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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

562–565

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Breitenstein, Mirko

Titel/Untertitel:

Die Benediktiner. Geschichte, Lebensformen, Spiritualität.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2019. 127 S. m. 5 Abb. = C. H. Beck Wissen, 2894. Kart. EUR 9,95. ISBN 9783406740015.

Rezensent:

Hubertus Lutterbach

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Dartmann, Christoph: Die Benediktiner. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2017. 301 S. m. 10 Abb. = Geschichte der christlichen Orden. Urban-Taschenbücher. Kart. EUR 26,00. ISBN 9783170214194.


Auch in der universitären und in der schulischen Vermittlung spielen die geistlichen Gemeinschaften mit ihrer wechselvollen Ge­schichte nach wie vor eine bedeutende Rolle. Umso genauer schaut man hin, wenn aktuell gleich zwei Publikationen zur Geschichte der »Benediktiner« vorgelegt werden. Der in Hamburg lehrende Mediävist Christoph Dartmann hat sein Werk 2017 publiziert, der in Dresden lehrende Mediävist Mirko Breitenstein 2019. Während Dartmann den thematischen Leitfaden seines Taschenbuches in zahlreichen Lehrveranstaltungen entwickelt hat, ist Breitenstein Leiter der an der TU Dresden beheimateten »Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG)«.
D. strukturiert sein 301 Seiten umfassendes und bis etwa 1500 ausgespanntes Werk in sechs Kapitel, denen ein Epilog angefügt ist. Im Anschluss an eine »Einleitung« (7–11) geht er in Kapitel 2 auf »Die Benediktsregel und das normative Gerüst benediktinischen Mönchtums« ein (12–142). Kapitel 3 widmet sich »Gebet, Religiosität und Kunst im benediktinischen Mönchtum« (143–189). Kapitel 4 thematisiert »Schriftkultur und Gelehrsamkeit im benediktinischen Mönchtum« (190–211). Kapitel 5, »Das Kloster zwischen König, Kirche und Stadt« (212–237), erschließt das Beziehungsgeflecht zwischen dem mittelalterlichen Benediktinertum und seiner Außenwelt. In Kapitel 6 erläutert D. unter der Überschrift »Die Wirtschaft der Klöster« (238–256) die ökonomische Organisation und Reichweite benediktinischen Mönchtums. Ein »Epilog« (257–263) bündelt die ins Auge gefassten Perspektiven.
Im Gesamteindruck wirkt D.s Publikation handbuchartig. In der Mischung aus chronologischer Organisation und thematischen Schwerpunkten bietet sie einen facettenreichen Einblick in die Geschichte des benediktinischen Mönchtums. So stellt D. die maßgeblichen Quellen vor: die Benediktsregel aus dem 6. Jh. und die frühmittelalterlichen Regelkommentare, die hochmittelalterlichen Consuetudines sowie die päpstlichen und die kirchenrechtlichen Dokumente, die die Einmischungen in die klösterlichen Auseinandersetzungen von außen bezeugen. Thematische Schwerpunkte legt D. auf das geistliche Leben in den Klöstern, wie es sich in Gebet, Kunst oder Schriftkultur widerspiegelt. Zugleich zeigt D. exemplarisch, wie die Klöster geistlich nach außen wirkten: inmitten der politischen und der wirtschaftlichen Koordinaten ihrer je­weiligen Zeit.
Im Sinne eines »roten Fadens« fokussiert D. auf die »normative Schriftlichkeit«, weil »der Rekurs auf die Benediktsregel […] das einzige Bindeglied zwischen den hier zu behandelnden religiösen Häusern« ausmacht (11). Zudem legt sich diese Leitperspektive für D. nahe, weil er das Thema »Normative Schriftlichkeit« schon lange forschend im Blick hat.
Gern folgt man D.s vielschichtiger und sozialgeschichtlich rückgebundener Argumentation, dass das benediktinische Mönchtum sein Verhältnis zur Welt im Laufe der Jahrhunderte stets neu austarieren musste; es weist eben keinen »überzeitlichen Kern« auf (10). Allerdings besteht das Hauptmanko für den Leser von D.s Buch darin, dass er die theologischen Grundüberzeugungen hinter der Ge­schichte des Mönchtums bzw. des Benediktinertums – und damit das historisch relevante Traggerüst dieser geistlichen Lebensweise – oftmals nicht verständlich einbezieht und erläutert. Es beginnt schon damit, dass der Terminus »Regel« an keiner Stelle wirklich erklärt wird. Ob nämlich die Benediktsregel tatsächlich ein »normativer Text« ist (12), ist doch sehr fraglich, wie D. rezeptionsgeschichtlich schließlich auch selbst anklingen lässt (69). Eher galt die Regula Benedicti zumindest im 6. bis 9. Jh. als Inspirationstext, als »kleine Bibel für das Klosterleben vor Ort« (wovon auch in den Erläuterungen des Bezugs von Regel und Bibel [38 f.] nicht die Rede ist). – »Bei der Entstehung des christlichen Mönchtums [hätte] die Präsenz einer hohen Zahl heidnischer (sic!) wie christlicher viri Dei den Mönchen als Vorbild gedient« (13), ohne dass hier der Unterschied zwischen einem paganen Heros (der jedes Wunder aufgrund seiner eigenen Kraft vollbringt) und einem christlichen Gottesmenschen (der die Kraft für jedes Wunder vom Himmel erwartet) zur Sprache kommt. Unklar lässt D. die genaue Kausalität zwischen Märtyrer- und Mönchtum. Hier erfährt man lediglich, dass »die Mönche in die Tradition der Märtyrer traten« (12). Ebenso offen lässt D. den Bezug zwischen Asketen- und Mönchtum. Überhaupt ist es ein zentrales Manko für den Leser, dass D. den Terminus »Askese/asketisch« durchweg ungeklärt lässt, obwohl er ihn häufig und für unterschiedliche Phänomene benutzt (Pachominiusklöster, in denen ein »fester institutioneller Rahmen die individuelle Askese absichern« sollte [16]; Augustinus und seine Freunde »verbanden eine sehr gemäßigte Askese mit der römischen Tradition philosophischer Muße« [19]; für das 4. Jh. sieht D. eine »geradezu modische Züge annehmende Welle von Bekehrungen zum asketischen Leben« [20]; unter der Benediktsregel gehe es »um nichts anderes als um die individuelle Vervollkommnung des einzelnen Asketen [sic!]« [34]). Auch andere theologische Schlüsseltermini bleiben unklar oder sogar ganz ohne Erläuterung (»Kanonikergemeinschaft« [98]; »Gebetsleis-tungen erkaufen« [144]; »Heiligen- und Reliquienkult« [145] etc.). Undeutlich bleibt weiter – um ein letztes Beispiel unter möglichen anderen zu nennen – der Bezug zwischen dem individuellen Gebet und dem gemeinschaftlichen Gebet in der Benediktsregel. Während der bedeutende Mönchshistoriker Jean Leclercq metaphorisch-eindrucksvoll hier das Bild einer Straßenbrücke heranzieht, bei der die Brückenpfeiler dem gemeinschaftlichen Gebet und die über die Brücke führende Straße dem individuellen Gebet entspricht, heißt es bei D. lediglich deskriptiv-additiv: »Neben den Horen der Ge­meinschaft und diesen Momenten lauten Vorlesens ›erbauender‹ Literatur tritt schließlich als drittes Moment die individuelle meditierende Lektüre.« (53) Schließlich lässt D. auch in der Geschichtswissenschaft aktuell viel diskutierte religionsgeschichtliche Grundkategorien (innen und außen; ethisch rein und kultisch rein etc.) in seiner Darstellung der »Benediktiner. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters« unthematisiert.
Mirko Breitenstein strukturiert sein mit 127 Seiten schlankes und chronologisch bis in die Gegenwart reichendes Buch »Die Benediktiner« in zehn Kapitel: Im Anschluss an eine orientierende »Einleitung« (7–12) stellt Kapitel 1 »die Benediktsregel als Grundtext« (12–25) vor. In Kapitel 2 erläutert B. unter dem Titel »Vita und Regula Benedicti. Zwei Geschichten, die zusammenwachsen« (25–36), wie die Klosterregel erst dadurch zu einer Erfolgsgeschichte werden konnte, dass man sie auf einen Autor römischer Provenienz zurückführen zu können glaubte. Während Kapitel 3 unter dem Titel »Der Weg zum benediktinischen Monopol (8./9. Jh.)« die Differenz zwischen Benediktinertum und Benediktinerorden nachzeichnet, erschließen Kapitel 4 »Cluny als ›Licht der Welt‹ (ab 910)« (45–58) und Kapitel 5 die »Benediktiner in der ›Reichskirche‹ (10./11. Jh.)« (59–66). Kapitel 6 »Beten in der Wüste. Benediktinische Einsamkeit (11./12. Jh.)« (66–75), Kapitel 7 »Die Zisterzienser. Eine Gemeinschaft von Gleichen (ab 1098)« (76–90) und Kapitel 8 »Er­neuerung des benediktinischen Modells (13.–15. Jh.)« (90–105) be­ziehen sich auf vielfältige Reformbewegungen innerhalb der be- nediktinischen Entwicklungsgeschichte. Der Benediksregel verpflichtetes Klosterleben in der Frühneuzeit stellt Kapitel 9 vor: »Bildung oder Askese. Zeiten des Umbruchs (16.–18. Jh.)« (105–114). Kapitel 10 unter dem Titel »Ende und Anfang (18. Jh. bis heute)« (114–122) rundet die Darstellung ab.
Luzide wirkt bereits die vorgestellte Gliederung, die die einzelnen Epochen benediktinischen Lebens inhaltlich pointiert profiliert und geschickt voneinander abhebt. Ebenso knapp und hilfreich kommt B.s grundlegende Definition der »Religiosen« als Oberbegriff für klösterlich Lebende daher: »Religiose sehen sich als Vertreter einer Lebensform permanenten Strebens nach dem in sich unbestimmten ›Mehr‹, das den Unterschied des Angeratenen vom bloß Gebotenen herausstellt.« (7) Zudem leben »Religiose« – und man könnte hier mit gleichem Recht sagen: benediktinische Mönche oder Benediktiner – »auf der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits«, also in Klöstern, die sie »als Orte konzipiert [haben], wo Diesseits und Jenseits sich berühren« (8). Unter diesem Horizont stellt B. auch sprachlich markant heraus, dass sich »Benediktiner« »nie als Orden im strikten Sinne organisiert« haben, wiewohl es »Orden innerhalb ihrer großen Gemeinschaft gibt« (9). Als Ziel seiner Darstellung formuliert B., dass er sich auf die »Geschichte der Benediktsregel und des Umgangs mit ihr« im Laufe der Jahrhunderte fokussiert (11). Dieser Leitidee wird B. in seinem gut lesbaren Buch durchweg gerecht. Wer dieses Buch studiert hat, verfügt tatsächlich über Grundkenntnisse zur Benediktsregel und ihren Kommentierungen bzw. Auslegungen, zu den benediktinischen Reformbewegungen und deren jeweiligen religions- und sozialgeschichtlichen Verortungen, zum benediktinischen Mönchtum im Spannungsfeld von Weltabwendung und Weltzuwendung oder zu den caritativen und bildungsoffensiven Errungenschaften der Benediktiner.
Hervorzuheben ist der theologische Sachverstand, der die vorgelegte Darstellung durchzieht. Beinahe selbstverständlich be­rücksichtigt B. ein Thema wie »Leistungsfrömmigkeit« in seinen unterschiedlichen Brechungen während der benediktinischen Geschichte (58.88–90 etc.). Ebenso klar gelingt es ihm, dass er bei jeder von ihm dargestellten neuen Reformbewegung fragt, wie sie unter Rückgriff auf die Benediktsregel »das Bestehende reformiert« oder einen »Bruch mit dem Bestehenden zum Ausdruck« bringt (100). Auch mit Hilfe solcher Fragen (und den dazugehörigen Antworten) wird B. seinem Ziel gerecht, die Rezeptionsgeschichte der Benediktsregel als eine Gemeinschaftsgeschichte – oder vielleicht besser: als eine Geschichte von Gemeinschaften – zu schreiben. In diesem Rahmen gelingt es ihm geradezu mühelos, auch geistliche »Schnittmengen« von benediktinischem Mönchtum und den Bettelorden zu integrieren. Nicht zuletzt kommen die eremitischen Strömungen innerhalb des großen benediktinischen Spektrums aussagekräftig zur Sprache. Darüber hinaus macht B. weitere Schlüsselaspekte der Benediktsregel gewissermaßen im Sinne eines untergeordneten Leitfadens sichtbar: Exemplarisch genannt sei die von ihm immer wieder anvisierte Rolle der Äbte im Laufe der benediktinischen Geschichte. Diese fiel im Kontext der cluniazensischen Klöster anders aus als gemäß der zisterziensischen Verfassung und zeigte sich bis hin zur (diskutierten oder gar vollzogenen) »Entmachtung der Äbte« im Hoch- und Spätmittelalter je unterschiedlich. Schließlich bietet B. die chronologische Spannweite seines Überblicks bis in die Gegenwart die Möglichkeit, das Ineinander von Benediktiner- und Gelehrtentum so einzubringen, dass sich zugleich interessante Einblicke in die Anfänge der modernen Ordensgeschichtsschreibung (und der historisch-kritischen Quellenforschung) auftun. Keine Frage, dass das kürzeste und letzte Unterkapitel »Über die katholische Kirche hinaus«, in dem B. auf die Rezeption der Benediktsregel im aktuellen protestantischen Kirchenspektrum eingeht, eine eigene Darstellung verdienen würde.
Alles in allem liegen hier zwei Bücher zur benediktinischen Geschichte vor, die unterschiedlichen Charakters sind. Knappheit, Stringenz und theologische Zuverlässigkeit sprechen zugunsten von B.s Buch zu den Benediktinern.