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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

816–819

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dunne, John Anthony

Titel/Untertitel:

Persecution and Participation in Galatians.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XII, 248 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 454. Kart. EUR 79,00. ISBN 9783161554179.

Rezensent:

Dieter Sänger

Eine Dissertation, die eingetretene Pfade verlässt und versucht, den eingeschlagenen Weg als gangbar zu erweisen, nimmt von vornherein für sich ein. Wenn sie nach einer knapp gehaltenen Standortbestimmung auch noch ohne Umschweife gleich in medias res geht, umso mehr. John Anthony Dunne zufolge, Assistant Professor für Neues Testament am Bethel Seminary in St. Paul, MN, ist seine Arbeit einem zentralen Thema des Briefs gewidmet, das freilich durch andere im Fokus der Gal-Forschung stehende Problemkomplexe und die aus ihnen erwachsenen Diskursfelder überlagert wurde. Aus diesem Grund sei »the subject of persecution and suf-fering […] particularly in relation to the suffering of the Galatians themselves« (3) trotz der ihm zukommenden Bedeutung für das Verständnis der paulinischen Argumentation bisher weithin vernachlässigt worden – ein Manko, dem D. mit seiner Studie abhelfen will. Sie geht auf seine von Tom Wright betreute PhD-Thesis zu­rück, die er 2016 der School of Divinity der Universität St. Andrews vorgelegt hat.
Der Titel des Buchs ist leitmotivisch zu verstehen. Mit den beiden komplementär aufeinander bezogenen Stichwörtern »Persecution and Partizipation« bringt D. die Quintessenz seiner Arbeit auf den begrifflichen Nenner und steckt den Rahmen ab, in den er das Konflikt- und Identitätsmanagement des Apostels einzeichnet. Thetisch formuliert: Zur Bewältigung der galatischen Krise entwickelt Paulus eine Argumentationsstrategie, in der er die u. a. aus Gal 3,4; 4,29 und 6,12 f. erschlossenen Bedrängnisse der Gemeinden »for the sake of the cross not as incidential, but as one of the alternative marks of circumcision« deutet, »which demarcates the true people of God and sets them apart for future blessing« (4, Kursivierung im Orig.). Mit anderen Worten: Unabhängig davon, ob sie real ist oder auf Falschinformationen beruht (20), hat die in den Brief eingeschriebene Leidenssituation der völkerchristlichen Galater ekklesiologische und eschatologische Implikationen »which are rooted in a theology of union with Christ« (ebd.).
Der Darstellungsteil umfasst vier der insgesamt fünf Kapitel. Die vorgeschaltete »Introduction« (1–42) hat gewissermaßen propädeutischen Charakter. Unter themenspezifischen Gesichtspunkten durchmustert D. ihm wesentlich erscheinende Monographien und Aufsätze, die er summarisch den »Studies on Suffering and Persecution in the Pauline Letters« (21–29) bzw. »in Galatians« (29–40) zurechnet. Für ihn dokumentieren sie auf unterschiedliche Weise, dass »the topic of suffering and persecution« (29, vgl. 39) in den Homologumena und besonders im Gal ein konstitutives Element der paulinischen Theologie ist (29). Zu dieser Einschätzung gelangt er jedoch nur, weil er davon absieht, die Plausibilität der angelegten Kriterien kritisch zu hinterfragen. Denn ein Gutteil der ausgemachten thematischen Bezüge ist aufgrund ihrer semantischen Unbestimmtheit wenig aussagekräftig und darum interpretatorisch kaum belastbar. Dass er die Validität der ihn leitenden Primärannahmen als gegeben voraussetzt, ist insofern misslich, als D. bereits im operativen Vorfeld auf die nunmehr vorurteilsbehafteten Ergebnisse der noch ausstehenden Textanalysen verweist (vgl. 23.30.34.36 f.) und sie in seine Bewertung einfließen lässt. Die methodische Problematik eines solchen Verfahrens, das einer selffulfilling prophecy gleichkommt, scheint ihm offenbar entgangen zu sein.
Anschließend realisiert D. schrittweise sein Arbeitsprogramm, wobei er sich jeweils an Schlüsselstellen (»key places«) orientiert, deren »interrelated themes« (40) den argumentativen Duktus des Gal strukturieren und seine Pragmatik erhellen. Im zweiten Kapitel »Suffering, Sonship, and the Spirit« (43–87) sind es drei Abschnitte (3,1–5; 4,6–7; 4,21–5,1), die er im Blick auf seine Frageperspektive sondiert. Sie reflektieren einen schwelenden Konflikt, der sich an der Verbindlichkeit der Beschneidung auch für paganstämmige Christusgläubige entzündet hat. Judaistische Fremdmissionare, die der Beschneidung Heilsrelevanz zuschreiben, nötigen die Galater, sich beschneiden zu lassen. Paulus delegitimiert die an sie herangetragene Forderung, indem er seine Glauben weckende Verkündigung unter ihnen mit den pneumatischen Erfahrungen der Galater korreliert (3,1–5). Er schärft ihnen ein, dass sie allein der Geist, den sie in der Taufe empfangen haben (3,3b), zu Kindern Gottes macht (4,6) und ihre Zugehörigkeit zur familia dei verbürgt, in der sie beides sind, »the true seed of Abraham […] (and) united to Christ« (86). Wenngleich die Weigerung, dem Druck der »agitators« (55) nachzugeben, sie ins Leiden führt und Anfeindungen aussetzt (4,29), vergewissert Paulus die Adressaten »that future blessing is reserved for those marked out by suffering« (78). Freilich signalisiert 3,4a – D. übersetzt ἐπάθετε εἰκῇ; mit »Have you suffered in vain?« (73) –, dass sie ihre Abrahams- und Gotteskindschaft verwirken, sollten sie sich entscheiden, Proselyten zu werden.
Das dritte Kapitel »Judgment and the Marks of Jesus« (88–127) konzentriert sich vor allem auf 6,11–17. D. möchte zeigen, wie Paulus die Negativerfahrungen der galatischen Gemeinden (soziale Ausgrenzung, Schmähungen) als Evidenzargument für ihre Teilhabe am Kreuz Christi zur Geltung bringt. In 6,12 f. interpretiert er die Forderung der toraobservanten Judenchristen als »a denial of the cross«, die seine identitätsstiftende Funktion irrelevant macht (94), und gibt den Gemeinden zu verstehen, warum die »agitators« an ihrer Position festhalten. Sie fürchten, um des Kreuzes willen Verfolgungen zu erleiden. Die beschneidungswilligen Galater laufen Gefahr »to make a similar move of denying the cross« (116). Paulus ermahnt sie, standhaft zu bleiben, da ihre gegenwärtigen Leiden Zeichen ihrer Konformität mit dem gekreuzigten Christus sind. Geistempfang und »participation in the cross« konstituieren die Identität der »neuen Schöpfung« (6,15) aus Juden und Nichtjuden, des eschatologischen Israel Gottes (6,16), »(that) will be vindicated on the final day« (126): Hingegen laden die Agitatoren, deren »identity marker« die Beschneidung ist, Fluch auf sich (1,8 f.) und verfallen dem Gericht (110, vgl. 5,10).
Das vierte Kapitel »The Servant and the Servants« (128–192) zieht die Linien der beiden vorherigen weiter aus. Angesichts der Fülle an direkten oder indirekten Bezugnahmen auf das Jesajabuch in den authentischen Briefen hält D. es für sehr wahrscheinlich, dass Paulus’ Deutung der Christusteilhabe als Teilhabe an Christi Leiden durch Jes 49–54 beeinflusst ist. Gal 1,4 und 2,20 spielen auf Jesus als den Gottesknecht an, von dem Jes 53LXX spricht (135 f.). Die in 1,10.15–17.24; 2.2.10 alludierten Texte wie etwa Jes 49,1–6LXX geben zu erkennen, dass der Apostel nicht nur Jesus, sondern auch sich selbst in der Rolle des Gottesknechts sieht. Diese doppelte Referenz ist für D. »an expression of his (sc. Paul’s) theology of participation« (147). Weil Christus in ihm lebt (2,20), hat er Anteil an »the Messiah’s role« als Gottesknecht und ist imstande »to continue the mi-nistry of the Servant« (145). Zugleich impliziert dieser Auftrag, dass Paulus Christi Leiden in seinem eigenen repräsentiert. Bringt er in der autobiographischen Erzählung (1,13–2,21) sein Selbstverständnis als »Isaianic Servant« (159) zur Sprache, zielt der Appell an die Galater »Werdet wie ich« (4,12) darauf ab, ihn nachzuahmen und als »collective servants […] of the Servant« (178) wie er an der Rolle des Christus zu partizipieren. Damit wendet Paulus seine »theology of participation« auf die galatischen Gemeinden an. Sie sollen der Beschneidungsforderung widerstehen und bereit sein, die unvermeidlichen Konsequenzen als Ausdruck ihrer Teilhabe an den Leiden Christi auf sich zu nehmen. Dann geben sie die erhoffte Antwort auf »the message of the crucified Messiah« und sind mit ihm vereint »by faith, baptism, and the indwelling of his Spirit« (192).
Im kurzen Schlusskapitel »Conclusion« (193–196) bündelt D. den Ertrag seiner Arbeit und notiert einige aus ihr resultierende Forschungsdesiderata. In der Tat, »there is still much to be explored further« (195).
Nach der Lektüre des erkennbar cum studio geschriebenen Buchs drängt sich die Frage auf, ob das eingangs beklagte Defizit der Gal-Forschung, einen der »central topics of the letter« (4) bisher kaum wahrgenommen zu haben, nicht primär darin besteht, dass sie mehrheitlich die sogenannten »key places« völlig anders interpretiert als D. Stützpfeiler seiner These, die paulinische Rede von Verfolgung und Leiden beziehe sich erster Linie auf das Leiden der Galater selbst, ist 3,4a. Dort gibt er ἐπάθετε εἰκῇ; mit »Have you suffered in vain?« wieder und verweist zur Begründung auf eine Wolke von Zeugen aus den letzten zwei Jahrhunderten (70). Auf die Verwendung des Verbums bei Philo und Josephus geht er nur beiläufig ein, konzediert aber, dass es jeweils unterschiedlich konnotiert ist, mal positiv im Sinne von »Erfreuliches erfahren, erleben«, mal negativ im Sinne von »leiden, erdulden«. Leider werden die einschlägigen Belege in den übrigen Schriften des hellenistischen Judentums ebenso wenig beachtet wie die in der klassischen griechischen Literatur. Zu Recht betont D., die Bedeutung von πάσχω sei »controlled by the context in which it is found« (71), um gleichzeitig zu behaupten, es gebe gute Gründe »to regard πάσχω as a reference to suffering« (70), obwohl gerade der Kontext dagegen spricht. Denn 3,4a bezieht sich unmittelbar auf die zuvor gestellte Frage des Apostels: »Was ihr im Geist begonnen habt, wollt ihr nun im Fleisch vollenden?« (V. 3b), so dass es widersinnig wäre, V. 4a mit »So Großes (sc. den Geist) habt ihr vergeblich erlitten?« zu übersetzen. Vielmehr will Paulus von den Galatern wissen, ob sie so Großes vergeblich erfahren haben. Mit dem Rock fällt auch der Mantel. Leistet der von D. als Schlüsselstelle identifizierte Vers 3,4a nicht, was er leisten soll, steht die auf seiner Basis entfaltete These der Arbeit auf tönernen Füßen, mehr noch, ihr ist der Boden entzogen.
In einem Gutachten zu seiner Dissertation, so berichtete mir später ihr Vf., fand sich am Ende der Satz: »NN. versucht Probleme zu lösen, die es ohne ihn gar nicht gäbe.« Der Doktorand hat dennoch reüssiert und ist heute Inhaber eines Lehrstuhls. Das ist auch D. zu wünschen.