Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1050–1053

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rudnig-Zelt, Susanne

Titel/Untertitel:

Glaube im Alten Testament. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Jes 7,1–17; Dtn 1–3; Num 13–14 und Gen 22,1–19.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. XIV, 417 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 452. Geb. EUR 123,95. ISBN 9783110318685.

Rezensent:

Thomas Naumann

Wenn nach dem Glauben im Zeugnis des Alten Testaments gefragt wird, fallen sofort berühmte Stellen ein – etwas das Wort Jesajas an König Ahas in Jes 7,9, das Luther kongenial mit »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht« übersetzte, oder Abraham unterm Sternenzelt, dessen Glaube von Gott als Gerechtigkeitstat angerechnet wird (Gen 15,6). Der Begriff des Glaubens wird im Hebräischen von einem Verb mit der Grundbedeutung »beständig, zuverlässig sein« gebildet, gewinnt aber sein besonderes theologisches Profil in den Hifil-Bildungen von ’aman. Es ist jene Begrifflichkeit, die in der Septuaginta vorzugsweise mit pisteuein übersetzt wird, woran sich der neutestamentliche Glaubensdiskurs anschließt. Diesem theologischen Gebrauch gilt das Interesse der Arbeit von Susanne Rudnig-Zelt, die auf eine Habilitationsschrift an der Universität Jena zurückgeht. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die theologischen Diskurse freizulegen, die hinter der Verwendung von ’aman hif. liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, verbindet sie systematische Aspekte der Begriffsanalyse mit einer redaktionsgeschichtlichen Methodik, mit der sie insbesondere Jes 7; Dtn 1–3; die Geschichten vom Murren Israels in der Wüste (Num 13–14) und die Episode von der Erprobung Abrahams (Gen 22) bearbeitet. In der zuletzt genannten Episode ist von Abrahams Gottesfurcht, nicht von ’aman hif. die Rede. Die Bearbeitung dieser Szene im Blick auf die Vorstellung von Abrahams Glauben dient ihr für den Nachweis, dass für Abrahams Erprobung ’aman hif. deshalb nicht genutzt wird, weil der Begriff sehr viel enger gefasst ist als der allgemeinere Begriff der Gottesfurcht. Denn die Vfn. ist der Überzeugung nachweisen zu können, dass hinter der Verwendung von ’aman hif. im Alten Testament (51 Belege) ein ganz einheitlicher Gebrauch steht, hier also ein begriffliches Denken fassbar wird, das »man heute gemeinhin bei der Verwendung philosophischer oder theologischer Begriffe erwartet.« (9) Die ältere Forschung war dagegen der Überzeugung, »daß die theologische Verwendung von ’mn hi. keineswegs einheitlich ist« und »sein Gebrauch den Verschiebungen im Gang der israelitischen Religionsgeschichte folgt« (Wildberger, in: THAT I [1978], 193). Die Begriffsgeschichte erarbeitet die Vfn. wie folgt: Für Bildungen mit dem Verb ’aman gilt der Grundgedanke: »Ich vertraue auf jemanden oder etwas, weil ich ihn/es für zuverlässig halte.« Daraus wird in der Übertragung auf Gott der theologische Gebrauch entwickelt: »ich glaube an Gott, weil ich ihn für zuverlässig halte«. Damit geht es nicht allein um Vertrauen, sondern immer schon um das Erkennen Gottes. Deshalb muss im Deutschen mit »glauben« und nicht mit »vertrauen« übersetzt werden, »weil das der besonderen Verbindung von für wahr halten, und sich verlassen entspricht« (12). Glauben und Urteilen gehören zusammen. Mit ’aman hif. werde aber nicht eine naive und optimistische Gottesbindung ausgedrückt: »Man schenkt Vertrauen und glaubt, weil man allen Grund hat, positiv zu urteilen.« Es geht eher um eine Gottesbindung, die Anfechtung, Zweifel, Unglauben oder Abwehr Gottes kennt und hinter sich gelassen hat, so dass mit ’aman hif. eine Gottesbeziehung von besonderer Macht angesprochen wird, die allein Gott die Ehre gibt und sich rückhaltlos an Gott bindet. Es ist dieses alttestamentliche sola fide, das im Neuen Testament vielfach aufgenommen wird.
Die Vfn. eruiert folgende Etappen der Begriffsgeschichte: In einer ersten Phase der Verwendung von ’aman hif. wird ein Glaube, der sich auf die Anerkenntnis von Gottes Rettungstaten stützt, der auf dem Überzeugtwerden durch Zeichen beruht, in vielfacher Weise problematisiert. Gen 15,6; Jes 7,9 repräsentieren spätere Stadien, hier komme der Glaube, bevor Gott seine Macht zeigt. Es ist eine Haltung, die keine Wunderzeichen mehr braucht. Der älteste Beleg von ’aman hif. und Ausgangspunkt der Begriffsgeschichte ist für die Vfn. Dtn 1,32, wo Mose den Israeliten vorhält, dass sie im Unglauben verharren, obwohl sie die sichtbaren Zeichen von Gottes Führung durch die Wüste erlebt haben. Aber schon dieser Beleg (der jünger ist als die Priestergrundschrift und die Zusammenarbeit von P und Nicht-P bereits voraussetzt) problematisiert einen optimistischen Glaubensbegriff (der sich auf überlieferte Gotteswunder der Heilsgeschichte und auf die Harmonie von Glauben und menschlichem Urteilsvermögen stützen kann). Dieser sei typisch für die Grundschrift der Priesterschrift (frühnachexilisch). Erst aus der Problematisierung dieser Sichtweise erwachse überhaupt der theologische Gebrauch von ’aman hif. »Die Diskussion über Glauben im Alten Testament beginnt in Dtn 1,32 damit, daß das Rätsel des Unglaubens angesprochen wird.« (356) In dem Maße, wie Gottes Macht zweifelhaft wird und klar wird, dass sie sich nicht offensichtlich in der Welt durchsetzt, geht es darum, worauf sie Glauben stützen kann.
Die Ursache für Israels Unglauben in Dtn 1,32 liegt nicht in Gott, der sich am Sinai offenbart und in der Wüste inmitten seines Volkes war, sondern im Menschen. Unglaube ist letztlich rätselhaft, nicht nachvollziehbar und liegt auch nicht daran, dass die Menschen zu wenig von Gott wissen. Jüngere Stimmen verteidigen wiederum die Harmonie von Glauben, indem sie die Erweiswunder für den Glauben steigern, etwa in der Weise, wenn das Wunder nur groß genug ist, bewirkt es sehr wohl Glauben (Ex 4,1–9; 14,31; Ps 106,11 f.). Andere bestreiten, dass Wunder den Menschen dazu bringen können, an Gott zu glauben.
Diese Debatte spiegelt sich auch in Jes 7,9 und in Gen 15,6: Glaube braucht keine Wunder. Es reichen natürliche Zeichen (Sterne, Geburt eines Kindes). Vor allem kommt es auf »die Grundhaltung des Menschen an, auf seine Offenheit oder Verschlossenheit gegenüber Gott« (358). Und die Stärke Abrahams wird darin gesehen, dass der Ahnvater diese Offenheit gegenüber Gott mitbringt, während bei König Ahas dessen reservierte Grundhaltung (»ich will Gott nicht versuchen«) als Symptom der Verschlossenheit gegenüber Gott begegnet. Die Frage, warum Abraham diesen Glauben hat, nicht aber König Ahas, werde im Alten Testament dann nicht mehr beantwortet. Diese grundsätzliche Offenheit gegenüber Gott ist auch die Voraussetzung für die tätige Umkehr der Niniviten in Jona 3. Für die Vfn. macht der theologische Begriff ’aman hif. eine Entwicklung durch, bei der sich unter Abweisung verschiedener Möglichkeiten, die Gottesbeziehung angesichts ihrer Schwierigkeiten zu begründen, die Ansicht festigt, dass es sich beim Glauben um eine unableitbare Offenheit gegenüber Gott handelt. Mir fiel dazu Rabbiner Michael Wyschogrod ein, der angesichts einer durch die Schoa fraglich gewordenen Gottesbeziehung schrieb: Glaube heißt für Abraham in Gen 15,6, »darauf vertrauen, dass Gott seine Verheißung erfüllen wird, wiewohl kein Mensch sehen kann, wie Er es tun könnte. […] In unserer Zeit schließt das den Glauben ein, dass trotz Auschwitz Gott Seine Verheißung erfüllen wird, Israel und die Welt zu erlösen. Kann ich verstehen, wie das möglich ist? Nein. […] Aber mit Abraham glaube ich, dass er es tun wird.« (Brocke, M./Jochum, H. [Hgg.] Wolkensäule und Feuerschein, München 1982, 185.)
Eine andere signifikante Linie liegt in der Frage, wie sich Glauben zu »gottgemäßem« Handeln verhält. Hier sieht die Vfn. in ihren Quellen eine »Tendenz die Bedeutung des Gesetzes zu relativieren« (352). Schon in Dtn 1,32 ist die Verschuldung nicht mangelnde Toratreue, sondern Unglauben. Und in den Murrgeschichten oder in Jes 7 ist es unerheblich, ob die Protagonisten das Gesetz befolgen. Auch bei Abraham werden beide Bundesschlüsse von Gott gewährt, weil er glaubt (Gen 15,6; 17,1; Röm 4,11). Allerdings »führt dieses alttestamentliche sola fide nie so weit, daß der Glaube explizit im Gegensatz zum Tun des Gesetzes gesehen wird« (354), zumal der späte Psalm 119,66 ausdrücklich Toragehorsam und Glauben verbindet – eine wichtige Grenzziehung.
Wie kommt in diesen Diskursen die Gottesprüfung Abrahams (Gen 22) ins Spiel? Auch dieser Episode widmet die Vfn. eine gründliche Untersuchung. Zentrales Thema ist die Glaubensprobe Abrahams, allerdings ist hier nicht von ’aman hif., sondern von »Gottesfurcht« die Rede. Für die Vfn. ist das nur konsequent, denn »Gottesfurcht« sei nicht dasselbe wie ’aman hif. Beide Begriffe würden sich grundlegend unterscheiden. Zwar werde auch in Gen 22 die Gottesbeziehung problematisiert, aber es geht um eine anders gelagerte Schwierigkeit. Ging es bei ’aman hif. um das Problem, ob sich der Mensch vor Gott verschließt oder für ihn offen bleibt, geht es bei der Gottesfurcht um eine große Vielfalt unterschiedlicher Gotteserfahrungen. Überwiegend gehe es dabei nicht um Krisen mit Gott, sondern um die Verbindung von Respekt gegenüber Gott und gutem Handeln an den Mitmenschen (Gen 20,11; 42,18; Ex 1,17.21; 18,21). Die mit Gottesfurcht ausgedrückte Gottesbeziehung bleibt meistens harmonisch, kann aber auch wie in Gen 22 eine Gotteskrise ausdrücken. Ging es bei ’aman hif. darum, worauf der Glaube gründet, so ist in Gen 22 eine sehr viel tiefere Krise der Gottesbeziehung ausgesprochen, weil hier Gott nicht ferngerückt gedacht wird, sondern als willkürlich und grausam Fordernder naherückt. Die Gottesfurcht, die Abraham aus dem Himmel attestiert wird (Gen 22,12), würdigt, dass der Ahnvater stumm und stur gegen den Glaubensverlust ankämpft, an seinem Glauben an Gottes Güte festhält und auf diese Weise hofft, dass sie sich trotz Gottes dunkler Forderung vom Anfang schließlich durchsetzt.
Ich habe hier im Wesentlichen die Ergebnisse im Blick auf den Glaubensdiskurs ins Blickfeld gerückt. Man muss der Vfn. bescheinigen, dass sie eine theologisch anspruchsvolle und prägnante These zum Gebrauch von ’aman hif. vorgelegt hat, die auch für eine gesamtbiblische Theologie anschlussfähig ist. Ich habe jedenfalls Lust bekommen, mit den erhellenden Unterscheidungen der Vfn. weiter zu arbeiten. Und jede weitere Untersuchung wird sich daran messen lassen müssen. Man muss allerdings festhalten, dass nicht alle 51 Belege von ’aman hif. behandelt wurden und man auf die Diskussion aller Belege, wie sie in den Handbüchern vorliegt (THAT, ThWAT), auch künftig nicht wird verzichten können.
Die Erarbeitung des Glaubensbegriffs ist in elaborierte redaktionsgeschichtliche Analysen eingebunden (allein zu Jes 7 ca. 50 Seiten). Diese sind durch einen ausgeprägten Hang zur Spätest-Datierung geprägt und vom Optimismus durchdrungen, die Wachstumsgeschichte einzelner Texte bis in kleinste Nuancierungen erheben zu können. Der Vfn. zufolge beginnt die Krisendiskussion um den Glaubensbegriff literaturhistorisch erst zu einer Zeit, als die Tora mehr oder weniger fertig redigiert war (Zusammenarbeit von P und Nicht-P), also vielleicht im späten 5. Jh. v. Chr. Der Grundtext von Gen 22 allerdings soll bereits die Morija-Erwähnung aus 2Chr 3 kennen und von hier aus formuliert worden sein. Auf meiner historischen Zeitleiste wird es wirklich knapp, wenn Gen 22 postchronistisch einer schon kanonischen Tora hinzugefügt worden sein soll, von den weiteren Fortschreibungen ganz zu schweigen. Denn für das 3. Jh. v. Chr. liegen bereits Quellen zur Rezeption von Gen 22 vor (LXX, wohl auch das Jubiläenbuch). Auch scheint mir die skizzierte Entwicklungsgeschichte des Glaubensdiskurses zu einlinig. Problematisierungen der Got-tesbeziehungen finden sich schon bei den Propheten und vollends in der exilischen Literatur. Die Glaubenszuversicht der Priesterschrift scheint mir nicht so naiv und optimistisch, wie die Vfn. annimmt, sondern gleichwohl krisenerprobt, auch wenn sie Harmonie gegen die Krise stellt.
Das sind aber keine echten Einwände. Man muss der Vfn. sehr danken, für ihren Mut zur begrifflichen Klarheit und systematischen Kraft der Synthese, mit dem sie die Glaubensvorstellungen in den von ihr untersuchten Textbereichen herausgearbeitet hat. Künftige Forschung wird darauf aufbauen und dann auch klären, wie sich ’aman hif. zu verwandten Konzepten und Begriffen im Alten Testament verhält.