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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1055–1057

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Costley, Angela

Titel/Untertitel:

Creation and Christ. An Exploration of the Topic of Creation in the Epistle to the Hebrews.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. VIII, 367 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 527. Kart. EUR 94,00. ISBN 9783161565021.

Rezensent:

Wolfgang Kraus

Das Buch stellt die überarbeitete Dissertation von Angela Costley dar, die im Jahr 2018 am St. Patrick’s College der Pontificial University, Maynooth in Irland eingereicht wurde. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass durch die Konzentration auf die Hohepriesterchristologie als Hauptthema des Hebräerbriefs (Hebr) andere Themen vernachlässigt wurden, so auch das Thema Schöpfung (1). Als explizite Referenztexte zum Thema Schöpfung nennt die Vfn. Hebr 1,2; 1,10–12; 2,5–9.10; 3,1–6; 4,3–4.9–10, daneben 9,11.26; 11,3. Nachdem das Thema gehäuft in Hebr 1–4 begegnet, sind dies die Kapitel, auf die sich die Arbeit insbesondere bezieht.
Chapter 1 und 2 klären Vorfragen. Chapter 1 bietet eine »Introduction« in das Thema (1–47), Chapter 2 »Literature Review and Status Quaestionis« (49–82).
Den methodischen Zugang zu ihrem Untersuchungsgegenstand wählt die Vfn. in der Discourse Analysis nach der sogenannten »English School«, die einen »systemic-functional approach« bevorzugt (11). Als Ziel benennt sie: »In identifying creation as a theme running through Hebrews, we are interested in understanding how it fits into the greater scheme of the Epistle. […] The goal is thus exegetical and it is hoped that in this thesis, discourse analysis will contribute to an exegetical investigation into our topic.« (12) Was folgt, ist eine Einführung in »key concepts« der »systemic-functional DA« (13–26). Daran anschließend bietet die Vfn. »Hermeneutical Considerations« (27–44), innerhalb derer traditionelle Einleitungsfragen zum Hebr geklärt werden. Überlegungen zum »Genre« folgen (45–47).
Chapter 3: »Christ the Agent of Creation in the Exordium« (83–107) bildet dann das erste genuin exegetische Kapitel. Hierbei lautet ihre These: »Some scholars have proposed that the emphasis in the exordium is on the Son’s exaltation […] others on the idea that God has spoken through his Word […] or on Jesus, the Son […] I here posit that the sacrifice and exaltation of Christ are encompassed within an incarnational description of the Son which sets the scene for the argumentation to come.« (104, Anm. 65) Die einzelnen Elemente des Exordiums werden dadurch zusammengehalten, dass der Sohn als »agent of creation« verstanden wird (105). Die »sacrificial activity« ist der Rolle als Sohn Gottes und »agent of creation« untergeordnet (107.106).
Chapter 4: »Creation and the Vocabulary of 1:2–3« (109–151) untersucht das mit dem Thema Schöpfung zusammenhängende Vokabular: tous aioonas, apaugasma, charakteer, feroon te ta panta. Was das Verständnis von aioon angeht, so sieht die Vfn. enge Parallelen zu Philo (115), wenngleich auch erhebliche Differenzen festzustellen sind (117). Auf’s Ganze gesehen kommt die Vfn. zu dem Schluss, dass sich weder der räumliche noch der zeitliche Aspekt bei aioon ausschließen lässt (135). Die nächste untersuchte Begrifflichkeit ist apaugasma und charakteer, die als »Meronyme« angesehen werden (135). Bei apaugasma entscheidet sich die Vfn. für aktives Verständnis (141). In Aufnahme von Paul Ellingworth lautet ihr Ergebnis: »in the present verse charakteer tees hypostaseoos reinforces apaugasma tees doxees in describing the essential unity and exact resemblance between God and his Son.« (144 f.) Ferroon te ta panta bezieht sich auf die Rolle Christi als »›upholding‹ creation« (150). In einem Exkurs zu Hebr 11,3 (151–159) sieht die Vfn. in tous aioonas zeitliche und räumliche Aspekte gleicherweise eingeschlossen. Es gehe in Hebr 11,3 – ganz gleich, wie die grammatische Konstruktion aufgelöst werde – darum, dass die Welt ex nihilo ge­schaffen wurde (157).
In Chapter 5: »The Hidden Significance of 1:10–12 in the Co-text of 1:5–14« (161–198) geht es um die Bedeutung der erstaunlichen Aussage in V. 10–12 im Zusammenhang der Schriftkatene V. 5–14. Ein Exkurs über Engel schließt sich an (198–201). Hebr 1,10–12 stellt ein Zitat aus Ps 102(101),25–27 dar, das ursprünglich eine Aussage über Gott enthielt, jetzt aber als Wort Gottes an Jesus gerichtet wird. Bei der Frage, ob es sich bei der Erwartung bezüglich der Schöpfung um »destruction« oder »renewal« handelt, entscheidet sich die Vfn. mit Philip Church für »renewal« (193 ff.), was man mit Blick auf Hebr 12 in Frage stellen kann (hier hätte ein Blick in Wilfried Eiseles Arbeit hilfreich sein können).
In Chapter 6: »The Descent of the Son for the Ascent of Human-ity« (203–235) geht es um die Frage, ob der Autor das Zitat aus Ps 8 anthropologisch oder christologisch gelesen hat (besonders 214 ff.). Die Vfn. votiert dafür, dass der Hebr mit einer anthropologischen Lektüre beginnt und mit einer christologischen endet (222 ff.). Die Behauptung, brachys werde stets temporal verstanden (211, Anm. 26), lässt sich m. E. so nicht halten. Mit diesem Verständnis eng verbunden ist die Frage, ob man in Hebr 2 wirklich das zeitliche Schema von Erniedrigung-Erhöhung wiederfinden darf. V. 9 wird zwar häufig so interpretiert. Was den Adressaten des Hebr m. E. Anstoß bereitet hat, ist die »Unsichtbarkeit« des Heils. Es lässt sich nur im Glauben erkennen. »Sehen« kann man nur den Gekreuzigten. Der Glaube erkennt im Gekreuzigten den Erhöhten. Dabei ist nicht an ein zeitliches Nacheinander gedacht. Die Christologie des Hebr darf nicht auf dem Hintergrund von Phil 2 verstanden werden. »Erniedrigung und Erhöhung, Menschsein Jesu und Gottes Identifikation mit ihm sind nicht zwei aufeinander folgende Etappen, sondern ein einheitliches Geschehen.« (Gerd Schunack, Hebräerbrief, 33)
In Chapter 7: »The Creation and the Exodus, Joshua and Jesus« (237–287) geht es zunächst um Hebr 3,1–6 (237–260). Die Vfn. will zeigen, dass Hebr 3,3–4 auf Jesus als Baumeister und Schöpfer bezogen sind, wobei dann theos in V. 4 adjektivisch zu verstehen wäre. Danach fragt die Vfn., was mit »Haus« gemeint sei (247 ff.). Der Begriff könnte einfach das Volk Gottes bezeichnen, die Vfn. diskutiert jedoch auch, ob es sich um das Heiligtum (249 f.) oder den Kosmos (250 f.) handeln könnte. Der nächste analysierte Text ist Hebr 4,1–11 (260–287). Es geht vor allem um die Interpretation des Ruhemotivs aus Ps 95(94) in Bezug auf die Ruhe Gottes am Ende der Schöpfung, Gen 2,2. Dabei geht die Vfn. davon aus, dass katapausis und sabbatismos letztlich den gleichen Inhalt haben. (Es ist hier nicht der Ort, die wenigen Druckfehler aufzuzählen, aber ein Punkt ist zu nennen: Auf S. 260.278.312 wird die starke griechische Verneinung mit ei durch »if« übersetzt. Das dürfte kaum zutreffen, vgl. BDR § 454,5.)
Chapter 8 bietet die »Conclusion« (289–297), in der die Ergebnisse gebündelt werden. Es folgen zwei Apparate, einer mit Begründungen für Übersetzungsentscheidungen (299–314), einer mit Überlegungen zur Makrostruktur des Hebr (315–323). Umfangreiche bibliographische Angaben (nicht nur englischsprachige Literatur!) und Indizes schließen die Arbeit ab.
Ob die Soteriologie des Hebr mit Beziehungen zu Schöpfungsmotiven verbunden ist (so die Ausgangsfragestellung) wird man bejahen dürfen (289). Aber ob das für die Vfn. so zentrale »descent-ascent motif« tatsächlich die bedeutende Rolle spielt (289), scheint mir fraglich. Die Vfn. findet es belegt in 1,1–4, in 1,5–14 in umgekehrter Folge sowie in 2,5–9. Dass es sich bei der Aussage »durch den er auch die Welten geschaffen hat« (Hebr 1,2) um den – wie Diskurs-analytiker sagen würden – »›most reportable event‹ in the exordium« handeln soll (290), scheint mir zweifelhaft. Das Motiv der Erhöhung Christi zur Rechten der Majestät, das sich durch den ganzen Hebr verfolgen lässt und ein »Leitmotiv« darstellt (1,3; 1,13; 8,1; 10,12; 12,2, wobei in Hebr 8,1 ausdrücklich von kefalaion ge-sprochen wird, also der Hauptsache), scheint mir hingegen unterbewertet. Die zugespitzte These, wonach »creation« das »dominant motif, in comparison to Hebrews’ priestly depiction of the Son« darstellen soll (296), hat mich nicht überzeugt. Gleichwohl hat die Vfn. eine interessante These veröffentlicht. Die Diskussion wird erweisen, ob sie sich wirklich bewährt.