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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

676-681

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hendel, Ronald, and Jan Joosten

Titel/Untertitel:

How Old Is the Hebrew Bible? A Linguistic, Textual, and Historical Study.

Verlag:

New Haven u. a.: Yale University Press 2018. 240 S. m. 4 Abb. = The Anchor Yale Bible Reference Library. Geb. US$ 45,00. ISBN 9780300234886.

Rezensent:

Konrad Schmid

Die internationale literaturgeschichtliche Forschung an der He­bräischen Bibel hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Reihe von Darstellungen geführt, die eine Vielzahl neuer Erkenntnisse geliefert haben. Die Exegese hat unterschiedliche Methoden entwickelt, biblische Texte zu datieren. Sprachgeschichtliche Aspekte haben bislang eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Wichtiger waren Herangehensweisen, die sich etwa an in bestimmten Texten vorausgesetzten oder nicht vorausgesetzten Realien, an innerbiblischen Bezugnahmen oder an bestimmten ideologischen oder theologischen Grundüberzeugungen, die man historisch einzuordnen können meint, orientieren.
Demgegenüber will das vorliegende Werk, gemeinsam verfasst von Ronald Hendel und Jan Joosten, vor allem über bestimmte linguistische Eigenheiten, die sich in der Entwicklung des Biblisch-Hebräischen beobachten lassen, gewisse Rahmendaten zum Alter der Hebräischen Bibel gewinnen.
Hendel und Joosten setzen ein mit der Feststellung, dass die biblische Literatur über weite Strecken hinweg Kompositliteratur ist, also von verschiedenen Schriftstellern zu verschiedenen Zeiten abgefasst worden ist: »Any biblical book may turn out to contain strata and fragments composed at wholly different periods.« (IX) Wenn man, wie üblich, nach bestimmten ideen- oder sozialgeschichtlichen Gegebenheiten fragt, die Datierungsanhalte liefern könnten, so findet man sich nach Hendel und Joosten oft in einem Zirkelschluss wieder: »The history of ideas […], institutions […], or hidden power struggles […] might give useful hints, if it weren’t for the fact that most of these extratextual realities are known exclusively from the text that situates them in time.« (IX) Auch innerbiblische Aufnahmen oder Anspielungen helfen bei Datierungsfragen meist nicht weiter, da unklar ist, was der gebende und was der nehmende Part ist: »Even a relative dating based on the use of one text in another […] is hard to achieve in the absence of clear criteria that help to decide in which the textual contact runs.« (IX)
Am besten ist es demnach gemäß Hendel und Joosten, für die Rekonstruktion der Literaturgeschichte der Bibel auf sprachgeschichtliche Evidenzen abzustellen: »In many cases the best evidence – sometimes, though not always, the only evidence – is language. Language evolves.« (IX) Zu Beginn ihres Buches stufen sie den Anspruch ihres Beitrags vergleichsweise bescheiden ein: »the study of language is a necessary partner for the literary history of the Bible« (10). Sprachliche Beobachtungen sind demnach ein Element neben anderen, um Texte zu datieren.
Allerdings sind einige Schwierigkeiten zu bedenken, wenn man sprachgeschichtliche Befunde literaturgeschichtlich auswerten will: »However, the path from diachronic linguistics to the dating of texts is not a straight one.« (31) Grundlegend für Hendel und Joosten ist die Unterscheidung von »Classical Biblical Hebrew« (CBH) und »Late Biblical Hebrew« (LBH), die in der Sache und auch den wichtigsten Beobachtungen auf Wilhelm Gesenius’ Klassiker zur »Geschichte der hebräischen Sprache und Schrift« (Leipzig 1815) zurückgeht. »CBH is found in Genesis through 2 Kings, LBH in Chronicles, Ezra-Nehemiah, Esther, Ecclesiastes, and Daniel. The clear implication of this division is that many biblical passages fall outside the CBH-LBH opposition.« (45) Allerdings sind CBH und LBH nicht gleicherweise positiv zu ermitteln: »From Wilhelm Gesenius to Avi Hurvitz, the diachronic study of Biblical Hebrew has been mostly a one-way street. A text with enough late features is regarded as LBH, while a text with no late features, or very few, is regarded as CBH.« (43 f.) CBH ist keine für sich zu etablierende sprachgeschichtliche Kategorie, vielmehr ist CBH nur, oder zumindest hauptsächlich, auf negativem Weg zu erkennen: Ein biblisch-hebräischer Text, der keine LBH-Anzeichen zeigt, ist aufgrund dieser Fehlanzeige als CBH einzustufen.
Die Unterscheidung von CBH und LBH liefert allerdings zunächst nur eine relative Datierung der entsprechenden Texte: »The distinction between CBH and LBH by itself does not yield more than a relative dating.« (46) Einen gewissen Anhaltspunkt für die absolute historische Ansetzung von CBH ergibt sich aus dem inschriftlichen Befund der vorexilischen Zeit, der sich in manchen sprachlichen Eigenheiten mit CBH deckt: »The language of Judean inscriptions from the eighth to sixth centuries BCE stands close to CBH. Admittedly, some of the specialized vocabulary of the inscriptions, closely related to the subject matter, is not found in the biblical corpus.« (71) Für LBH existiert leider kein vergleichbares außerbiblisches Corpus: »Between the beginning of the sixth and the middle of the third century, there is a large gap in our documentation. Practically no epigraphic texts in Hebrew have been found from this period. This gap makes it impossible to map the evolution of Hebrew against the language of dated inscriptions.« (71 f.) Erst das Qumranhebräisch, bezeugt durch die Schriften vom Toten Meer vor allem aus dem 2. und 1. Jh. v. Chr. (vgl. E. Qimron, The Hebrew of the Dead Sea Scrolls, HSS 29, Winona Lake 2008), liefert einige empirische Anhaltspunkte zur Entwicklung von LBH.
Einen Angelpunkt, um den Wechsel von CBH zu LBH absolut zu datieren, erkennen Hendel und Joosten im sogenannten »Transitional Hebrew« (TBH), das sie in das 6. Jh. v. Chr. ansetzen (79). Das Argument dafür ist nach Hendel und Joosten verblüffend einfach, denn TBH findet sich vor allem in Deuterojesaja, Jeremia, Threni, Ezechiel, Haggai und Sach 1–8, und von diesen Texten gilt: »Jere-miah, Ezekiel, Haggai, and Zech 1–8 are set partly or wholly in the sixth century. Lamentations was likely written in reaction to the desctruction of Jerusalem in 587/586 BCE. Second Isaiah mentions Cyrus and looks forward to an imminent return from the Babylonian Exile.« (79) Durch die Datierbarkeit von TBH in das 6. Jh. v. Chr. ergibt sich für die Ansetzung von CBH und LBH eine einfache Zuordnung: CBH ist vorexilisch und LBH ist nachexilisch: »By implication, CBH, which precedes TBH, must be preexilic, and LBH, which follows it, postexilic.« (84)
Natürlich sind sich Hendel und Joosten bewusst, dass sprachliche Konventionen auch willentlich überspielt werden können. So ist es etwa grundsätzlich denkbar, dass spätere Autoren, in nachexilischer Zeit, gleichwohl sich älterer Sprachformen bedienen können, also CBH schreiben, obwohl ihnen LBH näher wäre. Doch Hendel und Joosten sind überzeugt, dass CBH nicht fehlerfrei nachgeahmt werden konnte. Zwar hätten biblische Autoren versucht, CBH nachzuahmen, dies führte jedoch nur zu »pseudoclassicisms«, die fast echt wirken, es aber nicht sind: »Pseudoclassicisms […] undermine the idea of ›perfect archaizing‹: however proficient later authors may have been in classical Hebrew, they inevitably tripped up in one way or another.« (97)
Hendel und Joosten haben ein klar strukturiertes, gut lesbares und kundig in den Bereich der historischen Linguistik einführendes Buch geschrieben. Gleichwohl bleibt sein Ertrag für die Titelfrage (wie alt ist die Hebräische Bibel?) beschränkt, und zwar aus mehreren Gründen.
Erstens behandelt das Buch im Wesentlichen Fragen der historischen Linguistik und nicht der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel. Man erfährt viel über die Unterscheidbarkeit von CBH und LBH, aber wenig darüber, was dies nun für die Frage, wie die Texte der Hebräischen Bibel zu datieren sind, konkret bedeutet. Das Grundproblem dabei ist, dass Hendel und Joosten jeweils nur sprachliche Auffälligkeiten innerhalb von Ausdrücken, bestenfalls Sätzen aufweisen können. Damit lassen sich methodisch gesichert nur diese Ausdrücke oder Sätze als solche sprachgeschichtlich einordnen, nicht aber ihre näheren oder gar weiteren Kontexte. Im Blick auf seine Titelfrage bleiben die Antworten des Buches deshalb dürftig. Die im letzten Kapitel dargestellten Befunde – der Kern des Deuteronomiums gehört in die neuassyrische Zeit (108–113), bestimmte Ezechieltexte spiegeln eine Bekanntheit mit babylonischer Ikonographie und Kosmologie wider (115–118), die in Dan 3,5 genannten Instrumente sind mit Lehnwörtern aus dem Griechischen bezeichnet und weisen in die hellenistische Zeit (120 f.) – sind weder neu noch geeignet, das »linguistic dating« als dominante Methode der Rekonstruktion der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel zu begründen: Sie benennen richtige, aber allseits bekannte Einschätzungen zur Datierung des Deuteronomiums, des Ezechiel- und des Danielbuches.
Damit hängt, zweitens, ein problematischer methodischer Überlegenheitsanspruch zusammen, den Hendel und Joosten an­fangs zwar bestreiten, der am Ende ihres Buches aber doch mehr und mehr überhand nimmt. So schreiben sie einerseits: »Erhard Blum […] urges that ›linguistic arguments should be part of a much more comprehensive historical-philological endeavor.‹ We concur.« (98) Andererseits halten sie aber eine Seite später fest: »Linguistic data […] are better clues for literary history than is the currently dominant approach, which, as Blum remarks, relies on ›dating based on specific traditions in terms of conceptions, ideas, or theologumena‹. We criticize this approach as overly impressionistic and wedded to a ›pigeon-holing‹ model of history.« (99) Das ist eine einseitige Polemik, die inhaltlich nicht substantiiert wird.
Die Datierung von Texten anhand der diachronen Entwicklung von »concep-tions, ideas, or theologumena« ist in der Geschichtswissenschaft und auch in der Bibelwissenschaft bestens etabliert. Dass diese »conceptions, ideas, or theologumena« nur aus der Bibel selbst gewonnen seien und die entsprechende Datierungsmethodik deshalb zirkulär sei, trifft nicht zu: Epigraphik, Archäologie, kulturvergleichende Perspektiven haben eine Fülle von Daten geliefert, so dass sich diese Zugangsweise nicht als »overly impressionistic« abtun lässt.
Drittens suggeriert das Buch seinen Leserinnen und Lesern eine vergleichsweise schematische Sicht der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel: Hält man sich an die sprachgeschichtlichen Urteile, die Hendel und Joosten vertreten, so ist Genesis bis Könige im Wesentlichen als vorexilische Literatur einzustufen, Deuterojesaja, Jeremia, Ezechiel, Threni, Haggai und Sacharja 1–8 sind exilisch zu datieren, und Chronik, Esra-Nehemiah, Ester, Qohelet und Daniel gehören in die nachexilische Zeit. Dieses Bild ist für be­stimmte Literaturbereiche unproblematisch, namentlich das LBH-Corpus, das aus Chronik, Esra-Nehemiah, Ester, Qohelet und Da­niel besteht, obwohl es hier eigentümlich unpräzise ist: Die mo-derne literaturgeschichtliche Forschung gibt sich nicht mit den Kategorien »vorexilisch«, »exilisch«, »nachexilisch« zufrieden, gerade für die »nachexilische« Literatur würde man gerne wissen, ob sie perserzeitlich, ptolemäisch oder seleukidisch anzusetzen ist.
Für andere Literaturbereiche ist die vorgeschlagene Einordnung aber problematisch: Hält man sich an die sprachgeschichtlichen Kategorisierungen, wie Hendel und Joosten sie präsentieren, so ist das Hebräische in weiten Teilen von Leviticus oder Numeri oder in Einzeltexten wie Jos 24 oder 1Kön 8 als CBH einzustufen und entsprechend müssen diese Texte deshalb als vorexilisch gelten. Das ist aber aus inhaltlichen Gründen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (vgl. z. B. C. Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch, A Study in the Composition of the Book of Leviticus, FAT II/25, Tübingen 2007; H.-P. Mathys, Numeri und Chronik: Nahe Verwandte, in T. Römer [Hg.], The Books of Leviticus and Numbers, BETL 215, Leuven 2008, 555–578; T. Römer, The So-Called Deuteronomistic History. A Sociological, Historical and Literary Introduction, London u. a. 2005; K. Schmid, Von der Diaskeuase zur nachendredaktionellen Fortschreibung. Die Geschichte der Erforschung der nachpriesterschriftlichen Redaktionsgeschichte des Pentateuch, in: F. Giuntoli/K. Schmid [Hgg.], The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles, FAT 101, Tübingen 2015, 1–18; Ders., Jews and Samaritans in Joshua 24, HeBAI 6 [2017], 148–160), auch wenn Joosten selber in einer frühen exegetischen Publikation – seiner Dissertation – die vorexilische Ansetzung von Lev 17–26 vorgeschlagen hat (vgl. J. Joosten, People and Land in the Holiness Code. An Exegetical Study of the Ideational Framework of the Law in Leviticus 17–26, VT.S 67, Leiden u. a. 1996). Im Lichte solcher konfligierender Auswertungen muss die kategorische Ablehnung der Hypothese, dass auch biblische Autoren in nachexilischer Zeit CBH schreiben konnten, wohl überdacht werden. Sie leidet nicht nur daran, dass sie zu unhaltbaren literaturgeschichtlichen Schlüssen bezüglich der Abfassung von Genesis bis Könige führt, sondern auch daran, dass sie methodologisch nicht falsizifierbar ist. Ein reiner CBH-Text muss vorexilisch sein, wäre er später entstanden, so Hendel und Joosten, würde er sich durch die eine oder andere Auffälligkeit verraten. Ein solches Argument beruht auf einer Selbtimmunisierungsstrategie derer, die es vertreten, es ist aber historisch unhaltbar: Dass es junge CBH-Texte geben könnte, wird nicht empirisch, sondern thetisch ausgeschlossen. Die Abfassung eines Textes in CBH, wie das Leviticus- und Numeribuch zur Genüge zeigen, ist dagegen nicht allein historisch, sondern auch gattungsmäßig und theologisch-positionell bedingt. Hendel und Joosten zeigen für diesen Punkt nur wenig Gesprächsbereitschaft: »In sum, the argument that Persian or Hellenist-Roman period scribes could write in perfect CBH lacks evidential warrant. It is a thought experiment, a logical possibility […] It lacks consilience with the historical and linguistic data.« (125) Dem ist zu widersprechen: Es sind gerade die »historical data«, zumindest in ihrer rekonstruierten Summe, die auf eine Revision der Annahme drängt, dass CBH nicht zu späteren Zeiten imitiert werden konnte.
Viertens ruht das Argument der absoluten Datierung von CBH and LBH auf tönernen Füßen. Hendel und Joosten halten korrekterweise fest, dass die Unterscheidung von CBH und LBH zunächst nur eine relative ist. Historisch absolut lassen sich CBH und LBH durch die Einführung von TBH datieren: TBH gehört in das 6. Jh. v. Chr., weil, so Hendel und Joosten, die entsprechenden Literaturbereiche Deuterojesaja, Jeremia, Ezechiel, Threni, Haggai und Sacharja 1–8 so anzusetzen sind. Doch unterscheiden Hendel und Joosten namentlich für Jeremia und Ezechiel, die besonders wichtig sind für die Datierung von TBH, nicht zwischen der Zeit der Erzähler und der erzählten Zeit dieser Bücher: »Jeremiah, Ezekiel, Haggai, and Zech 1–8 are set partly or wholly in the sixth century.« (79) Diese Beobachtung trägt zur Datierung der Texte von Jeremia und Ezechiel allerdings wenig bei: Wenn ein Text im 6. Jh. spielt, heißt das noch lange nicht, dass er auch im 6. Jh. entstanden sein muss. Er ist nicht älter, kann aber sehr wohl erheblich jünger sein.
Die redaktionsgeschichtliche Forschung an den Büchern Jeremia und Ezechiel rechnet mit guten Gründen damit, dass die Texte dieser Bücher zwischen dem ausgehenden 7. (Jeremia) bzw. dem beginnenden 6. Jh. v. Chr. (Ezechiel) und dem späten 3. oder frühen 2. Jh. v. Chr. entstanden sind (zu A. Hornkohl, Ancient Hebrew Periodization and the Language of the Book of Jeremiah: The Case for a Sixth-Century Date of Composition, SSLL 74, Leiden 2014, vgl. K. Schmid, How to Date the Book of Jeremiah: Combining and Modifying Linguistic- and Profile-based Approaches, VT 68 [2018], 1–19). TBH mag so zwar im 6. Jh. v. Chr. beginnen, ist aber nicht auf diese Epoche beschränkt, was sowohl die zeitliche Erstreckung von CBH als auch von LBH erheblich komplexer erscheinen lässt, als dass sie mit »vorexilisch« oder »nachexilisch« hinreichend erfasst wäre.
Fünftens müssen sich Hendel und Joosten den Vorwurf gefallen lassen, dass dasjenige, was für LBH recht ist, auch für CBH billig sein muss: CBH soll wegen der epigraphischen Vergleichstexte aus dem 8.–6. Jh. v. Chr. vorexilisch sein, die Kontrollcorpora für LBH stammen hingegen frühestens aus dem 2. Jh. v. Chr. (vgl. zur Überschneidung, aber auch Weiterentwicklung des Qumranhebräischen gegenüber LBH J. Joosten, Late Biblical Hebrew and Qumran Hebrew: A Diachronic View, in: Ders. u. a. [Hgg.], The Reconfiguration of Hebrew in the Hellenistic Period. Proceedings of the Seventh International Symposium on the Hebrew of the Dead Sea Scrolls and Ben Sira at Strasbourg University, STDJ 124, Leiden 2018, 93–103), doch würde die historische Linguistik deshalb nicht die LBH-Texte Chronik, Esra-Nehemiah, Ester, Qohelet und Daniel, jedenfalls nicht zur Gänze, erst in diese Zeit ansetzen.
Sechstens zeigen bestimmte Argumentationen bei Hendel und Joosten, dass gerade die weitreichenden Urteile bezüglich des Al­ters der biblischen Texte nicht von sprachgeschichtlichen Einzelbeobachtungen abhängen, sondern von übergreifenden Theorien, die je für sich kritisch zu analysieren sind. So vertreten Hendel und Joosten etwa die Auffassung, dass Gen 10,11 f. mit seiner Beschreibung von Kalah (statt Ninive) als »großer Stadt« »reflects the Neo-Assyrian Empire prior to 700 BCE.« (109) Die Datierung von Gen 10,11 f. in die frühneuassyrische Zeit ist von großer literaturgeschichtlicher Bedeutung: »If the Nimrod pericope is a part of the J source, which we think likely, then this local conclusion has wider implications for the compositional history of the Pentateuch.« (109) Gen 10,11 f. wird also zur Datierung der mutmaßlichen Quelle J und damit bedeutender Textanteile des Pentateuchs herangezogen, die allerdings in der europäischen Diskussion in diesem traditionellen Verständnis kaum mehr eine Rolle spielt.
Siebentens sind schließlich methodische Bedenken gegenüber der Argumentation des Schlusskapitels anzumelden, welche eine grundlegende »consilience« der Resultate der historischen Linguis-tik mit anderen Herangehensweisen an eine historische Interpretation der Bibel aufzeigen will. Dieses Vorgehen ist zwar nicht falsch, aber es ist geeignet, die Autoren und ihre Leserschaft in falschen Sicherheiten zu wiegen: Um eine These wissenschaftlich ab­zusichern, empfiehlt es sich nicht, alles anzuführen, was sie weiter stützt, sondern vielmehr diejenigen Befunde zu diskutieren, die ihr entgegenstehen. Und davon gäbe es genug, Hendel und Joosten haben sie nur nicht in ihre Darstellung eingebracht.
So bleibt dieses Buch eine gute Einführung in die Grundlagen der historischen Linguistik des Biblisch-Hebräischen. Ein Brü-ckenschlag zur literaturgeschichtlichen Forschung an der Bibel ist ihm aber nicht gelungen und das von ihm insinuierte Gesamtbild der Entstehung der Hebräischen Bibel muss mit konfligierenden Beobachtungen und Urteilen vermittelt werden, die eine andere Sicht nahelegen.