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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

320-322

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Vorländer, Hans

Titel/Untertitel:

Demokratie. Geschichte, Formen, Theorien. 3., überarb. Aufl.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2019 (4. Aufl. 2020). 128 S. = C. H. Beck Wissen, 2311. EUR 9,95. ISBN 9783406738166.

Rezensent:

Benjamin Hasselhorn

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Graf, Friedrich Wilhelm, u. Heinrich Meier [Hgg.]: Die Zukunft der Demokratie. Kritik und Plädoyer. München: C. H. Beck Verlag 2018. 364 S. = C. H. Beck Paperback, 6317. Kart. EUR 14,95. ISBN 9783406726149.


Die Lage der westlichen Demokratien ist seit einigen Jahren ein äußerst beliebter Gegenstand politikwissenschaftlicher, soziologischer oder historischer Analysen. Die vertretenen Auffassungen sind dabei äußerst divers und reichen von der Diagnose einer fundamentalen Krise oder einer kommenden Epoche der »Postdemokratie« (Colin Crouch) bis zur mehr oder weniger ungebrochen fortschrittsoptimistischen Modernisierungsthese einer immer wei­ter fortschreitenden Demokratisierung (Hedwig Richter).
Das von Friedrich Wilhelm Graf und Heinrich Meier herausgegebene Buch über »Die Zukunft der Demokratie« versammelt verschriftlichte Vorträge einer von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung veranstalteten Reihe, die eher die Krisendiagnose bestätigen, dabei aber nicht unbedingt zu skeptischen Schlussfolgerungen bezüglich der Zukunftsfähigkeit demokratischer Staatsordnungen kommen. Neben den Dauerbrenner-Themen in Bezug auf die Demokratie – das Verhältnis zwischen repräsentativer und direkter Demokratie, die Frage der Homogenität oder Heterogenität der Bürger, die Gratwanderung zwischen Oligarchisierung und Populismus etc. – benennen die meisten Beiträge zu Recht die Tendenz zur Moralisierung des Politischen als erhebliches Problem. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Aufsatz von Horst Dreier, der der Demokratie zum Teil massive »Erosionstendenzen« (41) bescheinigt und sehr umsichtige Vorschläge zur Abhilfe macht. Nachdrücklich zu unterstreichen sind Dreiers Plädoyer für eine offene und zugleich robuste demokratische Streitkultur und seine Warnung vor der Neigung, Politik als Kampf zwischen Gut und Böse zu verstehen und dadurch »die gegnerische Position mit herablassender Verächtlichkeit zu behandeln« (79–80).
Längst ist es obligatorisch geworden, die eigene politische Position als »demokratisch« zu deklarieren. Die extreme Unterschiedlichkeit von Demokratie-Diagnosen könnte vor diesem Hintergrund auch mit mangelnder begrifflicher Schärfe zusammenhängen. Wo nahezu jede politische Gruppierung für sich reklamiert, »demokratisch« zu sein, wird es schwierig, präzise zu beschreiben, was Demokratie eigentlich ist. Wie Peter Sloterdijk in seinem Aufsatz betont, ist »der Terminus ›Demokratie‹ in seinem aktuellen Gebrauch tatsächlich mit hohen pseudonymischen Energien geladen« (176) und dient mitunter als Deckmantel für alle möglichen und ganz verschiedenen politischen Tendenzen. Sloterdijk macht dagegen die »authentische Demokratie« (200) stark, die durch die von Franklin Roosevelt vertretenen vier Freiheiten – Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht – gekennzeichnet sei.
Angesichts der Disparität von Demokratie-Definition ist es be­grüßenswert, dass Hans Vorländer sich in seinem in dritter Auflage vorliegenden und mittlerweile in vierter Auflage erschienenen Buch der Reihe »Wissen« im Verlag C. H. Beck: »Demokratie. Ge­schichte, Formen, Theorien« um eine wissenschaftliche Klärung des »politischen Kampfbegriffs« (8) Demokratie bemüht. V. führt verständlich in die wichtigsten Problemfelder ein, diskutiert die Wellen der Demokratisierung im 20. Jh. ebenso wie die Frage des Verhältnisses von Demokratie und Populismus. Von einem »steten Siegeszug der Demokratie« (11) mag V. aufgrund der zahlreichen antidemokratischen Widerstände nicht reden, auch wenn er letztlich dafür plädiert, die moderne Geschichte als eine fortschreitende Demokratisierung zu interpretieren. V. geht ausführlich auf die antike Demokratie ein und analysiert deren Bedeutung für die modernen politischen Philosophien wie für die Amerikanische und die Französische Revolution. Eine unmittelbare Übertragung war aufgrund der schieren Größe moderner Staaten und der damit verbundenen soziokulturellen Heterogenität ihrer Bürger aber ausgeschlossen. Auch die Frage der Begründung staatlicher Souveränität erwies sich als ein Problem, das sich im Grunde nur unter Rückgriff auf Naturrechtsvorstellungen lösen und die einflussreichsten politischen Theoretiker der Neuzeit für eine Mischverfassung und »repräsentative Demokratie« (53) votieren ließ.
V. zeichnet dann den Weg zur »Konkurrenzdemokratie« beziehungsweise »Parteiendemokratie« (81) im 20. Jh. nach und konstatiert, dass nach dem Zweiten Weltkrieg »Parteiensystem, Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Sozialstaat« (88) die Demokratie allmählich zur »allgemein akzeptierten Lebensform« (90) machten. Im 21. Jh. erscheint die demokratische Erfolgsgeschichte aus Sicht von V. allerdings gebremst. Das hänge nicht zuletzt mit dem Problem zusammen, dass Demokratie prinzipiell einer »pluralistischen, offenen Bürgerkultur« (103) bedarf, zugleich aber »von zu heterogenen, nicht mehr integrierbaren Teilkulturen in ihrer Existenz gefährdet werden« (103) kann. Den Aufstieg populistischer Bewegungen schließlich versteht V. als Infragestellung der repräsentativen im Namen direkter Demokratie, was zwar nicht in je­dem Fall abzulehnen sei, aber nicht zu einer Abschaffung repräsentativer Demokratie führen dürfe, die sich als die beste denkbare politische Ordnung erwiesen habe.