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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

500–502

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Regt, Lénart J. de, Waard, Jan de, and Jan P. Fokkelman [Eds.]

Titel/Untertitel:

Literary Structure and Rhetorical Strategies in the Hebrew Bible.

Verlag:

Assen: van Gorcum 1996. VII, 270 S. gr. 8. ISBN 90-232-2995-9.

Rezensent:

Stefan Ark Nitsche

Der Aufsatzband versteht sich als ein erster Schritt auf dem Weg zu einem "handbook on Hebrew rhetoric for translators" (251), denn: "Interpretation culminates in translation" (VII).

Nach einem instruktiven Vorwort, in dem T. Muraoka das Unternehmen in den Zusammenhang der aktuellen Beschäftigung mit biblischen Texten "as a piece of literature in a broad sense" (VIII) einordnet, stellen die Hgg. in zwei Abteilungen (I. Studies on Topics: 3-132, II. Studies on Texts: 133-240) 13 Beiträge zusammen, die aus verschiedensten Perspektiven mehr oder weniger deutlich die Konsequenzen von Analysen der Strukturen und Erzählstrategien biblischer Texte für die Übersetzungsarbeit auswerten, bevor de Waard in einem Epilog (III.: 241-251) abschließend versucht, die wichtigsten Anregungen zusammenzufassen. Dabei macht er deutlich, welche entscheidende Rolle die sorgfältige Analyse sowohl der Makro-, als auch der Mikrostrukturen für die Übersetzung eines Textes aus der "source-language" in eine "receptor-language" spielen. Freilich nicht in sklavischer Nachahmung, sondern bei der Suche nach der jeweils adäquaten Übertragung ihrer Funktionen für die literarische Struktur und die Erzählstrategie. Ein Abkürzungsverzeichnis und ein ausführliches Stellenregister (255-268) erleichtern die Arbeit mit diesem Band. Allerdings würde ihn ein Register (besser noch: ein Glossar) der verwendeten Begrifflichkeit noch wesentlich benutzerfreundlicher machen.

Zu den einzelnen Beiträgen: a. Das Interesse eines "close readings" am Aufweis der Möglichkeit, einen Text in seiner vorliegenden Gestalt als eine literarisch sinnvolle Einheit lesen zu können, verfolgen explizit eine Reihe von Beiträgen.

D. T. Tsumura (117-132) versucht deutlich zu machen, dass auch "seemingly ungrammatical or ’unusual’ word order pattern is ... (a) literary characteristic of the Bible" (119). Er demonstriert diese von ihm "AXB-pattern" genannten Textsituationen, in denen ein auf den ersten Blick unpassendes Textglied X eine zu erwartende Wortfolge AB "aufsprengt", an einer Reihe von Beispielen aus den Samuelbüchern mit dem Ziel: "However, the MT makes sense as it is" (121).

J. P. Fokkelman (152-187) zeigt in einer detailreichen Analyse, dass Gen 38 nach dem Auftakt der Josef-Erzählung in Gen 37 nicht nur ein "verhältnismäßig günstiger Ort" (G. v. Rad, ATD z. St.) für die Juda-Thamar-Episode ist, sondern ein "essential and integral part of the entire narrative" (153), denn nur der geistige Wachstumsprozess, den Juda in Gen 38 durchläuft, rüstet ihn dazu, im weiteren Verlauf seine (entscheidende) Rolle als Bürge für Benjamin zu spielen (Gen 43-44). Der Schlusssatz des Beitrags zeigt, was Fokkelman am Herzen liegt: "It (Gen 38) stands where it belongs and where it was put by a brilliant artist, right from the genesis of Genesis one" (181).

L. M. Eslingers Anliegen (188-198) ist es, das "problem of Exod 6:3" (189), dass JHWH erst hier, nach 148 Belegen für die Verwendung des Tetragramms in Gen und weiteren in Ex 1-5, seinen Namen offenbart, nicht nur literarkritisch durch Zuweisung zu P zu lösen, sondern auch für ein synchrones Lesen sinnvoll zu erklären. Er versucht, in Auseinandersetzung mit Moberly1 und in Aufnahme von Zimmerli Ex 6,3 auch für eine Lectio continua des Pentateuch plausibel zu machen, in dem er herausarbeitet, dass die JHWH-Erkenntnisformel hier erstmals ins Spiel kommt und damit eine neue Qualität in der Verwendung des Tetragramms beginnt.

L. E. Boadt (211-231) versucht, nach einem kurzen Ausflug in die Forschungsgeschichte plausibel zu machen, dass "Ezekiel’s books(!)" (231) auch in Bezug auf die mythologischen Themen nicht nur in 38-39 und 40-48 als eine Einheit gelesen werden können, die sich der Arbeit des Propheten und seiner Schüler noch vor 540 B. C. (214.231) verdankt.

Ist bei diesen Beträgen der Bezug zur Übersetzungsarbeit nur mittelbar zu erkennen, hat sich der "Arbeitsauftrag" der Herausgeber bei einer weiteren Reihe von Beiträgen deutlicher niedergeschlagen:

b. J. Magonet (3-13) plädiert am Beispiel von Ps 90 sowie dem "Schweigen der Naomi" (9) im Buch Ruth dafür, dass eine Übersetzung die Wortspiele und Unbestimmtsheitsmomente oder Leerstellen (gaps) eines Textes so offenhalten muss, dass "the possibility of being surprised again and again into rediscovering the text afresh" (13) möglich bleibt. Er versteht dies als "a rediscovery of the old Rabbinic dictum ’shiv’im panim la-torah! ... ’seventy faces to Torah’" (13).

K. E. Bailey (14-30) macht an der Rezeption von Jesaja-Texten in AT und NT deutlich, wie wichtig es für die Entdeckung und den Nachvollzug dieser Intertextualitäten in einer Übersetzung ist, dass diese auch in der Übersetzung entdeckbar bleiben. Weil es dabei aber nicht nur um eine präzise und gleichbleibende Wiedergabe von Lexemen und Satzstrukturen, sondern auch um formale und formierende Textstrukturen geht, plädiert er dafür, diese Analyseergebnisse auch in der Zeilenformatierung der Übersetzung zu kennzeichnen. Auch wenn ich Baileys Terminologie des "inverted Parallelism" für chiastische Makrostrukturen für eher verwirrend halte, sein Aufweis, dass die Rezeption auch durch diese formalen Kriterien mitbestimmt wird, ist eine hilfreiche und an weiterem Material zu prüfende Beobachtung.

P. C. Beentjes (31-50) zeigt, dass inner- und außerkanonische Zitationen häufig "invertiert" sind und möchte dies auch in der Übersetzung erkennbar machen. In der beobachtbaren Umkehrung der Wortfolge solcher Zitate wird eine Art "recensionist technique" erkennbar. Beentjes Anspruch, damit einen Aufmerksamkeitsmarker für ansonsten unmarkierte Zitate entdeckt zu haben, halte ich allerdings für einen Zirkelschluss, denn um diese Umstellung zu entdecken, müssen Leser und Leserinnen den ziterten Text bereits kennen; dann aber können sie das Zitat als solches auch ohne die Inversion erkennen - andernfalls bleiben sie ohne Erkenntnis.

L. J. de Regt arbeitet in zwei Beträgen heraus, wie wichtig es für eine Übersetzung ist, die jeweilige Funktion einer literarischen Struktur genau zu analysieren. Am Beispiel von rhetorischen Fragen (51-78) und an der Reihenfolge der Erwähnung von Akteuren (79-100) besonders im Setting von Erzählungen werden materialreich die Implikationen der Übertragung einer Struktur aus dem Regelwerk einer Sprache in eine andere entfaltet. Es ist zu unterscheiden, was jeweils der Syntax, was der sprachlichen oder sozialen Konvention und was der Erzählstrategie zu verdanken ist, um adäquat in eine andere Sprachwelt übertragen zu können.

Ähnliches arbeitet H. Van Dyke Parunak (101-116) für die Diskurs-Implikationen der Wiederaufnahme in hebräischen Relativsätzen heraus. Auch J. C. Margot (199-210) zeigt am Beispiel der Übersetzung von Jos 6, wie wichtig es ist, dabei das "principe de l’équivalence fonctionelle" (209) zu berücksichtigen.

c. Besonders hinweisen möchte ich auf zwei Beiträge, an denen der mögliche Ertrag einer präzisen und methodisch reflektierten und nachvollziehbaren Textanalyse deutlich wird:

E. J. van Wolde zeigt in ihrer Analyse von Gen 1-2,4a (134-151), wie ein "Text as an Eloquent Guide" für Rezipierende funktionieren kann. Neben einer beeindruckenden und detaillierten Textanalyse2 gelingt es ihr vor allem durch zwei Fragestellungen, dies sichtbar zu machen: Zum einen durch eine konsequente Beobachtung der "embeddedness of discourses" (139), der Frage nach den jeweils für eine Aussage Verantwortlichen: ErzählerIn oder eine Figur der Erzählung oder eine Figur der Erzählung, die eine andere Figur zitiert: Dadurch lässt sich eine Art Hierarchie der Aussagen entwickeln. Zum anderen unterscheidet sie in der semantischen Analyse (146 ff.) einen "primary code", der durch die Regeln der Sprachkonvention bestimmt wird, von einem "secondary (oder iconic) code"3 Dieser "iconic code" erzeugt durch neue, orginelle Kombinationen semantischer Gehalte ein "iconic network of meanings" und gewinnt dadurch Möglichkeiten, "by which a text may guide or persuade readers or coax them toward new meanings" (148). Auf dieser Basis arbeitet sie für Gen 1 heraus, dass "God who defines the other creatures in relation to the earth, the sky and the sea, defines humankind in relation to God" (150). Der "iconic code" des Textes spiegelt nach van Wolde den "iconic character" des Menschen wieder: "As words are composed in a text to be icons of the newly presented meanings, human beings are created in the world to be icons of God" (151).4

Y. Gitay analysiert die "Rhetoric of Religious Argumentation" am Beispiel von Ps 1 (232-240) als eine "persuasive Rhetoric", in der die Metapher (Baum und Spreu) "is not merely an illustration but it is the argument itself" (240). Der "religious poet of Ps 1 ... transfers the unseen and unprovable" in der Auseinandersetzung mit jenen, denen nur die Realität etwas gilt, "unto the undeniable reality" (240). Gitay gelingt es m. E., diese rhetorische Strategie en detail nachzuzeichnen und so diesen Eröffnungspsalm als ein Leseprogramm für den Psalter in einer konkreten Situation der weisheitlich geprägten Auseinandersetzung um die Thematik gelingenden Lebens zwischen Gerechten und Frevlern zu beschreiben.

Diese letzten beiden referierten Beiträge kommen m. E. dem Fernziel der Herausgeber, einem Handbuch der hebräischen Rhetorik für Übersetzer, in der Offenlegung ihrer methodischen Ansätze und der exemplarischen Durchführung an einem konkreten Text relativ nahe. Ein solches Handbuch ist und bleibt nicht nur für Übersetzer angesichts der Vielzahl von Ansätzen, der unterschiedlichsten Terminologie und je individuellen Durchführungen (nicht nur) in der literaturwissenschaftlich orientierten Textanalyse in der Tat ein schmerzliches Desiderat.

Fussnoten:

1) R. W. L. Moberly, The Old Testament of the Old Testament. Patriarchal Narratives and Mosaic Yahwism (Fortress Press: Mineapolis, 1992).

2) Ganz im Stil der Richter-Schule, ohne auf diese jedoch zu verweisen.

3) Van Wolde bezieht sich dabei auf R. Jakobson, W. Bronzwaer und vor allem auf die russischen Strukturalisten L. Lotman (russisch: 1972; deutsch: 1981) und auch V. Sklovsky (russisch: 1917; englisch: 1965), die offenbar erst in jüngster Zeit in der englischsprachigen Exegese rezipiert werden.

4) Sie kommt dadurch in einem "close reading" zu ganz ähnlichen Ergebnissen, die auch in der religionsgeschichtlichen und traditionsgeschichtlichen Analyse für Gen 1,27-28 gewonnen wurden.