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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

534–537

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Himmighöfer, Traudel

Titel/Untertitel:

Die Zürcher Bibel bis zum Tode Zwinglis (1531). Darstellung und Bibliographie.

Verlag:

Mainz: von Zabern 1995. XIV, 500 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Religionsgeschichte, 154. Lw. DM 98,- ISBN 3-8053-1535-X.

Rezensent:

Joachim Rogge

Was hier leider etwas verspätet, aber ohne Verschulden des Rez., anzuzeigen ist, lag bereits im Winteresemester 1992/93 dem Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Mainz als Dissertation vor. Die ausgezeichnet bewertete und deshalb mit guten Gründen in die Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte aufgenommene Hochschulschrift behandelt die Geschichte der Zürcher Bibel in ihren ersten 101 Ausgaben zwischen 1524 und 1566 (432), in extenso aber ihre Erscheinungsweisen bis 1531. In den Beilagen finden sich dankenswerterweise und zu jeder Weiterarbeit anregend tabellarische Überblicke über die Zürcher Bibelausgaben in dem genannten Zeitraum, eine dementsprechende Bibliographie für das 16. Jh. mit den präzise angegebenen Fundstellen (437-477) und ein reichhaltiges Verzeichnis der einschlägigen Sekundärliteratur (478-489). Somit wird eine Forschungslücke für die nach der Luther-Bibel "wichtigste Bibelübersetzung in deutscher Sprache" (Umschlagtext) geschlossen, die angesichts der vielfältig vorhandenen Forschungsliteratur zur Bibelübersetzung des Wittenberger Reformators schon des Öfteren empfunden und bedauert wurde (U. Gäbler und G. W. Locher).

Die Hauptthese der Vfn. ist ganz einfach diese, dass Huldrych Zwingli selbst der "Übersetzer und Glossator" der Oktav-Ausgabe des Zürcher Neuen Testaments von 1524 war (129). Damit widerspricht die Vfn. dem bisherigen Forschungstrend, der großenteils eine Zurückhaltung des Reformators angesichts mehrerer Übersetzer behauptet hatte. Allerdings findet sich expressis verbis kein klarer Übersetzerhinweis; eine Fülle von der Vfn. vorgestellter Indizien weist jedoch schon kurz nach Zwinglis Reformationsbeginn auf seine Autorschaft hin. Während auch angesichts mehrerer Mitarbeiter bei Luthers Übersetzungsarbeit der Wittenberger Reformator immer selbst als der Autor der Luther-Bibel angesehen wurde, wird bis zur Neuübersetzung in den Jahren 1907 bis 1931 die auf Zwingli zurückgehende Version als "Zürcher Bibel" deklariert. Demgegenüber sei von Anfang an festzuhalten: "Zwingli übersetzte aus dem griechischen Urtext immer wieder von neuem. Diese Tatsache gilt nicht nur für das Jahr 1522, als Luthers ,Septembertestament’ noch nicht vorlag: obwohl Zwinglis Übertragungen nach 1523 ab und zu Elemente aus der Lutherübersetzung aufzugreifen scheinen und obschon Zwingli den Basler Nachdruck des ,Septembertestaments’ lobte und - nach eigenen Aussagen- immer wieder einmal benutzte, blieb er seinem Verfahren, selbständig und unmittelbar aus dem Griechischen zu übersetzen, in der Regel auch nach 1523 treu." (132)

Offenbar hat die Vfn. die Erforschung des Zustandekommens von Bibelausgaben für sich zu einer Art Lebensaufgabe gemacht, die sich auch schon vor ihrem Opus magnum literarisch beobachten lässt. Auf dem Hintergrund ihrer theologischen, germanistischen und pädagogischen Studien reichte sie 1985 in Mainz eine Prüfungsarbeit ein, die 1986 als Band 12 der Veröffentlichungen des Vereins für pfälzische Kirchengeschichte erschien und "Die Neustadter Bibel von 1587/88" zum Gegenstand hatte. Diese "erste reformierte Bibelausgabe Deutschlands" wird hinsichtlich ihrer Entstehung und ihres Ambientes auf dem Hintergrund der Initiativen von David Pareus unter Einbeziehung des Interesses "an einer pädagogisch einprägsamen Vermittlung theologischer Inhalte" (a. a. O., 92) und der "Verteidigung der reformierten Lehre gegen dreierlei Fronten" (97) untersucht, so dass die Vfn. nicht nur ihre historisch-kritischen, sondern auch ihre theologisch-pädagogischen und frömmigkeitsbezogenen Ambitionen erkennen lässt, ähnlich wie in dem hier anzuzeigenden Werk, das schon im Inhaltsverzeichnis die "Verteidigung der reformierten Lehre gegen dreierlei Fronten" nun auch für die Zürcher Bibel thematisiert (409).

Die Fülle der angebotenen Details zur Präzisierung des Hauptanliegens wird für den Nicht-Fachmann immer wieder im Laufe der Darstellung pädagogisch gekonnt verdichtet, so etwa in der Bekanntgabe der "Desiderate in der Erforschung der Zürcher Bibel" (3-6) und in der Summierung aller Einzelergebnisse im Schlusskapitel der Darstellung: "Die Zürcher Bibel von ihren Anfängen bis zur Confessio Helvetica Posterior (1566) - Zusammenfassung und Ausblick." (422-432) Die Vfn. sieht für Entstehung und Entwicklung "der Zürcher Bibel aus der anfänglichen Abhängigkeit von den Bibeleditionen Luthers hin zu einem selbstbewussten, eigenständigen Schweizer Bibelwerk, wie es in Zwinglis Todesjahr 1531 vorlag, ... fünf große(n) Schritte(n)" (422):

Bis zur Erstausgabe des Oktav-Testaments 1524 kannte und benutzte Zwingli die Vulgata, das "Novum Instrumentum" des Erasmus 1516 (12) (d. h. die Ausgabe eines griechischen Neuen Testaments), dessen "Novum Testamentum" von 1519, das auch Luther vorlag, und Luthers Septembertestament von 1522. Die Mitarbeiter am Reformationswerk, der geniale Pfarrer und Philologe Leo Jud, der Buchdrucker Christoph Froschauer, aus dessen Pressen die meisten späteren Ausgaben der Zürcher Bibel kamen, und Konrad Pellikan, der die in Basel edierten Nachdrucke des Septembertestaments bearbeitete, halfen wirksam zum Zustandekommen des Neuen Testaments 1524 in Zürich. In Kapitel 4 beschreibt H. nicht nur diesen Druck, sondern auch die Veränderungen gegenüber Luthers Erstveröffentlichung 1522. Kommentierungen, Glossierungen des Bibeltextes und wörtlichere, philologisch getreue Übersetzung lassen im Vergleich mit den zeitgenössischen Zwinglischriften die Autorschaft des Reformators selbst erkennen. Für die Vfn. stehen "Übersetzung und Glossierung" deutlich "im Dienst der reformierten Ethik und Ekklesiologie" (155), im Gegenüber zu Luthers theologischen Begriffen (Rechtfertigungslehre) und durch Tilgung "katholischer" Begriffe etwa in der Heiligenverehrung und in der Abendmahlslehre. In allem war somit "Huldrych Zwingli als Reformator Zürichs der eigentliche Schöpfer der Zürcher Bibel" (422) schon in der Erstphase des reformierten Bibeldrucks.

Von 1524-1528 gab es durch Zwingli und seine Mitreformatoren 10 Neue Testamente und 7 Teilausgaben des Alten Testaments, und zwar in Quart und Folio. In dieser zweiten Phase des Übersetzungswerks spielte die Zürich-spezifische "Prophezei" eine wesentliche Rolle, die man unter Zwinglis Führung keinesfalls als prophetisch-charismatische, sondern als intensiv an der Sola Scriptura hermeneutisch orientierte Arbeitsgruppe verstehen muss.

In einer dritten Phase entstanden 1529 Übersetzungen der Propheten und Apokryphen, die in Folio, Oktav und Sedez (Buchform mit Bögen von je 16 Blättern) gedruckt schon vor Luthers Gesamtausgabe 1534 bald zur Vollbibel führten.

Das unablässige Weiterarbeiten an der Bibelübertragung durch die namentlich oben genannte kleine Gruppe unter Zwinglis Endverantwortung brachte in einer vierten Phase 1530 die erste in der Schweiz gedruckte deutschsprachige Vollbibel der Reformationszeit in Oktavformat (357), die in Kapitel 12 des vorliegenden Werkes nach Text, Vorrede, Druckvorlagen, Parallelstellen, Glossen und dem Bibeltext beigefügten Summarien ausführlich beschrieben wird (357-421).

"Den Höhepunkt in der Geschichte der frühen Zürcher Bibeln" schließlich (425) "bildete die in den poetischen Büchern von Grund auf neu übersetzte Folioedition von 1531." Sie enthält eine "umfassende und weitreichende Kommentierung des Bibeltextes" (426), die die Theologie Zwinglis ebenso wie Inhalte des erasmischen Humanismus aufweist. Glossen, Parallelstellen und dem Text vorangestellte Summarien in großer Zahl lassen wesentliche Teile ethisch gerichteter reformierter Theologie erkennen. Katholischen, lutherischen und täuferischen Implikationen wurde dabei ,unerschrocken’ widersprochen. "Die Heilige Schrift war damit zur Instanz der Entscheidung theologischer Kontroversen geworden. Im Grunde genommen setzte hierdurch eine Aufweichung der für die Reformation grundlegenden Maxime ,sola scriptura’ ein (a.a.O.), die sich bis zur Confessio Helvetica Posterior 1566 fortsetzte" (426-432). Am Anfang solcher Übersetzungsleistung steht allerdings Zwingli: "Der Vergleich von Neuübersetzungen und Beigaben der einzelnen Zürcher Bibel(teil)editionen mit Zwinglis deutschen und lateinischen Schriften, Übersetzungen, Kommentaren, Exegetica und Randglossen" (426) ergibt seine primäre Autorschaft.