Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

544–549

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

(1) Schwarz Wentzer, Thomas (2) Wunder, Bernhard (3) Pangritz, Andreas

Titel/Untertitel:

(1) Bewahrung der Geschichte. Die hermeneutische Philosophie Walter Benjamins.
(2) Konstruktion und Rezeption der Theologie Walter Benjamins. These I und das "Theologisch-politische Fragment".
(3) Vom Kleiner- und Unsichtbarwerden der Theologie. Ein Versuch über das Projekt einer "impliziten Theologie" bei Barth, Tillich, Bonhoeffer, Benjamin, Horkheimer und Adorno.

Verlag:

(1) Bodenheim: Philo 1998. 373 S. gr.8 = Monographien zur philosophischen Forschung, 277. ISBN 3-8257-0089-5.
(2) Würzburg: Königshausen & Neumann 1997. 173 S. gr.8 = Reihe Epistemata, 223. DM 39,80. ISBN 3-8260-1381-6.
(3) Tübingen: Theologischer Verlag 1996. 306 S. 8. DM 34,90. ISBN 3-929128-04-7.

Rezensent:

Hans Martin Dober

Das Interesse am Werk Walter Benjamins ist nicht erlahmt, aber die Fragestellungen, die die Bemühung um dessen Interpretation leiten, haben eine andere Richtung genommen. Bei allen Unterschieden im Vorverständnis, im methodischen Zugang und in dem jeweiligen erkenntnisleitenden Interesse lassen sich Gemeinsamkeiten in den Fragestellungen der drei hier ausgewählten Arbeiten feststellen: nicht nur folgen sie allesamt der Grundeinsicht Benjamins, "daß alles menschliche Wissen, wenn es sich soll verantworten können, die Form der Interpretation haben muß" (Benjamin, Briefe 1 [1910-1928]. Hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Gershom Scholem und Theodor W. Adorno, Frankfurt/M. 1978, 323), sondern es findet sich auch eine geschärfte Aufmerksamkeit auf Theologie und Religion in den Schriften dieses Denkers, Literaturkritikers und Essayisten.

1. Thomas Schwarz Wentzers Monographie rekonstruiert die Bedingungen der "Geschichte" als "Raum der diskontinuierlichen Ideenwelt und der in ihr geretteten Gehalte" (a. a. O., 354) in der Einheit der "Philosophie Walter Benjamins" (a. a. O., 36). Während diese Aufgabe schon Rolf Tiedemann in der Schule der Kritischen Theorie in einem weitgehend an Hegel orientierten (und zu Heidegger in Opposition gebrachten) Deutungsmuster auf sich genommen hatte (ders., Studien zur Philosophie Walter Benjamins. Mit einer Vorrede von Theodor W. Adorno, Frankfurt 1973), verfährt Schwarz Wentzer nun so, dass einschlägige Texte des Frühwerks in ihrem gedanklichen Gehalt und Zusammenhang mit mäeutischer Hilfe Heideggers rekonstruiert werden. So sucht er die Philosophie Benjamins als eine "hermeneutische" (a. a. O., 36) zu erweisen.

Indem er Heideggers Sprachphilosophie mit dem frühen Sprachaufsatz Benjamins und seiner Theorie der Übersetzung, und den Kunstwerkaufsatz des Ersteren mit der aus dem Goethe-Essay und dem Trauerspielbuch zu rekonstruierenden Ästhetik des Letzteren ins Gespräch bringt, schafft er die Voraussetzungen dafür, ein "kohärentes Erscheinungsbild" der Philosophie Benjamins (a. a. O., 355) geben zu können: Dessen enigmatisch scheinenden Texte geben somit einen verborgenen Zusammenhang von Fragestellungen zu erkennen, deren philosophischer Rang unverborgener von Heidegger dargestellt worden ist. Dass diese Interpretation nun aber keine Projektion des einen Denkens auf das des anderen darstellt, oder eine Gerichtsverhandlung, bei der die im Rahmen des einen Denkens ausgearbeitete Frage dem anderen eben diese Rahmenbedingungen im Vorgang des Fragens schon mit aufprägte, ist durch die feine Bestimmung der Differenz des Denkens beider offensichtlich genug. Während nämlich "die ontologische Dimension" (a. a.O., 356), in der sich die Hermeneutik Benjamins vom Dekonstruktivismus Derridas unterscheiden soll, mit Heidegger erschlossen wird, werden Begriff und Struktur des Vorgangs einer Übersetzung, um den es sich im Fall dieser Interpretation handelt (vgl. a. a. O., 335), aus Benjamins Texten gewonnen. Zwar habe man zwei "Entwürfe im Zeichen einer Hermeneutik der Diskontinuität" (a. a. O., 354, vgl. 35) vorliegen, doch um im Vergleich diesen gemeinsamen geistigen Gehalt (dass sich in einem "Übersetzungsakt ... der Trieb der Sprache zur Wahrheit" [a. a. O., 335] manifestiere), wahrzunehmen, mussten "die Überlegungen zu Heideggers Kunstwerkaufsatz ... mit Benjamins Modell der messianischen Hermeneutik konfrontiert", mussten "Brücken ... gebaut" (a. a. O., 353) werden: d. i. eine Metapher, die von einem Differenzverhältnis ausgeht, das nicht in "Vorstellungen des Kontinuums" immer schon aufgehoben ist (Benjamin, Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bände I-VII, Frankfurt/M. 1978-1989, hier: Bd. I/3, 1236; im Folgenden zitiert: GS I-VII). Als nicht übersetzbar erweist sich im Zuge dieses Vergleichs eben die Benjaminsche "Annahme einer messianischen Dimension, die im Verstehen aktualisiert werden kann" (a. a. O., 356). Zwar liefert auch Heidegger den Terminus einer "Bewahrung der Geschichte" (a. a. O., 337), der Benjamins Kritik als ihre Scheidung vom Mythos interpretiert (a. a. O., 353). Doch "während Benjamin ... in den Formen der Kritik ... das Moment des Ursprungs der Geschichte verortet, vorverlegt [sic] Heidegger dieses Moment in die Kunst bzw. Dichtung selbst" (ebd.). Es ist dies eine Differenz, die Schwarz Wentzer auf den jeweils leitenden Wahrheitsbegriff zurückführt: "die Idee einer messianischen Welt als ,allseitiger und integraler Aktualität’" (ebd.) finde bei Heidegger ebenso wenig eine Entsprechung wie die "Idee der reinen Sprache als der wahren Sprache" (ebd.).

Zur Begründung dieses Fazits ist der lange und beschwerliche Weg einer einlässlichen Interpretation von Benjamins (vollendetem) Hauptwerk, dem Trauerspielbuch, bewältigt worden. Ohne hier alle erhellenden Einzelaspekte der Analyse namhaft machen zu können, lässt sich sagen: Das verborgene Gradnetz dieses Denkens wird im Zusammenhang mit der Dissertation über "Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik" (a. a. O., 209 ff.) und dem Aufsatz über "Goethes Wahlverwandtschaften" (a. a. O., 227 ff.) so luzid rekonstruiert, dass im Licht der in der erkenntniskritischen Vorrede anverwandelten Ideenlehre und unter Voraussetzung des in ihr entwickelten Ursprungsbegriffs die Konstellation dieses komplexen Buches zur Darstellung kommen kann. Der "Sachgehalt des Trauerspielbuches" (a. a. O., 302 ff.) gibt seinen "Wahrheitsgehalt" (a. a. O., 320 ff.) zu erkennen in der "dreifachen Konkretisierung als Darstellung der Idee des Trauerspiels, des Barock und der Geschichte" (a. a. O., 325). In der methodischen Entscheidung für eine einlässliche Rekonstruktion des im frühen Werk entwickelten "hermeneutischen Geschichtsdenkens" (a. a. O., 326) liegt der Ertrag eines gut begründeten Nachvollzugs der Einheit dieses Denkens, aber nun auch eine Begrenzung: zwar lässt sich ein Exkurs auf die Strukturanalogie zu den "Reflexionen ,Über den Begriff der Geschichte’" (a. a. O., 326) ein, nicht aber wird die Fülle des konkreten Materials im Zusammenhang der Arbeit an den "Passagen" weiter thematisch (vgl. dazu neuerdings: Christoph Lienkamp, Messianische Ursprungsdialektik. Die Bedeutung Walter Benjamins für Theologie und Religionsphilosophie [Denktraditionen im Dialog, Bd. 3], Frankfurt/M. 1998; Susan Buck-Morss, Dialektik des Sehens. Walter Benjamin und das Passagen-Werk, Frankfurt/M. 1993).

2. Der philosophische Rang des hermeneutischen Grundzugs im Denken Benjamins ist von Schwarz Wentzer so gründlich wie mit Weitblick und plausibel rekonstruiert worden. Der dessen spezifische Differenz zu Heidegger leitende Terminus des Messianischen blieb aber relativ unbestimmt im Sinne einer die Wahrheitskonzeption unterscheidbar machenden regulativen Idee. Bernhard Wunder hat nun die Frage nach dem Verhältnis dieses Terminus zur Christologie aufgeworfen: dieses Terminus, dessen Bedeutung in der jüdischen Tradition alles andere als homogen ist, gerade so aber für eine flüssige Hoffnung eintritt, die im christlichen Bekenntnis eine Kristallisation erfahren hat. Dass Benjamin, seinem Wort über Ernst Blochs "Geist der Utopie" zufolge, diese historisch und systematisch ausdifferenzierten Zusammenhänge für "undiscutierbar" hielt (a. a. O., 87.93f. 131 ff.; vgl. Benjamin, Briefe 1, 234), gewinnt Plausibilität vor dem Hintergrund spezifischer kultureller Bedingungen der Zeit: Zu ihnen wird man den schwierigen Umgang mit Modernisierungsprozessen rechnen können, wie er sich in den ideenpolitischen Debatten um das Verständnis von "Säkularisierung" niederschlug, die, wie insbesondere an Carl Schmitt zu sehen ist, auch konfessionell gefärbt waren (vgl. a. a. O., 71 ff.). Vor dem Hintergrund von Benjamins Auseinandersetzung mit diesem Rechtsgelehrten, die hier hinsichtlich ihrer implizit theologischen Dimension eine so knappe wie klare Interpretation erfährt, sieht Wunder in der "Inkarnationsfrage mit ihrem eigenen repräsentationslogischen Konzept ... eine der Schlüsselpositionen für eine Auseinandersetzung der christlichen Theologie mit Benjamin" (a. a. O., 79).

Die "maßlose Universalpolemik" (Benjamin, GS VI, 100), die er hinsichtlich seiner Deutung des Religionsproblems der Moderne vermeiden wollte, drohte auch hinsichtlich der Deutung seines Messianismus. Wunder hat nun damit begonnen, der Ambivalenz einer Inversion der Theologie dadurch zu begegnen, dass er Verborgenes ans Licht hebt und eine Diskussion des "Undiscutierbaren" führt. Dem ist umso mehr Bedeutung beizumessen, als sich die Wirkung dieser Inversion in der Ambivalenz der Rezeptionsbemühungen um das Werk Benjamins deutlich abgezeichnet hat. Die inverse Theologie Benjamins kann aber (d. i. angesichts ihrer postmodernen Rezeption zu sagen) nur dann davor bewahrt werden, der Beliebigkeit einer Interpretation zu verfallen, wenn man den Spuren der theologischen Begriffe folgt, die wie Splitter in die Texte dieses Autors versprengt sich finden. Auch dies ist eine Bemühung um die Rettung von Geschichte, hier: der Geschichte von Religion und Theologie. "In keinem Fall kann die Benjamin-Forschung auf die christlich-theologische Fragestellung verzichten, will sie nicht von der Problemstellung Benjamins selbst absehen" (a. a. O., 148).

Man wird diesen Versuch Wunders nun aber nicht missverstehen dürfen: Nicht das Geheimnis individueller Religion, das man mit Anklang an Benjamins eigene Worte "nicht ausplaudert", wird hier in einem "Jünglingswahnsinn" (Nietzsche) ans Licht gezogen, sondern es werden unter Wahrung der Unterscheidung von Theologie und Religion (und d. h. unter Wahrung der Diskretion ihrer individuellen Gestalt) Fragen gestellt, die die Eigenart theologischer Begriffe betreffen und insofern für die gegenwärtige Explikation christlicher Theologie selbst relevant sind, und das nicht nur in ihrer katholischen Prägung, auf die vor allem der Autor sich bezieht. Nicht ist das Interesse an Triumphen einer begrifflich als überlegen zu erweisenden historischen Religionsgestalt hier leitend, sondern die Suche nach den Bedingungen eines angemessenen Ausdrucks von Theologie.

Diese nährt sich vor allem an der Frage, ob man "Geschichte noch sachgemäß (heils-)theologisch beschreiben" könne (a. a. O., 11) und was in diesem Zusammenhang "das Eingedenken bei Benjamin als theologische Größe" qualifiziere (ebd.). Der Autor verifiziert die grundsätzliche Dimension eines geschärften Problembewusstseins über den theoretischen Status von theologischen Begriffen überhaupt nun aber nicht nur an den als Monaden verstandenen Texten, die der Titel der Untersuchung nennt. Vielmehr wird die Grenze der Reichweite der "gewohnten Begriffslogik" (a. a. O., 11) in Interpretation des Kafka-Essays näher zu bestimmen gesucht, in dem ihr Autor es mit der "Erkrankung der Tradition" (zit. a. a. O., 145) aufgenommen hat, die für ihn bei Kafka zum Ausdruck kommt. Dass Benjamin in diesem Zusammenhang von einer "Entstel-lung der Offenbarung" (a. a. O., 139) und einem "Ertasten der Erlösung" (a. a. O., 140) spreche, verweise auf einen Status des theologischen Begriffs, der sich nicht mehr durch "begriffliche Identität, Eindeutigkeit, Sinn" beschreiben lasse, sondern durch eine "Sehnsucht nach dem Unsagbaren, unangebbaren Ende der profanen Ordnung" (a. a. O., 147), Sehnsucht, die nicht immer schon "eine Police aufs Dasein" (ebd.) besitzt. "Umkehr und Studium" als "a-theologische Kategorien im Sinne des Offenbarungsinhaltes" (a. a. O., 144) werden zu theologischen Kategorien aber "im Sinne der messianischen Aufmerksamkeit" (ebd.), welche ihrerseits unabschließbar und vieldeutig bleiben muss (a. a. O., 142). Dass die Haltung der Hoffnung, der das Wissen abgeht, "ob sie ankommt ... [oder] letztlich ungestillt bleiben wird" (a. a. O., 144), aber selbst eine Tatsächlichkeit darstellt, deutet die Bestimmung der Aufmerksamkeit als "das natürliche Gebet der Seele" (zit. a. a. O, 144) bei Malebranche nur indirekt an. Diese Haltung lässt eine Affinität zum "Begriff des Glaubens" nicht als "des adäquaten Verhaltens zu der Offenbarung" (zit. a. a. O., 134) erkennen, zur fides quae creditur also, sondern zur fides qua creditur.

Wunder hatte sich vorgenommen, "zweierlei Einfallswinkel" zu prüfen: "einerseits den Einfallswinkel des Theologischen bei Benjamin, andererseits den Einfallswinkel Benjamins in der christlichen Theologie" (a. a. O., 17; vgl. den Überblick über die christliche Rezeption dieses Autors: a. a. O., 18-44). Sein Fazit lautet: dass "eindeutige, begriffslogische Erkenntnis ... an messianischer" "zerschellt" (a. a. O., 128), stellt nur die Kehrseite des Problems dar, "Benjamin in seinen inhaltlichen Aussagen fest zu vertäuen" (ebd.). Ist damit das "hermeneutische Problem [hier: der Theologie] ... unlösbar geworden" (a. a. O., 147) oder verweist es auf eine ontologische Gründung auch des Denkens Benjamins, wie Schwarz Wentzer zu erweisen sucht? Jedenfalls ist es zu differenzieren hinsichtlich der grundsätzlichen Frage nach dem Status des theologischen Begriffs überhaupt und hinsichtlich der anderen Frage nach dem modernitätstheoretischen Index einer Erkrankung der heilsgeschichtlichen Tradition oder eines Begriffs von Wahrheit, die "mit Zeit bis zum Zerspringen geladen" ist (Benjamin, GS V/1, 578).

3. Andreas Pangritz hat seine Darstellung Benjamins im Spiegel der Kritischen Theorie primär in den Zusammenhang protestantischer Debatten gestellt. Während hier vor allem nach der Herausforderung und Nutzbarkeit des Konzepts einer "impliziten Theologie" gefragt wird, schrumpft deren Verhältnis zur Religion auf den kleinsten Nenner zusammen, dass Benjamin in einem frühen Brief von seinem bewussten Judentum gesprochen habe (a. a. O., 121). Eben dieser kleinste Nenner bürgt aber für das messianische Motiv, das Pangritz mit Leo Löwenthal zur Geltung bringt (a. a. O., 123): Benjamins "Überzeugung von der immer wartenden Gegenwärtigkeit des messianischen Funkens" (zit. a. a. O., 234).

Welche Bedeutung der Autor nun der Benjaminschen Inversion theologischen Denkens beimisst, zu deren Kontextualisierung er durch die Darstellung ähnlicher theoretischer Figuren und Modelle in der protestantischen Theologie einen wichtigen Beitrag leistet (a. a. O., 23-107), macht schon die Abbildung auf dem Bucheinband deutlich. Sie erinnert an die erste der Thesen "Über den Begriff der Geschichte", in der von einer Theologie die Rede ist, die verborgen in einem Schachautomaten es mit der Geschichtsphilosophie, hier: mit dem "historischen Materialismus" aufnehmen kann (die "Thesen" werden später diskutiert: a.a. O., 174 ff.; vgl. dazu auch: Wunder, a. a. O., 62 ff.). Methodisch geht Pangritz so vor, dass er u. a. vor dem Hintergrund der Arbeit von Rolf Wiggershaus (ders., Die Frankfurter Schule - Geschichte. Theoretische Entwicklung. Politische Bedeutung, München 1988) die Debatte mit Horkheimer, Adorno u. a. (a.a.O., 138 ff.) als Medium der Darstellung wählt, weniger aber sich auf eine Detailanalyse der Texte Benjamins einlässt (wie die anderen genannten Interpreten). Die kurze Übersicht über einige Texte des frühen Werkes (a. a. O., 126-137), die das Hauptwerk "Ursprung des deutschen Trauerspiels" allerdings ausspart, wohl aber auf den Surrealismus-Essay (1929) mit seinen "Prolegomena der Passagen-Arbeit" (zit. nach a. a. O., 135) zu sprechen kommt, dient vor allem dem Erweis, dass in der Kritischen Theorie eine verborgene Theologie präsent ist, und bereitet so die Frage vor, ob diese "eine besondere Theologie überflüssig" mache (a. a. O., 226).

Das die Darstellung leitende Interesse ist denn auch weniger eine einlässliche Verstehensbemühung, die sich auf das Verhältnis von Religion, Ästhetik und Theologie richtete, als vielmehr die Frage, was dieser "Philosoph einer negativen Theologie" (L. Löwenthal, zit. a. a. O., 123) für eine institutionalisierte Theologie bedeuten könne, die Pangritz zufolge auf Grund eines "heimlichen Klerikalismus" (a. a. O., 124) von einer "Betriebsblindheit" (ebd.) geschlagen (gewesen) sei (Barth wird hier ausdrücklich ausgenommen [a. a. O., 227 ff.], auch wenn dessen frühere Äußerungen ein oszillierendes Bild ergeben [a. a. O., 27]). Diese habe sich darin gezeigt, dass der Kritik Benjamins und Horkheimers an Theodor Haecker nichts Vergleichbares an die Seite gestellt worden sei (a. a. O., 157 ff., bes. Anm. 44). Wie bei Wunder wird der Auseinandersetzung mit dem Werk Kafkas hier eine zentrale Bedeutung beigemessen (a. a. O., 138ff.). Und wie bei Lienkamp (ders., a. a. O., 129 ff.) gilt den Spuren des Apokatastasis-Gedankens im Zusammenhang der mystischen Vorstellung von Tikkun-Olam besondere Aufmerksamkeit (Pangritz, a. a. O., 186 ff.), um schließlich im Ausgang von der Debatte um das Verhältnis von Materialismus und Theologie, in der Äußerungen von Brecht und Scholem die extremen Pole bezeichnen (a. a. O., 206 ff. hier: 207), die Frontverläufe der Rezeptionsgeschichte bis hin zur "musiktheoretischen Säkularisierung und Rettung von Theologie" bei Adorno (a. a. O., 218) und Horkheimers "Sehnsucht nach dem ,anderen’" (a. a. O., 222) zu markieren.

Die Arbeit plädiert für den Einbezug kritischer Theorie in eine mit Karl Barth (a. a. O., 227 ff.), Paul Tillich (a. a. O., 234) und Dietrich Bonhoeffer (a. a. O., 239 ff.) vorbereitete theologische Diskussion. Bei aller Differenz der Genannten zu Benjamin werden Zweifel an dessen eigener Äußerung zu Barth geltend gemacht, dass die "Opposition ... fast durchgehend sein müßte" (a. a. O., 239): Zweifel, die den Supranaturalismus-Vorwurf Tillichs ebensowenig mehr voraussetzen wie eine Verwechslung der dialektischen Theologie Barths mit der Gogartens oder Bultmanns, und "Möglichkeiten eines Gesprächs" (a. a. O., 240) eröffnen. Dieses wird von Pangritz aber nicht (wie bei Wunder) auf theologische Sachkomplexe geführt, sondern auf (hochschul-)politische Konsequenzen, die aus der ambivalenten Stellung der Theologie als Wissenschaft gezogen werden könnten. Seine Diskussion von "Alternativen zum Organisationsmodell deutscher theologischer Fakultäten" (a. a. O., 244), wie es im Rekurs auf eine von Barth in den Blick genommene und kritisch gegen Tillichs "Transformation der Theologie in Kulturwissenschaft" (a. a. O., 53-80) entwickelte "Grenzmöglichkeit einer Auflösung der Theologie in ,Kulturphilosophie’" (a. a. O., 37.47, vgl. 238) vorgetragen wird, sucht Benjamins Modell einer inversen Theologie als Legitimationsinstanz zu erweisen, und das zumal in der Interpretation Fritz Liebs (a. a. O., 241 f.).

Dass dieses Modell einen spezifischen kulturellen und historischen Index hat, ist durch den Vergleich mit den dargestellten protestantischen Positionen deutlich genug geworden. Auch wenn darüber hinaus die grundsätzliche Aufgabe der Theologie betont wird, "sich in die Diskussion um die gerechte Gestaltung des Diesseits einzubringen" (a. a. O, 244), gerät hier doch aus dem Blick, dass eine Inversion der Theologie nur (nach-)vollzogen werden kann, wenn auch ihre explizite Gestalt tradiert wird. Der inversen Theologie kann ihre Bedeutung nur erhalten werden, wenn das Implizite auch explizit gemacht wird (bzw. gemacht werden kann). Dass die Auflösung der Theologie "als besonderer Wissenschaft" (a. a. O., 244) dazu die institutionellen Bedingungen schüfe, vermag nicht zu überzeugen. Dass die Theologie "selbst ... das Bedürfnis haben [müsse], in ... [dem] Sinne ,kleiner und unsichtbar’ zu werden", dass sie sich für theologische Fragestellungen öffnet, "die innerhalb der anderen Wissenschaften je und je aufbrechen", ist allerdings eine Forderung, die gegen Tendenzen "institutioneller Erstarrung und Monumentalisierung" ernst zu nehmen ist (a. a. O., 246).