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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

968–970

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Castelo, Daniel, and Kenneth M. Loyer [Eds.]

Titel/Untertitel:

T & T Clark Handbook of Pneumatology.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. 400 S. = T & T Clark Handbooks. Geb. £ 130,00. ISBN 9780567667410.

Rezensent:

Uwe Swarat

Der 1826 in Schottland gegründete Verlag T & T Clark, der u. a. durch Ausgaben von Karl Barth, Hans Urs von Balthasar und Edward Schillebeeckx sowie durch den International Critical Commentary zur Bibel bekannt wurde, ist heute eine Wortmarke des britischen Verlagshauses Bloomsbury. Seit 2012 erscheint bei ihm eine Reihe von Handbooks zu unterschiedlichsten Themen der biblischen und der systematischen Theologie, z. B. zu Early Christian Meals in the Greco-Roman World, African American Theology, Christian Theology and Climate Change, Thomas F. Torrance, Jesus and Film oder Theological Anthropology. Laut Mitteilung des Verlags handelt es sich um eine Reihe einbändiger Nachschlagewerke, die die Parameter eines Fachs oder eines Teilgebietes anhand des neuesten Forschungsstands vermessen wollen. Die eigens für diese Handbücher geschriebenen Beiträge sollen Geschichte, Methoden, aktuelle Debatten und die Zukunft des jeweiligen Forschungsgebiets behandeln. Forscher und Studienabsolventen sollen dadurch mit neuen Perspektiven auf bekannte Fragen und mit zuverlässigen Überblicken zur Forschungsgeschichte versorgt werden.
Der hier zu besprechende Band Handbook of Pneumatology ist im Oktober 2020 erschienen und enthält nach einer Einführung 37 Einzelbeiträge von 35 Autoren. Die Themen der Beiträge sind u. a. das Geistverständnis in neutestamentlichen Schriften (einzeln behandelt werden die synoptischen Evangelien, Paulus, die katholischen Briefe und das johanneische Corpus); Geist und Ökologie; das Filioque; afrikanische und asiatische Pneumatologien; Schwarze Theologen über den Geist; feministische Pneumatologie sowie Discernment, was man am besten wohl mit »Unterscheidung (der Geister)« oder »Urteilsbildung« übersetzt. Auch konfessionelle Perspektiven auf die Pneumatologie kommen in großer Breite vor: römisch-katholisch, ostkirchlich-orthodox, lutherisch, reformiert, anglikanisch, methodistisch, quäkerisch, pentekostal und charismatisch. Die baptistische Perspektive fehlt aber leider.
In einer Rezension können unmöglich alle 37 Einzelbeiträge besprochen werden. Darum will ich zunächst auf die Einleitung der Herausgeber und dann auf zwei Einzelbeiträge eingehen, die die Herausgeber selber verfasst haben. Beide Herausgeber sind Methodisten. Daniel Castelo gehört zur Free Methodist Church und wirkt als Professor an Seattle Pacific University and Seminary. Kenneth M. Loyer gehört zur United Methodist Church und dient als leitender Pastor einer Gemeinde in York, Pennsylvania.
In der Einleitung stellen die Herausgeber ihr theologisches Konzept für diesen Band vor. Es beruht auf einem integrativen Ansatz: Man könne, sagen sie, von Person, Identität und Werk des Heiligen Geistes nur in Übereinstimmung mit Person, Identität und Werk des Sohnes handeln, dürfe aber nicht zulassen, dass die Christologie die Pneumatologie in sich aufsauge. Man könne vom Heiligen Geist außerdem sowohl in ontologischen (substantialen) als auch in personalen Kategorien reden. Die Befähigung und Erleuchtung durch den Heiligen Geist beziehe sich sowohl auf den Glaubensakt ( fides qua creditur) als auch auf den Glaubensinhalt (fides quae creditur). Darum hätten sie als Herausgeber sich bei der Themenauswahl und bei der Wahl der Autoren bemüht, die Kluft zwischen Theologie und Glaube, Kirche und Hochschule zu überbrücken. Dieser Ansatz ist mir sympathisch. Ihr Glaubensbegriff, schreiben die Herausgeber weiter, schließe sowohl das personale als auch das gemeinschaftliche Element ein. Die Integration beider Elemente geschieht bei ihnen aber nur so, dass der Einzelne in die Gemeinschaft eingeschlossen ist. Darum haben sie sich auch entschlossen, in diesem Handbuch keine einzelnen Theologen zu behandeln, sondern nur kirchliche bzw. konfessionelle Traditionen und volkhafte Ausgestaltungen ( ethnic embodiments) in der Christenheit. Das denkende Individuum verschwindet also in den Kollektivgrößen Kirche und Volk. Der Grund für diese Entscheidung könnte allerdings, wie die Herausgeber selber andeuten (2), weniger im Glaubensbegriff liegen als in dem Willen, sich nicht länger mit »privilegierten, männlichen Europäern« zu beschäftigen. Konsequent durchgeführt würde dieses woke Identitätsdenken allerdings, so muss man sie warnen, zu intellektueller Verarmung führen.
Dass er kulturpolitisch auf der Höhe der Zeit ist, demonstriert der Herausgeber Castelo auch dadurch, dass er seinen Beitrag, der sich mit Perspektiven spanisch-sprachiger Personen in den USA befasst (sie werden oft als Latinos bzw. Latinas oder Hispanics bezeichnet), mit »Latinx Perspectives« überschreibt, um keine denkbare geschlechtliche Selbstidentifikation auszuschließen. Für die »Latinx«-Perspektive ist der Heilige Geist vor allem derjenige, der Gewohnheiten stört und Vorurteile überwindet. Als wichtigstes Beispiel dafür nennt Castelo die geschichtliche Erinnerung: Dass die Vorfahren der Latinx früher auf dem amerikanischen Kontinent angekommen waren als die Engländer, werde im üblichen Geschichtsbild der US-Amerikaner ebenso unterschlagen wie die Rolle von Untaten, Ungerechtigkeit, Leiden und Gewalt in der amerikanischen Geschichte. Mit Letzterem meint Castelo allerdings nicht die Untaten, die von den Spaniern an den amerikanischen Ureinwohnern begangen wurden, sondern die Marginalisierung der Latinx durch die englisch-sprachige Bevölkerung. Die Latinx sehen sich und ihre Vorfahren also nicht als Täter, sondern nur als Opfer. Dies sei keine »einseitige« Sicht der Geschichte, sondern eine »alternative«, zu der Latinx-Personen sich durch den Heiligen Geist ermächtigt fühlen. Latinx empfinden sich laut Castelo als Außenseiter und leben in Zwischenraum-Identitäten (z. B. weder ganz mexikanisch noch ganz amerikanisch), gewinnen aber Selbstvertrauen durch die Erkenntnis, dass auch der Heilige Geist eine Zwischenraum-Identität hat ( God of the in-between spaces; 323). So bietet uns dieser Beitrag ein Beispiel für postmodernes Stammesdenken in der Theologie.
Der andere Herausgeber, Kenneth M. Loyer, bleibt in seinem Beitrag »The Spirit, Mediation, and Sacramentality« ganz im Rahmen biblisch-theologischer Orthodoxie. Die Vermittlung von Gottes Gegenwart und Kraft in und für die Welt sieht er als Bestimmung des Heiligen Geistes sowohl bei der Schöpfung der Welt als auch in der Heilsgeschichte seit dem Sündenfall. Da die Gabe des Heiligen Geistes Gottes Volk in das Leben der Trinität hineinzieht, ist die Tätigkeit des Geistes, so Loyer, der Schlüssel zu einer wiederhergestellten Beziehung mit Gott und zu umformender ( transformational) Gotteserkenntnis (105). Auch Sakramentalität ist für Loyer ein hochgradig pneumatologisches Thema, weil die Sakramente (er denkt dabei nur an Taufe und Abendmahl) ihre Wirksamkeit von der belebenden Kraft des Heiligen Geistes her bekommen. Weil Taufe und Abendmahl von zutiefst gemeinschaftlicher Natur sind, stellt Loyer die Frage, ob nicht auch die Kirche »wie ein Sakrament« ist (107). Sie übermittle jedenfalls die Gegenwart Christi durch die Inspiration des Heiligen Geistes. In seiner Antwort auf diese Frage orientiert sich Loyer an John Wesley, der als »Gnadenmittel« ( means of grace) auch sakraments-ähnliche Praktiken wie Gebet und Bibellektüre bezeichnet habe. Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes gebe der Kirche darum »eine Art sakramentalen Charakter«. Eine Auseinandersetzung mit dem katholischen Konzept von Sakramentalität der Kirche (vgl. Vaticanum II, LG 1) findet aber nicht statt.
Die Beiträge sind gut geschrieben und weitgehend allgemeinverständlich. Sie werden insoweit der Absicht der Herausgeber gerecht, die Kluft zwischen Kirche und Hochschule zu überbrücken. Aus deutscher Perspektive sind sie vor allem dafür nützlich, einen Einblick in die aktuelle nord-amerikanische Theologie zu bekommen.