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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

502–505

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schaack, Thomas

Titel/Untertitel:

Die Ungeduld des Papiers. Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums katab im Kontext administrativer Vorgänge.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. 382 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 262. Lw. DM 198,-. ISBN 3-11-015907-4.

Rezensent:

Stefan Timm

Da der Vf. erst auf der letzten Seite offenlegt, was bei dem Titel seiner Arbeit - einer Dissertation, die in Kiel unter H. Donner angefertigt und im Wintersemester 1996/97 angenommen wurde - assoziiert werden soll, ist hier zu erläutern, worum es in ihr geht.

Den Einsatz bildet die Beobachtung, dass einige Texte des Alten Testaments zu erzählen wissen, wie ein Auftraggeber (eine Auftraggeberin o. Ä.) eine Mitteilung an einen Dritten nicht mündlich durch einen Boten, sondern schriftlich überbringen ließ. Damit lautet die Ausgangsfrage: Hatte eine schriftlich übermittelte Botschaft einen "höheren Wert" als eine nur mündlich übermittelte? Wenn ja, worin bestand der? Konnte schriftliche und mündliche Kommunikation zugleich angewandt werden? Unter welchen Umständen wurde eine mündliche Kommunikation durch eine schriftliche ersetzt?

Nachdem in einer längeren Einleitung solche und ähnliche Fragen auf dem Hintergrund moderner Kommunikationstheorien erörtert worden sind (vgl. 1. "Zwischen ,Buchstadt’ und ’global village’", ... 1.2 "Aspekte der Forschung", bes. 1.2.1 "Schrift und Schriftlichkeit in der alttestamentlichen Forschung" [5-18] und 1.2.2 "Schrift und Schriftlichkeit in der nicht-theologischen Forschung" [18-22], wird an einem ersten exegetischen Beispiel exemplifiziert, welche Horizonte eines Textes bei dieser Fragestellung neu sichtbar werden. Es (= Kap 2, 2Sam 11) steht unter der Überschrift "Der König und die Korrumpierung der Kommunikation" (27-50). Der Vf. kann anhand der beiden Kommunikationsgänge mittels mündlich Nachrichten überbringender Boten (2.2.1 "Der Bote von der Front" [2Sam 11,6-7. S. 30-32] und 2.2.3 "Ein Bote zwischen Mördern" [2Sam 11,18-25. S. 43-46]) überzeugend herausarbeiten, dass es viel zu simpel ist anzunehmen, David habe seinen Ratschlag nur deswegen schriftlich an Joab übermittelt, weil Uria als Bote ja nicht verbatim sein eigenes Vernichtungsurteil habe überbringen können. Schon der erste Bote, von Joab an David, war nach der erzählerischen Darstellung nicht nur "organischer Speicher" einer von Joab verfassten Nachricht, sondern zugleich Zeuge (30). Die schriftliche Mitteilung Davids an Joab - übermittelt durch Uria - sei nicht bloß eine Steigerung des Motivs, sondern "dem Leser wird das Ausgehöhltsein des traditionellen Botenvorganges ... vorgeführt, und ihm wird deutlich gemacht, daß dem Medium Schrift dabei eine zentrale Funktion zukommt" (42 f.). Damit ergibt sich als Fazit des ersten exegetischen Kapitels: Der Autor der Thronfolgegeschichte lässt David und Joab virtuos mit den Medien spielen, die skrupellos zur Ausübung ihrer Macht eingesetzt werden. Das verwerfliche Spiel mit den Medien gipfelt in der Verwendung von Schrift, die den Tod des Unliebsamen ermöglicht. Dem stehe die Verwendung von Mündlichkeit an Perfidie nur wenig nach (47; vgl. auch 60-64).

Bei sicherer Beherrschung der textkritischen Probleme und klarem Urteil über die kontroversen Fragen hinsichtlich der literarischen Einheitlichkeit des Kapitels 2Sam 11 und seiner Zugehörigkeit zur Thronfolgegeschichte (27-28), vermag der Vf. (unter teilweiser Aufnahme früherer Beobachtungen bei H. Hagan und J. Conrad)1 dem Text ganz neue Aspekte abzugewinnen. Sie sind dazu in übergreifende Überlegungen zum Todesbriefmotiv eingebunden, das im griechischen Bellerophontes-Mythos eine eigene Ausprägung gefunden hat (ursprünglich aus dem asiatischen Raum entlehnt? [37-43]). Die Strukturparallelität zwischen dem Brief Davids und dem Brief Isebels (Nachweis: S. 36), in denen ein ausgeprägter Wille zur Macht dokumentiert wird bei gleichzeitig höchst überlegter Darstellungskunst, verweise als Ursprungsort solcher Erzählungen auf die königlichen Beamten.2 Deren Ideale haben sich auch in Aussagen der älteren Weisheit (Prov 16,12; 25,3; 29,2.26; 31,1-9 u. a.) niedergeschlagen (48 f. mit Anm. 86)3.

Das nächste (= 3.) Kapitel, überschrieben "Die Königin und eine Lektion im Herrschen", gilt dem Brief Isebels im Rahmen von 1Kön 21 (51-64). Auch hier sind die Urteile des Vf.s hinsichtlich der "Vorprobleme" der eigentlichen Textaussage, der Text- und Literarkritik, der Einbettung in den weiteren Horizont der prophetischen Sozialkritik, der Bezüge nach 2Kön 9-10 und der engeren Bezüge innerhalb der Eliageschichten sorgfältig abgesichert (51-55)4. Als ursprünglicher Text ist 1Kön 21,1-16 (ohne V. 11b und 13) anzusetzen, eine Erzählung, in der bezeichnenderweise noch kein Prophet auftritt, deren Intention es war, "die Art der Herrschaftsausübung und Konfliktbewältigung im Amt" bzw. "das Verhältnis des Menschen zur Macht" (M. Oeming5) offenzulegen (56 f.). Die Frage, warum es nicht genügte, dass Isebel ihre Aufforderung an die Notabeln von Naboths Heimatort nur mündlich überbringen ließ, sondern schriftlich, wird dahingehend beantwortet, dass nur so die Pseudonymität der Absenderin gewahrt bleiben konnte, womit gleichzeitig die Möglichkeit bestand, sich jederzeit von dem geforderten Rechtsbruch wieder distanzieren zu können (58 f.).

Das 4. Kapitel gilt den zwei Briefen, die Jehu an die Noblen in Samaria gesandt hat: "II Reg 10 - Der Usurpator und der Mut zur Lücke" (77-91). Für den ersten Brief Jehus kann der Vf. besonders fein herausarbeiten, dass hier eine Verschriftlichung der Aufforderung vor einer mündlich überbrachten den doppelten Vorzug hatte, dass sich die Kontrahenten nicht persönlich begegnen mussten und Emotionen zugelassen seien, ohne dass der andere sie wahrnähme (81). Die Gefährlichkeit des Schreibens habe gerade in dem gelegen, was es verschwieg, und dem, was seine Leser auf Grund ihres außertextlichen Wissens in den Text hineininterpretieren mussten (82, 84).

Für den zweiten Brief ist bis heute unklar, ob sein Leitwort ro’s schon von Jehu in dem Sinn gemeint war, dass er die abgeschlagenen Köpfe der restlichen Mitglieder der Königsfamilie vor sich sehen wollte oder nur die wichtigsten Repräsentanten der Stadt Samaria persönlich vor ihm zu erscheinen hätten. Sofern Jehu selbst mit der Doppelsinnigkeit des Wortes ro’s gespielt habe, hätte schon er hier einen schriftlichen Text wider alle Konvention bewusst zweideutig gestaltet. "Die Beherrschung von Schrift ist hier längst über das bloße Wissen um ihre materiellen Grundlagen hinausgelangt zu einem Wissen darüber, welche neuen Facetten kommunikativen Geschehens den Menschen durch den Schriftgebrauch zur Verfügung stehen" (91).

In vergleichbar behutsamer, doch höchst eindringlicher Weise sind die weiteren Kapitel gestaltet: 5. "II Chr 30 - Konstituierung der Gemeinde durch Schrift" (92-114), 6. "Esr 1-6 - Theologie unter den Bedingungen der Provinz" (115-157), 7. "Esther - Theologie unter den Bedingungen der Diaspora" (158-196) und 8. "Dan 6,26-28 - Ein Schreiben zum Schluß" (297-345). - Die sehr bedenkenswerten einzelnen Ergebnisse, die der Vf. in diesen Kapiteln herauszuarbeiten vermag, sind hier mangels Raum nicht darstellbar und müssen jeder Leserin und jedem Leser zur eigenen Entdeckung empfohlen werden. Dabei kommt der Vf. auf mancherlei "am Rande" zu sprechen: auf das antike Schreibmaterial und Schreibutensilien (102 mit Anm. 49), auf himmlische Bücher in all ihren verschiedenen Ausprägungen (128-133), auf das, was man in Büchern gesucht und gefunden hat (135-141) usw. Auf zwei Exkurse sei ausdrücklich noch hingewiesen, der erste steht unter der Überschrift: Siegel und Schriftkultur, mit zwei Unterabschnitten: 1. "Siegel und Stempel im Argumentationsrahmen von Schrift" und 2. "Siegel und Stempel außerhalb des Argumentationsrahmens von Schrift" (65-76). Dieser Exkurs ist eine handbuchartige Darstellung zur Funktion, dem Gebrauch und Missbrauch von Siegeln im Alten Orient, in Israel und Juda.6 Wichtiger noch, weil weitreichende Implikationen einschließend, ist der zweite Exkurs: "Zur Deutung des Unaufhebbarkeitsgesetzes" (197-222). In diesem Exkurs geht es (ausgehend von Est 3, 12ff.; 8,5 ff.) um die Unaufhebbarkeit von Gesetzen und die früher so genannte Ptah.h.otep-Formel. Was hier dargelegt wird, hat Folgen bis hin zur Deutung von Matth 5,17-8.7

Mit dem hier besprochenden Buch hat der Vf. eine höchst beachtenswerte Studie vorgelegt, der möglichst viele Leserinnen und Leser zu wünschen sind.8 Sie haben - wie der Rez.! - dem Vf. für vielerlei Belehrung Dank zu sagen.

Fussnoten:

1) H. Hagan, Deception as Motif and Theme in 2Sam 9-20, 1Kgs 1-2, Bibl. 60 (1979), 301-326 und J. Conrad, Der Gegenstand und die Intention der Geschichte von der Thronfolge Davids, ThLZ 108, 1983, 161-176.

2) Der handfeste Beleg dafür, dass einem "weisen Beamten" tatsächlich auch das Abfassen von Literatur zugeschrieben wurde, ist für den Rez. der Fall Ah.iqar. Der Vf. hat sonderbarerweise darauf nicht hingewiesen, obwohl das seine These sehr bekräftigt hätte. Bei den ägyptischen Lehren liegt es meist etwas anders.

3) W. Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr. Biblische Enzyklopädie, Bd. 3 (Stuttgart/Berlin/Köln 1997), 210, 236, 254, 260 ff. kann trotz aller Bemühungen (bes. 256 f.) nicht aufzeigen, in welchem Umfeld schon in Salomos Zeit eine derart krasse, antidavidische Erzählung wie 2Sam 11 verfasst sein soll. Hier führen die Verbindungslinien aus 2Sam 11 zur Weisheit der Beamten, die T. Schaack aufgezeigt hat, entschieden weiter. - Besonders deutlich wird die Qualität der Studie von T. Schaack in ihrem hermeneutisch-theoretischen Ansatz und dessen Durchführung, sofern man sie vergleicht mit der etwa zeitgleichen und handwerklich sehr fleißigen Arbeit von S. Seiler, Die Geschichte von der Thronfolge Davids (2Sam 9-20; 1Kön 1-2), BZAW 267 (Berlin/New York 1998), 241-257 (257).

4) Dazu jetzt auch mit vergleichbaren Ergebnissen hinsichtlich der text- und literarkritischen Entscheidungen und der Intention M. Beck, Elia und die Monolatrie. Ein Beitrag zur religionsgeschichtlichen Rückfrage nach dem vorschriftprophetischen Jahwe-Glauben, BZAW 281 (Berlin/New York 1999), 49-70 (53f., 61 ff.).

5) M. Oeming, Naboth der Jesreeliter ..., ZAW 98, 1986, 363-382 (379).

6) Vgl. dazu auch den Art. Sceau, in: DBS (Paris 1992), besonders 1. (P. Amiet), Sceau dans l’ancien Orient (ebd. Sp. 66-86) und 2. (P. Bordreuil), Sceaux inscrits des pays du Levant (ebd. Sp. 86-212) sowie als neueste Materialsammlung: N. Avigad/B. Sass, Corpus of West Semitic Stamp Seals, Jerusalem 1997.

7) Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass das Buch keinen Sach- oder Bibelstellen-Index enthält. Nur durch ihn wäre ein Zugriff auf viele Einzelheiten möglich.

8) Da das Buch sehr sorgfältig gearbeitet ist, finden sich nur wenige Druckfehler. Dem Rez. sind folgende aufgefallen: S. 35 Anm. 29 schreibe: "oben Anm. 5". S. 68 Anm. 12 unter dem Sigel D. Collon ist Frau Dominique Collon verborgen. S. 101-103 bei den nach S. Euringer (1911 und 1912) zitierten ägyptischen Texten wäre es hilfreich gewesen - wenngleich sehr arbeitsaufwendig! - ihre Originalstelle aufzusuchen und die Zitate auf die Transkription des "Berliner Wörterbuches" umzustellen. S. 107 schreibe: "Worten den Wandel der Zeit". S. 125 Anm. 41 muss wohl heißen "überhaupt nicht die Rede sei". S. 133 Anm. 73 schreibe: "prägnant". S. 137 schreibe: "Autoren in einer Eingabe". S. 139 Anm. 97 den Juden in Elephantine haben nicht Priester von (einem Ort) Khnub zu schaffen gemacht, sondern die des ägyptischen Gottes Hnum, griech. Chnoubis, der auf Elephantine ein wahrlich großes Heiligtum hatte. S. 146 zu außerbiblischen Belegen für westsemitische Wörter (hier zu aram. nstwn) sind die Belege nunmehr gesammelt in DISO2 = J. Hoftijzer/K. Jongeling, Dictionary of the North-West Semitic Inscriptions, HdO, 1. Abt., 21. Bd., Part 1-2 (Leiden/New York/Köln 1995), 766. S. 188 Anm. 116 schreibe wohl: "oben 6.1.) in Anspruch genommen". S. 189 der Satz mit: "weil retardierendes Element ..." ist am Ende verstümmelt. S. 207 trenne: "her-ausgestellt". S. 207 schreibe: "was dieser Urkunde". S. 213 Anm. 53 der Art. von H. Quecke, Ich habe nichts hinzugefügt und nichts weggenommen. Zur Wahrheitsbeteuerung koptischer Martyrien, in: Fragen an die ägyptische Literatur (Gedenkschrift E. Otto), (Wiesbaden 1977), 399-416, ist im Lit.-Verzeichnis ausgefallen. S. 213 Anm. 53 schreibe: Suppiluliuma (oder Suppiluliuma).