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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

453–467

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

180 Jahre Monumenta Germaniae Historica 1819-1999

Die 1819 durch den Freiherrn vom Stein ins Leben gerufene Reihe Monumenta Germaniae Historica (MGH), die sich um ein kritisch abgesichertes Quellenfundament zur Erforschung des Mittelalters bemüht, beging 1999 ihren 180. Geburtstag. Die vielfältigen Beziehungen zur Kirchengeschichte liegen auf der Hand. ThLZ 120 (1995) hatte allgemein über die ehrwürdige Reihe und einige Bände jener Jahre berichtet (732-740). Eine Sammelrezension in ThLZ 122 (1997) über Editionen mittelalterlicher Texte 1995/96 hatte weitere 7 Bände der Reihe MGH besprochen (401-412). Nachfolgend wird eine Auswahl der in den Jahren 1998/99 erschienenen Bände rezensiert, die von der Redaktion der MGH der ThLZ in Leipzig zugeschickt worden sind. Am Anfang soll jedoch auf jenes Heft eingegangen werden, das zum 180. Geburtstag der MGH erschienen ist.

1. Quelleneditionen und kein Ende? Zwei Vorträge1

1.1 Arnold Esch: Der Umgang des Historikers

mit seinen Quellen - Über die bleibende

Notwendigkeit von Editionen

Der Schweizer Historiker Arnold Esch verweist zu Beginn auf die Metapher "Quelle": "Der Historiker kann Quellen suchen, Quellen finden, Quellen erschließen, kann sie prüfen, sie einfassen, aus ihnen schöpfen, sie schätzen oder sie verschmähen - das Wortfeld ist weit und schön, die ganze herrliche Wassermetaphorik der Bibel steht da zur Verfügung ..."(7). "Quellennnähe" wird erstrebt, "Quellenferne" ist ein Vorwurf. Esch erinnert daran, "daß zum Thema ,Umgang mit Quellen’, das sich leicht auf deren Edition und Auswertung beschränken ließe, auch ihre voraufgehende Auffindung und Erschließung gehört" (10). Dabei entsteht das Problem der wachsenden Menge: "Der Quellen gibt es viele, und sie werden immer mehr. Nicht nur dass nach hinten immerzu Geschichte neu nachwächst und damit neues Quellenmaterial in geradezu explosionsartiger Vermehrung. Nein, dies ist nicht einmal die einzige Ausdehnungsrichtung: Die Quellenvermehrung führt nicht nur, mit jedem Heute, in die Länge, sie führt auch in die Breite und in die Tiefe, und das gilt selbst noch für längst vergangene Zeiten" (15).

Esch nennt als Beispiel Vorgänge in Rom: 1880/81 wurden die vatikanischen Archive geöffnet, in jüngster Vergangenheit folgte die Öffnung auch der Archive der Inquisition und der Index-Kongregation. Er nennt die sich hier ergebenden Möglichkeiten "eine neu sich auftuende fette grüne Wiese" (17). Aber das Problem der wachsenden Menge wird dadurch nur noch dringender: "Die mit dem 12. Jahrhundert einsetzende Flut von Schriftlichkeit wird mit dem Beginn der frühen Neuzeit zur Springflut" (19). Immer bedrängender steht so "neben dem quantitativen nun auch der qualitative Aspekt" (21).

Im Zusammenhang damit stehen die finanziellen Voraussetzungen für solche Arbeit. Wie sind die knappen Geldmittel zu verteilen: "Entweder 1 Band Edition oder 2 dicke Habilitationsschriften, oder 1 große Tagung (um einmal ganz praktisch Äquivalenzen zu nennen, die bei uns aus dem gleichen Haushaltstitel zu finanzieren wären)" (25). Es gibt zunehmend neue technische Möglichkeiten, die auch genutzt werden. Aber Esch hält fest: "Elektronische Hilfen sind unbedingt wünschbar, aber die geistige Durchdringung, die eigentliche Beherrschung des Textes ersetzen sie nicht" (25).

Nachdrücklich warnt er davor, Editionen durch Monographien zu ersetzen, obwohl Monographien einen größeren Leserkreis erreichen. Aber "Monographien veralten schneller" (27). Zudem fordert Esch: "Wir sollten Menschen nicht nur, aus unserer Perspektive, in Monographien verarbeiten, sondern sie, aus ihrer Perspektive, auch in Quellenpublikationen ausreden lassen" (27). Er hofft, dass die Editoren von Quellen auch Geschichte schreiben, aber diese beiden Aufgaben sind zu unterscheiden. "Ranke hat keine Quelle ediert, aber seine Schüler dazu angehalten, und Quellenmassen durchdrungen wie kein anderer" (28). Sein Ziel beschreibt Esch deutlich: "Gut ausgewählte, knapp und lesbar kommentierte Quellen können ... ein geeignetes Medium sein, um einer breiteren Öffentlichkeit Geschichtsforschung eingängig zu machen" (28). Diese Zielsetzung kann der Kirchenhistoriker nur voll und ganz unterschreiben.

1.2 Rudolf Schieffer: Die Erschließung des Mittelalters am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica

Rudolf Schieffer, seit einigen Jahren Präsident der MGH, nennt zu Beginn ausgewählte Zahlen: Die bayerische Zisterzienserabtei Raitenbach weist bis zum Ende des Mittelalters einen Bestand von gut 1000 überlieferten Urkunden auf, die Haupturkundenreihe des Kölner Stadtarchivs bietet 15000 Originale vor dem Jahr 1500, die 4135 aus dem Spätmittelalter überkommenden Bände der Suppliken-Lateran- und Vatikanregister des päpstlichen Archivs in Rom hat einen Inhalt von etwa 1,8 Millionen Urkundeneinträgen (31). Bei solchen Zahlen kann eine komplette Edition der mittelalterlichen Quellen natürlich niemals erreicht werden. Schieffer stellt die grundsätzliche "Frage nach den Kriterien, denen die Auswahl in der Vergangenheit gefolgt ist, heutzutage folgt und in Zukunft folgen könnte oder sollte" (32).

Bis ins 18.Jh. hinein war es oft reiner Zufall, ob eine Quelle zum Druck kam oder nicht. Die Drucker "konnten aus dem Vollen schöpfen und überall dort zugreifen, wo ihnen der Erstdruck eines mittelalterlichen Textes ein besonderes Interesse ihrer Käufer und Leser zu befriedigen schien, wo er als Waffe in den geistigen, zumal den konfessionellen Auseinandersetzungen ihrer Zeit dienlich war oder auch nur den Gelehrtenruhm zu mehren versprach" (33). Die MGH haben bisher oftmals eine Vorreiterrolle gespielt: Sie brachten "vielfach Ausgaben hervor, die eine intensive Beschäftigung mit den darin enthaltenen Quellen überhaupt erst in Gang brachten" (38).

Aber welche Wege zeichnen sich für die Zukunft ab? Sicher gibt es immer noch viele ungedruckte Werke, die durch eine Edition in den MGH aufgewertet und vor einem möglichen Untergang bewahrt werden. Hier werden die MGH auch weiterhin eine Aufgabe behalten. Aber es gibt auch zentrale Bereiche des frühen und hohen Mittelalters, für die das Quellenmaterial erschlossen ist: Hier liegen "tatsächlich abschließende Leistungen" vor (39). Der Schwerpunkt der Arbeit der MGH liegt daher jetzt "nicht mehr auf Ersteditionen, sondern auf dem geduldigen Bemühen, mittelalterliche Quellen, die bereits irgendwo und irgendwie gedruckt sind, in verbesserter Gestalt neu herauszubringen" (41).

Die Kunst des Edierens ist weit fortgeschritten. Wir wollen heute nicht nur einen gesicherten Text haben, "sondern auch wissen, wie eindeutig er verbürgt ist und welche Alternativen die Wirkung der Quelle mitbestimmt haben können. Wir wünschen Aufschluss darüber, aus welchen Vorlagen und nach welchen stilistischen Mustern, gegebenenfalls mit bewusster Abwandlung, der Text erwachsen, womöglich im Nachhinein verändert worden ist. Wir fragen nach Eigenart und Einzigartigkeit des Inhalts, also dem Verhältnis zu anderen Quellen derselben Zeit oder desselben Genres, wir untersuchen, welche Verbreitung und Fortentwicklung, welche Leser und Rezipienten ein Text im Lauf der Jahrhunderte gefunden, warum er letztlich die Zeiten überdauert hat" (43).

Auch Schieffer geht auf die neuen technischen Hilfsmittel ein, man hat mit etwa 30 Bänden Erfahrungen gesammelt. Zunehmend werden die Bearbeiter stärker von der Technik in die Pflicht genommen. Das Ziel sollte eine elektronische Datenbank über alle relevant gebliebenen Monumentatexte sein, "die ganz ungeahnte Möglichkeiten der Texterschließung und des Textvergleichs eröffnen würde" (46). Als Vorbild nennt Schieffer das Rechercheinstrument für das Corpus Christianorum, das nur die Texte bringt, - ohne Variantenapparat und Kommentarfußnoten, ohne Einleitungen und Indices. Man denkt auch über Möglichkeiten nach, mitunter schon Zwischenergebnisse bekannt zu machen. Damit würde die derzeitige Alternative überwunden oder wenigstens relativiert, "wonach ein Werk entweder überhaupt nicht oder unabänderlich erschienen ist" (47).

Aber auch ein noch so wichtiger technischer Fortschritt sollte die unverändert bleibende Aufgabe nicht verdunkeln: "Edieren bedeutet morgen wie gestern die möglichst allseitige, vor keiner Schwierigkeit ausweichende Auseinandersetzung mit einem konkreten Abschnitt der historischen Überlieferung samt der form- und zeitgerechten Darbietung der Befunde zur weiteren Auswertung durch die Forschung". Diese Arbeit sollte ständig weiterhin qualitativ verbessert werden, es geht um die Verbreiterung, Festigung, Durchdringung des Fundaments, auf dem alle historische Arbeit aufruht. Schieffer beschließt seine Rede mit der Feststellung: "Die einzelne Edition gelangt, so bleibt stets zu hoffen, früher oder später an ihr Ende; das Edieren selbst bewahrt seine kritische Funktion, solange es überhaupt eine quellenbezogene Geschichtswissenschaft gibt" (48).

2. Opus Caroli regis contra synodum (Libri Carolini)2

Die seit mehreren Jahren angekündigte neue Edition schildert einleitend den historischen Hintergrund: Im Jahre 787 hatte das 2. Nicänische Konzil die Verehrung der Heiligenbilder zum Dogma erhoben. Im Jahre 1987 war vielfach an das 1200-jährige Jubiläum des 2. Nicänums erinnert worden. Eine kritische Textausgabe jener Akten hat das Jubiläum jedoch leider nicht bewirkt: Man ist immer noch auf die im 18. Jh. erarbeitete Konzilssammlung von Giovanni Mansi angewiesen (Bd. 12 und 13). In einer Anmerkung wird mitgeteilt, dass Dr. Erich Lamberz (München) für die Acta Conciliorum Oecumenicorum eine kritische griechisch-lateinische Edition vorbereitet (2, Anm. 8). Der jetzt vorgelegte Band geht ausschließlich auf die lateinischen Quellen ein. Der Liber pontificalis vermerkt, dass Papst Hadrian eine lateinische Übersetzung der Konzilsakten herstellen ließ, die im päpstlichen Archiv aufbewahrt wurde.

Bekanntlich ist diese Übersetzung der griechischen Akten ziemlich fehlerhaft, doch offensichtlich gibt es keine Nachricht, dass die Zeitgenossen Karls d. Gr. bei der kritischen Bearbeitung dieser lateinischen Dokumente die Möglichkeit einer falschen Übersetzung irgendwie einmal in Erwägung gezogen hätten. Der Papst Hadrian I. hat die Übersetzung der Konzilsakten ins Frankenreich geschickt, ein Begleitbrief ist nicht erhalten. Vielleicht ging der Papst von der Meinung aus, der Vorgang sei für die Franken ohne Belang, da es dort gar keinen Bildersturm gegeben hatte.

Im Frankenreich stellte man jedoch Einwände gegen die 787 in Nicäa beschlossene Bilderverehrung zusammen, die Abt Angilbert 792 nach Rom brachte. Dieses erste fränkische "Capitulare de imaginibus" ist nicht erhalten, aber die Antwort Papst Hadrians bringt immer wieder Zitate (MGH Epp.5, 1898, 5-57). Inzwischen waren die übersetzten Konzilsakten in England aufgetaucht und wurden von den Yorker Annalen zum Jahr 792 erwähnt. Im Frühsommer 793 kehrte Alkuin aus England zurück und brachte die Konzilsakten wieder mit; er hat offenbar Einfluss auf Einzelheiten des jetzt entstehenden großen Opus Caroli regis contra synodum genommen. Der Verfasser des Opus war aber der westgotische Theologe Theodulf von Orléans. Im Spätsommer 793 wurde das Werk dem Herrscher vorgelesen, der sich dazu mehrfach äußerte: Seine Worte wurden aufgeschrieben, sie sind als Tironische Noten erhalten.

Im Herbst 793 erschienen päpstliche Gesandte im fränkischen Reich und überbrachten Hadrians Antwort auf die fränkischen Einwände. Der Papst verteidigte die Konzilsbeschlüsse von 787. Papst Hadrian forderte die Franken auf, "sich auf die abschließende Definition des Konzils zu beziehen, die hinreichend zwischen der Ehrerbietung gegen Bilder und glaubensvoller Verehrung, die allein Gott zukomme, unterscheidet" (6). Hier wird also auf den differenzierten griechischen Wortlaut verwiesen. Einer der päpstlichen Legaten war in Nizäa 787 dabei gewesen und konnte direkt Auskunft geben. Aber eine grundsätzliche Nachfrage nach der lateinischen Übersetzung der Konzilsakten scheint es auch 793/94 nicht gegeben zu haben.

Die päpstliche Stellungnahme nahm man im Frankenreich mit einigem Kopfschütteln zur Kenntnis. "Doch zunächst einmal hatte der Papst gesprochen" (9). Im Jahre 794 wurde auf der Synode von Frankfurt die griechische Synode verurteilt, aber Karl blieb dabei ungenannt im Hintergrund. Jener Tagesordnungspunkt 2 begann mit den unklaren Worten: "Allata est in medio de nova Grecorum synodo ...". Diese Wendung "ist ohne Parallele in den Beschlüssen" (9).

Bei der gegebenen Lage konnte nun das ausführliche Opus Caroli contra synodum nicht veröffentlicht werden. Theodulf und seine Kollegen mussten erkennen, "daß sich ihre höhnischen Anmerkungen, wenn sie veröffentlicht würden, gegen Rom richten würden. Wir wissen nicht, ob auch aufgeklärt werden konnte, auf welchem Wege und durch wen die Übersetzung an den fränkischen Hof gelangt war; wir können aber davon ausgehen, daß mit der Anwesenheit eines Kenners der Angelegenheit auf fränkischem Boden das ganze Ausmaß der Mißverständnisse deutlich wurde, denen das Opus Caroli regis seinen Ursprung verdankte. Unter diesen Umständen konnte das Werk zwar privat benutzt werden, es war aber nicht mehr möglich, es in Frankfurt zu veröffentlichen" (10). Das Opus Caroli hatte seinen aktuellen Nutzen verloren, es wurde aber immerhin "sorgfältig im Hofarchiv aufbewahrt" (10).

Im Jahre 825 kam unter Ludwig dem Frommen die Bilderfrage auf der Synode in Paris wieder auf die Tagesordnung, dieses Mal sollte Papst Eugen II. den fränkischen Standpunkt erfahren, aber im byzantinischen Reich hatte sich die Situation völlig verändert. Man erinnerte sich durchaus daran, dass bereits Karl d. Gr. sich ausführlich und kritisch zur Frage der Bilderverehrung geäußert hatte. Aber die Akten des Pariser Konzils 825 nahmen auf das Opus Caroli nicht Bezug (MGH Concilia 2,2, 1908, 473-532). Die Herausgeberin formuliert die sich ergebenden Fragen: "War das Werk mitsamt seiner Geschichte zu einer solchen Peinlichkeit geworden, daß es nicht mehr erwähnt werden konnte, auch nicht in der nächsten Generation? Oder war es, nachdem seine Protagonisten nicht mehr lebten, tatsächlich zu einem unbekannten Werk geworden, das auf seine Wiederentdeckung durch Hinkmar von Reims warten mußte?" (11). Offensichtlich gab es beim Pariser Konzil 825 nur ein einziges Exemplar des Opus Caroli, den heutigen Codex Vaticanus lat. 7207. Erst in der Mitte des 9. Jh.s entstanden zwei weitere Abschriften (12) und erst im Jahre 873 hat der gelehrte päpstliche Bibliothekar Anastasius eine revidierte Fassung der lateinischen Übersetzung der Konzilsakten von 787 erstellt.

Das Opus Caroli wurde in der Reformationszeit wieder entdeckt. Jean du Tillet, ein Freund des Genfer Reformators Calvin, brachte das Werk 1549 erstmals zum Druck. Calvin berief sich gern darauf, denn er fand hier Argumente für seine bilderfeindliche Linie. Dagegen wollten katholische Gelehrte wiederholt das Opus Caroli als eine Fälschung erweisen, "doch solche Spekulationen fanden ein Ende mit der Entdeckung der Originalhandschrift (Cod.Vat 7207) im Jahre 1865 durch Reifferscheidt" (13).

Ausführlich erörtert die Herausgeberin die Verfasserfrage, die verschiedenen Lösungsversuche werden geschildert. Immer wieder war die These vertreten worden, Alkuin sei der Verfasser der Libri Carolini. Dies hatte z. B. Hubert Bastgen in seiner Edition 1924 sowie Luitpold Wallach noch 1977 in seinen Diplomatic Studies in Latin and Greek Documents from the Carolingian Age vertreten. Ann Freeman weist diese Auffassung zurück und tritt für Theodulf von Orléans als Verfasser ein. Anhang I stellt charakteristische Wendungen zusammen, die deutlich auf den aus Spanien stammenden westgotischen Kleriker Theodulf weisen (561-566). Anhang II enthält zahlreiche Abkürzungen für liturgische Bibeltexte (567-575), die "auf spanische Quellen zurückgeführt werden können" (20). Insbesondere sind aber bestimmte Psalmverse "ein einzigartiges Zeugnis für den sogenannten westgotischen liturgischen Psalter" (22). Die Herausgeberin kommt zu der überzeugenden "Schlußfolgerung, daß das Opus Caroli regis von Theodulf für Karl d. Gr. verfaßt worden ist" (23).

Abschnitt 3 "Die Haltung zur Bilderfrage" beginnt mit der oft erörterten politischen Rivalität zwischen dem byzantinischen und dem fränkischen Reich: "Die Konzilsakten weckten von Anfang an Widerspruch" (23). Dabei muss zugegeben werden, dass die fränkischen Theologen die griechische Theologie nur unzureichend kannten. Man sah in dem neuen Dogma "lediglich eine unerhörte Neuerung" (27). Deutlich wird aber auch, dass die fränkische Argumentation nicht nur an der Fehlübersetzung der Akten lag. Theodulf hatte durchaus Sinn für Bilder, er kannte aber gerade deshalb auch ihre Gefahren: "Selbst wundersame und erschreckende Bilder konnten mit ihren verborgenen Botschaften einem guten Zweck dienen. Wo es aber um die Verehrung ging, konnte die Vorsicht nicht groß genug sein, da Verehrung allein Gott zustand: Die Seelen der Gläubigen waren in Gefahr" (35).

Abschnitt 4 "Die Entstehung und Überarbeitung des Opus Caroli regis" (50-67) geht auf die Handschriften ein, insbesondere auf den Codex Vaticanus lat. 7207 (37-50 mit 12 Tafeln). Zu Theodulfs Quellen wird ein umfassendes Bild erarbeitet: "Das Register der Werke und Autoren im Anhang zu dieser Edition dokumentiert nicht nur Theodulfs Gelehrsamkeit, sondern auch den reichen Bestand der von ihm benutzten Bibliothek". Es kann wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden, "daß er das Opus Caroli regis am Hofe Karls d. Gr. verfaßt hat und die königliche Bibiothek benutzte. Karl hielt sich von 791 bis 793 in Regensburg auf, und wenn Theodulf hier gearbeitet hat, konnte er auch auf die Bücher von St. Emmeram zurückgreifen" (50). Noch ein Hinweis spricht für den aus Spanien stammenden Theodulf: Unter den benutzten Kirchenvätern hatte der gelehrte spanische Bischof Isidor von Sevilla einen besonders großen Stellenwert: "Im Text ist die Benutzung fast aller seiner Hauptschriften zu erkennen, die Bezüge zu den Etymologiae erscheinen so gut wie überall ... Ihm schuldet er zu großen Teilen sein Wissen über die Zeit der Patriarchen, und Isidors Chronik fand er nützlich genug, um sie als Anhang seiner Bibel hinzuzufügen. Schließlich verdankte er Isidor die Einführung in die Dialektik" (53).

Unter den vorgestellten Handschriften nimmt die mehrfach genannte Handschrift "Citta del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 7207" die erste Stelle ein (67-70). Es folgt die erste Abschrift (für Hinkmar) "Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, 663" (70-73). Nur ein Blatt enthält eine Handschrift aus Corbie, eine weitere verlorene Handschrift ist noch im 15./16. Jh. bezeugt. Von ihr stammen noch zwei weitere verlorene Abschriften (74-76). Tillets erster Druck 1549 in Paris folgte der Pariser Abschrift, diesem Druck folgten weitere Ausgaben von Goldast 1609, Pareus 1628, Heumann 1731. Migne übernahm 1862 in MPL 98 die Ausgabe von Goldast. Die kritische Ausgabe von Hubert Bastgen in den MGH 1924 folgte auch der Pariser Abschrift, die freilich nach seiner Meinung schon für das Pariser Konzil 825 hergestellt worden war und eine Abschrift des ursprünglichen Codex Vaticanus darstellte. Bastgen hielt sein Werk für das genannte Capitulare de imaginibus, das man damals Libri Carolini nannte.

Die jetzt erarbeitete neue Edition nennt diese alte Bezeichnung nur noch in Klammern. Die Edition "bietet den Text des Opus Caroli regis, soweit er im Vat lat. 7207 vorliegt, in einem quasi-diplomatischen Abdruck, um so weitere Forschungen zu erleichtern" (85). Dieser Originaltext setzt freilich erst in I/1 ein (107), vorher musste der Pariser Arsenaltext zu Grunde gelegt werden. Die erste MGH-Ausgabe von Hubert Bastgen wird fortlaufend am Rande genannt, so dass ältere Zitate leicht umgestellt werden können. Die kurzen Kommentarworte Karls d. Gr. sind so weit wie möglich an den betreffenden Stellen ausgedruckt worden. Nach einem Quellen- und Literaturverzeichnis (87-93) folgt der Abdruck des Textes auf den Seiten 95-558. Den beiden schon genannten philologischen Anhängen folgt Anhang III "Das Opus Caroli regis und die Kunst" (577-582), das Theodulfs Kunstinteressen gilt. Anhang IV bringt eine Übersicht über die in den Tironischen Noten festgehaltenen Äußerungen von Karl d. Gr. (583). Eng gedruckte Register ordnen Bibelstellen, Autoren und Werke sowie Namen. Den Abschluss bildet ein Wort- und Sachregister (617-666). Die neue Edition bietet für weitere Arbeiten die besten Voraussetzungen.

3. Paul Speck: Die Interpolationen in den Akten des Konzils von 787 und die Libri Carolini3

An dieser Stelle sei eine Arbeit zur gleichen Quelle genannt, die freilich nicht in der Reihe MGH erschien, die aber zeigen kann, dass man angekündigte Editionen der MGH tunlichst abwarten sollte. Der Byzantinist Paul Speck will die Echtheit der Libri Carolini (LC) bestreiten. Freunde haben ihn gewarnt: "Aber die Echtheit der Handschrift ..." (9). Er hörte leider nicht auf diesen guten Rat und erzählt weiter: "Dann - sagt mir mein Gewissen - hätte ich an sich warten sollen, bis die Neueditionen der Libri Carolini und der Akten von 787 vorliegen. Meine Arbeit wäre weniger vorläufig gewesen. Aber so jung bin ich nicht mehr. Dass meine Argumente nicht alle von derselben Qualität und derselben Beweiskraft sind, werden Leserin und Leser mir nachsehen und verstehen" (9).

Die erbetene Nachsicht wird dem Leser freilich gleich von Anfang an erschwert. Speck verspottet "die verletzliche Psyche einiger Generationen von Theologen und Historikern", die meinten, in den Libri Carolini "einen unverrückbaren Fels in der Geschichte zu haben. Damit konnte auch sichergestellt werden, dass man für die im neunzehnten Jahrhundert aufblühende Liebe zum Kaisertum und vor allem für das spätestens im Kulturkampf gewonnene Mißtrauen gegen das ultramontane Rom und seinen finsteren Katholizismus schon in Karl dem Großen einen Vorläufer hatte, der sich nicht nur gegen Byzanz, sondern vor allem auch gegen Rom behaupten wollte und durchsetzte. Indem Karl in den Libri Carolini seine geistige Eigenständigkeit bewies und die Bilder zwar nicht zerstörte, aber auch nicht verehrte, bereitete er geistig die Kaiserkrönung vor, die ihn unabhängig von Rom und Byzanz zum Herrscher des Westens machte. Das ist im besten Sinne deutsch. Und Karl wiederum ist als wahrer Deutscher und aufrechter Abendländer erwiesen" (8). Solche ironischen Bemerkungen fördern kaum ein sachliches Gespräch.

Im Detail behauptet der Autor, dass die Übersetzung der Akten des 2. Nicänums 787 fortlaufend Interpolationen aufweise. Er formuliert zunächst mit vorsichtigen Worten: Die Interpolationen "scheinen" z. T. auf folgende Ursache zurückzugehen: "Besonders auf Papyrus geschriebene Texte haben gerade in der Zeit vor dem neunten Jahrhundert erheblich gelitten, so dass oft nur Bruchstücke (,Fetzen’) erhalten blieben, aus denen man sich dann wieder bemühte, einen Text herzustellen. So wird auch das konstantinopolitanische Exemplar der Akten, das sicher auf Papyrus geschrieben war, nach den Jahren des Ikonoklasmus in einem schlechten materiellen Zustand gewesen sein. Deshalb glaubte man sich genötigt, Fehlendes zu ergänzen und brachte solche Ergänzungen (recte Erweiterungen) auch sonst an" (14).

Von dieser Voraussetzung aus geht er die Libri Carolini durch

(27-137) sowie die dem Konzil vorangehenden Korrespondenzen (139-256). Am Ende seiner Arbeit geht es ihm freilich nicht nur um Details, er zieht zuletzt eine viel weiterreichende Konsequenz mit der Behauptung: "Die LC hingegen sind als Werk der Franken im Auftrag Karls hinfällig. Ein Bilderproblem bei den Franken gab es nicht. Darauf, daß die Franken sich für die Bilderfrage, und zwar in einem höchst ikonoklastischen Sinn, interessiert hätten, muß man verzichten. Die Franken konnten ganz gut ohne die ihnen später aufgehalste Bilderfrage auskommen. So klar und einfach ist manchmal Geschichte" (258). Hätte er die umfangreichen Erörterungen von Ann Free-man in der fast gleichzeitig erschienen neuen Edition (s. o.) gründlich zur Kenntnis genommen, dann hätte er die Geschichte vielleicht nicht "so klar und einfach" genannt.

Speck hatte in der Einleitung ganz offen zugegeben, es sei ihm "unmöglich, die äußerst umfangreiche bisherige Literatur über die LC systematisch einzusehen und einzuarbeiten" (16). Diese Unkenntnis betrifft auch das wichtigste Dokument, um das der Streit geht: "Zu guter Letzt entzieht sich auch die Handschrift, der Vaticanus Latinus 7207, mit ihren Rasuren, Änderungen und Marginalnotizen in tironischen Notizen meiner Beurteilung" (16). Speck formuliert also zunächst ganz vorsichtig bis hin zu der Bemerkung: "Wie schon gesagt, lokalisiere ich viele Meinungen nicht; mein Verhältnis zur mediävistischen Sekundärliteratur ist Hilflosigkeit" (28, Anm. 1.). Seine eigenen Werke zitiert er freilich ziemlich häufig, oft nur allgemein, einmal mit der offenen Bemerkung: "Wiederum muß ich Leserin und Leser auf eigene Lektüre verweisen. Ich bin einfach zu bequem geworden, noch lange zu suchen ..." (104, Anm. 274). Trotzdem hält er sein Buch für ein "Lesevergnügen für die, die nicht mit Augenbinden durch die Geschichte laufen und die manchmal auch komplizierte Argumente genießen können" (9).

Die ausgesprochen kritische Selbsteinschätzung am Anfang hindert den Autor nicht, am Schluss des Buches die Lage ganz souverän zu beurteilen: "Was dann die vatikanische Handschrift 7207 anbetrifft - o weh! - da muß die lateinische Paläographie sich wohl etwas überlegen" (260). In einer Anmerkung dazu behauptet Speck sogar: "Diese sogenannte Originalhandschrift Karls ist ja wohl einschließlich ihrer Datierung ein Ammenmärchen" (260, Anm. 686). Einen Beweis für diese Behauptung bleibt er freilich schuldig. Seine eigene Vermutung geht dahin, die LC könnten etwa 70 Jahre nach dem 2. Nicänum entstanden sein: "Die Zeit nach 843 bietet sich an" (15). Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass auch diese Veröffentlichung von Speck zum Mittelalter wieder auf zahlreiche Einwände stoßen wird.

4) Das Konzil von Aachen 8094

Der vorgelegte Band geht auf eine Diss. phil. zurück, die 1994 in Regensburg angenommen wurde. Die fränkischen Reichsannalen bieten in dem langen Abschnitt über das Jahr 809, der sonst primär von Kämpfen mit den Dänen erzählt, einen ganz knappen Hinweis: "Als dies geschehen war, kehrte der Kaiser vom Ardenner Wald nach Aachen zurück und hielt im November eine Kirchenversammlung (concilium) wegen der Frage über das Ausgehen des hl. Geistes, eine Streitsache, zu der ein Mönch Johannes in Jerusalem den ersten Anstoß gegeben hatte. Um eine Entscheidung darüber herbeizuführen, wurden der Bischof Bernhar von Worms und der Abt Adalhard von Corbie nach Rom an den Papst Leo abgesandt". Diese Mitteilung hat eine Vorgeschichte: Fränkische Mönche waren wegen ihrer Liturgie im Heiligen Land beschimpft worden, man hatte sie sogar allgemein als Häretiker bezeichnet; sie hatten sich daher in dieser Sache "unter Kniefall und Tränen" an Papst Leo III. gewandt.

Es geht bei dem hier vorliegenden Problem um eine schon lange umstrittene theologische Frage, die noch heute mitunter die Ökumeniker beschäftigt und seit jeher in der Dogmengeschichte eine große Rolle gespielt hat. Die Einleitung stellt zutreffend fest: "Die Frage, ob der Heilige Geist aus Gott-Vater (ex patre) oder aus Gott-Vater und Gott-Sohn (ex patre filioque) hervorgehe, war eine sowohl theologische wie staatspolitische Angelegenheit" (3). Das Konzil von Aachen wurde daher gründlich vorbereitet. "Die von Karl d. Gr. zu diesem Zweck bei herausragenden Gelehrten seines Reiches in Auftrag gegebenen Expertisen sollten konzis und stichhaltig den erwünschten Nachweis aus der Heiligen Schrift, den ökumenischen Konzilien und der Väterliteratur erbringen" (3).

Die Edition bringt einleitend mit gutem Grund einen fundierten Überblick über die Tradition des Filioque im Abendland: Sie beginnt mit einer freilich etwas unklaren Stelle schon beim späten Tertullian (8); auf festem Boden stehen wir bei den Kirchenvätern Hilarius, Marius Victorinus, Ambrosius, Augustin sowie beim Konzil von Toledo 589. Im Frankenreich setzt die Überlieferung schon am Ende des 6. Jh.s ein mit einem Glaubensbekenntnis Gregors von Tours am Anfang seiner Frankengeschichte. Aussagen zum Problem des Filioque enthalten die Synode von Gentilly 767, das Kapitel III,3 der Libri Carolini (15-17), die Synoden von Regensburg 792, Frankfurt 794 und Cividale 796/97 sowie Kunstdenkmäler (19 f.). Das erste Ergebnis der neuen Edition ist die Erkenntnis, dass die fränkischen Mönche in Jerusalem sich bei ihrem Bekenntnis an eine abendländische Überlieferung gehalten haben, die auf den aus England stammenden Mainzer Erzbischof Lullus und die Jahre 779/80 zurückgeht (23-25).

Papst Leo III. wies das Ansinnen jedoch zurück: Die fränkischen Mönche sollten sich an das nizänische Glaubensbekenntnis in seiner Ausformung von 381 halten, das die Formel filioque nicht enthielt. Der Papst informierte auch den Kaiser Karl. Willjung stellt fest: "Aus dem Bericht der Reichsannalen läßt sich demnach ableiten, daß die Aachener Synode in der Hauptsache, dem Filioque-Problem, eine Stellungnahme verabschiedet hat. Diese konnte jedoch nicht die rechtliche bzw. kirchenrechtliche Verbindlichkeit haben wie Beschlüsse in innerfränkischen Angelegenheiten. Vielmehr war sie von vornherein auf ökumenische Geltung angelegt und bedurfte der Zustimmung der höchsten Glaubensautorität" (29).

Der neue Band ediert erstmals in einer kritischen Ausgabe den Beschluss der Aachener Synode "de processione spiritus sancti a patre filioque" (235-249). In einem Rückblick auf die vier universalen Konzilien der alten Kirche stehen auch Zitate der alexandrinischen Kirchenväter Athanasius und Cyrill (237-239). Es folgen Bibelstellen, z. B. Röm 8,9 "Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein", Gal 4,6 "Gott sandte den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater!", Joh 15,25 "Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater", Joh 20,23 "Nehmet hin den heiligen Geist".

Als 2. Text folgt eine längere Sammlung von Zeugnissen: "Testimonia ex sacris voluminibus collecta" (253-284), als deren Verfasser der Erzbischof Arn von Salzburg erwiesen wird.

Der an erster Stelle gedruckte Aachener Beschluss wird nach gut begründeter Auffassung des Autors als eine "gezielte, straffe Übersetzung (Epitome)" der Testimoniensammlung bezeichnet (62). Fußnoten im 1. Text verweisen immer wieder auf Arns Sammlung. Als Kriterien der Auswahl werden genannt: "1) Straffung der Vorlage durch gezielte Auswahl der zum beabsichtigten Nachweis besonders geeigneten Stücke, 2) Kürzung der ausgewählten Exzerpte und ihrer Einleitungen, 3) Herstellung einer chronologischen Ordnung (87). Der Autor vermutet - freilich vorsichtig formulierend -, daß Karl dem Großen und dem Aachener Konzil "bis in kleinste Details und feinste Korrekturen daran gelegen war, sich ihrem ,Widersacher’ in der Filioque-Frage, Leo III., als mindestens ebenbürtig darzustellen" (87).

Die Grundlage für die Aachener Beratungen war freilich breiter, das "Konzil hatte eine Auswahl unter wenigstens fünf Gutachten zu treffen. Die Eröffnungsphase dürfte wenigstens einen Beratungstag ausgefüllt haben. Aufgrund seines durchdachten Aufbaus und der Qualität der Exzerpte bei relativ großer Dichte entschied man sich für die Sammlung Arns als Basis des Beschlusses" (92).

Von ganz besonderem Interesse ist der 3. Text unter der Überschrift "Ratio de symbolo fidei inter Leonem III papam et missos Caroli imperatoris" (285-294), der danach noch in deutscher Übersetzung gebracht wird (295-300).

Der Papst ist theologisch nicht gegen das Filioque, aber er möchte das altkirchliche Bekenntnis, in dem die Formel filioque fehlte, nicht verändern. Zur Charakterisierung des Zwiespalts zwischen Franken und dem Papst wird aus einem Aufsatz von Horst Fuhrmann "Das Papsttum und das kirchliche Leben im Frankenreich" (1981) zitiert: "Die Durchsetzung christlichen Glaubensgutes und Brauchtums nahm Karl weitgehend selbst in die Hand. Rom blieb selbstverständlich - von den Päpsten ständig betont - der Hort rechten Glaubens, aber hatte man sich einmal der Über-einstimmung mit den Zeugnissen der Orthodoxie versichert, so war man überzeugt, Dinge der Verkündigung und der Lehre selbst festsetzen zu können" (113). Willjung verweist mit vollem Recht auf den Zusammenhang mit ähnlichen Ereignissen jener Jahre: "Wie beim Opus Caroli und beim Konzil von Frankfurt 794 tritt hier der umfassende, der ganzen Ökumene geltende Charakter der fränkischen Forderungen zutage" (113). Der Papst ließ sich damals allerdings noch nicht überzeugen und ließ seine Beharrlichkeit sogar auf Silbertafeln abbilden (117-120).

Als 4. Dokument wird der Brief des Smaragd von Saint-Mihiel "De processione spiritus sancti" gebracht (301-312). Man hatte dieses Dokument früher mehrfach als den Brief gedeutet, den Karl d. Gr. an den Papst geschickt hatte, doch wird diese Auffassung widerlegt (29-35). Tatsächlich erwies sich Smaragds Sammlung erst "etwa 250 Jahre nach ihrem Entstehen als aktuell und brauchbar. Petrus Damiani benutzte die handliche karolingische Epistel weit ausgiebiger und systematischer als bisher angenommen" (169).

Als 5. Quelle wird ein "Libellus de processione spiritus sancti" des Bischofs Theodulf von Orléans gebracht (313-382), der mit einem Widmungsgedicht an Karl beginnt. Dennoch blieb Theodulfs Sammlung "gegen Arns Zusammenstellung ebenso chancenlos wie die kleine Kollektion Smaragds von Saint-Mihiel" (211). Aber Theodulfs Arbeit entfaltete gegen Ende des 9. Jh.s eine gewisse Wirkung im photinianischen Streit; möglicherweise hat sie auch noch Petrus Damiani vorgelegen (212).

Als Text 6 folgt Heito, Bischof von Basel und Abt des Klosters Reichenau, mit seinen "Testimonia de processione spiritus sancti" (383-395). Die Verfasserschaft Heitos kann wahrscheinlich gemacht werden. Heito hat sich nicht nur auf die Zusammenstellung älterer Zeugnisse beschränkt. "Die Tatsache, daß Heito eine Explanatio, ein kommentiertes, sich über zweieinhalb Seiten erstreckendes, wohl zeitgenössisches Glaubensbekenntnis in das Gutachten aufnahm, ist gleichfalls wert, hervorgehoben zu werden, denn Heitos Kollegen beschränkten sich auf die Autorität der Heiligen Schrift bzw. der Kirchenväter" (215). Heito hatte die große Reichenauer Klosterbibliothek zur Verfügung, zudem konnte er "möglicherweise auf Abschriften einzelner Exzerpte Theodulfs und Arns zurückgreifen. Der strukturelle Gleichklang der Sammlungen Theodulfs und Heitos liegt auf der Hand" (217).

Als letztes Quellenstück werden die "Testimonia de aequalitate spiritus sancti cum patre et filio seu de processione eius ex ambobus" gedruckt (397-412). Als Verfasser kann Adalwin von Regensburg wahrscheinlich gemacht werden, der als Abt des Klosters St. Emmeram wohl ebenfalls eine Vorarbeit für das Aachener Konzil 809 zu liefern hatte (225).

Über die Leistung und Bedeutung des Aachener Konzils urteilt der Herausgeber, "daß hier erstmals der systematische Versuch unternommen wurde, ein dogmatisches Problem und darin enthaltene Widersprüche zu lösen, die bereits in den frühesten ökumenischen Glaubensbekenntnissen und damit verbundenen kanonischen Kommentaren angelegt waren und spätestens seit der Mitte des 6. Jahrhunderts virulent wurden. Die auf Veranlassung Karls d. Gr. unternommene Sichtung und Sammlung von dogmatischen Autoritäten zum Problem der Processio spiritus sancti erfolgte in einer Art und Weise, die wohl grundsätzlich abhängig war von der Bibliotheksausstattung der Gutachter, die gleichwohl eine große geistige Selbständigkeit verrät" (231). Willjung bezeichnete insbesondere die Arbeit des Erzbischofs Arn von Salzburg und den Beschluss der Aachener Synode 809 als "eine Pionierleistung der karolingischen Theologie" (231).

Das gilt dann aber ganz besonders im Hinblick auf die weitere Geschichte: Damals konnte Papst Leo III. die fränkischen Theologen noch zurückweisen, aber schon im Jahre 1014 hielt die fränkische Version des Glaubensbekenntnisses mit dem Filioque "auch in der stadtrömischen Liturgie Einzug" (232). Der Kardinal Humbert von Silva Candida schrieb im Zusammenhang der Auseinandersetzungen mit Byzanz 1054 die Schrift "Rationes de sancti spiritus processione a patre et filio". Die fränkische Auffassung hatte sich inzwischen durchgesetzt, sie ist gültig für das Abendland bis heute: "Nimmt man die noch heute andauernden theologischen Diskussionen um das filioque oder die großen Auseinandersetzungen beipsielsweise des Konzils von Ferrara-Florenz (1439-1445) ins Blickfeld, so stellt sich die theologische Sensibilität der Franken an dieser Frage geradezu frappierend dar" (232).

5) Hinkmar von Reims: De cavendis vitiis et virtutibus exercendis5

Mehrere Werke des streitbaren Erzbischofs Hinkmar von Reims ( 877) sind in der Reihe MGH in den letzten zwei Jahrzehnten in neuen Editionen vorgelegt worden. Dabei erscheint Rudolf Schieffer, der Präsident der MGH, oftmals als treibende Kraft: 1980 erschien Hinkmars Schrift "De ordine palatii", hrsg. von T. Gross und R. Schieffer (Fontes juris 3), 1990 kam seine "Collectio de ecclesiis et capellis" in der Edition von M. Stratmann heraus (Fontes juris 14). 1992 folgten Hinkmars Darstellung "De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae", die L. Böhringer ediert hatte (Concilia 4, Suppl. 1), sowie 1998 die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon 869-971, hrsg. v. R. Schieffer (Concilia 4, Suppl. 2). Der jetzt zu besprechende Band über Hinkmars Arbeit "De vitiis cavendis et virtutibus exercendis" von Doris Nachtmann war von Schieffer angeregt worden und wurde 1997/98 als Diss. phil. in München angenommen.

Der Text entstand nach einer Begegnung des westfränkischen Königs Karl des Kahlen mit seinem einflussreichen Erzbischof Hinkmar von Reims: Das Gespräch war auf den Brief gekommen, den 590 Papst Gregor I. dem westgotischen König Rekkared geschrieben hatte, als dieser gerade zum Katholizismus übergetreten war. Gregor hatte damals den Gotenkönig ermahnt, sein Volk auf dem Wege zur Demut und Bescheidenheit weiterzuführen. König Karl der Kahle bat den Erzbischof um eine Abschrift dieses Briefes und bekam erheblich mehr: Hinkmar stellte einen Widmungsbrief an seinen König Karl voran (101-113), dann folgte der erbetene Brief Papst Gregors I. an den König Rekkared (114-118). Aber daran schloss Hinkmar dann seinen eigenen moraltheologischen Traktat an (119-266), der mit einem Schlusswort endete (267 f.).

Die Herausgeberin hat die Lektüre des Traktats erleichtert durch mehrere eigene Zwischenüberschriften in deutscher Sprache. Die Gliederung des Buches ist einfach: Buch I handelt
von den Lastern und deren Vermeidung (119-174), Buch II von der Buße (175-226), Buch III von der Eucharistie (227-266). Die Datierung der Schrift lässt sich nur ungefähr umreißen: Hinkmar dürfte seine Arbeit zwischen 860 und 875 geschrieben haben (24).

Der Band endet mit ausführlichen Registern: Über die benutzten Handschriften, über Bibelstellen (273-279) und andere Quellen; es folgt ein Namenregister, ein Wortregister (289-305) sowie eine nützliche Konkordanz zu den beiden bisher erschienen Drucken, so dass alte Zitierungen leicht in der neuen Ausgabe nachgeschlagen werden können. Es liegen allerdings überhaupt nur zwei Drucke vor: Der älteste Druck stammt von Jaques Sirmond und war in der Ausgabe Hincmari Archiepiscopi Remensis Opera, Bd. 2, Paris 1645, 29-103, erschienen. Dieser Ausgabe war dann J. P. Migne gefolgt in seiner Patrologia Latina 125, 875-930. Beide Ausgaben müssen heute als überholt gelten, sie entsprechen "aufgrund der durch die Entdeckung der Handschrift O veränderten Überlieferungstradition nicht mehr den Anforderungen an eine kritische Edition" (81).

Ein Blick in den Text zeigt, dass es sich ganz überwiegend um Zitate handelt, die Hinkmar zusammengestellt hat. In der Einleitung nennt die Herausgeberin Prozentzahlen: 90 % des Tex-
tes sind Zitate (14). Die Werke Papst Gregors I. machen 60 % des Textes aus. Das ist kaum verwunderlich, da ja ein Brief Gregors den Ausgangspunkt des Traktats darstellt. Allein aus Gregors Moralia in Job wurden 73 Passagen übernommen, aber auch aus Gregors Evangelienhomilien wurden 45 Zitate vorgeführt. Nach Gregor ist Beda zu nennen: Dessen Evangelienhomilien wurden 12-mal angeführt, die exegetischen Werke Bedas stellen insgesamt 10 % des Werkes. Bibelzitate sind häufig, sie wurden jedoch zu 70 % aus patristischen Zitaten übernommen.

Hinkmar hat aber auch die Kirchenväter nicht immer direkt benutzt, ihm lagen offensichtlich bereits Florilegien vor (17 f.). Dennoch sollte man nicht einfach von einer Kompilation sprechen. Hinkmars Auswahl der Quellen folgte durchaus einem eigenen Konzept. Die Herausgeberin beschreibt den Vorgang völlig zutreffend mit der Formulierung: "Seine Vorlagen schrieb Hinkmar zumeist wortgetreu ab, wobei er jedoch vielfach den einleitenden Satz eines Zitates veränderte, um den Zusammenhang zum vorhergehenden Textabschnitt herzustellen. Auf diese Weise setzte er die Ausführungen verschiedener Autoren zu einem bestimmten Thema mosaikartig zu einem neuen Gedankengang zusammen" (15).

Natürlich wird die Oxforder Handschrift O, die der neuen Edition zugrunde liegt, ausführlich vorgestellt (25-41). Diese Handschrift wurde in der Reimser Schreibschule geschrieben noch zu Lebzeiten Hinkmars in der 2. Hälfte des 9. Jh.s. Man schrieb in karolingischen Minuskeln, mehrere Schreiber waren am Werk, noch im 9. Jh. wurden Marginalien, Zusätze und Verbesserungen eingetragen. Acht Tafeln bieten Proben der Schreiber (zwischen den Seiten 40 und 41). Dieses Manuskript ist sicher die älteste erhaltene Fassung jenes Traktats, von ihm hängen alle späteren Abschriften ab. Das Karl dem Kahlen überreichte Exemplar ist freilich nicht erhalten, es dürfte "prächtiger ausgestattet und regelmäßiger angelegt gewesen sein" (33). Die uns erhaltene älteste Handschrift wurde mit anderen Codices im Jahre 1675 der Bodleian Library in Oxford geschenkt; dort erhielt sie zunächst die Signatur "e Musaeo 224" (41), ehe sie heute als Handschrift O grundlegende Bedeutung für die neue Textausgabe bekam. Die anderen Manuskripte werden in besonderen Gruppen und Untergruppen vorgestellt (42-80).

Über die Rezeption der Schrift sagt die Herausgeberin: "An De cavendis vitiis hat im Mittelalter offensichtlich reges Interesse bestanden, wie die 30 heute noch erhaltenen und die sieben nachweislich verlorenen Handschriften des 9. bis 15. Jahrhunderts belegen" (82).

Im Zusammenhang mit anderen neu edierten Texten des Erzbischofs Hinkmar von Reims wäre es denkbar, dass man ihm in nächster Zeit größeres Interesse widmen würde. Der vorliegende Band berührt bei den von Hinkmar zitierten Kirchenvätern manchmal auch die damit verbundenen theologischen Probleme: So berief sich Hinkmar im Abschnitt über die Eucharistie auf recht verschiedene Autoritäten: Hinkmar stellte "den von Augustin eher symbolisch verstandenen Sakramentsbegriff und die metabolistische Abendmahlsauffassung des Ambrosius kommentarlos nebeneinander, ohne sich an der Unvereinbarkeit der beiden Positionen zu stören" (10).

Aber auch die von Hinkmar vertretenen ethischen Forderungen könnten zur Weiterarbeit einladen. Es handelt sich ja nicht um spezielle Eigenarten des Erzbischofs Hinkmar, er vertritt vielmehr eine allgemein christliche Anschauung des frühen Mittelalters, die auf altkirchlicher Tradition beruht. Man sollte den Traktat auch nicht nur auf fürstliche Personen beziehen. Hinkmar wollte nicht nur einen "Fürstenspiegel" schreiben, er wollte wie auch ähnliche Schriften jener Epoche grundsätzlich jeden Christen ansprechen. "Die Lektüre von De cavendis vitiis empfiehlt Hinkmar in seinem Schlußwort sogar ausdrücklich omnibus legere et intellegere et volentibus, also allen Menschen, die daran Interesse haben" (14).

6) Ludwig Falkenstein: Otto III. und Aachen6

Schon den Zeitgenossen Ottos III. war seine Vorliebe für Aachen aufgefallen. Er machte Schenkungen an die Marienkirche und ihren Klerus, er wurde seinem Wunsch gemäß in dieser Kirche bestattet. Dieses Themenfeld wird erneut untersucht "im Hinblick auf die städtische Entwicklung und vor dem Hintergrund eines beträchtlich veränderten Forschungsstandes" (1). Karl d. Gr. und Ludwig d. Fr. regierten oft von Aachen aus, dennoch wäre es falsch, "die Rolle dieser bevorzugten Stadt in die Nähe einer Hauptstadt zu rücken" (2). Aachen fiel bei der Teilung des Karolingerreiches im Jahre 870 an das ostfränkische (das spätere deutsche) Reich, in dem es zunächst nur eine unbedeutende Rolle am Rande spielte. Aachen ist nicht einmal zum Mittelpunkt eines Landdekanats in der Diözese Lüttich aufgestiegen (16).

Im Jahre 930 weilte der neue deutsche König Heinrich I. erstmals in Aachen, das für ihn wieder eine größere Rolle gespielt haben könnte (21). Der sächsische Geschichtsschreiber Widukund von Corvey erzählt sehr genau von der glanzvollen Krönung Ottos I. im Jahre 936 in Aachen. Otto I. weilte achtmal in Aachen. Aber zur rechten Bewertung dieser Zahl fügt Falkenstein hinzu, "daß Magdeburg mit 22, Quedlinburg mit 17 Herrscheraufenthalten die Pfalz Aachen bei weitem überflügelten und selbst die Pfalz Ingelheim 2 Aufenthalte mehr zu verzeichnen hatte" (30). Es gab jedoch ganz beträchtliche Schenkungen Ottos I. an die Marienkirche sowie Verfügungen für das Stift (31-54). Er ließ seinen Sohn Otto II. in Aachen 961 zum Mitkönig erheben, der dann in seiner Regierungszeit allerdings nur dreimal Aachen besucht hat. Am Weihnachtstag 983 wurde auch dessen Sohn Otto III. wieder in der Marienkirche zu Aachen zum Mitkönig erhoben. Das sollte wahrscheinlich ein weiterer Schritt sein, "um der Marienkirche in Aachen das Recht eines solchen Aktes auf Dauer zu sichern" (60).

Im Jahre 987 starb in Frankreich der letzte Herrscher aus dem Geschlecht der Karolinger, es begann die Zeit der Captingerkönige. Alte Unruhen im Grenzgebiet von Niederlothringen verschärften sich, im Ergebnis hatte davon das Marienstift von Aachen Gewinn: Die Zahl der Kanoniker erhöhte sich, Schenkungen kamen hinzu, auch die Bischöfe von Lüttich spielten dabei eine wichtige Rolle. Im Juli 994 wurde König Otto III. für mündig erklärt, 995 hat er vermutlich zweimal in Aachen geweilt. Nach seinem Romzug 996 kam Otto III. im Jahre 997 zweimal für längere Zeit nach Aachen; in dieses Jahr "fallen mehrere Beurkundungen für Aachener Kirchen" (81). Im Mai 1000 gab es "ein Ereignis, bei dem der Kaiser seine Verehrung für Karl den Großen manifestierte: Otto III. ließ das Grab in der Marienkirche zu Pfingsten öffnen, vielleicht in der Absicht, damit die Voraussetzungen für die Entstehung eines Kultes zu schaffen und die nötigen Vorbereitungen zu treffen, um Karl dem Großen die Ehren eines Heiligen zuteil werden zu lassen" (82).



Ein gravierendes Problem für Aachen war "die prekäre Lage des Ortes, sobald ein Herrscher und sein Hof die Pfalz wieder verlassen hatten" (83). Es gab keinen Fluss und keine größere Straße. Otto III. bemühte sich um eine dauerhafte Aufwertung Aachens. Er erwirkte 997 vom Papst ein Privileg für das Marienstift in Aachen - also erstmals für eine Kirche, die nicht Bischofskirche war, "sondern als bislang einzige öffentliche Kirche einer noch präurbanen Siedlung bei einer Pfalz ausgewiesen ist" (86). Seinem Wunsch entsprechend wurde Otto III. im April 1002 in Aachen beigesetzt.

Insgesamt war Otto III. fünfmal in Aachen, das damit deutlich an der Spitze aller Pfalzen stand. "Die Häufigkeit und die Dauer der Aufenthalte in so wenigen Jahren legen sofort die Vermutung nahe, daß der Herrscher die Absicht hatte, dieser Pfalz wieder den alten Rang einer sedes zurückzugeben" (83). Das päpstliche Privileg für den Hauptaltar enthielt auch die Tendenz, stadtrömische liturgische Bräuche nachzuahmen. Vor allem aber wurde an liturgische Gewohnheiten aus der Zeit Karls d. Gr. angeknüpft (90). Die Theorie von einem "Aachener Bistumsplan" weist Falkenstein jedoch zurück (91-97). Die Marienkirche stand wohl unter päpstlichem Schutz, aber von einer päpstlichen "Exemtion" sollte nicht gesprochen werden, der Bischof von Lüttich blieb der zuständige Bischof für Aachen (109).

Otto III. begründete in und um Aachen mehrere kirchliche Einrichtungen: Das Frauenkloster zu Ehren des Salvators und der hl. Corona (113-116), die Mönchsabtei Burtscheid (116-119), ein Kanonikerstift zu Ehren des hl. Adalbert (119-124). Wichtiger noch waren ihm Maßnahmen zu einer Aufwertung des Münsters (129-153). Das Motiv für Ottos Schenkungen wird ganz deutlich benannt: "Die Erneuerung und Erhöhung der von Karl dem Großen gegründeten Aachener Kirche" (159 f.). Eine kirchliche Verstädterung war das Ziel: "Aachen sollte in kirchlicher Hinsicht städtische Züge annehmen, um auch unabhängig von der Pfalz mit Hilfe einer nunmehr städtischen Siedlung Handel und Wirtschaft anzuziehen" (166).

Die Entwicklung Aachens verlief jedoch nach dem Tode Ottos III. zunächst anders: Die von Otto III. geschenkten Besitztümer hinterließen kaum Spuren in der Aachener Stiftsüberlieferung. Die folgenden Kapitel-überschriften sind deutlich formuliert: Kapitel E "Ernüchterung aus der Distanz" (170-173), Kapitel F "Die Abkehr von der Politik Ottos III." (174-216). Der nachfolgende Herrscher Heinrich II. begann seine Regierung in Mainz, bald folgte "die Entscheidung gegen das neue Aachen Ottos III." (175-198). Trotzdem gab es aber auch weiterhin "Anzeichen für eine städtische Entwicklung" (217-221). Vom ausgehenden 11. Jh. an kann man das Marienstift in Aachen als "Krönungsstift" bezeichnen (220).

Otto III. hat seine Ziele nicht voll erreicht, was bei seiner kurzen Regierungszeit auch kaum verwundert. Immerhin war aber Otto III. doch auf dem Wege ein Stück voran gekommen, "neben der Pfalz und dem Stift aus dem vicus Aachen eine Siedlung städtischen Ausmaßes zu machen" (228). Später konnte Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) daran anknüpfen, als er daran ging, "in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts Aachen zum caput et sedes regni Theutonici zu machen" (229). Die primär regionalgeschichtliche Arbeit bietet erwartungsgemäß zahlreiche Aspekte, die erheblich über Aachen hinaus von Bedeutung sind.

7) Die Prüfeninger Vita Bischof Ottos I. von Bamberg nach der Fassung des

Großen Österreichischen Legendars7


Die Prüfeninger Vita (VP) ist die sicher älteste unter den drei Lebensbeschreibungen über Bischof Otto von Bamberg, den "Missionar Pommerns". Rudolf Köpke hatte sie in der Reihe MGH, Scriptores 12, 883-903, 1856 herausgebracht. Eine gekürzte Fassung dieses Textes war 1872 in den Monumenta Poloniae historica in Band 2, 128-144, erschienen (Ed. August Bielowski). Die in Norddeutschland am meisten gebrauchte Ausgabe hatte der Greifswalder Historiker Adolf Hofmeister

1924 erarbeitet: Die Prüfeninger Vita des Bischofs Otto von Bamberg. Zur 800jährigen Gedenkfeier der Einführung des Christentums in Pommern (Denkmäler der Pommerschen Geschichte 1). Hofmeister lieferte auch die Übersetzung der Prüfeninger Vita für die Reihe Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, die 1928 in der zweiten Gesamtausgabe als Band 96 erschien. Für die Monumenta Poloniae historica besorgte Johannes Wikarjak 1966 einen Text für Band VII in der nova series (fasc.1).

Jürgen Petersohn, der Herausgeber der jetzt vorgelegten Edition, geht einleitend auf das Große Österreichische Legendar
ein, das die VP enthält. In ihm wird Ottos Heiligsprechung im Jahre 1189 vorausgesetzt, die Vita kann also frühestens 1190 in das Legendar aufgenommen worden sein. Die Vita selbst ist jedoch wesentlich älter: Sie setzt zwar die Bischofsweihe des ersten Pommernbischofs Adalbert 1140 voraus, aber "als terminus ante quem erweist sich das Jahr 1146" (3). Die VP ist älter als die beiden anderen Viten über Otto von Bamberg: Ebo schrieb in den Jahren 1151-59, Herbord 1159. Beide Autoren haben die VP bereits benutzt.

Die Abtei Prüfening hatte Otto 1109 in der Nähe von Regensburg gegründet, obwohl es schon ein Kloster unmittelbar bei Bamberg gab. Buch I der VP konnte sich auf einen älte-
ren Bericht stützen, die Relatio de piis operibus Ottonis episcopi Bambergensis (Ed. Holder-Egger in den MGH, Scriptores 15, 2, 1888). Diese "Relatio" informiert "über Bischof Ottos Stifts- und Klostergründungen, seine Fürsorge für kirchliche Institutionen sowie seine Burgenbauten und Besitzerwerbungen" (4).

Mit Buch 2 beginnt der Bericht über die Missionsreisen Ottos nach Pommern. Teilnehmer an jenen Reisen lebten noch, auch die späteren Viten von Ebo und Herbord beriefen sich auf noch lebende Zeugen. Der für die VP wichtigste Zeuge war vermutlich Adalbert, der erste Pommernbischof. Das hatte schon Hofmeister behauptet, jetzt sagt Petersohn: Auf Adalbert, "vom polnischen Herzog dem Bamberger Bischof beigeordnet, auf der 1. Missionsreise als Pfarrer in Wollin eingesetzt, frühzeitig zum Oberhirten des neuen Bistums ausersehen und auch auf der 2. Reise zeitweilig in Ottos unmittelbarer Umgebung weilend, läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Reihe von Eigenheiten der missionsgeschichtlichen Partien dieser Vita zurückführen" (8). Adalbert war zeitweise Dolmetscher an Ottos Seite (III,8), er kannte den Synkretismus in Stettin (III,5). Der Verfasser der VP könnte Adalbert 1140 bei dessen Reise nach Rom gesprochen haben, Adalbert könnte Reisegast in Prüfeningen gewesen sein. Es könnte noch weitere Informanten gegeben haben, "aber sie lassen sich in der Vita nicht individuell greifen" (9).

Literarische Vorlagen stammten primär aus der Bibel, zumal dem Alten Testament. Das Register nennt gesondert ein Zitat aus der Vetus Latina, bei allen anderen Bibelzitaten liegt stets der Text der Vulgata zugrunde (145-149). Unter den Kirchenvätern ist vor allem Hieronymus mit Briefen und Heiligenviten zu nennen; sein in Brief 20 geschilderter "anticiceronianischer Traum" wirkte formal nach bei einem Traum, den der Stettiner Seefahrer Wirtsca gehabt haben soll (III,10, S. 129). Auch Papst Gregor d. Gr. wird mehrfach zitiert mit seinen Dialogen, seinen Briefen und der Pastoralregel. "Eine Sonderrolle nimmt Sulpicius Severus ein, dessen Schriften über den hl. Martin auf weite Strecken hin als kompositorisches und textliches Vorbild der Prüfeninger Otto-Vita fungieren" (10). Als altkirchliche Autoren nennt das Register noch Boethius, Cassiodor, Gregor von Tours und Venantius Fortunatus (150-152). Unter der Rubrik "Römische Klassik" nennt das Register vor Cicero, Sallust, Seneca und Vergil auch Alcimus Ecdicius Avitus (149), den man jedoch als Bischof von Vienne eher den christlichen Autoren zuordnen sollte.

Von Interesse sind liturgische Texte, die man in den früheren Ausgaben der VP in diesem Ausmaß noch nicht erkannt hatte. "Die Nachweise beziehen sich vor allem auf den Formelschatz der großen frühmittelalterlichen Sakramentarien, die als Gemeingut der klösterlichen Liturgie des Hochmittelalters gelten dürfen, ohne daß in jedem Fall eindeutige Zuweisungen möglich sind" (10). Petersohn kann "über das in den bisherigen Editionen vorgelegte Formelgut hinaus eine Reihe von Wendungen der VP auf die heimische Klosterliturgie zurückführen" (10 f.). Auch hier gibt das Register nähere Auskunft (154 f.). Unter den Geschichtsschreibern werden u. a. Beda mit seiner Kirchengeschichte des englischen Volkes, Einhards Vita Caroli, die ältere Vita Adalberts von Prag sowie Ekkehard von Auras Chronik im Register genannt (152 f.).

Bei manchen Passagen hat Petersohn den Eindruck, "als habe der Autor für die Lösung bestimmter Darstellungsaufgaben planmäßig nach passenden Textbeispielen gesucht" (15). Unter Hinweis auf die Kapitel II,6, II,17, III,8 und III,11 formuliert der Herausgeber: "Schilderungen von Konflikten Martins von Tours mit der spätantiken Paganität bei Sulpicius Severus wurden vorzugsweise als Fomulierungshilfen für Konfrontationen des Bamberger Missionars mit dem pommerschen Heidentum herangezogen" (15). Dadurch soll aber die Glaubwürdigkeit jener Passagen keineswegs gemindert werden. Petersohn spricht von "Gewandheit, aber auch Unbekümmertheit", mit der die VP ihre Vorlagen auswertete (16). Dem Verfasser der VP sind "bei der Behandlung der Missionsabläufe durchaus packende Schilderungen gelungen" (17).

Die Frage nach dem Verfasser wird ausführlich erörtert und führt zu dem Ergebnis: "Der Autor der VP bleibt mithin anonym. Stärker als durch die eingeführte Bezeichnung ,Prüfeninger Otto-Vita’ läßt sich sein Opus nicht individualisieren" (20). Die vier Manuskripte werden vorgestellt, ein Stemma wird erarbeitet (30). Die bisherigen Editionen haben "die Aufgabe der Textherstellung im wesentlichen durch ein eklektisches Verfahren bewältigt" (33). Die neue Edition folgt dagegen nur einem einzigen Text, der als der zuverlässigste erwiesen wurde (33).

Zu Beginn der Sammelrezension hatte der Festvortrag von Rudolf Schieffer zur 180-Jahrfeier der MGH gestanden, der die zentrale Aufgabe der MGH darin gesehen hatte, sich geduldig um bereits gedruckte Quellen zu bemühen, um sie "in verbesserter Gestalt neu herauszubringen". Der hier zuletzt vorgestellte Band der Vita Ottos von Bamberg in seiner neuen Edition von Jürgen Petersohn ist für dieses Bemühen ein ausgezeichnet gelungenes Beispiel.

Fussnoten:

1) Quelleneditionen und kein Ende? Zwei Vorträge. München: Monumenta Germaniae Historica 1999. 48 S. gr.8. ISBN 3-88612-145-3. (Sonderausgabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages R. Oldenbourg, München)

2) Freeman, Ann, u. P. Meyvaert [Hrsg.]: Opus caroli regis contra synodum (Libri Carolini). Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1998. X, 666 S. gr.8 = Monumenta Germaniae Historica. Concilia. Tomus II, Suppl. 1. ISBN 3-7752-5326-2.

3) Speck, Paul: Die Interpolationen in den Akten des Konzils von 787 und die Libri Carolini. Bonn: Habelt 1998. 268 S. 8 = Poikila Byzantina, 16. Kart. DM 59,-. ISBN 3-7749-2879-7.

4) Willjung, Harald [Hrsg.]: Das Konzil von Aachen 809. Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1998. XXV, 446 S. gr.8 = Monumenta Germaniae Historica. Concilia Tomus II, Suppl. 2. ISBN 3-7752-5426-9.

5) Hinkmar von Reims: De cavendis vitiis et virtutibus exercendis. Hrsg. von Doris Nachtmann. München: Monumenta Germaniae Historica 1998. VIII, 310 S. 8 = Momumenta Germaniae Historica. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 16. ISBN 3-88612-076-7.

6) Falkenstein, Ludwig: Otto III. und Aachen. Hannover : Hahnsche Buchhandlung 1998. 245 S. gr.8 = Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte,. 22. ISBN 3-7752-5722-5.

7) Petersohn, Jürgen [Hrsg.]: Die Prüfeninger Vita Bischof Ottos I. von Bamberg nach der Fassung des Großen Österreichischen Legendars. Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1999. VIII, 174 S. gr.8 = Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, 71. ISBN 3-7752-5471-4.