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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

989–991

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Krämer, Klaus, u. Klaus Vellguth [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt. Eine Einladung zum Dialog.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 304 S. = Theologie der Einen Welt, 16. Geb. EUR 25,00. ISBN 9783451379543.

Rezensent:

Heinrich Balz

Der Titel des Buches geht zurück auf eine leider nicht mit abgedruckte sechsseitige Erklärung (»Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt«), die 2011 gemeinsam vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog, der Weltweiten Evangelischen Al-lianz und dem Ökumenischen Rat der Kirchen unterzeichnet wurde. Außer der ungewohnten Weite der Beteiligten hat sie die Besonderheit, nicht eine Theologie der Mission, sondern einen »in­nerchristlichen Ethikkodex für Mission« zu formulieren. Die Theologie bleibt vorläufig ausgeschlossen, dennoch erscheint der Band in der Reihe »Theologie der einen Welt«. Die ökumenische Weite wird wesentlich in katholischer Regie vorgestellt, die wenigen protestantischen Autoren fungieren als Gäste. »Dialog« ist weit gefasst, er meint nicht nur die Begegnung mit anderen Religionen, sondern auch den Dialog ad intra zwischen verschiedenen Bestrebungen in der katholischen Weltkirche. Der Band und die Erklärung wollen einführen in ein komplexes Thema, setzten aber als materiale Dokumentationen über viele Konferenzen und offizielle Verlautbarungen schon einige Vorbildung der Leser voraus. Die Verbindung der zwanzig Beiträge zum Ausgangsdokument, gewöhnlich ChZ abgekürzt, variiert erheblich: Einige kommentieren es im Detail, andere nehmen mehr allgemeinen Bezug auf es und auf den Rezeptionsprozess seit 2011, wieder andere verfahren völlig selbständig mit dem Thema in eigener, erst am Ende andeutungsweise konvergenter Suchbewegung. Die Herausgeber, beide vom Institut Missio Aachen, begnügen sich, die einzelnen Aufsätze locker zu Kapiteln zusammenzufügen. Eine Gesamtaussage hat sich der Leser am Ende zwischen den Zeilen zu suchen. Der Band weckt hohe Erwartungen, die er aber nur teilweise erfüllt.
Kapitel 1 gibt einen ersten Ausblick auf die Vielfalt der Kontexte weltweit. K. Vellguth sieht die Religiosität in Deutschland, ausgehend vom Bertelsmann-Monitor, wie ein Kaleidoskop, aber nicht hoffnungslos. F.-V. Anthony fragt für Asien nach der Bedeutung der Religionsstifter, besonders Gautama Buddhas, in Gottes Heilsplan. D. Irarrazaval sieht die gewandelte Lage Lateinamerikas als Herausforderung für die nicht mehr allbeherrschende katholische Kirche: Indigene Religionen, aber auch protestantische und pfingstliche Gruppen müssen neu einbezogen werden. A. Sawadogo aus Burkina Faso sieht in Afrika den religiösen Frieden durch neu aufkommende Radikalismen in Gefahr und plädiert für laizistische Verfassungen der Staaten als Rahmen guten Zusammenlebens.
Kapitel 2 fragt nach der Bedeutung des ChZ-Dokuments für unterschiedliche Kirchen. Eröffnet wird es mit dem ausdrücklich nicht-katholischen Beitrag von C. Anders und M. Biehl, der die Entstehung und Rezeption von ChZ in den ökumenisch protestantischen Kirchen nachzeichnet, besonders den Kongress »MissionRespekt« 2014 in Berlin: »Respekt« ist in einem Wort gefasst das Grundwort missionarischer Ethik im Umgang mit anderer Religion. Weit entfernt ist die Meinung und Mahnung des bedeutenden Theologen, der wenige Jahrzehnte zuvor geschrieben hatte, es müsse neben dem aufrichtigen Respekt um der theologischen Religionskritik willen »ebenso aufrichtige Respektlosigkeit« den Religionen und der Religion gegenüber geboten sein. R. Viviano be­fragt von ChZ aus die Minderheitskirchen Asiens: Allgemein tun sie eher wenig für den Dialog mit den sie umgebenden Mehrheitsreligionen. J. M. Vigil übt von ausdrücklich pluralistischer Posi-tion aus Kritik an ChZ: Der »einfältige Exklusivismus« des Do-kuments werde der veränderten religiösen Weltlage nicht gerecht. H. Vöcking von den Weißen Vätern sieht die Aufgabe der Kirche im gegenwärtigen Afrika mehr in der Diakonie als in der Begegnung mit Muslimen und Traditionalisten.
Kapitel 3 gibt Einblick in die bisherige Rezeption des Dokuments in verschiedenen Kontinenten. K. Krämer stellt Folge-Erklärungen von Kirchen- und Katholikentagen, von Evangelikalen und von Papst Franziskus die Enzyklika Evangelii gaudium vor. I. J. K. Kanakamalage umschreibt die missionarische Zeugnisaufgabe der Kirchen in Asien, die weiter besteht, aber ohne Proselytismus praktiziert werden soll. R. M. Bencke vom brasilianischen Christen-rat beschreibt den in ihrem Lande lebenden Pluralismus: Der Geist, das wiederkehrende »Sakrale« lebt in vielen Kulten, diese sind nicht als Bedrohung, sondern als Ausdruck der Liebe Gottes zu verstehen. C. Hantouche, eine Franziskanernonne, beschreibt ihr Tat-Zeugnis ohne Worte in Marokko, wo christliche Mission verboten ist.
Kapitel 4 handelt von ökumenischen Perspektiven der Mission. D. Sattler geht den ökumenischen Ansätzen in päpstlichen Dokumenten seit dem Vaticanum II nach. M. J. H. Shin zeigt, wie die anfängliche Konkurrenz protestantischer und katholischer Mis-sion in Korea schrittweise überwunden wurde. B. C. C. Bustillos be­handelt indigene christliche Theologie in Lateinamerika, »Teologia India«. M. A. Awinongyia gibt Einblick in die religiöse Gegenwart in Ghana und verweist auf die immer noch ungelöste Frage des kirchlichen Umgangs mit der Taufe polygamer Männer und Frauen.
Im 5. Kapitel »Von einer missionarischen Haltung zum interreligiösen Dialog« nimmt die Sammlung noch einmal Schwung auf und kommt, wenn auch eher mittelbar, einem verbindenden Ge­samtthema, einer Frage im Subtext näher. Das »von – zu« der Überschrift meint weniger eine geschichtliche Entwicklung als ein eröffnetes Panorama von Möglichem. Zwei Beiträge sind nicht nur ethisch, sondern ausdrücklich theologisch: K. von Stosch begründet, von Erfahrungen des Dialogs mit Buddhisten ausgehend, den für den interreligiösen Dialog notwendigen Verzicht auf missionarische »Absichten« christlicherseits, nicht aber auf missionarische »Haltung«, welche dem Gegenüber die Unbedingtheit der Zuwendung Gottes bezeugt. Gelingen kann interreligiöser Dialog aber nur, wenn beide Seiten in epistemischer Demut anerkennen, dass sie die Wahrheit noch nicht vollständig erkennen. A. Pieris aus Sri Lanka weist auf, wie die Minderheitskirchen in Asien Mt 28 mit Mt 25, den Maßstab des Endgerichts über die nichtchristlichen Völker zusammenbringen müssen. – S. Silber betont, dass in postkolonialer Zeit Mission wie Dialog sich der sozialen Peripherie und den Subalternen zuwenden, die keine eigene Stimme haben. Und A. J. Bwangatto aus Uganda berichtet über die Wirklichkeit der Mehrheitskirchen in Afrika, die sich um die Anwendung katholischer Soziallehre auf die Gesellschaft bemühen: Diakonie ist als christliches Zeugnis dringender als Dialog mit Islam oder christlichen Sondergruppen.
Dieser letzte Beitrag, der doppelt so lang ist wie alle voraufgehenden, spricht wohl auch die Sicht der Herausgeber aus: Vieles Ungewohnte und Rebellische hat Platz in der katholischen Weltkirche und ist ernst zu nehmen, aber die Ränder sind nicht die Mitte. Mehr als die »Einladung zum Dialog« bestimmt die Bemühung der außereuropäischen Kirchen der Wille, ihrer Berufung zum missionarischen Zeugnis gerecht zu werden.