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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

699-701

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rahn, Nancy

Titel/Untertitel:

»Ein Königtum aller fernsten Zeiten«. Studien zu Text und Kontexten von Ps 145 und seiner Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte des »Reiches Gottes«.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 320 S. = Herders biblische Studien, 94. Geb. EUR 60,00. ISBN 9783451377945.

Rezensent:

Kathrin Liess

In den letzten Jahren sind die den Psalter abschließenden Psalmen 145 und 146–150 verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt, wie besonders die beiden Studien von Alma Brodersen (The End of the Psalter, Berlin u. a. 2017) und Friederike Neumann (Schriftgelehrte Hymnen, Berlin u. a. 2016) zeigen, die sich der Entstehungsgeschichte der Teilsammlung am Ende des Psalters widmen. Die vorliegende Dissertationsschrift von Nancy Rahn, die 2019 von der Theologischen Fakultät der Universität Bern angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet worden ist, folgt diesem auf den Psalterschluss gerichteten Forschungsinteresse, greift jedoch mit Ps 145 einen herausragenden Psalm heraus und wählt zudem einen thematischen Schwerpunkt, die Rede vom Königtum Gottes, ein Thema, das ebenfalls in der jüngsten Psalmenforschung an Aktualität gewonnen hat (vgl. Marcel Krusche, Göttliches und irdisches Königtum in den Psalmen, Tübingen 2019, der Ps 145 summarisch behandelt).
Die Untersuchung des Psalms konzentriert sich, wie im Untertitel angekündigt, auf drei Themenbereiche den Text, seine Kontexte und seine Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte des »Reiches Gottes«. Diese Themenfelder werden im Anschluss an eine »Einleitung« (11–54) mit knapper thematischer Hinführung, Darstellung der Forschung seit dem 19. Jh. (ausgewählte christliche und jüdische Kommentarliteratur) sowie Bemerkungen zur Me­thodik in drei Teilen gründlich entfaltet. Den inhaltlichen Schwerpunkt der Monographie bildet der ausführliche »Kommentar zu Ps 145« in Kapitel 2 (55–202), der sich nach »Text und Übersetzung« (MT und LXX; 55–66) auf gelungene Art und Weise in drei Abschnitten vom Gesamtpsalm (»Lektüren zu Textstruktur und Charakter des Psalms«; 66–109) über die »Einzelversexegese« (109–169) schließlich – im dritten Abschnitt – erneut dem Psalm als Ganzem zuwendet, nun konzentriert auf das Kernthema, das göttliche Königtum (169–202). Ps 145 wird zunächst aus unterschiedlichen Blickwinkeln gelesen (R. spricht von »Lektüreperspektiven«) und so die Vielschichtigkeit des Psalms in verschiedenen Form- und Gattungsbeschreibungen wahrgenommen (2.2; 66–109): Auf die Einordnung von Ps 145 in die »Geschichte abecedarischer Akrosticha« (77) und Überlegungen zur Bedeutung der Psalmenüberschrift folgen stärker inhaltlich bestimmte Lektüreweisen als JHWH-König-Psalm, Geschichtspsalm und Gebetstext. Von diesen »Lektüreperspektiven« ausgehend wird der Psalm von R. als ein »vielfältiger Hymnus« bezeichnet, als ein »poetisches, hymnisches Einzelkunstwerk«, das traditionelle Elemente neu arrangiert (104) und dessen Eigenprofil von Multiperspektivität bestimmt ist (67). Auch wenn aufgrund dieser vielfältigen Lektüreweisen unterschiedliche Gliederungen von Ps 145 möglich erscheinen, bietet R. dennoch eine anschauliche Überblicksskizze zu Struktur und Aufbau (108).
An dieser Gliederung orientiert sich im Folgenden auch die ausführliche Einzelexegese (2.3; 109–169), die zwar versweise vorgeht, den Zusammenhang der Abschnitte dennoch gut im Blick behält, wie die Unterteilung des Kapitels und die Zusammenschau im jeweiligen »Zwischenfazit« zeigen (136 f.162 u. ö.). Dabei zieht sich das Leitthema »Königtum Gottes« wie ein roter Faden durch die Einzelauslegung. Im Detail versammelt die kursorische Auslegung vielfältige Beobachtungen zu Poetik, Semantik und Motivik wie Lob- und Kommunikationsvokabular, Begriffe aus dem Wortfeld des Gottkönigtums etc. (Vgl. dazu ergänzend die Übersicht über das Kommunikationsvokabular im Anhang; 297–303.) Weiterführend sind u. a. besonders die Bemerkungen zur Kommunikationssituation, auf die R. mehrfach zu sprechen kommt. Die Ergebnisse dieser Detailexegese werden in gelungener Form im letzten Ab­schnitt unter der Überschrift »Ps 145 und die תוכלמ Gottes« (2.4; 169–202) systematisch zusammengestellt, indem verschiedene As­pekte der Rede vom Königtum Gottes noch einmal zusammenfassend beleuchtet werden (Kommunikation, Bedürftigkeit, Gottes Schöpfung, Gottes Handeln, Gemeinschaft). Dabei zeichnet R. ein vielschichtiges Bild des göttlichen Königtums und fragt abschließend jeweils nach der Bedeutung der Themenfelder für Ps 145 und die »Reich-Gottes-Diskurse«.
Vom Einzelpsalm ausgehend wendet sich Kapitel 3 (203–234) den (religions-)soziologischen und literarischen Kontexten von Ps 145 zu. Der Psalm wird zunächst im Kontext seiner nachexilischen Abfassungszeit als einer formativen Zeit betrachtet und ansatzweise in den damaligen Königtumsdiskursen verortet (3.1 [»Religions-]soziologische Verortungen«, 204–214). Die Untersuchung der »literarischen Verortungen im Psalter« (3.2; 214–234) konzentriert sich auf die masoretische Tradition und wendet sich – unter Aufnahme von Ansätzen der neueren Psalmen- und Psalterexegese – der Stellung von Ps 145 im Psalter auf verschiedenen Ebenen zu (Ps 138–145; 145–150; IV. und V. Psalmenbuch und Gesamtpsalter). Dabei erweist sich die Bestimmung von Ps 145 als »Scharnier-psalm« zwischen den Teilkompositionen Ps 138–145 einerseits und Ps 145–150 andererseits als ertragreich. Im Blick auf den gesamten Psalter erscheint Ps 145 – so die These R.s – als »Redaktions- und Reflexionstext«, der möglicherweise mit Blick auf den Psalter in einem fortgeschrittenen Stadium verfasst worden ist (230) und damit als Teil des Psalterschlusses dazu beiträgt, dass der Psalter in seiner masoretischen Tradition »Gottes תוכלמ als (psalter-)theologischen Reflexionsbegriff profiliert« (234). Kapitel 4 »Rezeption« (235–267) weitet den Horizont schließlich über den masoretischen Psalter hinaus und beschreibt exemplarisch die Kontextualisierungen von Ps 145 in Qumran (Psalmenrolle 11Q5 bzw. 11QPsa) und im Septuagintapsalter. Ein zweiter Teil des Kapitels wirft einen knappen vergleichenden Blick auf die Ausgestaltung der Reich-Gottes-Vorstellung in den Schabbatliedern aus Qumran und im Markusevangelium. Die im Laufe der Arbeit immer wieder anklingende Bedeutung von תוכלמ als »(psalter-)theologischer Reflexionsbegriff« wird in Kapitel 5 »Ein Königtum aller fernsten Zeiten – Fazit« (269–280) abschließend im Vergleich mit Ps 103 noch einmal pointiert herausgestellt. Zugleich bietet das Schlusskapitel einen weiten Ausblick und etliche Anregungen für weitere Forschungen. Darin liegt eine wesentliche Stärke dieser sehr lesenswerten Psalmenstudie.
R. legt den Schwerpunkt ihrer Analyse von Ps 145 auf ein Thema von biblisch-theologischer Relevanz, untersucht verschiedene Kontextualisierungen des Psalms und leistet damit einen sehr wichtigen Beitrag nicht nur zu einer »Theologie des Psalters« und zu den biblischen Gottesbildern, sondern bietet darüber hinaus auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Untersuchung der weiteren Rezeptionsgeschichte der Reich-Gottes-Vorstellung.