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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

703-705

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Beeke, Joel R., and Martin I. Klauber [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Synod of Dort. Historical, Theological, and Experiential Perspectives.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020. 235 S. = Refo500 Academic Studies, 68. Geb. EUR 65,00. ISBN 9783525540770.

Rezensent:

Hans-Martin Kirn

Der an ein breiteres Publikum gerichtete Sammelband reiht sich ein in die Literatur zur 400-Jahr-Feier des Abschlusses der Synode von Dordrecht 1619, einem Markstein in der Entwicklung reformierter bzw. calvinistischer Orthodoxie. Zu Wort kommen Vertreter jener Kirchen und Institutionen vornehmlich aus den Vereinigten Staaten, die sich wie das Westminster Theological Seminary California noch heute dem Erbe von Dordrecht in besonderer Weise verpflichtet sehen. Entsprechend erwartet die Interessierten eine Be­gegnung mit zeitgenössischer orthodoxer Apologetik, für welche die historische Rückvergewisserung von essentieller Bedeutung ist.
W. Robert Godfrey eröffnet den Band mit einem Beitrag zum in­teressanten Thema der persuasiven Strategie, welche die Delegierten der Synode bei der Beschlussfassung über die Texte im Kampf gegen den Arminianismus leitete. Zu Recht wird von einer verbreiteten Kenntnis klassischer Rhetorik (Aristoteles, Cicero, Quintilian) ausgegangen. Diesem Sachverhalt wird freilich ebenso wenig näher nachgegangen wie den gattungsmäßigen Besonderheiten der Texte. So fördern die teils inhaltlich, teils sprachlich angelegten Beobachtungen kaum Erhellendes über das bekannte Einzelwissen hinaus zutage. Insgesamt wird die Strategie als ausgesprochen »clever« gelobt.
Die folgenden Teile des Bandes präsentieren Beiträge zu historischen, theologischen und frömmigkeitspraktischen Perspektiven. Unter der Rubrik des Historischen finden sich drei informative Artikel zu Hintergrund und Rezeption der Dordrechter Lehrregeln (Canones) im französischen Reformiertentum. Im Mittelpunkt steht naheliegenderweise das Wirken Pierre du Moulins, der einen wesentlichen Anteil an der Ratifizierung der Dordrechter Canones durch die Generalsynode 1620 in Alais (Alès) hatte. Die Beiträge von Martin I. Klauber, Matthew Scott Harding und Dan Borvan machen dabei ausführlich Gebrauch von wichtigen, weitere Aufmerksamkeit verdienenden Streitschriften Du Moulins, so von der umfänglichen Polemik »Anatomie des Arminianismus« (Anatome Arminianismi, 1619).
Der zweite Teil, theologischen Themen gewidmet, beginnt mit Greg A. Salazars gründlichem Beitrag zum Kampf strenger Cal-vinisten gegen die wachsenden Einflüsse des Arminianismus in der Kirche von England seit den 1590er Jahren. Mit politischen, theologischen und kirchlich-pastoralen Strategien suchte man sich des Anticalvinismus zu erwehren. Weitere Beiträge widmen sich um­strittenen Themen im Umfeld der Prädestinationslehre. R. Scott Clark legt dar, dass die Canones von Dordrecht wie auch zeitgenössische orthodoxe Dogmatiken (u. a. J. Wolleb) die Aufgabe der Weltmission bejahten, ohne Abstriche an der strikten Prädestinations- und Erwählungslehre zu machen. Michael Horton verteidigt die orthodoxe Auffassung von der »partikularen Erlösung« (allein der Erwählten), die von Dordrecht bestätigt, aber von moderaten Calvinisten und Anhängern K. Barths in seinen Augen zu Unrecht kritisiert wurde. Auf die inneren Spannungen der Lehre jenseits formallogischer Regulierung wird nicht eingegangen.
In den theologischen Teil eingeschoben wird der instruktive Beitrag von Donald Sinnema zum Verhältnis von Kirche und Staat, wie es sich auf der Synode selbst darstellte. Es zeigt sich, dass der politische Einfluss der Generalstaaten und ihrer Delegierten in prozeduralen Entscheidungen bis hin zu Fragen der Kirchenordnung stark war. Von einer Beeinflussung der Lehrentscheidungen selbst konnte keine Rede sein. Der vom englischen Königs James I. auf die Delegierten ausgeübte Druck, um Einheit in spezifischen Lehrfragen herzustellen, blieb die Ausnahme. Zum Abschluss bietet David B. McWilliams einen Einblick in die normative Bedeutung von Dordrecht für die reformierte Apologetik, wie sie Cornelius van Til im 20. Jh. vertrat.
Der letzte Teil des Bandes erörtert die frömmigkeitspraktischen Anliegen, welche die Dordrechter Synodalbeschlüsse durchziehen. Charles Telfer thematisiert die dogmatisch als Gnadenmittel verantworteten »heiligen Übungen der Frömmigkeit« wie Predigthören, Sakramentsgebrauch, Schriftmeditation, Gebet und geistlicher Gesang bis hin zur praktischen Nächstenliebe. Diese Anliegen sieht er zu Recht in der niederländischen Frömmigkeitsbewegung der Nadere Reformatie in besonderer Intensität fortwirken. Dass hierfür ausgerechnet C. Vitringa (d. Ä.). als Beispiel gewählt wird, erstaunt. Schließlich lässt sich dieser nicht umstandslos als herausragender Vertreter dieser Frömmigkeitsbewegung in Anspruch nehmen. Gerade Vitringa hätte Anlass gegeben, auf die Besonderheiten der coccejanischen Spiritualität jenseits der von G. Voetius einzugehen.
Joel R. Beeke widmet sich der Bedeutung der erfahrungsorientierten Predigt (experiental preaching) für die Beförderung des geistlichen Lebens der Gläubigen. Ziel ist die Ermutigung gegenwärtiger Prediger, den frömmigkeitspraktischen Anliegen von Dordrecht zu folgen. Der Erfahrungsbegriff bezieht sich auf die Wahrheit der christlichen Lehre und bleibt insofern dogmatisch eingehegt. Eine erfreulich klare Analyse zum Werk des Heiligen Geistes in den Dordrechter Canones bietet schließlich R. T. (Dolf) Velde, der einzige Beiträger aus dem Kreis der niederländischen Dordrecht-Kenner. Die Absichten der Synode zeigen sich in der trinitarischen Einbettung des Themas wie in der synergistische Missverständnisse vermeidenden Verhältnisbestimmung von menschlicher Freiheit und göttlichem Gnadenwirken.
Der Band schließt mit einem Votum des Neutestamentlers und jetzigen Präsidenten des Westminster Theological Seminary California, J. E. Kim. Er unterstreicht die ungebrochene Aktualität der Dordrechter Canones anhand der Leitbegriffe »modern«, »missionarisch« (global) und »doxologisch«. »Modern« wird man im Sinne der beanspruchten gegenkulturellen Relevanz orthodoxer Bekenntnistreue verstehen dürfen, ansonsten wäre »antimodern« der geeignetere Ausdruck.
Leider enthält der Band kein Register, geschweige denn zusammenfassende bibliographische Angaben. Der Gebrauchswert ist schon deshalb erheblich geschmälert.