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Ausgabe:

Mai/2000

Spalte:

490 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Khoury, Adel Theodor, u. Georg Girschek

Titel/Untertitel:

Das religiöse Wissen der Menschheit, 1.

Verlag:

Freiburg- Basel-Wien: Herder 1999. 360 S. gr.8. Geb. DM 88,-. ISBN 3-451-26671-7.

Rezensent:

Klaus Hock

Die vorliegende Veröffentlichung will, wie bereits der Titel besagt, "das religiöse Wissen der Menschheit" darstellen, wobei "Wissen" ein an der Praxis orientiertes Wissen meint - an einer Praxis, der es um gelungenes Leben im umfassenden Sinne geht und die in Dogmatik, Kult, Ethik etc. auf dieses Ziel hin ausgerichtet ist. Wie die Autoren ausdrücklich feststellen, richtet sich das Buch "nicht in erster Linie an Fachvertreter der Religionswissenschaft", sondern will "Grundinformationen" vermitteln, "die ... eine Gesamtsicht auf das aus den Religionen herausgearbeitete Religiöse öffnen" (6).

Die Arbeit basiert auf religionsphänomenologischer Methodik und ist dementsprechend synoptisch ausgerichtet. Nach einigen Vorbemerkungen über "Prämissen und Genese von Religion" (17 ff.) beschäftigt sich dieser erste Band des auf zwei Bände angelegten Werkes zunächst mit Schöpfungsmythen: Einleitenden Bemerkungen zum Verständnis von "Mythos" (25ff.) folgt eine umfangreiche Materialsammlung (30 ff.), die schließlich in der Zusammenschau reflektiert wird (175 ff.), wobei die Autoren dem Verhältnis von Mythos und Religion besondere Aufmerksamkeit widmen: "Erst der Glaube verwandelt den Mythos in eine Aussage über Heilswahrheit und ermöglicht die Anerkenntnis deren Wirksamkeit" (197), so die abschließende Summe dieses Abschnitts.

Der zweite Teil - "allgemeine Offenbarung in religiöser Weltdeutung" - fragt nach den verschiedenen Gestalten der "heiligen Macht in der religiösen Erfahrung der Menschheit" (209ff.). Als Kategorien der Darstellung dienen hierbei: Erde, Heilige Steine und Berge, Wasser und Wassergottheiten, Feuer, Vegetation, Tiere, Himmel und Himmelsgottheiten, Mond, Sonne, Seele, Gegenstände, Geister (Dämonen und Engel), Götter, Schicksal und Gott - eine Kategorisierung, die sich bei aller Eigenständigkeit doch eher an Eliade als an van der Leeuw, Heiler oder Widengren anlehnt. Auch dieser Teil wird durch "Resümees und Reflexionen" (306 ff.) abgeschlossen, wobei Fragen der Gotteserfahrung im Kontext der Moderne und Postmoderne besondere Aufmerksamkeit zukommt: Gegenüber der "Mentalität der Machbarkeit" verweisen die Autoren darauf, dass religiöse Erfahrung "die Freiheit des Menschen voraus(setzt), die Welt, sich selbst und seine Geschichte nach einem sie umspannenden Sinn zu befragen und zu entwerfen" (335).

Es ist die Stärke des vorliegenden Bandes, dass die eigene Vorgabe, sich vornehmlich an interessierte gebildete Laien zu richten, eingehalten wird. Den Autoren gelingt es, große Stoffmengen geistreich zu kompilieren und sprachlich so aufzubereiten, dass das Buch durchweg gut lesbar ist. Nebenbei bemerkt: Interessanterweise gerät gerade die Darstellung des alttestamentlichen Schöpfungsberichts am trockensten; vielleicht, weil es besonders schwierig ist, Material zur Darstellung zu bringen, das aus der eigenen religiösen Tradition kommt? Hervorzuheben ist weiterhin, dass die Autoren bei aller (unumgänglichen) Komprimierung des Stoffes der (ebenso notwendigen) Differenzierung Raum geben: Sie referieren mehrfach unterschiedliche Varianten von Schöpfungsmythen, und selbst die koranischen und biblischen Schöpfungserzählungen werden durch die Berücksichtigung islamischer bzw. jüdischer Legenden in einen breiteren religionsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt; so weit wie möglich wird der historische und kulturelle Kontext der Mythen berücksichtigt, und die angebotenen Kategorisierungen - beispielsweise der unterschiedlichen indianischen Schöpfungsberichte (75 ff.) - sowie die analytischen Bemerkungen - z. B. zu den iranischen Mythen (99 ff.) erweisen sich für das systematische Erfassen der ungeheuren Stoffmenge als äußerst hilfreich.

Dennoch weist der Band auch einige Schwächen auf. Ins Auge sticht beispielsweise der allzu sorglose Umgang mit der Terminologie: "Buschmänner", "Rassen" "Urvölker" "Stämme" "Urstämme" "Eingeborenen-Stämme" "der archaische Mensch" ... etc. sind Termini, die problematisiert werden müssten; und wenn z. B. die anthropologische Kategorie "Mongoloide" als kulturgeschichtliche Kategorie entfaltet wird (63 f.), ist die Chance zur Aufklärung der - den notwendigen Differenzierungen gegenüber doch sicherlich aufgeschlossenen - interessierten, gut gebildeten Laien, auf die das Werk ja zielt, ungenutzt geblieben. Weitere Differenzierungen wären auch an anderer Stelle möglich gewesen: Wenn etwa neben der "Selbstbezeichnung der Gläubigen als Hindus ... die Systematisierung der Gesellschaft in Schichten unterschiedlichster Geltung, nämlich in Kasten, als konstituierende Merkmale der hinduistischen Religion" (76 f.) angeführt wird, konnte der Kastenbegriff durchaus kritischer dargestellt werden, als dies hier geschieht (vgl. etwa die Ausführungen von Axel Michaels, Der Hinduismus, München 1997, 176 ff.).

Ein weiteres Problem besteht darin, dass - insbesondere im ersten Teil dieses Bandes - ein vielleicht unbewusster Evolutionismus à’ la P. Wilhelm Schmidt als Rekonstruktionsprinzip Pate gestanden haben mag. Jedenfalls scheinen die Autoren von der Prämisse auszugehen, dass wir z. B. in den Pygmäen Vertreter eines "ursprünglicheren" Stadiums der kulturellen Menschheitsentwicklung vor uns hätten, die "uns einen Einblick in die ,Kindheit’ der Menschheit" (30) schenken könnten. Schließlich ist aber auch zu fragen, inwieweit die Autoren ihrer vorgegebenen Methodik treu geblieben sind. In der Tat: "Religionsphänomenologie arbeitet unter dem Postulat der epoché und "vertritt ... keinerlei theologische Tendenz" (15). Doch die späteren Ausführungen können den von einigen Religionswissenschaftlern gegen die Religionsphänomenologie wiederholt vorgebrachten "Theologieverdacht" nicht entkräften, im Gegenteil: Wie bereits die oben angeführten Zitate aus den resümierenden und reflektierenden Kapiteln andeuten, werden eben doch Wertentscheidungen vorgenommen, und zwar Wertentscheidungen durchaus theologischer Qualität, die in Spitzenaussagen wie folgenden besonderes Gewicht erhalten: "Ein Idealmodell der Erlösergestalt, in dem Transzendenz und Immanenz die Waage halten, scheint Jesus Christus zu sein, dem der Glaube Gottheit und zugleich Menschsein zuspricht" (305); oder: "Ein Höchstmaß an Struktur erreicht die zum Monotheismus entwickelte Religion" (304). Droht hier nicht die Gefahr, dass die religionsphänomenologisch aufbereitete Stoffsammlung zum theologischen Belegmaterial für den (christlichen) Monotheismus als Krone der Religionsgeschichte funktionalisiert wird?

Dennoch: Es hat seit langem an einer solchen Veröffentlichung gefehlt - einem Buch, das in klarer und verständlicher Sprache durch das doch sperrige Dickicht der Religionsphänomenologie führt. In dieser Hinsicht darf auch der zweite Band, der sich auf Phänomene der sogenannten "Schriftreligionen" konzentriert, mit Interesse erwartet werden.