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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

838–840

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Teresa von Ávila

Titel/Untertitel:

Das Buch meines Lebens. Hgg., übers. u. eingel. v. U. Dobhan u. E. Peeters.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 586 S. m. Abb. Geb. EUR 50,00. ISBN 9783451392115.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Angesichts der Popularität mystischer Erfahrungen in der von einer Sinnkrise bedrohten christlichen Religiosität im Westen er­scheint das Lebenszeugnis einer Mystikerin der Frühen Neuzeit als Hilfe zu einem Ausweg aus der geistlichen Vertrocknung. Dies scheint auch die Intention der Herausgeber zu sein – beide Angehörige des von Teresa gegründeten Reformzweigs des Karmelitenordens –, wenn sie mit ihrer bibliophilen Publikation der Übersetzung von Teresas Buch meines Lebens eine »Anleitung zu einem glücklichen, mystisch erfüllten Leben« bieten wollen, wie es der Klappentext des Schutzumschlags verspricht.
Bei dem Band handelt es sich um die leicht veränderte Ausgabe der kommentierten deutschen Übersetzung, die die beiden Herausgeber schon 2001 in den Gesammelten Werken Teresas und er­neut 2015 in der Gesamtausgabe ihrer Werke veröffentlicht haben. Leider enthält das vorliegende Werk kein Vorwort, das über das Verhältnis zu den früheren Ausgaben aufklären würde. Beim separaten Druck sind Auslassungen unterlaufen: Es fehlen ein Literaturverzeichnis zur Einleitung oder die Auflösung von Abkürzungen (z. B. DST).
Der Umgang mit der Geschichte des eigenen Buches erscheint symptomatisch für das geringe historische Bewusstsein der Herausgeber, was sich besonders in ihrer Einführung zeigt, die auf fast 60 Seiten wenig über eine Zusammenstellung von Zitaten aus den Werken Teresas hinausgeht. Ergebnis ist einerseits eine Redundanz in Bezug auf den edierten Text, andererseits eine unkritische, unhistorische Darstellung, die die Konflikte (nicht nur mit der Inquisition), in die Teresa geraten war, kaum benennt und so das Bild ihres Lebens harmonisiert. Auch Einflüsse und Quellen werden zu wenig namhaft gemacht. Ein von außen übernommener Begriff der Mystik wird auf Teresa angewandt, ohne den Begriff umgekehrt in der Auseinandersetzung mit ihr zu präzisieren. Zum Eindruck der unhistorischen Betrachtungsweise trägt auch bei, dass keine Vergleiche der »Autobiographie« Teresas mit den Lebensberichten anderer Zeitgenossen wie des Ignatius von Loyola oder der Ana de San Bartolomé vorgenommen werden. Dagegen liegt das Interesse stärker bei einer vorgeblichen Aktualität Teresas für die heutige Frömmigkeit, nicht nur die Spiritualität, wie Bemerkungen in der Einleitung und den kommentierenden Anmerkungen zum Text erweisen. Darin unterziehen die beiden Herausgeber die von der spanischen Inquisition des 16. Jh.s misstrauisch betrachtete Nonne einer Art moderner Inquisition nach dem Maßstab ihrer eigenen Theologie, etwa wenn sie Teresas Bemühen um das eigene Heil nicht als »Heilsindividualismus« bewerten wollen (194 f.) oder betonen, Teresa sage nicht, dass der Mensch gar nichts vermöge (252), sie sei aber »nicht ganz frei von einem gewissen frommen Leistungsdenken«, erwarte aber »letztlich nichts von ihrer eigenen Leistung« (286), und urteilen, Teresa sei in vielem ein »Kind ihrer Zeit« gewesen, wenn sie etwa den Priester- und Ordensstand für den vollkommeneren gehalten habe (310). Dieses letztere »Vorurteil« habe sich bis heute erhalten (vgl. 190).
Was den Nutzen für die gegenwärtige Frömmigkeit angeht, so kann an die Herausgeber die Frage gestellt werden, ob das von starken Emotionen bestimmte Gottesverhältnis, das aus Teresas Selbstzeugnis spricht, ihre Angst vor »Beleidigung« Gottes, ihr immer wieder relativiertes Sünden- und Schuldbewusstsein, ihre hierarchische Vorstellung vom Himmel mit seinen Stufen im Ge­nießen Gottes, ihre »mystischen Erfahrungen« in Visionen, Auditionen, Levitationen, in denen sie nicht nur Gott und Christus, sondern auch Maria, Josef, aber auch böse Geister und den Teufel zu erleben meinte und in denen sie »Offenbarungen« empfing, die, wenn sie als von Gott kommend empfunden werden, eine höhere Stufe als die »Gotteinung« seien, wirklich heute maßgeblich und vorbildlich sein könnten und sollten. Wäre nicht das abwägende Gutachten von Domingo Bánez, das am Schluss des Bandes ebenfalls übersetzt abgedruckt wird, zu bedenken, worin er rät, das Buch nur »gebildeten und mit christlicher Erfahrung und Unterscheidungsgabe ausgestatteten« Menschen zu lesen zu geben (563)?
Abgesehen von fragwürdigen Aktualisierungsbemühungen ge­währen die Übersetzung und die Kommentierung, die viele ano­nym erwähnte Personen und Orte identifiziert und Hintergründe erhellt, Zugang zu einem historisch aufschlussreichen Zeugnis der religiösen Mentalität, der Spiritualität und literarischen Produktivität einer prominenten Karmelitin, einer spanischen Ordensfrau des 16. Jh.s mit ihren inneren Spannungen und äußeren Konflikten mit kirchlichen Autoritäten im aufgeheizten Klima der Gegenref ormation. So hilfreich die Anmerkungen teilweise für das Verständnis sind, manchmal erscheinen sie als trivial oder unbestimmt, etwa wenn die »Gabe der Tränen« einfach als »Fähigkeit, sich von Gehörtem oder Gelesenem emotional betreffen zu lassen« (102) erklärt oder wenn ein sicheres »Gefühl für die Gegenwart Gottes« schon als »mystisch« (161) bezeichnet wird.
Die Verweise auf das Glossar am Ende des Bandes, in dem Grundbegriffe Teresas erläutert werden (allerdings meist ohne Stellenangaben), gehen manchmal ins Leere, weil dort Begriffe wie »Entschlossenheit« und »Sanftheit« fehlen. Dass die ausführlichen Kapitelüberschriften, die den Inhalt zusammenfassen und seinen Nutzen für die Leser betonen, von Teresa selbst stammen, wird nur beiläufig erwähnt (241, Anm. 1). Das von Teresa an den Beginn ihres Autographs gesetzte »JHS« ist kein Anagramm (75), sondern ein Monogramm oder ein Akronym. Die Anmerkungen zu den Krankheiten Teresas stammen von Britta Souvignier, die Teresas Äußerungen als Berichte nimmt und sie naturwissenschaftlich beurteilt, aber an ihrem literarischen Charakter vorbeigeht. Dies gilt auch für die Behandlung der »Mystik« Teresas, deren Schilderungen weniger auf der Grundlage literarischer Traditionen, vielmehr als autobiographische Zeugnisse genommen werden. Dabei wird zu wenig der Entstehungskontext und -zweck des Textes beachtet, die ein hohes Maß an Stilisierung erforderten, sprechen doch die Herausgeber selbst von der Klugheit Teresas angesichts der Bedrohung durch die Inquisition. Ein gewisser Widerspruch besteht zwischen der wiederholten Beobachtung der Herausgeber, Teresa nehme die Heilige Schrift zum Maßstab des Glaubens, und der Feststellung, ihr sei als des Lateins unkundiger Frau in Spanien die Heilige Schrift nicht zugänglich gewesen. Deshalb ist auch der Vergleich mit Luthers sola scriptura fraglich (541), wie überhaupt Vergleiche mit Luther zu wenig den unterschiedlichen Kontext beachten (vgl. 458). Teresa selbst hätte diese sicher weit von sich gewiesen, schon deshalb, weil sie die vielen, in ihren Augen verdammten, Seelen der Lutheraner als Ursache für ihr Leid bezeichnete (424). Die »existentielle Begegnung« Teresas mit den Protestanten als Grund dafür zu bezeichnen, dass ihr »Gründungsideal apostolisch« wurde (29), ist beschönigend, da sie durchaus auch Gewalt als Mittel der Bekämpfung befürwortete, jedenfalls in einer Vision (550).
Das Umschlagbild erscheint als irreführend und unpassend, da es ein junges profanes Paar zeigt. Dem Text sind Reproduktionen von Kupferstichen aus dem Jahr 1719 zum Leben Teresas beigegeben.