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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

549–551

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Witte, Markus

Titel/Untertitel:

Hiobs viele Gesichter. Studien zur Komposition, Tradition und frühen Rezeption des Hiobbuches.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 235 S. m. 2 Abb. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 267. Geb. EUR 90,00. ISBN 9783525552650.

Rezensent:

Heiko Wenzel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Hawley, Lance R.: Metaphor Competition in the Book of Job. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 256 S. m. Abb. = Journal of Ancient Judaism. Supplements, 26. Geb. EUR 90,00. ISBN 9783525531358.


Eine Zusammenschau von Markus Wittes Aufsatzsammlung, einem ausgewiesenen Kenner des Hiobbuches, dessen Beschäftigung mit dem Hiobbuch schon viele Früchte getragen hat, und der Dissertation von Lance R. Hawley lenkt die Aufmerksamkeit auf viele faszinierende Aspekte des Hiobbuches und seiner Rezeption.
Wittes Buch sammelt acht Aufsätze, wobei der erste bisher unveröffentlicht war, der vierte zwei ältere zusammenführt und aktualisiert, wie auch der fünfte aktualisiert wurde. Alle, die sich mit dem Hiobbuch beschäftigen, werden von einem oder mehreren Beiträgen reichlich profitieren. W.s forschungsgeschichtlicher Beitrag überblickt 300 Jahre literaturgeschichtlicher Arbeit am Hiobbuch (13–35). Die getroffene Auswahl ist repräsentativ und bietet einen guten Einblick, indem sie wesentliche Linien aufzeigt. Ausgehend von Robert Lowths Beitrag zur literarischen Gattung des Buches zeichnet der zweite Aufsatz nach, wie die Gattung des Buches von der Mitte des 18. Jh.s beschrieben wurde und welche rezeptionsästhetischen Implikationen damit verbunden sind (37–64). Dabei kristallisieren sich fünf Themenfelder heraus, die gegenwärtig von Bedeutung sind: »1. die formgeschichtliche Klassifikation des Gesamtwerkes, 2. die einzelnen im Hiobbuch selbst verwendeten Formen, 3. die Strophik und Metrik des Hiobbuches, 4. die literaturgeschichtliche Korrelation mit außerbiblischen Texten, 5. das Verhältnis zwischen Gattungsbestimmung und der Gesamtdeutung.« (59) Der dritte Beitrag (65–80) zeigt anhand der literarischen Gattung, der programmatischen Eröffnung in Hiob 1,1 und de n Sprachformen in den Reden Hiobs und der Freunde »eine gesamtmenschheitliche Ausrichtung« des Buches auf, indem an einem Beispiel der leidende Gerechte zur Darstellung kommt; der Name Hiobs dient dabei als »Chiffre für Unglück und Leid schlechthin« (65). Die »Beobachtungen zum Verhältnis von Zeit und Leid im Hiob« (81–100) sind wertvoll und inspirierend zum Weiterdenken. W. geht verschiedenen Zeitbegriffen im Buch nach und veranschaulicht dabei eindrücklich, dass »Leiden als eine konzentrierte Form der Negation und der Diskontinuität […] in besonderer Weise ein Nachdenken über die Zeit [provoziert].« (82) Diese Fragestellung hat mit Sicherheit mehr Raum verdient und regt zum weiteren Forschen an. So stellt sich z. B. die Frage, inwiefern im Hiobbuch Rück- und Ausblicke letztlich als »Ersatz für die Rücksichtnahme auf die Gegenwart« (99) dienen und wie sie alternativ beschrieben und identifiziert werden könnten.
Die Aufsatzsammlung bietet immer wieder gute Überblicke. Die Fragestellungen und interessante Beobachtungen regen zum Nach- und Weiterdenken an wie die Beiträge »Hiobs ›Zeichen‹ – Traditions- und theologiegeschichtliche Anmerkungen zu Hiob 31,35–37« (101–119), »Die Torah in den Augen Hiobs« (121–132), »Hiob und seine Frau in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit« (133–164), »Hiobs Sohn – Eine textgeschichtliche Notiz zu Hiob 42,17 (Septuaginta)« (165–170) und »Hiob und die Väter Israels – Beobachtungen zum rabbinischen Hiob-Targum« (171–189). Das wird auch daran ersichtlich, dass mit z. B. Leonie Ratschows Dissertation Eine törichte Frau und drei schöne Töchter. Eine wirkungskritische Studie zu den Frauenfiguren im Hiobbuch im frühen Judentum (Leipzig 2019) manche Weiterführung inzwischen vorliegt.
Der Beschreibung eines meditativ-kreisenden und spiralförmigen Verlauf des Dialogs zwischen Hiob und seinen Freunden (Hiob 4–22), der einzelne Begriffe immer wieder aufnimmt (73, Anm. 23), kann ich nur zustimmen. Es bietet sich an, diesen Verlauf einmal anhand einiger Begriffe präziser und weiterführend nachzuzeichnen und die von W. behaupteten Unterschiede in den Kapiteln 25 und 32–37 zu reflektieren und auszuwerten. Hawleys Metaphor Competition in the Book of Job leistet zu dieser Frage einen wertvollen Beitrag. Es ist die überarbeitete Version seiner Dissertation bei Ron Troxel (University of Wisconsin), die von einer Frage (»Is God simply putting Job in his submissive place, or is there something more to God’s message?«, 11) und der Überzeugung geprägt ist, dass diese Frage im Lichte des gesamten Buches zu beschreiben ist. Deswegen konzentriert er sich auf eine aufmerksame Lektüre der metaphorischen Formulierungen in Kapitel 3–31 (11–12). Die Frage und die Überzeugung schlagen sich in den ersten beiden methodischen Kapiteln (»The Book of Job as a Conceptual Network«, 15–43; »Conceptual Metaphor Theory and Joban Discourse«, 45–66) und in den folgenden beiden Kapiteln nieder, die sich auf Reden und Schweigen als »target domain« (67–108) sowie die Untersuchung von Tieren wie Löwe oder Vögel und Jagd als »source domain« (109–178) konzentrieren. Diese Kapitel bereiten die Lektüre der Gottesreden, vor allem von Hiob 38,39–39,30, vor (179–209) und münden in die Schlussfolgerungen (211–216). Die Conceptual Metaphor Theory dient dazu, die Funktion von Metaphern zu erheben und die Verbindung zu anderen Metaphern zu identifizieren (66) – wobei Erläuterung, Erweiterung und Infragestellung von Metaphern sichtbar werden (213–216), was beispielsweise an der Metapher Hiobs Worte sind Wind eindrücklich nachvollziehbar wird. Für Bildad sind Hiobs Worte eben nicht sinnlos und flüchtig (6,26), sondern ein mächtiger Wind (8,2), also gefährlich und deswegen muss ihnen widersprochen werden (108). Elifas’ Rede von wilden Tieren lässt auch einen Fortschritt von Warnung (4,10–11; 5,13) über Frust hin zu einer Verurteilung (22,10) sichtbar werden. Ein bemerkenswertes Ergebnis des vierten Kapitels über Tiere ist, dass die meisten Tiermetaphern in Hiobs Rede zu finden sind und damit sein Leiden auf vielfältige Weise, ihn als »a terrorized and marginalized person«, beschreiben (178). H.s zentraler Gedanke in seinem fünften Kapitel ergibt sich dann auch daraus: »rather than speaking new expressions of PEOPLE ARE ANIMALS, Yahweh questions Job by reframing WILD ANIMALS, calling into question his use of the domain as a source for mapping with destructive or pitiful people.« (179)
Mit seinen Beobachtungen und Überlegungen stützt H. den Gedanken, dass der Inhalt der Gottesreden mindestens genauso wichtig ist wie die Theophanie selbst. Es ist gleichgültig, ob man H. hier folgt; eine Lektüre seiner Beobachtungen und Überlegungen ist wertvoll und anregend. Es ist bedauerlich, dass H. Engljäh-ringers und Scherers Arbeiten zum Dialogteil im Hiobbuch nicht rezipiert hat. Eine Auseinandersetzung mit diesen Beiträgen wäre nicht nur für die Leser interessant gewesen. H.s Gedanke, dass sich die Gottesreden vielfach dem Themenfeld »Tiere« grundsätzlich anders nähern als in den Kapiteln vorher, lässt sich gut nachvollziehen, auch wenn es nicht bei jedem Tier der Fall ist. Es erscheint lohnend, diesem Gedanken mit Blick auf andere Aspekte der Gottesreden noch einmal nachzugehen und dem Struggle over Metaphors (Newsom) im Hiobbuch weiter auf der Spur zu sein. So leisten H. und W. ihren (wertvollen) Beitrag dazu, dass W. mit seiner Aussage recht behält: »Das Phänomen, dass beinahe in jedem Jahr ein neuer Kommentar und neue Übersetzungen erscheinen, was sich bereits für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisen lässt, unterstreicht diese besondere Bedeutung des Hiobbuches, mit dem die Forschung nie zu einem Ende kommt.« (Witte, 35). Das ist wohl auch ein faszinierender Aspekt dieses Bibelbuches.