Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1999

Spalte:

308 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Drey, Johann Sebastian

Titel/Untertitel:

Mein Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände 1812-1817 (Theologisches Tagebuch). Hrsg. u. eingel. von M. Seckler.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1997. LVIII, 628 S. gr.8 = Nachgelassene Schriften, 1. Geb. DM 164,-. ISBN 3-7720-2490-4.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

Johann Sebastian Drey (1777-1853), der Nestor der katholischen "Tübinger Schule", erfreut sich seit den bahnbrechenden Arbeiten Josef Rupert Geiselmanns in den dreißiger und vierziger Jahren unseres Jahrhunderts eines anhaltenden Interesses. Über zwanzig Monographien und eine Vielzahl kleinerer Arbeiten hat die internationale Drey-Forschung inzwischen hervorgebracht. Gleichwohl fehlt bislang eine kritische Werkausgabe. Ein besonderes Desiderat stellt die Erschließung von Dreys umfangreichem schriftlichen Nachlaß in der Bibliothek des Tübinger Wilhelmsstifts dar. Mit der Ausgabe des "Theologischen Tagebuchs" liegt nun der erste Band einer von Max Seckler veranstalteten Edition des Nachlasses vor; ein zweiter Band soll Dreys Dogmatikvorlesungen enthalten.

Bei dem "Theologischen Tagebuch" handelt es sich nicht etwa um ein Diarium, sondern um ein Konvolut von Abschriften und Exzerpten aus Büchern und Rezensionsorganen, vermehrt um eigene Bemerkungen und Reflexionen, das Drey als Materialsammlung für seine Vorlesungen und Veröffentlichungen diente. Ursprünglich auf lose Bögen und Zettel geschrieben, hat er selbst seine Aufzeichnungen später grob chronologisch geordnet, zu fünf Bänden zusammengefaßt und durch Register erschlossen. Die vier erhaltenen Bände - der erste ist verschollen - enthalten 168 (von den Editoren durchgezählte) Texteinheiten aus den Jahren 1812-1817, als Drey Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der katholischen Universität Ellwangen war; mit der Überführung dieser Hochschule als Katholisch-Theologische Fakultät an die Universität Tübingen im Jahre 1817 beendete er sein "Tagebuch", nutzte es aber weiter als Arbeitsinstrument. Auch wenn das "Tagebuch" nicht als umfassende Dokumentation von Dreys theologischem Denken oder als Kompendium der Prinzipien der "Tübinger Schule" gelten kann, erlaubt es aufschlußreiche Einblicke in seine Arbeitsweise und läßt die Entwicklung seiner Interessen und Ideen in der Ellwanger Zeit erkennen; auch als Interpretationshilfe zu seinen gedruckten Werken kann es wertvolle Dienste leisten.

Bereits 1940 hatte Geiselmann in einer Quellensammlung umfangreiche Auszüge (ca. 15 %) aus dem "Theologischen Tagebuch" abgedruckt, durch seine nachlässige Editionstechnik, die die Unterscheidung zwischen Exzerpten und eigenen Gedanken Dreys verwischte, die Forschung aber z. T. auf falsche Fährten gelenkt. Die von Abraham P. Kustermann und Winfried Werner editorisch bearbeitete Gesamtausgabe Secklers gibt das Originalmanuskript Dreys dagegen in höchstmöglicher Vorlagentreue wieder; faktisch handelt es sich um ein "transkribiertes Autograph" (XLIX). Die Schreibgewohnheiten Dreys werden in allen Einzelheiten reproduziert, vom Wechsel zwischen deutscher und lateinischer Schrift bis hin zur Verdoppelung von "m" und "n" durch Überstreichung und zur Schreibung des "y" mit Umlautzeichen. Verschiedene Arten von Einklammerungen und Unterstreichungen werden penibel unterschieden wiedergegeben. Neben dem Seitenwechsel wird auch der Zeilenwechsel der Vorlage eigens bezeichnet. Ob ein solches editorisches Verfahren einem Werk angemessen ist, das nach der Intention seines Autors "kein literarisch geformter Text, sondern ein Arbeitsinstrument" sein sollte (XLVIII) und in dem der Anteil eigenen Gedankenguts gegenüber der Aufzeichnung von Lesefrüchten "relativ gering" ist (XVIII), mag dahingestellt bleiben; immerhin ist der Forschung damit besser gedient als mit einer zu großzügigen Textbehandlung nach der Art Geiselmanns.

Der Text ist durch einen dreifachen Apparat erschlossen. Am Beginn jeder Texteinheit weist ein "historisch-literarischer Apparat" die jeweils verwerteten Quellen sowie ggf. literarische Querbezüge zu anderen Texten des "Tagebuchs" oder - vereinzelt - zu anderen Werken Dreys nach. Die Textkonstitution wird in einem fortlaufenden textkritischen Apparat erläutert, ein Sachapparat enthält alle erforderlichen inhaltlichen Erläuterungen sowie biographische und bibliographische Nachweise. Die umfangreiche Einleitung Secklers bietet neben der Darlegung der Editionsgrundsätze eine erschöpfende Beschreibung und Charakteristik des "Theologischen Tagebuchs" sowie eine erhellende Skizze der Forschungs- und Editionsgeschichte.

Im ganzen besticht die vorliegende Edition durch die profunde Sachkenntnis und die akribische Arbeitsweise von Herausgeber und Bearbeitern. Der Drey-Forschung ist mit dieser Ausgabe ein unentbehrliches Arbeitsmittel an die Hand gegeben, das seinen Wert auf Dauer behalten wird.