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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1182-1185

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sachet, Paolo

Titel/Untertitel:

Publishing for the Popes. The Roman Curia and the Use of Printing (1527–1555).

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. XII, 306 S. m. 11 Abb. = Library of the Written World – The Handpress World, 80. Geb. EUR 138,00. ISBN 9789004348646.

Rezensent:

Jan van de Kamp

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Agten, Els: The Catholic Church and the Dutch Bible. From the Council of Trent to the Jansenist Controversy (1564–1733). Leiden u. a.: Brill 2020. 490 S. = Brill’s Series in Church History, 80. Geb. EUR 165,00. ISBN 9789004420014.


In der älteren Forschung wurde das religiöse Buch und dessen Produktion, Verbreitung und Gebrauch als Proprium der protestantischen Reformation betrachtet. Luther und Calvin hätten das Potential der Buchproduktion auf kluge, aktive und fortschrittliche Weise genutzt, während die römischen Katholiken sich unbeholfen, passiv und reaktionär verhalten hätten. Katholische Geistliche hätten den Laien von der Lektüre religiöser Bücher, allen voran der Bibel, abgeraten. Im Gegensatz dazu habe der Protestantismus zur Entstehung der Freiheit im Denken, Reden und Schreiben beigetragen, und so dem Liberalismus zum Durchbruch verholfen. In diesem Forschungsfeld sind die Veröffentlichungen der Doktorarbeiten von Els Agten und Paolo Sachet anzusiedeln. Beide beziehen sich auf den Zeitraum der Gegenreformation (s. zu diesem Begriff die Bemerkungen von Sachet [6] und Agten [9, Anm. 2].
Paolo Sachet hat mit seiner Arbeit über den Gebrauch des Buchdrucks durch die römische Kurie von 1527 bis 1555 im Jahr 2015 am Warburg Institute in London unter Jill Kraye, einer Kennerin des Renaissancehumanismus, promoviert. Er möchte die erwähnte Hypothese überprüfen, wonach der Katholizismus bezüglich des Buchdrucks konservativ gewesen sei. In diesem Zuge will er eine Lücke in diesem Forschungsfeld schließen, nämlich bezüglich der Buchproduktion durch die hierarchische Spitze der katholischen Kirche, die Kurie. S. hat sich bewusst auf den Zeitraum zwischen 1527 und 1555 konzentriert. Es geht um die Jahre nach der Plünderung Roms durch die Truppen Kaiser Karls V., in denen der Buchdruck in der Stadt neu beginnen musste, die Auseinandersetzung mit der Reformation anfing und schließlich der erste Index verbotener Bücher (1558–1559) veröffentlicht wurde. Die Beschränkung auf diese Periode ermöglicht S., den Buchdruck durch die Kurie mit diesen Entwicklungen in Verbindung zu setzen.
Konkret stellt S. sich die Frage, ob man die Versuche der Kurie, den Buchdruck auszunutzen, als eine einheitliche Politik betrachten kann. Wie intensiv waren die Bemühungen, inwiefern war die Kurie involviert, welche Schriften wollte sie drucken lassen und wie hing das Buchdrucken mit der ebenfalls von der Kurie ausgeübten und unter anderem gegen die Reformation gerichteten Buchzensur zusammen?
Der Hauptteil von S.s Buch ist dem Schaffen des »Cardinale Editore« Marcello Cervini (1501–1555) gewidmet, wenngleich S. auch dessen Vorgeschichte und Fortführung durch andere Personen berücksichtigt. Aufgrund der Anzahl und Übereinstimmungen der Drucke geht S. davon aus, dass diesen Bestrebungen eine einheitliche Politik der Kurie in der Mitte des 16. Jh.s zugrunde lag. Außerdem gab es ihm zufolge ein hohes Maß an Kontinuität, da die unterschiedlichen Initiatoren aufeinander aufbauten. Ferner wa­r en die Druckaktivitäten eine Sache, in der viele Kardinäle, mit unterschiedlichen Haltungen zu den Protestanten, und andere Kurienmitglieder involviert waren. Insgesamt zeichnet sich ein ganzes Corpus von Druckschriften ab, bestehend aus unter anderem Kirchenvätern, kirchengeschichtlichen Werken und religiösen Publikationen in orientalischen Sprachen, mit denen die Kurie programmatisch die Debatte mit Protestanten und katholischen Dissentern führen, beziehungsweise die Macht der Ostkirche eindämmen wollte. Diese Drucke, allesamt in einer klassischen oder orientalischen Sprache, zielten laut S. auf ein spezifisches Publikum, nämlich auf die gebildete Geistlichkeit ab. Schließlich gab es ihm zufolge keinen Gegensatz zwischen dem Gebrauch der Druckpresse als Kommunikationsmittel und der Kontrolle über die Verbreitung von Drucken durch Zensur: Dieselben Akteure arbeiteten in demselben Zeitraum in beiden Bereichen. Auch nach 1555 habe die Kurie die positive Haltung bezüglich des Buchdruckens beibehalten. Dies bedürfe der näheren Untersuchung, so S. am Ende seines Buches.
Mit seiner Forschungsarbeit hat S. die eingangs seiner Studie angedeutete Dichotomie zwischen Protestantismus und Katholizismus hinsichtlich des Buchdrucks differenziert. Allerdings müsste man meines Erachtens an dieser Stelle thematisieren, inwiefern man die Drucke der Reformatoren mit denjenigen von Kardinälen und anderen vergleichen kann. Besonders Luther hat im Laufe seiner publizistischen Arbeit immer mehr die Volkssprache benutzt und zielte also auf eine breite Leserschaft, einschließlich der Laien, ab. Die Publikationen von Kurienmitgliedern hingegen waren allesamt in klassischen oder orientalischen Sprachen und wandten sich an die gebildete Geistlichkeit. Inwiefern kann man beide Publikationsstränge miteinander vergleichen? Und inwiefern konnte die Kurie tatsächlich, wie S. voraussetzt (5), die kulturellen Entwicklungen in großen Teilen Europas beeinflussen? Auf diese Fragen geht S. in seiner Schlussfolgerung leider nicht ein.
Ebenfalls auf den Zeitraum der Gegenreformation, aber auf einer anderen Ebene der katholischen Kirche, nämlich auf die Region der südlichen und nördlichen Niederlande, bezieht sich die Studie von Els Agten. Darüber hinaus unterscheidet sich A.s Untersuchung von derjenigen von S. darin, dass sie sich mit einer spezifischen Gattung von Druckschriften, nämlich mit Bibeln, überdies in der Volkssprache, befasst. A. wurde mit ihrer Arbeit 2014 an der KU Leuven promoviert, und zwar unter Wim François, Experte auf dem Gebiet des Katholizismus und der volkssprachlichen Bibel, und Mathijs Lamberigts, Kenner der Strömung des Jansenismus. A.s Arbeit wurde übrigens 2021 mit dem REFORC Book Award ausgezeichnet.
Im Zentrum der Studie steht die Frage, was Theologen davon hielten, dass Laien die Bibel in der Volkssprache lasen. Um diese Frage zu beantworten, untersucht A. die Ideen und Schriften von zehn Personen, die man unterschiedlichen Gruppen zuordnen kann: sogenannte antijansenistische Polemiker, Bibelübersetzer, geistliche Leiter und Anhänger des Jansenismus in der Abtei Port-Royal (die einige Zeit im Exil in den Niederlanden lebten). So entwirft A. ein repräsentatives Bild der Ideen unter niederländischen katholischen Theologen über das von ihr behandelte Thema.
Die Studie betrifft den Zeitraum seit 1564, dem Jahr, in dem sich das Konzil von Trient über die Legitimität von volkssprachlichen Bibelübersetzungen äußerte. In der Regula Quarta, die dem Index verbotener Bücher hinzugefügt worden war, wurde den Laien erlaubt, volkssprachliche Bibelübersetzungen zu lesen, falls der betreffende Laie dazu als fähig betrachtet wurde und die schriftliche Erlaubnis von dem zuständigen Bischof oder Inquisitor bekam. Über die Interpretation und Implementation dieser Regel wurde innerhalb des Katholizismus intensiv diskutiert, wobei die Jansenisten in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s für eine Aufhebung der Regel plädierten. In Reaktion darauf wurde 1733 der Auftrag zu einer neuen katholischen Bibelübersetzung auf Niederländisch gegeben. Dieser Schritt leitete eine neue Phase in der Geschichte niederländischer Bibelübersetzungen ein. Es entstand eine Übersetzung, die mit vielen lateinischen Anmerkungen versehen war und somit nicht auf ein breites Laienpublikum, sondern auf gebildete Laien und auf Geistliche abzielte.
In ihrem Buch geht A. den Handlungsspielräumen für die Lektüre volkssprachlicher Bibeln in den nördlichen Niederlanden, der Republik, nach. In einem einleitenden Kapitel bespricht sie den historischen Kontext: die Stellung der katholischen Minderheitskirche in der Republik als Gebiet der Holländischen Mission und die Spannungen zwischen den Jesuiten und Jansenisten, besonders in der Universitätsstadt Löwen. Als zwei wichtige Faktoren der Streitigkeiten über volkssprachliche Bibelübersetzungen sieht A. die relativ milde Handhabung der Regula Quarta in den Niederlanden im 16. und 17. Jh. und die uneingeschränkte Aufforderung der Jansenisten an die Laien, die Bibel in der Volkssprache zu lesen. Die Jansenisten meinten, dass die Regula Quarta in ihrer eigenen Zeit keine Geltungskraft mehr besaß, weil sie in einer Zeit aufgestellt worden war, in der viele unzuverlässige protestantische volkssprachliche Bibelübersetzungen zirkulierten. Zwischenzeitlich waren jedoch ordentliche Übersetzungen veröffentlicht worden. Damit die Laien die Bibel lesen konnten, erschienen in Anlehnung an das Nouveau Testament de Mons (1667), einer in Port Royal entstandenen Übersetzung, niederländische Bibelübersetzungen. Den Übersetzern zufolge war die Lektüre der Bibel in der Volkssprache kein Recht, sondern eine Pflicht. Diese Position wurde von Zeitgenossen als jansenistisch betrachtet, wie A. zeigt. Die Opponenten dieser Sichtweise reagierten mit einer Wiederholung der in der Regula Quarta benannten Restriktionen oder sogar mit einer scharfen Abweisung des Rechtes der Laien, die Bibel in der Volkssprache zu lesen.
A. analysiert die verschiedenen Positionen sehr genau und kommt somit im Vergleich zur älteren Forschung zu einer differenzierteren Synthese bezüglich der Interpretation der Regula Quarta. In diesem Zusammenhang versucht sie auch die Rolle der unterschiedlichen religiösen Kontexte im Norden und Süden der Niederlande zu berücksichtigen.
In der Schlussfolgerung geht A. unter anderem auf die schon eingangs von ihr aufgeworfene Frage nach einer unparteilicheren Terminologie der Jansenisten und Antijansenisten ein, weil der Jansenismus einen amorphen Charakter habe (2). Mit ihrer Studie zeigt sie, dass die Frage, ob die Laien die Bibel in der Volkssprache lesen durften, einer der zentralen Streitpunkte innerhalb des niederländischen Katholizismus war, dass die Gegner von Bibellektüre durch Laien aber zuweilen auch vermeintlich jansenistische Ideen hatten, so zum Beispiel Martinus Harney über die Buße (51.391). Damit zeigt sie die Komplexität der theologischen und religiösen Debatten innerhalb des frühneuzeitlichen (niederländischen) Ka­ tholizismus; eine wichtige Einsicht für die Erforschung dieses Felds. Allerdings wäre es im Anschluss an diese Erkenntnis besser gewesen, wenn A. im Laufe ihrer Untersuchung auf die herkömmlichen Label jansenistisch und antijansenistisch verzichtet hätte, um erst in der Schlussfolgerung ihre Reflexionen darzulegen.
Vergleicht man die Arbeiten von Sachet und Agten, so zeigt sich als Stärke der Studie von Sachet, dass er sein Thema in einen großen Rahmen einbettet, nämlich die Dichotomie von Protestantismus und Katholizismus bezüglich des Buchdrucks, während es eine Schwäche von Agtens Dissertation ist, dass sie nicht über den Rahmen der innerkatholischen Streitigkeiten hinauskommt. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, dass Sachet die erwähnte Gegenüberstellung aufgrund seiner Ergebnisse mehr problematisiert hätte. Die Stärke von Agtens Buch ist die differenzierte Synthese der unterschiedlichen Positionen in der Debatte über die Legitimität der volkssprachlichen Bibel. Ihre Untersuchung hätte aber an Relevanz für die (Kirchen-)Geschichte im Allgemeinen gewonnen, wenn sie Vergleiche zwischen katholischen Ideen und Praktiken bezüglich volkssprachlicher Bibellektüre oder religiöser Lesekultur mit protestantischen Auffassungen und Praktiken gezogen hätte. Willem Frijhoffs Thesen über die kulturelle Kluft zwischen den auf das Wort orientierten nordniederländischen Reformierten und den auf Ritual und Bild orientierten Katholiken (in: Calvinism, Literacy, and Reading Culture in the Early Modern Northern Netherlands: Towards a Reassessment, in: ARG 95, 252–265) könnte hier als theoretischer Rahmen dienen, den man kritisch hinterfragen sollte.
Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die Studien von Sachet und Agten wichtige Impulse für die Kartierung des Umgangs mit dem religiösen Buch im frühneuzeitlichen Europa gegeben haben.