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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

631-644

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Eckart Otto

Titel/Untertitel:

Neuere Forschungen zum Gründungsmythos Israels

Das Buch Exodus im Spiegel neuerer Kommentare1

Das Exodusbuch ist das Zeugnis einer Traditionsliteratur aus mehr als einem halben Jahrtausend von kontrovers geführten theologischen Diskursen zur Ursprungsgeschichte Israels in Ägypten und in der Wüste am Gottesberg, die der Selbstvergewisserung Israels in Bezug auf seine Identität und ihrer jeweiligen Legitimation diente. Die Legitimationsprobleme der Aktualisierungen der narrativen Selbstvergewisserung wurden vornehmlich im Medium der Schriftauslegung gelöst. Für die neuzeitlichen Bibelwissenschaften ist angesichts des erheblich größer gewordenen Zeitabstands und des in der Neuzeit erwachten historischen Bewusstseins die hermeneutische Aufgabe erheblich komplexer gewor-den, als sie sich für die Autoren in der biblischen Antike darstellte. Gefragt ist heutzutage eine Entscheidung, wie auf die konsequente Historisierung des modernen Welt- und Selbstbewusstseins mit der Kommentierung biblischer Bücher reagiert werden soll. Seit der Aufklärung antworten die Bibelwissenschaften mit einem im­mer weiter ausdifferenzierten Methodenkanon historisch-kritischer Exegese auf die hermeneutischen Herausforderungen, was zu einer immer weiter vorangetriebenen Ausdifferenzierung der historisch-kritischen Hypothesen zum literarhistorischen Wachstum des Bibeltextes führte, so dass das Bemühen um ein Verstehen des gegebenen hebräischen Textes hinter den Hypothesen zu seiner literarischen Vorgeschichte zurücktrat. Die Alttestamentliche Wissenschaft hat auf diese Situation mit dem Auseinandertreten diachroner Kommentierungen, die sich auf die Literaturgeschichte des Exodusbuches fokussieren, und solcher der synchronen Aus legung des gegebenen hebräischen Textes reagiert. Es wird eine wesentliche Aufgabe der alttestamentlichen Wissenschaft sein, diese beiden divergierenden Auslegungsweisen in der Kommentarliteratur biblischer Bücher wieder zusammenzuführen und sie als sich er­gänzend und damit beide als unverzichtbar zu erweisen.

Jede Kommentierung des Buches Exodus ist darüber hinaus mit den historischen und religionshistorischen Problemen konfrontiert, Antworten auf die Fragen nach den Ursprüngen Israels und der JHWH-Verehrung in Israel zu finden. Versuche, den Ursprung des Gottes JHWH aus Mittelpalästina abzuleiten, haben nicht zur historischen Aufklärung des Ursprungs der JHWH-Verehrung beitragen können, da noch im 1. Jt. bis zum 9. Jh. v. Chr. keine gesicherten epigraphischen Belege für diesen Gott in Palästina bekannt sind.2 Vielmehr weisen die ältesten epigraphischen Zeugnisse für JHWH nach Ägypten, da Inschriften an ägyptischen Tempeln in Amara West und in Soleb im 14. Jh. JHWH-Beduinen (šasu Jahu) für das Gebiet östlich des Wadi Araba oder in Nordarabien bezeugen. Umgekehrt ist der mit dem kanaanäischen Gott El verbundene Israel-Name im 13. Jh. in Palästina belegt, so dass sich die Frage stellt, wie der Gott JHWH aus dem Süden von Palästina mit Israel im Kulturland Palästina verbunden wurde. Stammt das bislang wohl älteste epigraphische Zeugnis von JHWH in Palästina vom moabitischen König Meša im 9. Jh., so ist das Hinweis darauf, dass JHWH in der Zeit der Omri-Dynastie in Mittelpalästina Fuß ge­fasst hat. Die Verbindung zwischen den epigraphischen Belegen für JHWH in Ägypten im 2. Jt. und im 1. Jt. in Palästina liefert die Exodustradition3 in ihrer Differenziertheit.4 So ist eine im Norden, d. h. im omridischen Israel im 9. Jh. beheimatete Exodustradition, die im Ursprung von einem Exodus ohne Mose erzählte, von einer im 7. Jh. im Süden, d. h. in Juda beheimateten Tradition zu unterscheiden, die mit Moses Geburt, die in Ex 2,1–10* nach assyrischem Vorbild erzählt wird, einsetzte.5 Die Rezeptionsgeschichte der Exodustraditionen in den Psalmen und dem prophetischen Schrifttum zeigt, dass sie als der wichtigste Gründungsmythos Israels verstanden wurden,6 der darüber Auskunft gibt, wie Israel und JHWH zu­einander fanden. Will man der Frage nachgehen, wie Israel in seiner narrativen Literatur im Verlauf einer Literaturgeschichte von mindestens sechs Jahrhunderten diesen Ursprungsmythos theologisch interpretiert und die Lücke mehrerer Jahrhunderte in den epigraphischen Zeugnissen von JHWH zwischen dem 14. Jh. in Ägypten und dem 9. Jh. in Palästina überbrückt hat, so ist man auf das Exodusbuch und seine Kommentierung gewiesen.

I Kommentare mit einem vornehmlich literatur-historisch-diachronen Zugang zum Exodusbuch

Die Aufgabe der Kommentierung des Buches Exodus war vor einem halben Jahrhundert einfacher, als sie es gegenwärtig ist, da in diesen Jahrzehnten seit den 70er Jahren des 20. Jh.s die Erforschung der Literaturgeschichte des Pentateuchs ihren exegetischen Konsens einer sich auf J. Wellhausen berufenden Quellenscheidung der vier Quellen von J/E/D/P eingebüßt und unwiederbringlich überwunden hat.7 An ihre Stelle sind mehrere konkurrierende Thesen zur literarischen Entstehung des Pentateuchs getreten, wie auch die Frage im Raum steht, ob ein Kommentar zum Buch Exodus überhaupt noch die Aufgabe der Erklärung der literarischen Diachronie des Textes hat, und nicht vielmehr die synchrone Erklärung nur des gegebenen Textes sein Ziel sein soll. Auf diese ungeklärte Forschungssituation reagieren Kommentatoren sehr unterschiedlich – von einem Ignorieren der Situation des Umbruchs in der Pentateuchforschung bis hin zu dem Versuch, mit der Kommentierung einen Forschungsbeitrag zur Erhellung der ungeklärten Forschungssituation zu leisten.

Die Kommentare von W. H. Schmidt und G. I. Davies gehen den ersteren Weg. Die Genese des Kommentars zu Ex 1–18 von W. H. Schmidt, dessen erste Lieferung 1974 erschien, die letzte erst 2019, erklärt das unbeirrte Festhalten an der traditionellen Quellenscheidung einschließlich der These eines früh zu datierenden Jahwisten und Elohisten. Die Fortsetzung des Kommentars im Jahr 2016 knüpft unverändert und unbeeindruckt an die 1999 unterbrochene Kommentierung des Exodusbuches an, ohne zu erkennen zu geben, dass sich in diesen Jahren die Forschungsdiskussion grundlegend gewandelt hat. Noch in der letzten Lieferung von 2019 er­neuert der Vf. die These, dass der vorpriesterschriftliche Textbestand auch im Buch Exodus auf die Quellen des Jahwisten und Elohisten zu verteilen sei (619–628), wobei er einräumt, dass die Quel le eines Elohisten nur noch in Fragmenten erhalten sei. Da das Exodusgeschehen in diesen beiden Quellen und in Ex 15,21 je un­terschiedlich erzählt werde, schließt der Vf. auf ein historisches Geschehen eines Exodus als ihr jeweiliger Hintergrund, der als gedeutete Erfahrung einer unerwarteten Rettung Israels und des Untergangs der ägyptischen Verfolger tradiert worden sei. »Das ›Dass‹ des Geschehens ist in der Tat nicht zu bezweifeln, aber das ›Wie‹ des Hergangs – einschließlich der Lokalisierung und des Zusammenhangs mit der Folgegeschichte – bleibt im Einzelnen ungewiss.« (613) Da der Vf. den Jahwisten in Juda zur frühen Königszeit verortet, ist s. E. die Exodustradition dort auch schon frühzeitig bekannt gewesen, was durch den außerbiblisch-epigraphischen Befund nicht gestützt wird, da eine außerbiblisch-epigraphische Bezeugung JHWHs in Juda erst im 8. Jh. einsetzt. Der Kommentar sammelt vornehmlich die Textbeobachtungen, die durch die Quellenscheidung eine Erklärung finden sollen, wobei der Vf. aber zwischen Textbeobachtung und Deutung geschieden wissen will (360). Insofern nimmt er eine forschungsgeschichtlich wichtige Funktion wahr, wenn er Ergebnisse der Literarkritik im Exodusbuch aus der Epoche der Quellenscheidung zusammenfasst, wobei zahlreiche Textbeobachtungen auch in gewandelter Forschungssituation gültig bleiben und einer neuen Erklärung bedürfen. Eine synchrone Interpretation des gegebenen Textes entfällt darüber in diesem Kommentar weitgehend. Da seine Fortsetzung in der Reihe des Biblischen Kommentars durch diesen Vf. nicht geplant ist, entfällt die Nagelprobe für die Quellenscheidung in Ex 19–40, da es seit J. Wellhausen nicht gelungen ist, auch nur annähernd eine Übereinstimmung darüber zu erzielen, wie in der Sinaiperikope die nichtpriesterlichen Textanteile auf die zwei Quellen von Jahwist und Elohist zu verteilen seien. Alles dies gilt auch für den Kommentar zu Ex 1–18 von G. I. Davies, der, obwohl erst 2020 veröffentlicht, ebenfalls weitgehend der traditionellen Quellenscheidung im Horizont von J. Wellhausen folgt. Im Ge­gensatz zum Biblischen Kommentar von W. H. Schmidt, dem eine Einleitung fehlt, ist der International Critical Commentary von G. I. Davies mit einer ausführlichen Einleitung versehen, in der der Vf. die Forschungsgeschichte des Pentateuchs skizziert und erneut die traditionelle Quellenscheidung begründet, wobei die Dubletten wie schon bei Wellhausen zentrales Argument sind, nachdem mit der Offenbarung des JHWH-Namens in Ex 3 und Ex 6 das Kriterium des Wechsels der Gottesnamen weithin ausfällt.8 Im Gegensatz zu den »New Documentarians«, die mit einer mechanischen Verknüpfung der Quellen ohne theologisch profilierte Redaktion rechnen, spricht der Vf. der jehowistischen Redaktion eine theologisch prägende Gestaltungskraft zu. Umgekehrt habe es keine deuteronomistische Redaktion im Exodusbuch gegeben. Auch lehnen beide Kommentatoren Thesen ab, die im priesterlichen Textsegment nicht eine Quelle, sondern eine Bearbeitungsschicht sehen wollen.

Die Kommentare von R. Albertz und W. Oswald/H. Utzschneider ziehen tiefgreifende exegetische Schlussfolgerungen aus dem Umbruch der Pentateuchforschung der letzten fünfzig Jahre. R. Al­bertz fasst den Abschied von der Quellentheorie und das Wiederaufleben der ihr vorangehenden Fragmenten- und Ergänzungstheorien mit den Worten zusammen:

»[D]iese Quellentheorie, die anhand des Buches Genesis entwickelt wurde, [hatte] im Buch Exodus schon immer erhebliche Probleme, insbesondere bei der Zuordnung der Sinaiperikope (Ex 19–40) zu den drei Quellen. Konsensfähig war dabei eigentlich nur die Unterscheidung von priesterlichen und nicht-priesterlichen Texten. Da in den letzten Jahrzehnten die grundsätzlichen methodischen und konzeptionellen Schwächen dieses Ent-stehungsmodells immer deutlicher zutage getreten sind, soll in diesem Kommentar ein neues redaktions- und kompositionskritisches Modell vorgestellt und auf seine Tauglichkeit geprüft werden. Dieses geht davon aus, dass der Pentateuch nicht aus durchlaufenden Quellenwerken, sondern aus kleinen Erzählkompositionen bzw. Rechtssammlungen entstanden ist, die sukzessive durch mehrere Bearbeitungen bzw. Redaktionen zu immer umfangreicheren Einheiten verkettet und dabei vielfach ergänzt worden sind, bis sie schließlich den Umfang des vorliegenden Pentateuch bzw. Hexateuch erreichten.« (19)

Der erste größere literarische Zusammenhang sei eine Exoduskomposition (KEx) aus dem 6. Jh., die von der Unterdrückung derIsraeliten in Ägypten (Ex 1,9–12) bis zur Erneuerung des Bundes in Ex 34,28–32 reichte. Die Einbeziehung des Abfalls von JHWH in der Erzählung vom Goldenen Kalb in Ex 32 lasse auf eine Abfassung der Komposition in der Exilszeit um 540 v. Chr. schließen. Der Redaktor der Komposition (REx), der nicht in ein deuteronomistisches Milieu gehöre, habe kleinere Erzählwerke aus Juda und Israel aus dem 10.–7. Jh. aufgenommen. So soll die Mose-Erzählung einschließlich der seiner Geburt in Ex 2,1–10 aus Israel im 9. Jh., die älteste Exoduserzählung in Ex 14* sogar aus dem 10. Jh. stammen. Der Vf. löst den historischen Kern der Erinnerung in dieser Meerwundererzählung von einem am Rande Ägyptens angesiedelten Geschehen des 12. Jh.s und verlegt es nach Palästina in Gestalt einer Erinnerung an einen überstandenen Einfall des ägyptischen Pharao Šošenk I. um 925 v. Chr., nach dem der Pharao bald verstarb. Der außerbiblisch-epigraphische Befund stützt allerdings eine derartige Frühdatierung der Exoduserzählung in das 10. Jh nicht. In der Sinaiperikope seien von REx Dekalog und Bundesbuch aus dem 8./7. Jh. sowie eine Gottesmahlerzählung in Ex 24 und die des Goldenen Kalbs in Ex 32, die jeweils aus der Exilszeit stammen sollen, aufgenommen worden, um mit KEx ein Hoffnungsparadigma zu schaffen, das zeigen wolle, dass auch nach Judas babylonischer Katastrophe JHWHs Befreiungs- und Verpflichtungsgeschichte wei­tergehe. Die weitere Literaturgeschichte der Exoduskomposition ist die ihrer kontinuierlichen Fortschreibung durch zahlreiche Überarbeitungen und Redaktionen in der nachexilischen Zeit vom 6. bis zum 4. Jh. So sei nicht nur mit einer, sondern einer Vielzahl »priesterlicher Bearbeitungen« (PB1–5) zu rechnen. Wenn der Eindruck entstehe, dass sich priesterliche Texte oftmals nahtlos aneinanderfügen, so sei das nicht darin begründet, dass sie Teil einer priesterschriftlichen Quelle gewesen seien, sondern der Autor von PB1 seine Texte zum Teil »schriftlich konzipierte, bevor er sie in die KEx einfügte«. Da liegt es zur Erklärung des unstrittigen literarischen Befunds des engen Zusammenhangs der priesterschriftlichen Texte doch näher, weiterhin mit einer Quelle P zu rechnen.9 PB2 soll vor allem Lev 17–26 in die Sinaiperikope eingefügt10 und so einen »Tritoteuch« (Gen–Lev) geschaffen haben, der sich als Alternative zum Deuteronomium verstanden habe.11

Vor weiteren priesterlichen Bearbeitungen soll eine spät-deuteronomistische Redaktion (D) die Exoduserzählung in eine Frühform des Pentateuchs und diesen als Teil eines Enneateuchs in ein Deuteronomistisches Geschichtswerk (DtrG) einbezogen haben.12 Darauf folgen eine priesterliche Hexateuchredaktion (HexRed) und weitere priesterliche Bearbeitungen PB4 und PB5 als eine Pentateuchredak-tion. Schließlich kommen noch eine Mal’ak-Redaktion, eine an der Salbung Aarons interessierte priesterliche Bearbeitung PBSAL und eine Anzahl chronistischer Ergänzungen (chrE) der Exoduserzählung hinzu. Die literarische Tiefendimension von elf Schichten im Buch Exodus ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der Vf. gleich mehrere Erklärungsmodelle zur Entstehung des Pentateuchs jenseits der Quellenscheidung kombiniert.13 Der literarische Horizont und Kontext des Exodusbuches wandelt sich von einem Tritoteuch (Gen–Lev), zu einem Enneateuch (Gen–2Kön) und zurück zu einem Hexateuch (Gen–Jos) und schließlich zu einem Pentateuch (Gen–Dtn). Der Vf. kann aber weder die Hexateuch- noch die Pentateuchredaktion theologisch profilieren, da sie in ihrem Textbestand so knapp ausfallen, dass man eher von Glossatoren sprechen müsste, da die diesen Redaktionen zugehörigen Textbestände vom Vf. bereits den vielschichtigen D- und P-Bearbeitungen zugewiesen wurden. Der Vf. erkennt zwar, dass die P-Bearbeitungen in Konkurrenz zum Deuteronomium vorgenommen wurden, er sieht aber nicht, dass wesentliche Textanteile im Exodusbuch den post-priesterschrift-lichen Redaktionen im Horizont von Hexateuch und Pentateuch zufallen, die Priesterschrift und Deuteronomium zusammendenken und literarisch verknüpfen.

Einen literaturhistorisch einfacheren Entwurf zur Literaturgeschichte des Buches Exodus legt W. Oswald in dem Kommentar der neu gegründeten Kommentarreihe »Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament« vor, der nach Aussage der Herausgeber eine multiperspektivische Interpretation der Bücher des Alten Testaments bieten will. Dazu sollen synchrone und diachrone Auslegungen, in der Regel durch jeweils unterschiedliche Autoren verantwortet, kombiniert werden.14 Wie R. Albertz erklärt auch W. Oswald die klassische Quellenscheidung in der Nachfolge von J.  Wellhausen forschungsgeschichtlich für seit den 70er Jahren des 20. Jh.s überholt und durch ein kompositionsgeschichtliches Modell zu ersetzen, wonach mehrere, zunächst unabhängig voneinander verfasste und überlieferte Themenblöcke im Pentateuch miteinander verknüpft wurden. Ein derartiger Block sei eine selbständige Exoduserzählung gewesen, die ausgehend von Ex 1,11 die Rechtmäßigkeit der Aufkündigung der Vasallität Israels unter der ägyptischen Oberherrschaft begründen wollte und mit dem Un­tergang Ägyptens in Ex 14,30–31* ihr Ziel erreichte. Als historischen Hintergrund dieser Exoduserzählung schließt der Vf. eine ge-glückte Flucht von semitischen Bausklaven aus Ägypten im frühen 12. Jh. nicht aus, deren Erzählung im 7. Jh. zur Legitimation der Vasallenrebellion gegen die Assyrer verschriftet worden sei.15 Eine Exodus-Gottesberg-Erzählung ergänze in der Exilszeit des 6. Jh.s die Exoduserzählung in Ex 3–4*; 15–24* und bringe das Bundesbuch in Ex 20–23 als Verfassung für die im Lande Verbliebenen als konstitutioneller Personenverband ein, der der griechischen Polis vergleichbar sei. So erweitert sei die Exoduserzählung in der zweiten Hälfte des 5. Jh.s deuteronomistisch in der Sinaiperikope um die Thematik von Bund und Bundesbruch mit der Erzählung vom Goldenen Kalb in Ex 32 erweitert und Teil eines Deuteronomistischen Geschichtswerks geworden, das mit 2Kön 25 geendet habe. Dieses dtr Werk sei schließlich von einer priesterlichen Komposition überlagert worden, die sich als ein Gegenüber zum Deuteronomistischen Geschichtswerk verstanden habe. Auf eine Tora-Kom position sei die Abgrenzung des Pentateuchs durch die Unter-brechung des Zusammenhanges zwischen Deuteronomium und Jo­suabuch in Dtn 34,10–12 zurückzuführen. Mose werde im Exodusbuch vom Volk Israel abgerückt und damit auch der Pentateuch von allen anderen biblischen Schriften, was auf die spätpersische oder frühhellenistische Zeit des 4.–3. Jh.s weise. Es gelingt in diesem Kommentar deutlicher als im Zürcher Kommentar, die unterschiedlichen literarischen Schichten theologisch und politisch zu profilieren und damit auch gegeneinander abzugrenzen. R. Albertz a ber hatte die dtr Bearbeitung der Exoduserzählung durch die Redaktion D der grundlegenden priesterlichen Bearbeitung (PB1) literaturgeschichtlich nachgeordnet und trägt damit dem Um­stand Rechnung, dass sich sehr häufig dort, wo sich dtr Sprach-eigentümlichkeiten im Exodusbuch zeigen, sie es in Verbindung mit priesterlicher Sprache und Motivik tun, so dass es sich um post-priesterliche Redaktionen handelt. Die Vorbehalte gegen die These einer Integration der Exoduserzählung in einen deuteronomistischen Enneateuch, die bereits gegen den Zürcher Kommentar von R. Albertz vorgebracht wurden, sind auch in Bezug auf diesen Kommentar gültig.16 Insgesamt aber wird man konstatieren dürfen, dass die beiden Kommentare von R. Albertz und W. Oswald von dem Bemühen geprägt sind, der gewandelten Forschungssituation in der Pentateuchforschung nach dem Abschied von der Quellenscheidung Rechnung zu tragen, so u. a. mit dem ihnen gemeinsamen Ausgangspunkt der Literaturgeschichte des Pentateuch in einer Fragmententhese und der redaktionellen Verknüpfung der Fragmente und ihrer Bearbeitungen in einer Redaktionsthese, so dass Quellenscheidungen hinfällig werden. Zu diskutieren bleibt, ob oder wie die Überlieferungen des Pentateuchs mit solchen eines Deuteronomistischen Geschichtswerks in 1Sam 1–2Kön 25 verknüpft wurden, und wie intensiv eine vorpriesterschriftlich-deuteronomistische Bearbeitung in das Exodusbuch eingegriffen hat. In den Kommentaren von W. H. Schmidt und G. I. Davies wird wie bereits von M. Noth17 die Annahme einer dtr Redaktion im Exodusbuch abgelehnt. So bleibt in der Kommentierung von W. Os­wald das Verhältnis der dtr Einträge in das Exodusbuch zu denen ungeklärt, in denen deuteronomistische mit priesterlicher Sprache post-priesterlich amalgamiert ist.

Einen eigenen Weg in der Kommentierung des Exodusbuches geht C. Houtman im Historical Commentary on the Old Testament (HCOT), der eine Übersetzung seines niederländischen Kommentars aus den 80er Jahren des 20. Jh.s ist. Sehen die Herausgeber dieser Kommentarreihe des HCOT vor, dass auf die Übersetzung des hebräischen Textes unter »Essentials and Perspectives« die Forschungsergebnisse der bisherigen historisch-kritischen Exegese der betreffenden Perikope vorgestellt werden (Bd. 1, 543–545), um anschließend unter der Überschrift »Scholarly Exposition« den Text versweise auszulegen, so verändert C. Houtman diese Vorgabe und präsentiert unter »Essentials and Perspectives« jeweils ein close reading des Textes der Perikope. Der Grund für diese Abweichung ist nicht dem Kommentar zu entnehmen. Vielmehr hat der Vf. die gesamte Forschungsgeschichte einschließlich der Begründung seiner eigenen Position zur literarischen Entstehungsgeschichte des Pentateuchs in eine gesondert publizierte Monographie ausgelagert,18 in der er als Ergebnis der Forschungsgeschichte die Überwindung der Quellenkritik im Horizont J. Wellhausens konstatiert und als seine Alternative einer darauf reagierenden Position die These eines Enneateuchs entwickelt, der in 2Kön 25 seinen Ab­schluss gefunden habe und von einem Autor oder Autorenkreis unter Verwendung von Stoffen unterschiedlicher Herkunft niedergeschrieben worden sei. Der Abschluss mit der Begnadigung des Davididen Jojachin im babylonischen Exil in 2Kön 25 sei Hinweis auf die Abfassung des Enneateuchs um die Mitte des 6. Jh.s. Eine literarische Vorgeschichte des Enneateuchs in Gestalt der in ihn aufgenommenen Überlieferungen sei nach Meinung von C. Houtman nicht mehr exegetisch aufzuklären.19 Damit erübrigt sich für ihn auch eine derartige exegetische Rückfrage im Rahmen des Exoduskommentars, da das Exodusbuch eine tiefere literarische Diachronie nicht mehr zu erkennen gebe. Der Vf. zieht daraus aber nicht die Konsequenz einer synchronen Interpretation des Textes, was angesichts der Annahme literarischer Einheitlichkeit des Textes nahegelegen hätte. Vielmehr sammelt er in der »Scholarly Exposition« Vers für Vers eine Fülle von Sprach- und Sacherklärungen zum Text, so dass er es seinem Leser zuweist, mit Hilfe der als Interpretationshilfen gegebenen Erläuterungen den Text der Perikopen eigenständig theologisch zu interpretieren. Offensichtlich versteht der Vf. den Kommentar so als eine Form der Predigthilfe. Stellenweise gelingen ihm aber in den »Essentials and Perspectives« auch theologisch weiterführende Interpretationen, die den calvinistischen Kontext des Vf.s sehr deutlich zu erkennen geben, so wenn es um die theologische Bedeutung des Dekalogs oder um die Idolatrie Israels in der Erzählung vom Goldenen Kalb in Ex 32 geht. Wenn der Text des Exodusbuches als literarisch einheitlich aus dem 6. Jh. stammen soll, seien auch keine Aussagen des Textes über historisches Geschehen der Frühgeschichte Israels und den Exodus zu erwarten (189 f.), so dass der Vf. losgelöst und unabhängig vom Exodusbuch einen Exodus schon im 14. Jh. für möglich hält, da die Amarna-Korrespondenz dem nicht widerspreche (173 f.241 ff.) und die Nennung Israels in Palästina im 13. Jh. in der Merenptah-Stele eine Erklärung finden kann.

II Kommentare mit einem vornehmlich literarisch-synchronen Zugang zum Exodusbuch


Die Forschung zur Literaturgeschichte des Pentateuchs ist durch eine zunehmende Ausdifferenzierung der exegetischen Methoden gekennzeichnet, was mit einer immer weiter vorangetriebenen Differenzierung exegetischer Hypothesenbildung zur Entstehung des Pentateuchs geführt hat, hinter der das Verstehen des gegebenen hebräischen Textes zurückzutreten scheint.20 Eine Reihe von Exegeten hat daraus die Konsequenz der Notwendigkeit einer Wende zur synchronen Textinterpretation gezogen und das Verstehen des kanonischen Textes, nicht aber die Interpretation von konstruierten Vorstufen zur Hauptaufgabe einer synchronen Kommentierung des Textes gemacht, um so die Subjekt-Objekt-Relation zwischen Text und Kommentator wieder zugunsten des gegebenen Textes umzukehren und diesen Text als aktives Subjekt der Auslegung zur Geltung zu bringen,21 dessen Objekt der Kommentar als sein Metatext ist. C. Dohmen hat in seinem zweibändigen Herder-Kommentar der synchronen Textauslegung des Exodusbuches eine überzeugende Einleitung zur synchronen Methodik des Kommentars vorangestellt, in der er sein methodisches Vorgehen begründet. So habe der Bibeltext die Funktion, in einer »zerdehnten Sprechsituation« diatopische und diachrone Hindernisse zu überwinden. Da Bibeltext und heutiger Leser durch die Unterschiede der Kulturhorizonte geschieden sind, bedarf der Bibelleser der Vermittlung durch die Kommentierung des Bibeltextes. In diesem Prozess, so der Vf. mit Umberto Eco, begegnen sich die intentio auctoris und die intentio lectoris in der intentio operis des Bibeltextes,22 die zu erheben Aufgabe des Kommentars ist. Der Kommentar ist also ein Metatext zum hebräischen Text des Exodusbuches, der die Sinnpotentiale des Bibeltextes herausarbeiten soll.

»Die Rekonstruktion der Genese des Textes (im Kommentar) hingegen muss dabei zurücktreten […] Im Rahmen eines Kommentars führt die Rekonstruktion der Textgenese dazu, dass der auszulegende Text zuerst vom Kommentator ›kreiert‹ wird. Dies aber birgt ein methodologisches Problem in sich: Die (diachrone) Analyse im Sinne historisch-kritischer Exegese, die zur Hypothese einer bestimmten Textgenese führt, setzt bei Urteilen über den Text an, um daraus Schlüsse zu ziehen, die eine vorgeschlagene Genese plausibel machen. Unter methodischer Hinsicht müsste man aber fordern, dass der Text zuerst in seiner vorliegenden Gestalt aufgenommen und erklärt wird.« (Bd. 1, 55)23

So soll der Kommentar die »innere Sinnstruktur« des Bibeltextes im Exodusbuch erfassen, die aber nicht auf eine einzige festgelegt werden kann, so dass sie dem Leser, der den Bibeltext für sich verstehen soll, mit einer »unspezifischen Genauigkeit« (Hilde Domin) eine Auslegung, die keine »Feststellung« sein soll, geboten wird. Der Leser soll also ermächtigt werden, den für ihn gültigen Sinn des Bibeltextes selbst zu profilieren.24 Sollen Sinnstrukturen des Textes in Gestalt des masoretischen Textes der hebräischen Bibel beschrieben werden, entfällt die Suche nach einem »ursprünglichen Text« ebenso wie die nach der literarischen Vorgeschichte des gegebenen Textes. Wird konsequent zwischen Literatur und Geschichte ge­schieden, entfallen auch alle Rückfragen nach der Erinnerung his­torischen Geschehens in den Texten des Exodusbuches. Alle topographischen und chronologischen Angaben seien nur auf einer synchronen Textebene der Erzählzeit zu interpretieren. Theologisch sieht der Vf. in den ersten 18 Kapiteln des Exodusbuches nicht primär eine Erzählung von der Befreiung Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten, sondern wie auch im zweiten Teil des Exodusbuches die einer Geschichte, die auf die Erfüllung der Verheißung der Gabe des Landes zielt. C. Dohmen verdient »Respekt vor einer großartigen Leistung und Hochachtung für den Mut, ganz neue Maßstäbe in der deutschsprachigen Landschaft der Kommentatoren biblischer Bücher zu setzen und einen vielleicht nicht neuen, aber in dieser ›Radikalität‹ wohl einzigartigen, Weg zu gehen«25. C. Dohmens Kommentar ist ein in der gegenwärtigen Situation der Bibelwissenschaften notwendiger Weckruf, den gegebenen hebräischen Text mit der Suche nach der intentio operis des Bibeltextes in das Zentrum der Kommentierung zu rücken. Das gilt auch für den Kommentar von G. Fischer und D. Markl in der Reihe »Neuer Stuttgarter Kommentar – Altes Testament«. G. Fischer knüpft damit an seine synchron gearbeitete Dissertation zu Ex 3–4 und sein Schüler D. Markl an seine Dissertation zu Ex 19–24 an.26 Die Vf. leiten ihre konsequent synchrone Auslegung des Exodusbuches mit der Versicherung ein, man wolle nahe beim biblischen Text bleiben, während die zahlreichen Hypothesen zur Entstehung des Exodustextes keine Aufnahme in den Kommentar finden sollen: »Vielmehr soll die Aussage und die Ausstrahlung des Buches in den Mittelpunkt treten«, so dass auch dieser Kommentar der von Benno Jacob propagierten Trennung von Exegese und historischer Kritik folgt.27 Die Vf. arbeiten akribisch die literarischen Verknüpfungen in Gestalt von Stichwortverbindungen, Prolepsen, Wiederaufnahmen etc. des sich so als Einheit erweisenden Textes des Exodusbuches heraus. Die Komposition des gegebenen hebräischen Textes wird von den Vf. in das 5. Jh. datiert. Wie bereits C. Houtman ist auch G. Fischer der Meinung, dass sich die literarische Vorgeschichte des Textes nicht mehr rekonstruieren lasse. »Angesichts dessen, dass diese Texte innerlich ganz stark verflochten sind und auch gezielt als einheitliches Ganzes präsentiert werden […], und angesichts der mehr als 130 Jahre währenden vergeblichen intensiven Bemühungen um eine akzeptable Deutung müssen wir heute eingestehen, dass alle Versuche, die Entstehung dieser Texte zu erklären, zu keinem überzeugenden Ergebnis geführt haben« (24), auch wenn eingeräumt werden müsse, dass das Exodusbuch eine »zusammengesetzte Einheit« ist und dass ursprünglich eigenständige Texte wie e ine kasuistische Rechtssammlung in Ex 21,1–22,16 im Bundesbuch in Ex 20–23* rezipiert wurden (288).28 Die im Exodusbuch erzählten Geschehnisse haben, so die Vf., eine tiefe symbolische Bedeutung und haben sich in der Geschichte Israels von der assyrischen bis zur hellenistischen Zeit immer wieder ereignet. Die re­zeptionsgeschichtliche Perspektive einer auch jüdischen, christ-lichen und muslimischen Aufnahme der Exodusmotivik gibt dem Kommentar insgesamt sein besonderes Profil, der mit dem Ruf nach einer neuen »Theologie der Befreiung« in unserer Zeit schließt.

Die Kommentare von C. Dohmen sowie von G. Fischer und D. Markl sind Ausweis dafür, dass der gegebene, d. h. der kanonisierte Text der Hebräischen Bibel, nachdem er lange Zeit unter den zahlreichen Versuchen, seine Vorgeschichte zu rekonstruieren, als Zielpunkt der Kommentierung fast aus dem Blick geraten war, wieder zurückgekehrt ist.29 Doch sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und die historischen und literaturhistorischen Rückfragen nicht aus der Kommentierung des Exodusbuches ausgrenzen. Die alttestamentliche Wissenschaft lebt auch heutzutage nicht von der Verdrängung der eigenen Forschungsgeschichte der letzten drei Jahrhunderte historisch-kritischer Arbeit am Bibeltext und seiner Literaturgeschichte, sondern von ihrer produktiven Fortentwicklung zu einer Methodik der Verknüpfung von diachronen und synchronen Arbeitsweisen. Es wäre eine Illusion zu meinen, man könne die Theologie eines biblischen Buches wie die des Exodus, das im Verlauf von mehr als einem halben Jahrtausend seiner Literaturgeschichte entstanden ist, auf eine einzige literarische Ebene herunterbrechen,30 wie es auch ein Irrtum ist, den an der Bibel interessierten Leser würden die historischen und literatur-historischen Fragen, die der Text aufgibt, nicht interessieren. Der neuzeitliche Mensch ist wie der König Midas, dem alles, was er berührte, zu Gold wurde. Dem neuzeitlichen Menschen wird alles zur Geschichte und das gilt auch für den Text der Bibel. Es bedarf einer Vermittlung diachroner historisch-kritischer Auslegung mit der synchronen Methodik der Erfassung der intentio operis der biblischen Bücher. Dazu hat sich 1993 die Päpstliche Bibelkommission geäußert: »Was den Einschluss einer synchronen Analyse der Texte in die (s. c. exegetische) Methodik betrifft, muss man anerkennen, dass es sich um ein legitimes Unterfangen handelt. Denn der Text in seiner Endgestalt und nicht in irgendeiner früheren Fassung ist der Ausdruck von Gottes Wort. Die diachrone Rekonstruktion bleibt jedoch unentbehrlich, um die geschichtliche Dy­namik, die der Heiligen Schrift innewohnt, und ihre reiche Kom plexität aufzuzeigen.«31 Erich Zenger hat als Konsequenz seiner Erfahrungen aus der Kommentierung des Psalmenbuches dem von ihm konzipierten Herder-Kommentar zum Alten Testament die Zielvorgabe einer »diachron reflektierten Synchronie« in der Kommentierung des Bibeltextes mit auf den Weg gegeben.32 Die Erfassung der intentio operis des Bibeltextes ist das Ziel der Kommentierung, die diachrone Rückfrage in die Literaturgeschichte des Textes soll diesem Ziel nachgeordnet dienende Funktion ha­ben. In der Einleitung zur zweiten, erweiterten Auflage von M. Greenbergs Kommentar zu Ex 1–11 beruft sich der jüdische Exeget J. Tigay auf die Verlautbarung der Päpstlichen Bibelkommission von 1993, wenn er den Kommentar von M. Greenberg als den Versuch deutet, diachrone und synchrone Methodik der Textinterpretation zu verknüpfen, wobei die Schlussredaktion des Textes aus verschiedenen Quellen das methodische Scharnier der Verknüpfung der Methoden liefert. In diesem 1969 erstmals publizierten und von M. Greenberg bis zu seinem Tod für eine zweite Auflage umfangreich erweiterten Kommentar zu Ex 1–11 knüpft der Vf. an die synchrone Auslegung des Exodusbuches im Kommentar von Benno Jacob an, der zwischen 1935 und 1943 verfasst und 1997 veröffentlicht wurde.33 Vorher waren nur einige Kopien des Manuskripts Interessierten, so auch M. Greenberg, bekannt geworden. Während Benno Jacob in seinem Genesis-Kommentar die Quellenscheidung zugunsten einer synchronen Interpretation des Bibeltextes detailliert zurückwies34 und also im Exodus-Kommentar auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Quellenscheidung verzichtete, hat M. Greenberg die Grundzüge einer Quellenscheidung in den Exodus-Kommentar aufgenommen und einen »tradition complex A«, der den nicht-priesterlichen Quellen J/E in der Neueren Urkundenhypothese entspricht, von einem »tradition complex B«, der den Textbestand der Quelle der Priesterschrift umfasst, unterschieden, wobei er für die Annahme eines deuteronomischen oder deuteronomistischen Traditionskomplexes im Buch Exodus keinen Raum sieht: »Apart from a few possible exceptions, Deuteronomy does not figure in Exodus.«35 Wie in dem Kommentar von Benno Jacob liegt der Schwerpunkt des Kommentars von M. Greenberg auf dem Aufweis der literarischen Kohärenz des masoretischen hebräischen Textes in Ex 1–11. Die Verknüpfung von Diachronie und Synchronie über die These einer theologisch höchst produktiven Schlussredaktion36 der Verbindung der Traditionskomplexe, die für das literarische Funktionieren des Textes verantwortlich zeichnet, ist ein methodisch möglicher und weiter auszubauender Weg der Vermittlung der Methodik diachroner und synchroner Textinterpretationen.

Einen anderen Weg der Vermittlung von Diachronie und Synchronie beschreitet der Kommentar von W. Oswald und H. Utzschneider, in dem neben die diachrone Analyse der Entstehungsgeschichte des Bibeltextes im Exodusbuch durch W. Oswald37 eine synchrone Interpretation von Ex 1–15 durch H. Utzschneider ge­stellt wird. Jede Perikope wird zunächst getrennt diachron und synchron interpretiert, um abschließend in einem Abschnitt zur Synthese zu jeder Perikope beide Auslegungsweisen zusammen-zuführen. H. Utzschneider begreift im Anschluss an G. Fischer38 Ex 1–15 als in Szenen und Episoden gegliederte und durch Stichworte wie »kämpfen«, »befreien« und »dienen« u. a. zusammengehaltene narrative Einheit mit einem Prolog in Ex 1,1–7 und einem doppelten Abschluss in Ex 12,21–42 und Ex 15.39 Diese Erzählung in Ex 1–15 verdichte narrativ die Jahrhunderte währenden Erfahrungen, die Israel mit seinen assyrischen, babylonischen und helle-nistischen Zwingherren machen musste, und konfrontiere sie mit JHWHs Rettungshandeln, um so Hoffnung für Israel durch die Erzählung seines Ursprungsmythos zu begründen. Das methodologische Problem dieses Vermittlungsversuchs von diachroner und synchroner Textinterpretation liegt darin, dass die beiden Vf. me­thodisch weit auseinander liegen. Während W. Oswald mit einer Form von Autorenintention als Erklärungsziel der Textinterpretation rechnet, wobei er gesellschaftliche Gruppen als Autorisatoren des Textes als die für die Intention des Textes kollektiv Verantwortlichen hält (41), was aber, rechnet man mit »impliziten Autoren«40, für die Erhebung einer intentio auctoris keinen Unterschied macht, lehnt H. Utzschneider die Erhebung von Autorenintentionen ab und arbeitet vielmehr mit dem Postulat, der Text sei ein »literarisch-ästhetisches Subjekt, das keinerlei Autorenhypothesen be­darf« (20),41 was als Konsequenz eine historische Entkontextualisierung des Textes nach sich zieht.42 Dieser Abschied von jeglicher Form von Autorenhypothese wird nur postuliert und im Gegensatz zu dem Herder-Kommentar von C. Dohmen hermeneutisch nicht weiter reflektiert. Roland Barthes hat 1968 vorschnell, aber wirkungsvoll den »Tod des Autors« ausgerufen,43 was in den Lite-raturwissenschaften allzu leichtfertig als Schlagwort rezipiert wurde. Die Diskussion der Problematik einer Textinterpretation unter Absehung von einer expliziten Intention von Textproduzenten kann an dieser Stelle nicht geführt werden. Doch ein Problem steht im Raum, wenn die Textinterpretationen eines Vf.s, der den Text als »literarisch-ästhetisches Subjekt« jenseits jeder Autorenintention begreift, mit denen eines anderen Vf.s, der sehr wohl mit expliziten Autorenintentionen rechnet, in einer Synthese vermittelt werden sollen, was schwerlich gelingen kann und auch nicht ge­lingt. Die jeweiligen »Synthesen« in dem Kommentar am Ende einer jeden Perikope, auf denen die Last der Vermittlung der diachronen und synchronen Auslegung liegt, zeigen die Schwierigkeit, so unterschiedlich konzipierte Ausgangspositionen der Textinterpretation so miteinander ins Gespräch zu bringen, dass für den Leser das Verständnis des Textes befördert wird. So fällt eine Vermittlung der methodisch unterschiedlichen Interpretationsweisen weitgehend zugunsten von hermeneutischen Allgemeinplätzen und der Wiederholung von bereits in den Textinterpretationen Gesagtem aus. Die von den Herausgebern der Kommentarreihe angekündigte Synthese von diachronen und synchronen Textzugängen durch die Beschreibung der synchronen Logik diachroner Transformationen als Ausweis einer Kommentierung »auf der Höhe der Zeit« (13 f.) wird in diesem Kommentar noch nicht eingelöst und bleibt ein Desiderat in der Kommentierung des Buches Exodus.

Abstract


The task of writing a commentary on Exodus became more complex than it was in pre-modern times because of the upcoming con-sciousness of history as a kind of transcendentalism. Biblical scholarship answered with an increasing differentiation of exegetical methods to reconstruct the literary history of biblical books. The outcome was an increasing number of hypothetical reconstruc-tions of the literary historical diachrony of Exodus. To this de-velopment other biblical scholars reacted in their commentary by re­nouncing of any literary historical diachrony in favor of a synchronic interpretation of the given Hebrew text. We have commentaries on Exodus which differentiate between more than ten literary layers on the one side and commentaries which renounce of any historical diachrony in favor of interpreting the given text synchronically. It will be necessary to find methods of writing a commentary which combine both perspectives of diachrony and synchrony. At the moment we are standing just at the beginning to create such methods.

Fussnoten:

1) Rainer Albertz, Exodus. Bd. I: Ex 1–18 (Zürcher Bibelkommentar AT 2.1), Zürich 2012; Ders., Exodus. Bd. II: Ex 19–40 (Zürcher Bibelkommentar 2.2), Zürich 2015; Davies, Graham I.: Exodus 1–18. A Critical and Exegetical Commentary. 2 Vols. London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. Vol. 1: Chapters 1–10. 728 S. = The International Critical Commentary. Geb. US$ 100,00. ISBN 9780567688682. Vol. 2: Chapters 11–18. 632 S. = The International Critical Commentary. Geb. US$ 100,00. ISBN 9780567688712; Christoph Dohmen, Exodus 1–18 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. u. a. 2015; Ders., Exodus 19–40 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. u. a. 2004; Fischer, Georg, u. Dominik Markl: Das Buch Exodus. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2009. 408 S. m. Abb. = Neuer Stuttgarter Kommentar Altes Testament, 2. Kart. EUR 34,90. ISBN 9783460070219; Greenberg, Moshe: Understanding Exodus. A Holistic Commentary on Exodus 1–11. Ed. with a Foreword by J. H. Tigay. Second Edition. Eugene: Wipf & Stock (Cascade Books) 2013. XXIV, 192 S. Kart. US$ 26,00. ISBN 9781620327326; Houtman, Cornelis: Exodus. Vols. 1–4. Leuven: Peeters Publishers 1993–2002. = Historical Commentary on the Old Testament. Vol. 1 (1993): XIX, 554 S. Kart. EUR 48,00. ISBN 9789042924673. Vol. 2 (1996): XII, 466 S. Kart. EUR 43,00. ISBN 9789042920064. Vol. 3 (1999): XIV, 738 S. Kart. EUR 53,00. ISBN 9789042908055. Vol. 4 (2002): VIII, 70 S. Kart. EUR 14,00. ISBN 9789042911260; Schmidt,Werner, H.: Exodus (1,1–6,30). Studienausgabe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2003. 319 S. Kart. EUR 35,00. ISBN 9783788722647; Schmidt, Werner H.: Exodus (7,1–15,21). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2019. 361 S. = Biblischer Kommentar II/2. Geb. EUR 100,00. ISBN 9783788733940; Helmut Utz­schneider/Wolfgang Oswald, Exodus 1–15 (Internationaler Exegetischer Kom- mentar zum Alten Testament), Stuttgart 2013.
2) Zur Diskussion siehe Jürgen van Oorschot/Markus Witte (Hgg.), The Origins of Yahwism (BZAW 484), Berlin u. a. 2017.
3) Siehe dazu Klaus Koch, Jahwäs Übersiedlung vom Wüstenberg nach Kanaan. Zur Herkunft von Israels Gottesverständnis, in: Ders., Der Gott Israels und die Götter des Orients. Religionsgeschichtliche Studien II, hgg. v. Friedhelm Hartenstein/Martin Rösel (FRLANT 216), Göttingen 1998, 171–209.
4) Siehe Thomas Römer, Auszug aus Ägypten oder Pilgerreise in die Wüste? Überlegungen zur Konstruktion der Exodustradition(en), in: Ruth Ebach/Martin Leuenberger (Hgg.), Tradition(en) im alten Israel. Konstruktion, Transmission und Transformation (FAT 127), Tübingen 2019, 89–107.
5) Siehe Eckart Otto, Mose und das Gesetz. Die Mose-Figur als Gegenentwurf Politischer Theologie zur neuassyrischen Königsideologie im 7. Jh. v. Chr., in: Ders. (Hg.), Mose. Ägypten und das Alte Testament (SBS 189), Stuttgart 2000, 43–83.
6) Siehe dazu Rainer Albertz, Ausprägungen der Exodustradition in der Prophetie und in den Psalmen, in: Ebach/Leuenberger (Hgg.), Tradition(en) (s. Anm. 4), 109–142.
7) Der umfangreiche Sammelband zur Pentateuchforschung (Jan Christian Gertz u. a. [Hgg.], The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America [FAT 111], Tübingen 2016) legt auf mehr als tausend Seiten Zeugnis davon ab, dass 1.) die Quellenscheidung überwunden ist, 2.) eine »New Documentary Hypothesis«, die davon ausgeht, dass der vorliegende masoretische Text nicht interpretierbar sei, keinen Fortschritt in der Pentateuchforschung bringen kann (siehe dazu unten Anm. 29) und dass 3.) in Zukunft über einen längeren Zeitraum mit einer Pluralität der exegetischen Zugänge zum Pentateuch zu rechnen ist.
8) Cf. dazu auch Ernest Nicholson, The Pentateuch in the Twentieth Century. The Legacy of Wellhausen, Oxford 1998, VI: »The work of Wellhausen, for all that it needs revision and development in detail, remains the securest basis for understanding the Pentateuch.«
9) Zum Stand der Diskussion um die Priesterschrift siehe Friedhelm Hartenstein/Konrad Schmid (Hgg.), Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015 (englische Übersetzung im Druck). So erschließt sich auch der Grund, warum der Vf. von PB1 als einer »Bearbeitung« spricht, nicht aber von einer Redaktion oder Komposition, obwohl diese »Bearbeitung« Genesis und Exodus verbunden haben soll, durch sein Bemühen, jede Nähe zur Annahme einer Quelle P zu vermeiden.
10) Insofern entspricht P2 bei R. Albertz dem, was andere Exegeten als H-Texte im Pentateuch einer Holiness-School zuweisen; siehe dazu Reinhard Achenbach, Das Heiligkeitsgesetz und die sakralen Ordnungen des Numeribuches im Horizont der Pentateuchredaktion, in: Thomas Römer (Hg.), The Books of Leviticus and Numbers (BEThL 225), Leuven 2008, 145–175.
11) Diese Annahme erklärt nicht das Ineinander von dtr und P-Sprache in Lev 17–26.
12) Diese These einer Verknüpfung des Pentateuchs mit einem Deuteronomistischen Geschichtswerk krankt daran, dass nach Umbruch in der Pentateuchforschung auch die These eines Deuteronomistischen Geschichtswerks in der von M. Noth in der ersten Hälfte des 20. Jh.s aus der Taufe gehobenen Gestalt als sich von Dtn 1–2Kön 25 erstreckend längst ein Datum überholter Forschungsgeschichte ist und so wenig wie die Quellenscheidung im Pentateuch unhinterfragt vorausgesetzt werden kann; siehe dazu Eckart Otto, Ein »Deuteronomistisches Geschichtswerk« im Enneateuch?, in: Ders., Die Tora. Studien zum Pentateuch. Gesammelte Schriften (BZAR 9), Wiesbaden 2009, 601–619. Der M. Noths Konzept einer ein DtrG voraussetzenden Enneateuch-Hyothese widerspricht, dass Dtn 1–3 nicht, wie M. Noth noch meinen konnte, Einleitung eines DtrG ist, sondern nur des Deuteronomiums und seiner Verbindung mit dem Buch Josua in einer dtr Redaktion; siehe dazu Eckart Otto, Deuteronomium 1–3 als Schlüssel der Pentateuchkritik in diachroner und synchroner Lektüre, a. a. O., 284–420; Ders., Deuteronomium 1–11. Erster Teilband: Deuteronomium 1,1–4,43 (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2012, 284–297.
13) Siehe dazu Rainer Albertz, Pentateuchstudien (FAT 117), Tübingen 2018. Dem Leser des Kommentars ist empfohlen, diese Aufsatzsammlung beizuziehen, da das Format der Zürcher Bibelkommentare ohne Anmerkungsapparat eine fachexegetische Diskussion und Begründung der exegetischen Thesen nicht zulässt.
14) Zur synchronen Interpretation von Ex 1–15 durch H. Utzschneider siehe unten II.
15) Der Vf. hat in seiner Monographie zur Staatsprogrammatik in Israel die Exoduserzählung genauer auf die Zeit des Pharao Necho II. zwischen 609–605 v. Chr. datieren wollen; siehe Wolfgang Oswald, Staatstheorie im Alten Israel. Die politischen Diskurse im Pentateuch und in den Geschichtsbüchern des Alten Tes-taments, Stuttgart 2009, 81–85. Ansonsten folgt der Vf. in seinem Exoduskommentar weitgehend den literaturhistorischen Vorgaben dieser Monographie, so dass für detailliertere Begründungen der diachronen Exegese im Kommentar auch diese Monographie heranzuziehen ist. Zu ihrer Diskussion siehe Eckart Otto, Staatsprogrammatik im antiken Israel. Zu einem Buch von Wolfgang Oswald, ZAR 15 (2009), 388–399.
16) Es ist erstaunlich zu sehen, dass gerade diejenigen Exegeten, die mit besonderer Verve die Pentateuchforschung einschließlich der Annahme von P als Quelle umkrempeln wollen, sich umso verbissener an die ebenfalls längst in Frage gestellte und forschungsgeschichtlich überholte These eines DtrG von Dtn 1 bis 2Kön 25, wie sie von M. Noth konzipiert wurde, klammern. Die Schwierigkeit der gegenwärtigen Forschungssituation besteht gerade darin, dass beide Großhypothesen aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh.s zum Pentateuch wie zu den Vorderen Propheten nicht mehr tragfähig sind.
17) »Daß es einzelne Stellen gibt, in denen der alte Text in deuteronomistischem Stil erweitert worden ist, wie etwa Ex. 23,20 ff. und Ex. 34,10 ff., hat mit Recht meines Wissens noch niemand für ein Merkmal einer durchgehenden ›Redaktion‹ gehalten«, so Martin Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Erster Teil: Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Darmstadt 1963, 13, Anm. 1.
18) Siehe Cornelis Houtman, Der Pentateuch. Die Geschichte seiner Erforschung neben einer Auswertung (CBET 9), Kampen 1994.
19) C. Houtman lehnt in der Konsequenz neben einer Frühdatierung des Enneateuchs auch Thesen seiner nachexilischen Bearbeitung ab.
20) Siehe dazu Georg Fischer, Time for a Change! Why Pentateuchal Research is in Crisis, in: Matthias Armgardt u. a. (Hgg.), Paradigm Change in Pentateuchal Research (BZAR 22), Wiesbaden 2019, 3–20.
21) Siehe dazu Eckart Otto, Kommentieren in den Bibelwissenschaften. Ein ökumenischer Dienst an der Theologie im 21. Jahrhundert, in: David Kästle/Nils Jansen (Hgg.), Kommentare in Recht und Religion, Tübingen 2014, 347–361.
22) Siehe Umberto Eco, Die Grenze der Interpretation, München u. a. 1992, 49.
23) Christoph Dohmen knüpft an die Unterscheidung von Exegese und Kritik durch B. Jacob (Quellenscheidung und Exegese im Pentateuch, Leipzig 1916) an, nach der die Kritik in Gestalt der Rekonstruktion der literaturhistorischen Entstehung des Bibeltextes der Exegese, die den Text-Sinn erhebt, nachzuordnen sei. Entsprechend will C. Dohmen Klärungen der Genese des Bibeltextes, deren Notwendigkeit keineswegs in Frage gestellt ist, nicht in einem Kommentar, sondern in gesonderten Monographien abgehandelt wissen. Zu Benno Jacobs Kommentar des Exodusbuches siehe im Folgenden.
24) Während C. Houtman den Prediger als Leser des Bibeltextes und des Kommentars im Blick hat, ist es bei C. Dohmen allgemeiner der »an der Bibel Interessierte«, also gerade nicht der Fachexeget, so dass eine Forschungsgeschichte zum Exodusbuch keine Aufnahme in den Kommentar gefunden hat.
25) So Simone Paganini, Wieviel Synchronie verträgt das Exodusbuch? Oder: Braucht es eine neue Kultur des Kommentierens von biblischen Texten?, ZAR 22 (2016), 283–286, 285. S. Paganini schließt die Vermutung an, dass die Zeit der »klassischen Kommentarliteratur« angesichts überbordender und in ihrer Vollständigkeit nicht mehr zu rezipierender Forschungsliteratur sowie angesichts der immer unüberschaubarer werdenden Hypothesen zur Entstehungsgeschichte der Bibeltexte an ein Ende gekommen sei.
26) Siehe Georg Fischer, Jahwe unser Gott. Sprache, Aufbau und Erzähltechnik in der Berufung des Mose (Ex 3–4) (OBO 91), Fribourg u. a. 1989; cf. auch Ders., Exodus 1–15. Eine Erzählung, in: Marc Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus (BEThL 126), Leuven 1996, 149–178; Dominik Markl, Der Dekalog als Verfassung des Gottesvolkes. Die Brennpunkte einer Rechtshermeneutik des Pentateuch in Ex 19–24 und Dtn 5 (HBS 49), Freiburg i. Br. u. a. 2007.
27) Der Konzeption der Reihe »Neuer Stuttgarter Kommentar« folgend bildet die unrevidierte Einheitsübersetzung die Grundlage der Kommentierung, wobei einige Verbesserungen zur Übersetzung angemerkt werden.
28) Siehe dazu Dominik Markl, The Redactional Theologization of the Book of the Covenant. A Study in Criteriology, BN (N.F.), 181 (2019), 47–61. Zu seiner Offenheit für diachrone Perspektive in Bezug auf die Heiligtumstexte der Sinaiperikope cf. auch Ders., The Wilderness Sanctuary as the Archetype of Continuity between the Pre- and the Postexilic Temples of Jerusalem, in: P. Dubovský u. a. (Hgg.), The Fall of Jerusalem and the Rise of the Torah (FAT 107), Tübingen 2016, 227–252.
29) Deshalb dürften Versuche der »New Documentarians« vornehmlich in den USA, die davon ausgehen, dass der kanonisierte Text nicht interpretierbar sei (siehe Joel S. Baden, Why is the Pentateuch Unreadable? – Or, Why Are We Doing This Anyway?, in: Gertz u. a. [Hgg.], Formation [s. Anm. 7], 243–251), wohl aber die exegetisch rekonstruierten Vorstufen der Quellen, der Quellenscheidung wieder Geltung zu verschaffen, zum Scheitern verurteilt sein.
30) Siehe auch Albertz, Exodus I (s. Anm. 1), 26.
31) Siehe Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in den Kirchen mit einer Ansprache Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. (1993; Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls [VAS] 115), Bonn 2017, 39.
32) Siehe Christoph Dohmen, Vom Buch der Psalmen zum AT-Kommentarwerk. Die Bedeutung von Erich Zengers Psalmenauslegung für »Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament«, in: Christian Frevel (Hg.), »Mit meinem Gott überspringe ich eine Mauer/By my God I can leap over a wall«. Interreligiöse Horizonte in den Psalmen und Psalmenstudien/Interreligious Horizons in Psalms and Psalms Studies (HBS 96), Freiburg i. Br. u. a. 2020, 33–48.
33) Siehe Benno Jacob, Das Buch Exodus, hg. von Sh. Mayer u. a., Stuttgart 1997; siehe dazu Raik Heckl, Ein vollendeter Text für den Surrogat-Tempel. Struktur, Chronologie und Funktion des Pentateuchs im Anschluss an Benno Jacob, ZAR 22 (2016), 185–221.
34) Siehe Benno Jacob, Das Buch Genesis, Berlin 1934, 947–1049.
35) So fasst J. Tigay kurz und bündig M. Greenbergs Haltung in der Einleitung zu dessen Exodus-Kommentar (s. Anm. 1), X, Anm. 7, zusammen. Dem wird man zustimmen können.
36) Cf. dazu Eckart Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: Vervenne (Hg.), Studies (s. Anm. 26), 61–111.
37) Siehe dazu oben I.
38) Siehe oben Anm. 26.
39) Siehe dazu Helmut Utzschneider, Gottes langer Atem. Die Exoduserzählung (Ex 1–14) in ästhetischer und historischer Sicht (SBS 166), Stuttgart 1996.
40) Zum »impliziten Autor« siehe Wayne C. Booth, The Rhetoric of Fiction, Chicago 21983, 73 f.
41) Siehe auch Helmut Utzschneider, Die Renaissance der alttestamentlichen Literaturwissenschaft und das Buch Exodus. Überlegungen zu Hermeneutik und Geschichte der Forschung, ZAW 106 (1994), 197–223, 222: »Im lesenden Subjekt aller Zeitstufen konstituiert sich der Text als ästhetisches und kommunikatives Ereignis jeweils neu, unbeschadet seiner bleibenden Identität als Ensemble von sprachlichen Formen und vorstellungshaften Themen: mithin als ›Schrift‹«. Diesen Grundsatz müsste der Vf. aber bei seiner so einseitigen Orientierung an der intentio lectoris auch in Bezug auf seine eigene Interpretation von Ex 1–15 zulassen, was der Willkür in der Interpretation des Bibeltextes Tür und Tor öffnen würde.
42) Siehe dazu auch die Rezension dieses Kommentars in ThLZ 140 (2015), 212–214.
43) Siehe dazu Vittorio Hösle, Kritik der verstehenden Vernunft. Eine Grundlegung der Geisteswissenschaften, Münster 2018, 214–259.389–402, sowie Fotis Jannidis u. a. (Hgg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999. Wenn M. Foucault (Was ist ein Autor?, in: Fotis Jannidis u. a. [Hgg.], Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2012, 194–232) die Frage nach den Autoren von Texten für einen Modernismus hält, so widerspricht dem die keineswegs erst neuzeitliche Diskussion zur mosaischen Autorenschaft des Pentateuchs, die bis auf die Antike zurückgeht.