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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1172-1177

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Van Nuffelen, Peter, and Lieve Van Hoof

Titel/Untertitel:

The Fragmentary Latin Histories of Late Antiquity (AD 300–620). Edition, Translation and Commentary.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press Academic 2020. X, 332 S. Geb. £ 89,99. ISBN 9781108420273.

Rezensent:

Raphael Brendel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Van Nuffelen, Peter, and Lieve Van Hoof: Jordanes:Romana andGetica. Transl. and with an introduction and notes by P. Van Nuffelen and L. Van Hoof. Liverpool: Liverpool University Press 2020. X, 476 S. = Translated Texts for Historians, 75. Geb. £ 110,00. ISBN 9781789628104.
Van Nuffelen, Peter, and Lieve Van Hoof: Clavis Historicorum Antiquitatis Posterioris. An Inventory of Late Antique Historiography (A. D. 300–800). Turnhout: Brepols Publishers 2020. CXV, 1079 S. = Corpus Christianorum. Claves-Subsidia, 5. Geb. EUR 295,00. ISBN 9782503552958.


Lieve Van Hoof und Peter Van Nuffelen gehören zu den wichtigsten Erforschern der spätantiken Historiographie und Literatur, deren Beiträge zu Libanios und vor allem zu den Kirchenhistorikern Lesern dieser Zeitschrift bekannt sein dürften. 2020 haben sie drei gemeinschaftlich verfasste Bücher vorgelegt, die der Fachwelt großen Gewinn versprechen.
Um mit dem spezialisiertesten zu beginnen: Jordanes verfasste 551 zwei Geschichtsabrisse, in denen die Geschichte der Goten (Getica) und die der Römer (Romana) behandelt wird. Die Romana nutzt meist erhaltene Quellen und hat daher eher literaturgeschichtlichen Wert, während die Getica verlorene Werke verwendet, ohne deshalb stets zuverlässige Informationen zu bieten. Von beiden Werken wird eine ausführlich kommentierte englische Übersetzung geboten, die von Van Hoof stammt; Van Nuffelen verfasste die Anmerkungen und die Einleitung. Selbige behandelt das Leben des Jordanes (2–19), die Romana (19–30) und die Getica (31–64), doch der wertvollste Teil ist die Diskussion der Quellen (65–99). Es folgen Bemerkungen zu Text und Übersetzung (100–102) und zum Nachleben des Jordanes (103–104).
Zwei Bemerkungen dazu: Als Quelle wäre noch der Get. 104 (271 mit Anm. 401) genannte Cyprian zu nennen, dessen Werk aber kaum direkt verwendet wurde. Dexippos gilt erst als indirekte Quelle (75), dann aber wird einer direkten Heranziehung eine gewisse Wahrscheinlichkeit zugestanden (97). Römische Seitenzahlen ohne Angabe (zuerst 19, Anm. 91) meinen den Clavis (33, Anm. 156 und 158 müsste auf XLI–XLV verweisen). Dass von Mommsen die einzige Edition der Romana stammt (100), ist nicht mehr richtig, da eine neue mit der Dissertation von Anna-Livia Morand (2019) vorliegt.
Die Übersetzungen der Romana (107–219) und der Getica (221–369) werden gemäß den Konventionen der Reihe ohne Original-text, aber mit einem Kommentar in Form von Fußnoten geboten. Die englische Übertragung liest sich angenehm, vermittelt einen guten Eindruck vom Stil des Originals und zeigt in Verbindung mit den kommentierenden Anmerkungen (neben Sacherklärungen und Querverweisen vor allem zu den Vorlagen der Passagen), dass eine kompetente und sorgfältige Behandlung des Textes er­folgt ist.
Nur zwei kleine Fehler in der Übersetzung fielen auf: Kaiser Jovian starb nicht »at the age of 33« (189), sondern anno aetatis XXXIII (Rom. 306), im 33. Lebensjahr, also mit 32 Jahren. Rom. 310 »Valentian« (190) fehlerhaft für Valentinian. Im Kommentar wäre noch zu notieren: Die Rom. 282 (184 mit Anm. 493) behauptete Verantwortung Gordians für den Tod von Pupienus und Balbinus ist unhistorisch, ebenso der Name »Paulus Orosius« (richtig wäre zudem Orosius Paulus) in Get. 58 (248 mit Anm. 229). Gratian wurde nicht 337 (287, Anm. 499), sondern 367 Kaiser (richtig 190, Anm. 526). Bei der Frage, ob der Get. 68 genannte dritte Herrscher Roms Gaius Tiberius mit Tiberius oder Caligula zu identifizieren ist (253, Anm. 262: Tiberius als wahrscheinlicher), werden dafür relevante Passagen nicht beachtet: Zwar sagt Jordanes kurz zuvor, dass Caesar als Erster das Reich für sich beanspruchte, nennt aber Get. 243 (333) und Rom. 2 (107), 4 (108), 85 (124–125) und 345 (202) Augustus als ersten Kaiser, was für Caligula spricht.
Im Anschluss werden sechs problematische Stellen der Getica zu Ereignissen des 4. und 5. Jh.s diskutiert (371–378). Geboten werden zudem Karten (379–389), Glossar (391–393), Bibliographie (395–442) und Indizes (443–467), die Personen, geographische Namen und einige Sachen, nicht aber Quellenpassagen erfassen; auch wird nicht zwischen Einleitung/Kommentar und Text unterschieden.
Die Literatur ist nahezu vollständig erfasst. Lediglich die Dissertation von Sybels (1838) und die Morands (siehe oben) wären zu ergänzen und auf den tschechischen Aufsatz von Stanislav Doležal, in: Listy filologické 139 (2016), 301–314, zumindest hinzuweisen. Im Glossar hätte für die Begriffe Augustus und Caesar (391) noch herausgearbeitet werden sollen, dass sie nicht nur auf die Relation von zwei Kaisern zu beziehen sind, und zum Konsul (391–392) wäre zu erwähnen, dass es stets zwei ordentliche pro Jahr gab.
Insgesamt bietet der Band (wie viele dieser Reihe) mehr als nur eine gute Übersetzung und ist auch als Forschungsbeitrag (insbesondere, aber nicht nur) zu den Quellen des Jordanes wertvoll.
Das zweite Buch liegt in der Mitte zwischen den anderen, da es eine kommentierte Übersetzung antiker Texte und zugleich ein systematisches Sammelwerk ist. Es enthält nach eigener Aussage sämtliche nur indirekt erhaltenen lateinischen Geschichtswerke aus der Zeit zwischen 300 und 620. Ausgelassen wurden Chroniken (die aber teilweise doch aufgenommen wurden und kaum zusätzliche Kapitel bedeutet hätten: 12–13), ähnliche Gattungen (Dichtung, Biographie), die wahrscheinlich fiktiven von Nennius genannten Quellen und rekonstruierte oder nur als geplant belegte Werke (das aber nicht ganz konsequent: 74). Wieder stammen die Übersetzungen und hier auch die Editionen von Van Hoof, die Einleitungen und Kommentare von Van Nuffelen.
Die allgemeine Einleitung (1–27) informiert über die literaturgeschichtlichen Grundlagen (Gattungsfragen, Zirkulation, Kontext) und die Methodik des Bandes. Aufgenommen sind nur Passagen, in denen einem Autor ein Werk explizit zugeschrieben wird, nicht aber solche, die als Nachwirkung eines verlorenen Werkes gelten. Wertvoll ist die Beobachtung, dass solche Belege nur in Schriften auftauchen, deren Verfasser eine nähere Verbindung zu dem Autor ihrer Vorlage aufweisen (13–18), auch wenn mit Blick auf die zahlreichen unterschiedlichen Nutzer der verlorenen Enmannschen Kaisergeschichte daraus keine allgemeine Regel abzuleiten ist.
Die Edition umfasst zwanzig Autoren (28–247) und drei weitere als »Spuria et Dubia« (249–267). Die Kapitel sind alle übersichtlich aufgebaut: Eine ausführliche Einleitung stellt den Autor und sein Werk vor. Dann folgt die Edition der Fragmente mit englischer Übersetzung und Kommentar; der Text beruht nicht auf eigenen handschriftlichen Studien, sondern folgt den besten Editionen, notiert aber auch die Varianten anderer Ausgaben. Eine gewisse Ungleichmäßigkeit entsteht dadurch, dass Nicomachus Flavianus (36–58), der anonyme Adressat von Symmachus, Brief 9,110 (73–76), der jüngere Symmachus (146–165) und Cassiodor (194–225) bereits öfter ausführlich diskutiert wurden, die anderen Autoren hingegen außerhalb literaturgeschichtlicher Handbücher kaum eine Rolle spielen.
Am Schluss finden sich die Bibliographie (268–313), ein Register zitierter Quellenpassagen (314–325) und eines der Namen und Sachen (325–332).
Zwei allgemeine Probleme mindern den (großen) Wert ein wenig: Die Einleitungen zu den Autoren nehmen viel vorweg, was im Kommentar erläutert wird, was Wiederholungen bedeutet. Schwerwiegender ist, dass die Materialgrundlage problematisch ist. Unter den berücksichtigten Werken dürfte es wenige geben, für die eine Abfassung in lateinischer Sprache bestritten werden kann. So wird das für Consentius plausibel gemacht (136), wenngleich nicht bewiesen. Bei Ablabius wird sogar offen zugegeben, dass er auch in griechischer Sprache geschrieben haben könnte (137), ebenso bei Bruttius (253). Umgekehrt aber ließen sich viele Werke nennen, die dann ebenfalls aufzunehmen wären. So etwa Magnus von Carrhae und Eutychianus von Kappadokien, von denen Werke über den Perserfeldzug Julians stammen, die nur durch Erwähnungen bei Malalas bekannt sind. Für die anderenorts (Clavis 295 und 164) vertretene Annahme, ihre Werke seien in griechischer Sprache verfasst, fehlt jeder Beweis. Auch wenn Malalas keine lateinischen Quellen benutzt haben sollte, nennt er solche regelmäßig, selbst wenn er sie nie gelesen hat. Eine wirklich systematische Sammlung der Fragmente müsste also etwas schmaler oder vielmehr deutlich umfangreicher sein. Das Buch erfordert also einen aufmerksamen Benutzer, der sich der Grenzen des Materials stets bewusst ist – manchmal mehr als die Herausgeber (etwa bei den 27, Anm. 113 postulierten Zahlenverhältnissen).
Ob sich die Aufnahme der wenigen fragmentarischen Chroniken (12 mit Anm. 47–48) gelohnt hätte, sei dahingestellt. Recht merkwürdig ist es, wenn in anderen Sammlungen diskutierte Werke ausgeschlossen werden, um zu bemerken, dass es nur zwei sind, von denen eines dann doch berücksichtigt wird (2, mit Anm. 8). Die bewusst ausgeschlossene zweifelhafte Passage des Ablabius (137, Anm. 1) wäre besser gut sichtbar als widerlegtes Fragment aufzunehmen gewesen (wie gefälschte Inschriften im CIL), statt sie in eine Anmerkung zu verbannen.
Schwerwiegende Fehler waren nicht zu finden, aber einige Querverweise sind zu korrigieren: 8, Anm. 30 auf 9–10 (nur 9); 49, Anm. 73 auf Anm. 61 (Anm. 63); 71, Anm. 16 auf Anm. 11 (Anm. 13); 89 auf 96, Anm. 69 (95, Anm. 69); 90 auf 84 (82); 221, Anm. 124 auf 212 (eher 213); 252, Anm. 7 auf 251, Anm. 2 (Anm. 3). Festus schrieb vor dem Perserzug des Valens (26: Constantius II.); das Werk des Ammianus ist kein »explicit sequel to a predecessor« (100, richtig 163); der Satz zu den griechischen Historikern (100) ist unklar formuliert; Passagen aus Jordanes ohne bekannte Quelle sind kaum »his own work« (149); das Fragment aus Symmachus als früheste belegte Nutzung der Historia Augusta (161) wäre insofern einzuschränken, dass frühere Nutzer umstritten sind. Eine Korrektur zu einer Korrektur: Zwar ist Constantius II. wohl der erste Kaiser, der (von einem Zeitgenossen, ansonsten Suet. Tit. 5,2) für seine Fähigkeiten beim Bogenschießen gelobt wird (128, Anm. 163), aber nicht erst bei Ammianus, sondern bereits bei Aurelius Victor (42,23).
Die Literatur ist eingehend verarbeitet und nur minimal zu ergänzen: Zum notarius Alexander (81, Anm. 1) wäre die (121, Anm. 115 zitierte) Dissertation Teitlers (1983/85) zu nennen, zu den Heermeistern bei Sulpicius Alexander (81–98) die Prosopographie von Rau (1967). Die Passage des Symmachus (146–165) wurde von Paschoud im neuesten Teilband der Budé-Edition der Historia Augusta diskutiert (2018).
Wenn auch der Band als Sammlung nicht ganz überzeugt, ist die Behandlung der diskutierten Autoren extrem wertvoll und bietet auch allgemeine Beobachtungen zur spätantiken Historiographie, die eine nähere Prüfung verdienen. Siehe auch die Rezension von Jan Willem Drijvers, in: Classical Review 71 (2021), 128–130.
Das mit Abstand bedeutendste Werk ist der »Clavis historicorum antiquitatis posterioris«. Dies ist ein Lexikon, das sämtliche Werke der Historiographie erfasst, die (auch nur möglicherweise) zwischen 300 und 800 verfasst wurden und entweder auf dem Boden des Römischen Reiches entstanden oder eine klare Verbindung zur klassischen antiken Literatur aufweisen. Daher sind neben griechischen und römischen auch Werke berücksichtigt, die auf Syrisch, Armenisch, Georgisch, Koptisch, Aramäisch und Mittelpersisch verfasst wurden; lediglich die arabische Literatur musste ausgeklammert werden. Die Zahl von vierzehn Bearbeitern (VII) verwundert daher nicht.
Die ausführliche Einleitung (XI–LXXXI) bietet neben Hinweisen zur Benutzung (XII–XVI, LXXXI) hauptsächlich einen Überblick über die Gattungen der spätantiken Historiographie (XVI–LXXX), der auch detailliert begründet, welche Genres vollständig, nur in Auswahl oder nicht aufgenommen wurden. Es folgt die Bibliographie (LXXXIII–CXV), die nur die Einleitung betrifft, da die Einträge die Literaturangaben als Vollzitat haben.
Der Katalog (1–745), zugleich als online frei zugängliche Datenbank vorliegend (V), enthält 733 Einträge in alphabetischer Anordnung, von denen 502 namentlich bekannte Autoren (3–513) und 231 anonyme Werke (514–745) betreffen. Bei der Erschließung hilft ein extrem langer Registerteil (747–1076), der alle denkbaren Kriterien abdeckt: Sprache, Abfassungszeit, Religion des Autors, behandelter Zeitraum – um nur die wichtigsten zu nennen.
Der Clavis ist ein wahres Juwel, aber in der jetzigen Form ein ungeschliffener Rohdiamant. Das (teure) Buch weist zu viele Fehler und Probleme auf, um ohne klare Einschränkungen empfohlen werden zu können.
Es dürfte schwer sein, wesentliche Lücken zu finden, aber das Bemühen um Vollständigkeit macht auch kleinere Fehlstellen relevant. Die folgenden Werke sind daher nachzutragen:
1) Curtius Rufus: Verfasser einer Geschichte Alexanders, meist als Werk des 1. Jh.s angesehen, vereinzelt aber auch in das 4. Jh. datiert.
2) Hieronymus (?): Eine Glosse der Chronik des Hieronymus (Fotheringham 330 App. zu 6, Helm XVIII) eines unbekannten, aber wohl zeitnahen Autors (Hieronymus selbst?) bietet eine sonst nicht überlieferte Notiz zum Prätorianerpräfekten Maximinus.
3) Julian, Caesares: Trotz des satirischen und stark fiktionalen Charakters findet eine klare Orientierung an den historischen Charakteren statt, so dass die Nähe zur Kaisergeschichte in ausreichendem Maß gegeben ist.
4) Julian, Mechanika: Laut Johannes Lydos verfasste Kaiser Julian eine Schrift über Kriegsmaschinen. Nähere Informationen fehlen, mit Blick auf die Exkurse bei Ammianus wäre ein technikgeschichtliches Werk möglich.
5) Libanios: Zwei Passagen seiner (wohl bewusst ausgelassenen) Autobiographie (Lib. or. 1,163; 165) erwähnen einen ihm zugeschriebenen Panegyricus auf den Usurpator Procopius. Da sonst nichts zu erfahren ist, wäre ein Eintrag angesichts der Aufnahme vergleichbarer Werke in solchen Fällen sinnvoll.
6) Marcellinus: Unbekannter und kaum datierbarer Verfasser einer Vita des Thukydides. Ein spätantikes Datum ist möglich, vereinzelt (aber nie ausreichend begründet) mit Ammianus identifiziert.
7) PseudoPolydeukes: Endet mit Valens, in einer Handschrift des 10. oder 11. Jh.s. Hinweise auf eine genauere Datierung (Fortsetzung bis 963, Quelle aus dem Jahr 845) scheinen nicht weiterzuführen, allerdings belegen wörtliche Übernahmen aus der Epitome des Theodoros Anagnostes (609–610) eine Abfassung frühestens im 7. Jh.
8) Anonymus: Ein unbekannter Autor reicherte zwischen dem 5. und dem 9. Jh. die Schrift Origo Constantini mit Interpolationen aus Orosius an.
9) Anonymus: Autoren des 4. und 5. Jh.s greifen auf eine Livius-Tradition zurück, die nicht mit den erhaltenen Kurzfassungen identisch ist. In welche Zeit diese Vorlage gehört und ob es sich um mehr als ein Werk handelt, wäre genauer zu prüfen.
In seiner Rezension verweist Orth (siehe unten) zudem auf unberücksichtigte Werke Alkuins. Nicht direkt eine Fehlstelle, aber aufgrund der Unsicherheit der Identifikation problematisch ist es, wenn beide Historiker namens Ona/esimus in einem Eintrag behandelt werden (340). Auch wenn man gerne noch Georgios Synkellos und Theophanes Confessor aus dem frühen 9. Jh. berücksichtigt gesehen hätte, ist die Auslassung mit Blick auf den Schlusspunkt verständlich. Warum aber wurde Sergius Confessor, dessen Werk noch etwas später verfasst wurde, trotzdem aufgenommen (434)?
Auch das, was geboten wird, ist nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Ich übergehe eine recht hohe Zahl kleinerer oder größerer Fehler, die in der Datenbank leicht korrigiert werden können. Auch fehlende Literatur kann so nachgetragen werden, wenngleich oft wichtige Editionen fehlen (umgekehrt wird 312 eine noch nicht erschienene als publiziert vermerkt).
Schwieriger ist das bei dem grundlegenden Problem, dass oft eine Sicherheit präsentiert wird, die so nicht besteht. Es wurde bereits erwähnt, dass Magnus (295) und Eutychianus (164) in griechischer Sprache geschrieben haben sollen, wofür es keinen Beweis gibt. Auch gelten beide als »Pagan?«, obwohl der Bericht des Malalas, der sich auf diese Autoren beruft, eher auf eine christliche Quelle hindeutet. Dasselbe gilt für Callistus (79), bei dem ebenfalls die griechische Sprache und sogar sicher ein »Pagan« vorausgesetzt wird. Besser ist das für Chorohbut (93) gelöst, da zumindest in den »Remarks« vermerkt ist, dass Griechisch als Sprache nur plausibel gefolgert wird.
Das Problem gilt auch für die Abfassungszeiten: Für Ammianus (17) wird »378–392« genannt, was nur eine Möglichkeit ist, da der Beginn der Abfassung nicht sicher und der Abschluss nur sicher ab 390 und wahrscheinlich vor 397 anzusetzen ist. Für Eunapios (143) werden als Daten der beiden Ausgaben »After 395« und »after 404« genannt, ohne zu erwähnen, dass es Hinweise auf eine erste Publikation kurz nach 378 gibt.
Besonders problematisch wird es bei den Quellen: Die Ankündigung (XV), nur die Quellen zu nennen, die auch im Clavis erfasst sind, wurde nicht konsequent umgesetzt, da Herodian als Quelle der Historia Augusta (626) und (ohne Beweise) des Aurelius Victor (502) genannt wird, aber unter denen des Ammianus (17) fehlt. Zudem scheinen die Einträge dazu oft nicht aufeinander abgestimmt zu sein: Eunapios steht unter den Quellen des Ammianus (17) und Ammianus unter denen des Eunapios (144). Die Enmannsche Kaisergeschichte wird korrekt als Quelle der Epitome de Caesaribus genannt (607), die aber zwei Seiten zuvor unter deren Nutzern fehlt (605). Als Nutzer der Epitome ist Paulus Diaconus aufgelistet (607), aber die Epitome fehlt unter seinen Quellen (359.361), dafür ist der von Paulus genannte, aber von ihm wohl irrtümlich als Autor der Epitome erachtete Victor berücksichtigt (361). Oreibasios wird korrekt als Quelle des Eunapios (144) sowie fehlerhaft als dessen Nutzer genannt (341). Besonders verwirrend sind die Angaben zum Verhältnis zwischen Johannes Antiochenus und Eutropius: Laut den Einträgen zu beiden wurde Eutropius von Johannes konsultiert (163.248), wohingegen seine Übersetzungen von Johannes laut dessen Eintrag nicht verwendet wurden (248). Als deren Nutzer ist Johannes aber für Kapito (83) und für Paianios (344) eingetragen, obwohl das für Ersteren eine oft geäußerte, aber unbewiesene Vermutung und für Zweiteren unwahrscheinlich ist. Die Liste der Benutzer des Eutropius (163), für den zudem der Name Flavius Eutropius zumindest in keiner Haupthandschrift belegt ist, enthält ohne Unterscheidung sichere, wahrscheinliche, mögliche und nur indirekte; ebenso die der Quellen des Sozomenos (451). Man wundert sich, warum umgekehrt Johannes Antiochenus unter den Nutzern des Ammianus fehlt (17.248).
Gelegentlich finden sich Widersprüche innerhalb desselben Eintrages: Julians Schrift über die Schlacht bei Straßburg soll 357 verfasst sein, aber die Jahre 355 bis 359 behandeln (280). Kein Fehler ist es, wenn Jordanes als Quelle für sich selbst genannt wird (273, fehlt aber 271, ebenso 142 zu Eunapios), allerdings wäre zu erklären, dass seine Werke zeitgleich entstanden sind und aufeinander eingewirkt haben. Solche Präzisierungen sind noch öfter notwendig: Palaephatus hat vor dem 10. Jh. geschrieben, ist aber Quelle des Malalas (6. Jh.), was nur vereinbar ist, wenn man auch eine spätere Eintragung in die Handschrift des Malalas für denkbar hält. Warum Gelasios Quelle und Nutzer der Kirchengeschichte des Sokrates ist (440), erfährt man erst in seinem Eintrag (178–179). Und wie kann für das vollständig erhaltene Werk des Andronicus »Coverage: Unknown« (33, ähnlich 34) gelten?
Unpraktisch sind einige Namensformen: Blandus, Rubellius; Septimius, Lucius; Severus, Acilius; Victor, Aurelius; insbesondere aber Severus, Sulpicius sowie »Anonymous (Book of pontiffs)« für den Liber pontificalis. Der Anonymus von Kyzikos (742–743) wäre mit einem zusätzlichen Eintrag zu Gelasios von Kyzikos als Querverweis leichter zu finden. Ein Querverweis ist falsch (XVIII, Anm. 23 auf XIII, richtig XXXIII). Nach dem Gesagten wird man skeptisch sein, ob statt der Entscheidung, beim Fehlen von Informationen ein Feld auszulassen (XV), die aber nicht konsequent umgesetzt wurde, nicht eher häufiger ein »Unknown« hätte gesetzt werden sollen.
Ich breche an dieser Stelle ab und komme zum Gesamturteil: So wertvoll der Clavis auch ist, kann ich eine Anschaffung nur bedingt empfehlen und eher dazu raten, die Entwicklung der Datenbank abzuwarten. Sollte eine überarbeitete und ergänzte zweite Auflage der Buchfassung erscheinen, werde ich mein Urteil wohl ändern und sie uneingeschränkt empfehlen können, aber diese Version scheint voreilig publiziert worden zu sein. Eine weitere Rezension mit Schwerpunkt auf lateinischer frühmittelalterlicher Literatur stammt von Peter Orth, in: Francia-Recensio 2020/3, eine von Thomas O’Loughlin ist für Peritia 32 (2021) angekündigt.
Alle drei Bücher sind auf ihre Art wichtige (aber auch teure) Ergänzungen zur Erforschung der spätantiken Historiographie: Die Ausgabe des Jordanes bietet mehr als eine Übersetzung, sondern ist auch eine nützliche Anlaufstelle zum Nachleben antiker Literatur im 6. Jh. Die Fragmente stellen eine exzellente Diskussion der behandelten Werke dar, nur über die Prinzipien der Aufnahme kann man diskutieren. Der Clavis ist als so gut wie vollständige Liste spätantiker Geschichtswerke ein in dieser Form einmaliges Arbeitsinstrument, auch wenn die Nachlässigkeit im Detail eine wesentlich überarbeitete zweite Auflage unausweichlich macht.