung geschehen (1Kor 12–14). Neo-charismatischen Erfolgsversprechen gegenüber ist zur Geltung zu bringen, dass der Heilige Geist nicht Garant für Gesundheit und Wohlergehen ist, sondern in Dienst nimmt in der Gemeinschaft mit Gott, im Frieden untereinander und in der Hoffnung im Leiden (Röm 14,17; 15,13). Deshalb mündet die klärende, die Geister differenzierende und inspirierende Lektüre dieses gehaltvollen Bändchens in die Bitte um den Geist, der Herzen zu öffnen vermag, dass Gottes Lebendigkeit einströmt.