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Ausgabe:

Mai/2021

Spalte:

482–484

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Mayer, Tobias

Titel/Untertitel:

Typologie und Heilsgeschichte. Konzepte theologischer Reform bei Jean Daniélou und in der Nouvelle théologie.

Verlag:

Innsbruck u. a.: Tyrolia Verlag 2020. 294 S. = Innsbrucker theologische Studien, 96. Kart. EUR 32,00. ISBN 9783702238575.

Rezensent:

Michael Plathow

1. Der Diskurs zwischen katholischen und evangelischen Theologen ist anregend und wirkt nachhaltig. Das zeigt Tobias Mayer in seiner 2018 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien eingereichten Dissertationsschrift, die das Konzept theologischer Reform von Jean Daniélou (1905–1974) ins Gespräch mit evangelischen Theologen in Deutschland bringt.
Daniélou war Jesuit in Fourvière, ein im intellektuellen Milieu Frankreichs vernetzter Theologe der »Nouvelle théologie«, Peritus des II. Vatikanischen Konzils, Bischof und Kardinal. Die Reform-bemühung Daniélous in und mit der »Nouvelle théologie« (die Dominikaner M.-M. Chenu, Y. Congar und die Jesuiten H. de Lubac, J. Daniélou) entdeckte den Geschichtsbezug von Heil und Verkündigung; sie richtete sich damit gegen die Dominanz von Antimodernismus und Neuscholastik. Daniélou war »einer der Ersten«, die an der Etablierung des Begriffs »Heilsgeschichte« in der Zeit des II. Vaticanums beteiligt waren; er gehörte zu den »wichtigsten Wiederentdeckern« der typologischen und allegorischen Schriftauslegung im 20. Jh. (15).
2. Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile: I. Konzepte und Kontexte der reformkatholischen »Nouvelle théologie«; II. Daniélous geschichtstheologischer Ansatz als Erneuerung und weiterführendes Potential – Die ›Lesbarkeit‹ der Heilsgeschichte. Drei »Zwischenbilanzen« zu den Kernthemen »Nouvelle théologie« (66–80), »Heilsgeschichte« (119–129), »geistlich-typologische Schriftauslegung« (200–212) sowie das »Resümee« (263–271) fassen Ergebnisse zusammen.
Die »Novelle théologie« signalisiert auf dem Hintergrund des Antimodernismus und der Neuscholastik (Lamentabili, 1907; Eid, 1906) die »Opposition« zum vorherrschenden theologischen Paradigma und seiner instruktionstheologischen Sprachform (69). Der Streit von R. Garrigou-Lagrange mit Vertretern der »Nouvelle théologie« macht die unterschiedliche Methode deutlich (58 f.); dasselbe gilt für Daniélous Kontroverse mit M.-M. Labourdette (64 f.) im Zusammenhang von »Humani generis«, 1950.
Für die semantisch uneindeutige »Heilsgeschichte« sucht der Vf. Klärung im Gespräch mit Philosophen (M. Blondel), mit und gegenüber Historikern (K. Löwith und R. Koselleck) sowie mit protestantischen Theologen (Föderaltheologen; über G. Weth, Heilsgeschichte, 1931; J. C. K. Hoffmann und C. A. Auberlen. Nach dem »Abbruch« im Zeichen des Historismus durch die Dialektische Theologie und die Existentialtheologie besonders O. Cullmann, Christus und die Zeit, 1946. Sodann werden Forschungen von M. Hengel, »Heilsgeschichte« in: J. Frey/St. Krauter/H. Lichtenberger [Hgg.], Heil und Geschichte, 2009, 3 ff., und auch die Neubearbeitung von Chr. Schwöbel und W. Pannenberg herangezogen). Mit dem heilsgeschichtlichen Ansatz des II. Vatikanischen Konzils und in der Dogmatik »Mysterium salutis« entwickelte sich »Heilsgeschichte« – trotz begrifflicher Mehrdeutigkeit – zum katholischen »Programmwort« (121).
»Typologie« wurde im Gespräch mit der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik und gegen historische Kritik mit evangelischen Bibelwissenschaftlern wie L. Goppelt und G. von Rad als das Potential geistlicher Auslegung (Verheißung, Erfüllung, Präfiguration) erkannt. Dabei verwirft der Vf. entschieden die antijudaistischen »Verächter« des Alten Testaments sowie die Substitutionstheorie in der christlichen Hermeneutik des Alten Testaments (148).
3. Für J. Daniélous Konzept heilsgeschichtlicher Reform ist entscheidend die Wiederbelebung der »alten« biblischen und patristischen Quellen für die gegenwärtige Glaubensexistenz. In seiner Geschichtstheologie geht es um die »Interpretation historischer Wirklichkeit unter dem Aspekt ihrer Heilsrelation und Erlösungsbedürftigkeit« und dabei um die »Funktion der Typologie für die ›Lesbarkeit‹ der Geschichte« (156). In der geistlichen Schriftauslegung – gegen historische Kritik – wird der biblische Literalsinn mit dem »geistigen Sinn« typologisch verknüpft (168).
Die Typologie, »Aktualisierung des Vergangenen als Entwurf der Gegenwart auf Zukunft hin« (170), weist auf Christus, Mitte, Höhepunkt und Ziel der »großen Taten Gottes«, »mysterium salutis« »als ganzes« (173). Sie öffnet die heilsuniversalistische und eschatologische Dimension der Geschichte. Geschichte wird »im Horizont der Gnade« gelesen, ohne ihre Eigenart zu verlieren (217) .
Nach der spezifisch katholischen Sicht vermitteln sich Gnade- und Naturwirklichkeit – gegen »stockwerkartige« Dichotomie von Transzendenz und Immanenz –, ebenso Offenbarung und Schöpfung, Glaube und Vernunft, Heils- und Religionsgeschichte. Denn mit M. Blondel ist »das Menschsein angewiesen auf die gnadenhafte Erfüllung nicht aus sich naturnotwendig, sondern als Gnadengeschenk« (223). Das Verhältnis von Gnade und Natur als »Differenz-Einheit« (259) fokussiert sich im Bekenntnis von Chalcedon von 451. Folglich schließt die heilsgeschichtliche Zuordnung von Gnade und Natur die »Theologie der irdischen Wirklichkeit« mit handlungsorientiertem und wirklichkeitserschließendem Potential ein (268). So zeigt die II. vatikanische Konstitution »Gaudium et spes« (248). Der Vf. weist auch auf Entsprechungen von Daniélous heilsgeschichtlichem Konzept zu K. Rahners transzendentaltheologischem Ansatz hin (261 f.).
Als besonderen Akzent von Daniélous Entwurf innerhalb der »Nouvelle théologie« zeigt der Vf. im Zusammenhang der christozentrischen Schriftauslegung auf H. de Lubacs Kontinuität zwischen Altem und Neuem Bund; Daniélou demgegenüber betont die »messianische Differenz« mit substitutionellen Anzeichen (197 f.), was auf »mangelnde Sensibilität für antijudaistische Denkmuster« deutet (180.184.194 ff.).
Bei Entsprechungen zwischen Cullmann und Daniélou unterscheiden sie sich darin, dass der evangelische Theologe für die heilsgeschichtliche »Zeit der Kirche« zwischen apostolischer und ekklesialer Tradition unterscheidet, während für den römisch-katholischen Theologen beiden »göttliche Autorität« eigen ist (241).
4. Angesichts der Uneindeutigkeit von »Nouvelle théologie«, »Heilsgeschichte«, »Typologie« und geistlicher Schriftauslegung erweist sich die Berücksichtigung multiperspektivischer Begriffsklärungen des Vf.s als wichtiger Forschungsbeitrag. Es wird auf die nachhaltige Wirkung der »Nouvelle théologie« für die heilsgeschichtliche Ausrichtung des II. Vatikanischen Konzils verwiesen. Dabei zeigt Vf. treffend die Bedeutung der hermeneutischen Erschließung der biblischen und patristischen Quellen.
Das Thema »Heilsgeschichte« fordert römisch-katholischer- und evangelischerseits zur Weiterarbeit heraus. Der Hinweis des Vf.s (254, Anm. 587) auf Schwöbels Unterscheidung von Heils- und Unheilsgeschichte und ihrer »konnektiven« und »kontrastiven« Beziehung sollte weiter bedacht werden.
Im Ganzen erbringt der Vf. mit seiner Arbeit ein Beispiel für ein wechselseitig anregendes Gespräch zwischen römisch-katholischer und evangelischer Theologie. Der spezifisch römisch-katholische Akzent wird deutlich in der vermittelnden »Differenz-Einheit« von Gnade und Natur, Heils- und Weltgeschichte, wie sie bedeutsam ist für den gelebten Glauben in und mit der Kirche, wie die geistliche Schriftauslegung sie »lesbar« macht: existentiell und universal, inkarnatorisch und chalcedonensisch, wirklichkeitserschließend und handlungsorientierend.
5. Sowohl unter theologiegeschichtlichem als auch unter ökumenischem Gesichtspunkt verspricht die Arbeit über den französischen Reformtheologen J. Daniélou dem katholischen Leser, aber gerade auch dem evangelischen Leser Erkenntnisgewinne.