Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

913–916

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Verde, Danilo, and Antje Labahn [Eds.]

Titel/Untertitel:

Networks of Metaphors in the Hebrew Bible.

Verlag:

Leuven u. a.: Peeters Publishers 2020. X, 395 S. = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 309. Kart. EUR 85,00. ISBN 9789042942103.

Rezensent:

Frédérique Dantonel

Nach den beiden bisher erschienenen BETL-Bänden über biblische Metaphern, nämlich Metaphor in the Hebrew Bible, hg. von Pierre Van Hecke (BETL 187; 2005), und Metaphors in the Psalms, hgg. von Pierre Van Hecke und Antje Labahn (BETL 231; 2010), leistet dieser dritte Band, Networks of Metaphors in the Hebrew Bible, hgg. von Danilo Verde und Antje Labahn (BETL 309; 2020), einen weiteren wichtigen Beitrag zur biblischen Metaphernforschung, indem er sich auf die Beziehung und das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Metaphern in den Texten des Alten Testaments fokussiert. 21 Wissenschaftler untersuchen, wie Metaphern in der Dichtung des Alten Testaments auf vielfältige Weise zusammenwirken können. Sie beobachten und zeigen, wie biblische Metaphern oft in Ketten vorkommen, mal »Metaphernfamilien« bilden, die ein reiches Spektrum an Bildsprache bieten. Sie demonstrieren, wie ein und derselbe Quellenbereich oft Gedankencluster über eine Vielzahl von Realitäten inspirieren kann. Die biblischen Metaphern werden als ein ständig ineinandergreifendes und formbildendes Netzwerk von vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Zeichen und Bildern untersucht. Von den 21 Beiträgen, die sich einem hinführenden Text von Danilo Verde (Leuven) anschließen, fokussieren zwei die Torah, sieben die Nebiim und zehn Beiträge befassen sich mit den Ketubim. Ein Beitrag arbeitet mit Beispielen quer durch die Schrift und einer widmet sich den Klageliedern aus der Septuaginta. Ein Autorenindex und ein Verzeichnis der hebräischen Bibelstellen schließen den 395 Seiten umfangreichen Band ab.
Mit dem hinführenden Text On the interplay of metaphors in the Hebrew Bible (1–12) nennt D. Verde das angestrebte Ziel: Ausgehend von der Beobachtung, dass biblische Metaphern sehr oft in Ketten vorkommen, in der Dichtung des Alten Testaments auf verschiedene Weise mit- oder gegeneinander interagieren, untereinander modifizieren, verschieben, widersprechen oder verstärken können, sollen sie nicht als »isolierte Diskursereignisse« (P. Ricœur) untersucht werden, sondern als Teile von Metaphernclustern. Die Beiträge erfolgen vor dem Hintergrund der kognitivistischen Metapherntheorie im Anschluss an G. Lakoff und M. Johnson, Metaphors We Live By, Chicago 1980.
Den exemplarischen Auftakt gibt D. Verde mit »›Who is like you among the gods, o YHWH?‹ (Exod 15,11). The interweaving of metaphors in the Song of the Sea« (13–30). Im Hintergrund der Untersuchung zu den Metaphern im Moselied steht explizit die Argumentation von P. Ricœur: »A metaphor never comes alone. One metaphor calls for another and all together they remain alive thanks to their mutual tension and the power of each to evoke the whole network« (Biblical Hermeneutics, in Semeia 4, 1975, 94). Verde untersucht die Beziehung zwischen den verschiedenen Metaphern, aus denen sich das Lied zusammensetzt, arbeitet den »Fil Rouge« heraus, der sie zusammenhält, und hält fest, wie die Metaphern so kohärent miteinander verwoben sind und wie ein Netz wirken, dass sie ein Cluster bilden.
Alison Gray (Cambridge) widmet sich dem Deuteronomium mit »The affective dimension of metaphor clusters in Deuteronomy 4« (31–45). Mit den spannenden Konzepten des Rhetographen und der phanopoiea, die er als »Bedeutungen und Auswirkung von besonderen Metaphern« (35) definiert, erforscht Gray die visuellen Merkmale von Dtn 4,1–40 und demonstriert, wie Netzwerke von Metaphern eine »semantische Kompassnadel für ein einzelnes Bild in einem Text« (45) liefern können.
Die folgenden sieben Beiträge fokussieren die Prophetie. Francis Landy (Alberta/Canada) erläutert in »Metaphorical clusters in Isaiah 1–39« (47–60) exemplarisch, wie Metaphern eine Ansammlung von Oxymora bilden können und somit integrativ oder desintegrativ sein können, die Welt sowohl fragmentieren als auch zusammensetzen können. Boris Lazzaro (Rom), befasst sich mit einer einzelnen Metapher: »If the blind walk. The cognitive metaphor ›Knowing is seeing‹ and its elaboration in Isa 42,16« (61–77). Sein Ansatz will die Kategorien der kognitiven Linguistik mit denen der Grammatik und der Semantik verbinden, um die Metapher zu entschlüsseln und deren unterschiedliche Funktionen in ihrer semantischen Reichweite aufzuzeigen. Georg Fischer, SJ (Innsbruck) widmet sich dem Jeremiabuch: »From terror to embrace. Deliberate blending of metaphors in Jeremiah 30–31« (79–91). Er beleuchtet, wie der poetische Kern der »Schriftrolle des Trostes« (Jer 30,5–31,22) mehrere Arten von Netzwerken von Metaphern enthält, welche auf verschiedenen Ebenen, also innerhalb der einzelnen Einheiten, untereinander und über den poetischen Kern hinaus interagieren. Mit »Nature imagery in the interplay between different metaphors in the book of Ezekiel« (93–109) nimmt Dalit Rom-Shiloni (Tel Aviv) zwei Naturmetaphern unter genaue Betrachtung, nämlich erstens die Metapher von Israel als Weinstock, welche auf die »Bewohner Jerusalems« (Hes 15), Zedekia (Hes 17,5–10) und »die königliche Mutter/das Königreich Juda« (Hes 19,10–14) angewandt wird, und zweitens die Metapher von den letzten judäischen Königen als gejagten Löwen (Hes 19,1–9). Sie beschreibt die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Bild und Inhalt innerhalb dieser Metaphern und argumentiert, dass traditionelle Metaphern im Hesekielbuch auf innovative Weise benutzt werden, um einer »extremen exklusiven Ideologie zu dienen« (94). Göran Eidevall (Uppsala) erforscht, ob die verwirrende Reihe von Bildern und Metaphern in Hos 7,3–12 als Cluster betrachtet werden kann: »Of burning ovens, half-baked cakes, and helpless birds. Exploring a cluster of metaphors in Hosea 7« (111–122). Er geht den Fragen nach, ob die vorkommenden Metaphern als zusammenhängend und in Wechselwirkung stehend betrachtet werden können, inwieweit sich der jeweilige Übergang von einem Quellbereich zum anderen erklären lässt und wie eine solche Ansammlung verschiedener Metaphern zur Gesamtaussage des Hoseabuches beiträgt. Juan Cruz (Aberdeen/Scotland) widmet sich dem Netzwerk der Tochter Zion-Metapher im Buch Micha: »The network of the daughter Zion metaphor and other metaphors in the book of Micah« (123–138). Unter Verwendung von B. Harshavs Theorie der Metapher zeigt er auf, wie die verschiedenen Instanzen der Tochter Zion-Metapher mit anderen Metaphern im Michabuch interagieren. Ryan P. Bonfiglio (Atlanta) untersucht die Hirtenmetapher im zweiten Sacharja: »The Lord of hosts cares for his flock. Mapping the shepherd metaphor in second Zechariah« (139–155). Er beobachtet, dass die Verwendungsmuster, die im zweiten Teil des Sacharjabuches (Sach 9–14) zur Metapher des guten Hirten führen, immer nur auf Jhwh zielen. Dies erklärt er mit der These, dass das reiche Wissen über das Königtum in der Perserzeit – die er als die Zeit der Redaktion des zweiten Teils des Buches festhält – zu Implikationen für eine grundlegende Yhwh-ist-König-Metapher geführt habe, welche Assoziationen zwischen dem König und den Kriegern, den Bogenschützen und Hirten aufgreife. In »Commingled metaphors in the Bible and beyond« (157–171) betrachtet Andrea L. Weiss (NewYork) Beispiele von »gemischten Metaphern« und von metaphorischen Clustern quer durch die Bibel und geht der Frage nach, wie Metaphern in der Bibel zusammenwirken und welche Muster sich aus einer Analyse der verfügbaren Belege ergeben. Sie stellt fest, dass zwei Kräfte im Spiel sein können, wenn sich biblische Metaphern vermischen: Trennung und Kohäsion.
Nach der Prophetie kommt die Weisheit. Mit »From well-fed lions to sitting ducks. A study of complex metaphors in psalm 17« (173–191) beleuchtet Rev. Stefan M. Attard (Malta), wie die konkrete visuelle Anschauung Gottes durch eine vielfältige Verwendung von Metaphern vorweggenommen wird. Ellen van Wolde (Nijmegen/Niederlande) fokussiert Psalm 51: »Various types of metaphors and their different functions in psalm 51« (193–213). Nach einer Einführung in die »Deliberate Metaphor Theory« folgt der Hauptteil des Aufsatzes mit Analysen von vier metaphorischen Clustern in Ps 51. Sogenannte »konventionelle Metaphern« werden mit »intentionalen Metaphern« verglichen, um so deren unterschiedliche kommunikative Funktionen im Psalm herauszuarbeiten. Susanne Gillmayr-Bucher (Linz/Österreich) untersucht die Metaphern des Raumes und der Zeit in dem vierten Buch des Psalters (Pss 90–106): »Metaphors of space and time. Imagining stability in the fourth book of Psalms« (215–232). Sie erläutert, wie diese Psalmen der menschlichen Erfahrung der Vergänglichkeit Bilder der Stabilität entgegenstellen. Das Fundament für solche Bilder sei die von den Psalmen reflektierte Vorstellung von Gott als Zentrum der Stabilität und unangefochtenem Herrscher über Raum und Zeit. Tova L. Forti (Beer Sheva) zeigt exemplarisch auf, wie wichtig die vogelbezogenen Metaphern sowohl für das Datieren und das Verständnis der Psalmen als auch für das Entschlüsseln der Proverbien ist: »›Even the sparrow has found a home‹ (Ps 84,4). From uprooting and wandering to safety and intimacy« (233–243). Zwar seien die genauen Arten der bezeichneten Vögel schwer zu erkennen, dennoch könnten mehrere Zeugnisse dienen, sie zu identifizieren. Als Beispiel führt sie die Schriften des Herodot an, worauf sie auch rekurriert. Auch der Rekurs auf die alt-ägyptische Literatur aus der 18. Dynastie erweist sich als aufschlussreich für ihre Argumentation, die darauf abzielt, klarzustellen, wie verschiedene Phänomene, die der Vogelwelt entnommen sind, die tägliche religiöse Erfahrung widerspiegeln. So kann eine erste vogelbezogene Metapher das semantische Feld der Vogeljagd und des Vogelfangs verdeutlichen und somit das Bild des Unschuldigen, der vom Übeltäter gefangen wird, vermitteln. Eine zweite vogelbezogene Metapher kann hingegen einen langen psychologischen Prozess der Konzeptualisierung umfassen, vom Trauma der Entwurzelung und des Umherirrens des Bittstellers (Exilzeit) bis hin zur intimen Erfahrung der Sicherheit, die denen zuteilwird, die im Haus Gottes wohnen. Auch im Zentrum des nächsten Aufsatzes, von Katharine J. Dell (Cambridge) und Tova L. Forti (Beer Sheva) verfasst, steht die vogelbezogene Metaphorik: »›When a bird flies through the air‹. Enigmatic paths of birds in wisdom literature« (245–261). An den Beispielen von Prov 30,18–19 und Weish 5,9–14 demonstrieren die beiden Wissenschaftlerinnen, wie Ricœurs Theorie der »Netzwerke von Metaphern« sich intertextuell niederschlagen kann. Besonders aufschlussreich sind die Erläuterungen zu der Gegenüberstellung von Vogelbildern und Schiffbildern im See vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Chris-topher B. Ansberry (London) erforscht die Anatomie des Baumes im Proverbienbuch: »Arbors among aphorisms. The anatomy of the tree in the book of Proverbs« (263–279). Der Autor rekurriert auf eine von G. Lakoff und M. Turner reflektierte konzeptionelle Metapher, derzufolge »Menschen Bäume seien«, um anhand des baumartigen Quellenbereichs und seines Bezugsrahmens die Anatomie des Baumes in den Proverbien zu betrachten, und um die Bandbreite seiner Vernetzungen zu ermitteln und zu erschließen. Edward L. Greenstein (Ramat Gan) beleuchtet die metaphorischen Ketten in den Dialogen des Hiobbuches: »Metaphoric chains in the dialogues of Job. A case in point« (281–297) und erschließt somit überzeugend und spannend die Bedeutung der Löwenmetapher, die sich möglicherweise aus Hi 3,24 ergibt und tatsächlich in Hi 4,10–11; 10,16–17; 16,9.12–14 begegnet. Die Verwendung von Bildern und Symbolen aus der Natur in Hi 12–14 steht im Mittelpunkt der Untersuchung von Pierre Van Hecke (Leuven): »A play on plants. Metaphorical networks in Job 12–14« (299–312). Im Besonderen erschließt er die Pflanzenmetaphern und die Metapher des Wassers. Dies ermöglicht ihm zu verdeutlichen, inwieweit es bemerkenswerte Unterschiede zwischen Hiob und den drei Freunden in Bezug auf die Verwendung vergleichbarer Bilder und Metaphern geben kann. Jean-Pierre Sonnet (Rom) erforscht die Wechselwirkungen zwischen den Metaphern und den Metonymien im Hohenlied: »Metaphor and metonymy in the canticle. A parable of desire« (313–328). Craig G. Bartholomew (Cambridge) beleuchtet die Reichweite der Metapher des Kohelet-Buches, die 38 Mal vorkommt, Leitfaden der Philosophie des Buches ist und somit als »Megametapher« bezeichnet werden kann, nämlich לבֶהָ: »Qohelet as a master of and mastered by metaphor« (329–346). Der »Megametapher« wird Weisheit gegenübergestellt. Hierfür rekurriert Bartholomew auf die sechs begrifflichen Metaphern, die N. L. Tilford 2017 für Wissen in den Proverbien, Hiob und Kohelet identifiziert hatte: Sehen, Hören/Sprechen, Berühren, Einnehmen, Atmen und Wahrnehmen. Er schließt mit der These ab, dass Kohelet mit seiner »Megametapher« eine meisterhafte Dekonstruktion einer autonomen Erkenntnistheorie sei. Ausgehend davon, dass die Septuaginta eine eigene Interpretation samt einzelner Modifikationen einer hebräischen Vorlage anbietet, untersucht Antje Labahn (Wuppertal/Bethel) last but not least, inwieweit die KlageliederLXX eine Rekonzeptualisierung und somit eine neue Interpretation der Exodus-Metapher anbieten: »God as a gleaning cook. A conceptual metaphor of exodus in LamentationsLXX2,20–21« (347–362).
Der Band zeichnet sich sowohl durch die Vielfalt der Ergebnisse als auch durch seinen wissenschaftlichen Ertrag aus: Die Beiträge überzeugen alle durch ihre Klarheit im Ausdruck, durch die prä-zise und aufschlussreiche Analyse und durch einen innovativen, spannenden Ansatz. Neue Perspektiven werden hiermit eröffnet.