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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

875–876

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

[Bischof, Franz Xaver]

Titel/Untertitel:

Aufbruch in der Zeit. Kirchenreform und europäischer Katholizismus. Franz Xaver Bischof zum 65. Geburtstag. Hgg. v. K. Krips, S. Mokry u. K. Unterburger.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 534 S. = Münchener Kirchenhistorische Studien. Neue Folge, 10. Kart. EUR 69,00. ISBN 9783170381506.

Rezensent:

Erich Garhammer

Franz Xaver Bischof, seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hat sich in seinem wissenschaftlichen Arbeiten den un­terschiedlichsten Themen gewidmet. Sein Schwerpunkt lag dabei auf den tief gehenden Transformationsprozessen der letzten 250 Jahre in Gesellschaft und Kirche; seine Dissertation behandelte den engagierten Reformwillen des letzten Generalvikars des Bistums Konstanz, Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774–1860), der im aufklärerischen Sinn die Gläubigen in ihrem Eigenstand als getaufte und gefirmte Christen stärken wollte. Die Habilitationsschrift rekonstruierte minutiös die Vorgänge um die Exkommunikation des Münchner Kirchenhistorikers Ignaz von Döllinger (1799–1890), der durch die Kritik an der Seminarpolitik von Kardinal Reisach und an den Papstdogmen des Ersten Vatikanischen Konzils in Ungnade fiel. Bischof veranstaltete eine viel beachtete Tagung, die sich 2013 der von Döllinger initiierten Münchener Gelehrtenversammlung im Kloster St. Bonifaz (1863) und der Frage nach der Rolle und Bedeutung der wissenschaftlichen Theologie für die Kirche in Vergangenheit und Gegenwart stellte. Aber auch das Zweite Vatikanische Konzil rückte immer mehr in den Fokus der Forschungen von Franz Xaver Bischof. Das wurde nicht zuletzt be-günstigt durch die Tatsache, dass mit München das Wirken des Konzilsmoderators Kardinal Julius Döpfner (1913–1976) aufs Engste verbunden ist und Ausgangsmaterial für vielerlei Forschungsthemen bietet.
Festschriften haben ihren eigenen Charakter, ihren Charme für den Geehrten, aber auch ihre Grenzen für den wissenschaftlichen Ertrag. Die Herausgeber der Festschrift für Franz Xaver Bischof haben einen Titel gewählt, unter dem die unterschiedlichsten Themen subsumiert werden können: »Aufbruch in der Zeit. Kirchenreform und europäischer Katholizismus«. Ein großes Dach also für höchst heterogene Beiträge.
Umso gespannter ist man, an welchen Themen und Forschungskreisen des Geehrten die Festschrift anknüpfen oder sie vielleicht sogar weiterschreiben würde. Ich möchte zwei Beispiele besonders herausgreifen. Der Aufsatz von Günther Wassilowsky, Bischofsideal im Wandel. Von der Renaissance über Trient ins 19. Jh. (15–25), weckte mein Interesse. Wassilowsky kommt zu einer bemerkenswerten Neubewertung des Konzils von Trient und zur Forderung einer neuen Terminologie: Man sollte zwischen »trientisch« und »tridentinisch« unterscheiden – so wie zwischen tho-masisch und thomistisch. Das Konzil von Trient wurde im 19. Jh. »romanisiert«, also zu dem, was wir heute tridentinisch nennen. Für das Konzil von Trient war die Seelsorge (cura animarum) suprema lex, der Bischof stand als Pastor bonus vor Augen. Die Bischöfe gehörten zu den Schrittmachern der frühmodernen Akademisierung, von einem niedrigen Bildungsniveau kann keine Rede sein, wie immer wieder ein gängiges Vorurteil lautet. Das ursprüngliche Bischofsideal Trients wurde jedoch durch die Praxis der postkonziliar vom Papsttum neu geschaffenen Instrumente zur Durchführung der tridentinischen Reform systematisch ausgehöhlt. Wassilowsky behauptet, dass es dem posttridentinischen Papsttum mehr u m die Geltendmachung der eigenen Entscheidungsgewalt und die Symbolpolitik der päpstlichen Souveränität ging als um die Verwirklichung der »trientischen« Reformen. Gerade diese Überformung und Instrumentalisierung des Konzils durch Rom hat zur Nichtrezeption von Trient geführt und damit zum Vorwurf an die Bischöfe, sie wären reformfeindlich gewesen. Ein Befund, der auch heute zu denken geben sollte!
Dominik Burkard greift in seinem Beitrag das Beispiel des Schweizer Theologen Otto Karrer (1888–1976) heraus. Bei Karrer handelt es sich um einen 1923 aus dem Jesuitenorden ausgetretenen, säkularisierten Priester, der jahrzehntelang in einer Pfarrei priesterliche Dienste leistete, dem aber von Rom lange Zeit die Erlaubnis zur Spendung des Bußsakraments verweigert worden war. Doch nicht nur als Abtrünniger wurde Karrer stets mit Re-serve behandelt, Sorge bereiteten in Rom auch seine zahlreichen Initiativen auf dem Feld der Una Sancta-Bewegung und der Ökumene, also des theologischen Gesprächs zwischen den Konfessionen. Dazu kam, dass Karrer, der nach seinem Austritt aus dem Jesuitenorden als religiöser Schriftsteller wirkte, sich bei so manchen seiner zahlreichen Publikationen weit aus dem Fenster lehnte und die heißen kirchlichen und theologischen Themen nicht scheute. So wurde 1942 seine Schrift »Gebet, Vorsehung und Wunder« von Rom auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt und Karrer für die Dauer eines Jahres mit einem Predigtverbot belegt. Inkriminiert wurde auch der Sammelband »Begegnung der Chris-ten. Studien evangelischer und katholischer Theologen«, den die theologische Lehranstalt der Benediktinerabtei Einsiedeln Karrer als Festschrift zu seinem 70. Geburtstag gewidmet hatte. Karrer vertrat in einem eigenen autobiographischen Beitrag des Bandes die Auffassung, die Kirchenspaltung des 16. Jh.s müsste als eine Art Zellteilung verstanden werden, womit er die phänotypisch verschiedenen Konfessionen genotypisch auf ein und dieselbe Stufe stellte. Außerdem sprach er von einer katholischen Mitschuld an der Spaltung und vertrat in der Amtsfrage die Auffassung, die Bischöfe seien nicht lediglich Delegierte des Papstes, sondern Nachfolger der Apostel. Eine schützende Hand über Karrer hielt stets sein ehemaliger Mitbruder und theologischer Lehrer und Provinzial Augustin Bea. In seinem Briefwechsel mit Bea konnte Karrer ihm stets einen kritischen Außenblick auf die römischen Verhältnisse vermitteln. Er machte deutlich, welche kirchlichen Aktionen im Außen geradezu einen peinlichen Eindruck erweckten. Karrer betonte die Realität einer kulturellen Pluriformität, mit der die weltweite Kirche konfrontiert sei. Dies habe Konsequenzen in der Ausprägung des Christlichen, aber auch in seiner Wahrnehmung. Fromme Lobhudeleien des Papstes verletzten außerhalb der vatikanischen Grenzen das Gefühl der Gläubigen. Hier mahnte Karrer eine größere Sensibilität der römischen Zentrale an, er verlangte weniger Zentralismus, dafür mehr Zuständigkeit und Ur­teilskraft vor Ort. Die Hinweise Karrers klingen höchst aktuell. Wie sehr würde man auch heute wünschen, dass kritische Theologen im Kontakt mit der römischen Zentrale einen offenen Ton anschlagen oder, mit Papst Franziskus gesprochen, Parrhesia übten. Nur so kann die Zentrale dazulernen.
Der 534 Seiten umfassende Band schließt mit einem ausführlichen Publikationsverzeichnis des Geehrten und einem Personenregister. Allerdings fehlen die Biogramme der Autoren der Festschrift. Das hätte den Informationswert erhöht, zumal man viele nicht kennt und gerne um ihre Stellung zu Franz Xaver Bischof gewusst hätte.