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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1167-1169

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Maeir, Aren M., Berlejung, Angelika, Eshel, Esther, and Takayo-shi M. Oshima[Eds.]

Titel/Untertitel:

New Perspectives on Aramaic Epigraphy in Mesopotamia, Qumran, Egypt and Idumea. Proceedings of the Joint RIAB Minerva Center and the Jeselsohn Epigraphic Center of Jewish History Conference, Ramat-Gan/ Jerusalem/Leipzig 2017 and 2018. Research on Israel and Aram in Biblical Times II.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. VI, 348 S. = Orientalische Religionen in der Antike, 40. Lw. EUR 124,00. ISBN 9783161598944.

Rezensent:

Christian Stadel

In der alttestamentlichen Forschung lässt sich in den letzten hundert Jahren eine deutliche Schwerpunktverschiebung feststellen. Auch vermeintlich alte Texte aus der Zeit des Ersten Tempels werden nicht mehr ausschließlich wegen ihres ursprünglichen Kerns gelesen, den es freizulegen gilt. Vielmehr rückt die Analyse der Endgestalt der Texte, die erst in persischer und hellenistischer Zeit Form annahm, in den Vordergrund. Interessanterweise scheint aber in dieser formativen Periode das Hebräische in Juda und Samaria fast nur noch Literatursprache gewesen zu sein. Epigraphische Zeugnisse, Schriftfunde, die sich aufgrund ihres archäologischen Kontextes in die Perserzeit oder in die Zeit nach Alexanders Eroberung datieren lassen, sind fast ausschließlich aramäisch (wie ja auch einige Abschnitte in den Büchern Daniel, Esra und Jeremia). Um den Entstehungskontext des Alten Testaments zu verstehen und die literarischen hebräischen Texte historisch und ideengeschichtlich einordnen zu können, muss man sich also mit den aramäischen Alltags- und Literaturtexten persischer und hellenistischer Zeit beschäftigen, die sowohl in Juda und in Samaria als auch in angrenzenden Gebieten (bis nach Mesopotamien und Ägypten) in großer Zahl gefunden wurden. Dies ist (unter anderem) das erklärte Ziel des Minerva Center for the Relations between Israel and Aram in Biblical Times, das an der Universität Leipzig und der Bar-Ilan University in Israel angesiedelt ist und Konferenzen zu verschiedenen Aspekten dieses Themenkomplexes organisiert. Die Früchte zweier solcher Zusammenkünfte werden im vorliegenden Band veröffentlicht.
Die ersten sechs Aufsätze behandeln Alltagstexte aus dem Zweistromland (Fales, Levavi und Zadok), einen literarischen Papyrus aus Ägypten (Holm und Porten) sowie die literarischen aramäischen Qumranrollen (Machiela). Drei weitere Aufsätze sind hunderten kurzen Verwaltungstexten auf Tonscherben, sogenannten Ostraka, aus Idumäa gewidmet (Lemaire, Gross und Zadok). Vier der Studien sind so speziell, dass eine genauere Auseinandersetzung im Rahmen dieser Zeitschrift fehl am Platz wäre: Yuval Levavi (17–33) untersucht, was neubabylonische Texte aus Uruk über das Verhältnis zur babylonischen Südprovinz, dem Meerland, offenbaren. Auch wenn das Gebiet wahrscheinlich von aramäischsprachigen Gruppen bewohnt war, bleibt der genauere Bezug zum Thema des Bandes doch unklar. Ran Zadok analysiert in seinem ersten Aufsatz (34–69) die sprachliche Herkunft der für das Babylonien der neubabylonischen bis sassanidischen Zeit belegten Personennamen und versucht daraus vorsichtig Rückschlüsse auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung (oder ihre Sprache) zu ziehen. Andrew Gross zeigt die Probleme auf, den in den idumäischen Ostraka genannten König Alexander entweder mit Alexander dem Großen oder seinem Sohn zu identifizieren (165–178). Ran Zadoks umfangreicher zweiter Aufsatz (179–314) enthält etymologische Untersuchungen zu einigen technischen Begriffen aus den idumäischen Ostraka sowie eine systematische Analyse der Personennamen mit Vergleichen zu anderen Korpora.
Für den Alttestamentler relevanter sind informative und gut lesbare Überblicksdarstellungen zu einzelnen aramäischen Textkorpora. Mario Fales führt in die Welt und Sprache der aramäischen Bei- und Aufschriften auf neuassyrischen Verwaltungstexten auf Tontäfelchen ein (5–16). Diese ca. 500 kurzen und in technischer Sprache geschriebenen Texte datieren aus dem 8. und 7. Jh. v. Chr. und stammen aus neuassyrischen Verwaltungszentren in Nordostsyrien und dem Nordirak. Sie tragen zwar inhaltlich wenig zum Verständnis biblischer Texte bei, sind aber ein erstes deutliches Zeichen für die stetig wachsende Bedeutung und geographische Ausbreitung des Aramäischen, erst als gesprochene Sprache und dann auch als Schriftsprache der Verwaltung. Akkadisch-aramäische Zweisprachigkeit im neuassyrischen und danach auch im neubabylonischen Reich bildet den Hintergrund für den intensiven und folgenschweren Kontakt von ursprünglich hebräischsprachigen Yahweanhängern mit dem Aramäischen, der ab dem Babylonischen Exil einsetzt.
Daniel Machiela stellt die religiöse aramäische Literatur aus Qumran vor (70–91), die der Zahl der Handschriften nach etwa 15 % des in den Höhlen gefundenen Textmaterials ausmacht. So divers diese Texte auch sind, zeigen sie doch gemeinsame literarische Merkmale, die Machiela (mit anderen) als Hinweis auf ein relativ kohärentes Korpus deutet: Im Gegensatz zu den hebräischen Qumranrollen handelt es sich meist um narrative Texte, die in der Zeit der Vorväter oder in der babylonischen Diaspora verortet sind und oft Abschnitte enthalten, die sich den Gattungen von Abschiedsrede, Hofgeschichte oder Vision zuordnen lassen (das Buch Daniel schließt sich hier nahtlos an). Die Gemeinsamkeiten setzen sich auch bei einem genaueren Blick auf behandelte Themen (etwa Feinheiten von Ehevorschriften) oder die Terminologie fort, so wie bei den von den hebräischen Texten deutlich verschiedenen Gottesbezeichnungen. Machiela macht den interessanten Vorschlag, dass diese aramäischen literarischen Texte allesamt im 4. bis 2. Jh. v. Chr. und für ein breiteres Publikum verfasst wurden, vielleicht nicht einmal ausschließlich für ein jüdisches. Erst unter den Hasmonäern änderte sich der prägende Stil jüdischer Literatur wieder, und das Hebräische erlebte einen Aufschwung als Literatursprache.
Bezalel Porten bietet eine lesenswerte Forschungsgeschichte zum ominösen Papyrus Amherst 63 (117–135). Dieser fragmentarische Text aus dem 4. Jh. v. Chr. in demotischer Schrift (einer späten, kursiven Variante der Hieroglyphen) ist zwar schon seit dem Ende des 19. Jh.s bekannt, er blieb aber enigmatisch, bis es in den 1940er Jahren gelang, einen kurzen Abschnitt als aramäisch (und trotz der Schrift eben nicht ägyptisch) zu lesen. Der demotisch-aramäische Text bietet noch viele Rätsel und die vorgeschlagenen Interpretationen weichen teils stark voneinander ab. Unstrittig ist aber, dass ein Abschnitt in Kol. XII eine aramäische (henotheistische?) Version von Psalm 20 bietet. In ihrer Detailstudie zu diesem Papyrus (92–116) schlägt Tawny Holm vor, dass die liturgischen Teile in Kolumen I bis XVII (und darunter auch die Psalmversion) speziell die Stellung der mesopotamischen Göttin Nanay betonen.
Schließlich präsentiert André Lemaire den Forschungsstand zu den ca. 2400 aramäischen Verwaltungsostraka aus dem Idumäa des 4. Jh.s v. Chr. (139–164). Die Texte führen die Bedeutung des Aramäischen in unmittelbarer Nachbarschaft Judas klar vor Augen. Der Inhalt der kurzen Notizen ist zwar ausschließlich technischer Natur, er lässt aber Einblicke in das System der Zwangsarbeit in der persischen Verwaltung zu, das auch bei der Beschreibung von Nehemias Mauerbau vorausgesetzt ist. Außerdem belegen die Texte die Existenz eines Yahwe-Tempels im eigentlich paganen Idumäa.
Die Bedeutung des Aramäischen für das Verständnis Israels zur Zeit des Zweiten Tempels ist kaum zu überschätzen. Das reiche epigraphische Material, das Einblicke in den Entstehungskontext der hebräischen Bibel gibt, ist allerdings oftmals nur dem Spezialisten bekannt und zugänglich. Die vier Überblicksdarstellungen in diesem Band schaffen hier Abhilfe und stellen verschiedene aramäische Textkorpora aus der Umwelt des Alten Testaments kurz vor.