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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

493 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zirker, Hans

Titel/Untertitel:

Der Koran. Zugänge und Lesarten.

Verlag:

Darmstadt: Primus 1999. X, 230 S. 8. Kart. DM 39,80. ISBN 3-89678-121-9.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Der in Essen lehrende katholische Theologe Hans Zirker, bekannt als einer der profiliertesten Disputanten theologischer Fragen im Verhältnis zwischen Christentum und Islam, legt hier ein Buch vor, das in erster Linie Christen einen Zugang zur Lektüre des Koran eröffnen will. Man merkt der Darstellung an, dass sie aus intensiver eigener Beschäftigung mit dem Koran entstanden ist und aus dem Ringen darum, vom Standpunkt christlicher Theologie her einen geeigneten Umgang mit dem heiligen Buch der Muslime zu finden.

Z. macht sich diese Aufgabe nicht leicht. Er nimmt das Selbstverständnis des Korantextes und die muslimische Tradition ernst, verharmlost aber auch nicht die Belastung des Themas durch eine lange Geschichte von christlichen Versuchen, sich des Ärgernisses einer nachchristlichen prophetischen Offenbarung zu entledigen durch die Diffamierung als ein dämonisches Werk. - Ohne sich in lange Diskussionen zu verlieren, hält Z. diese Geschichte für heute nicht mehr anschlussfähig auf Grund des Respekts vor anderen Religionen, der sich in den christlichen Kirchen weitgehend durchgesetzt hat. An dieser Stelle ist die katholische Theologie dafür zu beneiden, dass sie zumindest in ihren eigenen Reihen tatsächlich kaum mehr mit der Behauptung des Gegenteils rechnen muss.

Dennoch verfällt Z. auch nicht der gegenteiligen Gefahr, aus nur scheinbar noch christlicher Perspektive ein Buch zu schreiben, das sich zu sehr der muslimischen Selbstwahrnehmung verschrieben hätte und unter der Hand Christen den Koran als eine Art drittes Testament anempfehlen würde. Mit aller wünschenswerten Klarheit bleibt es dabei: "(Der Koran) gehört nicht zu den fundamentalen Zeugnissen des christlichen Glaubens" (185).

Die Verkündigung Mohammeds wird als ein Phänomen prophetischer Erfahrung vergleichbar derjenigen von alttestamentlichen Propheten respektiert, aber gerade als solche auch historisch relativiert. Das prophetische Phänomen bleibt mehrdeutig, daran lässt sich nach Z. weder aus der Perspektive distanziert kritischer Betrachtung noch aus der Perspektive des Glaubens etwas ändern. Islamische und christliche Theologie seien darin in der selben Situation, dass sie den Glauben verantworten könnten, ihn aber nicht als eindeutig von Gott her begründet ausweisen (102).

An dieser Stelle zeigt sich, dass Z. mit seinem Zugang zum Koran tief in der Tradition der historisch-kritischen Forschung verwurzelt ist. Aus der Perspektive westlicher Wissenschaft beansprucht er zu Recht, dass bestimmte hermeneutische Grundtatbestände für jedes Verhältnis zwischen Text und Leser gelten und deshalb auch von der islamischen Koranauslegung nicht übersprungen werden könnten. Allerdings wird ihm die überwältigende Mehrheit der Muslime in diesen Gedankengängen nicht folgen können auf Grund anderer kultureller und religiöser Voraussetzungen.

Christliche Theologie kann von ihrem Bekenntnis zur Inkarnation des Wortes Gottes her begründen, dass Gotteswort und Menschenwort nicht als schroffe Alternative gegeneinander gestellt werden dürfen (185); islamische Theologie dagegen hat diese Begründungsmöglichkeit nicht, und so ist ihr auch eine Hermeneutik heiliger Schriften letztlich nicht nachvollziehbar, die darauf aufbaut.

Z. verständigt sich folglich nicht mit der islamischen Theologie dahingehend, den Koran als die direkte Rede Gottes anzuerkennen (vgl. dazu den sehr differenzierten Abschnitt "Gott ,spricht’", 56 ff.), aber er kritisiert deutlich die in unserer Kultur sehr weit verbreitete Gepflogenheit, den Koran als Rede Mohammeds zu zitieren, weil durch sie die literarische Differenz zur Hadith-Tradition verwischt wird. Die von Z. empfohlene Zitationsweise "Der Koran sagt" (91) ist dazu geeignet, die strittige Frage der Verfasserschaft offenzuhalten und damit auch all jene theologischen und hermeneutischen Überlegungen, mit denen das vorliegende Buch die Geschichte christlicher Koraninterpretationen einen guten Schritt voranbringt.