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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

292-296

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Ruben [Hg.]

Titel/Untertitel:

Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen. Bd. 2: Die Wunder der Apostel.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017. XV, 1157 S. Geb. ISBN 9783579081212.

Rezensent:

Jens Schröter

Bei der zu besprechenden Publikation handelt es sich um den zweiten Band des umfangreichen Werks zu frühchristlichen Wunder-erzählungen (der erste Band zu den »Wundern Jesu« erschien 2013). Der erste Teil (1–112) enthält eine thematische »Hinführung« sowie mehrere Themenartikel. Dem folgen zehn Teile, die »Wunder-erzählungen« aus der neutestamentlichen Apostelgeschichte und apokryphen Texten vorstellen. Beigegeben sind des Weiteren eine »Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen« (1007–1021), die die besprochenen Texte noch einmal in einer Übersicht präsentiert (Listen der behandelten Texte finden sich zudem bei den einzelnen Schriften), ein Verzeichnis der beteiligten Autorinnen und Autoren, eine umfangreiche Gesamtbibliographie (1027–1098) sowie Stellen- und Sachregister. Im Vorwort wird zusätzlich auf die Aufsatzsammlung »Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen« (Tübingen 2014) hingewiesen, die als Be­gleitband gelesen werden könne.
Die Hinführung des Herausgebers erläutert das Konzept: Ausgehend vom »Wunderauftrag Jesu« wurden auch von seinen Nachfolgern (der Begriff »Apostel« wird im weiteren, nicht auf den Zwölferkreis beschränkten Sinn verwendet) in frühchristlichen Texten Wundertaten berichtet. Dazu gehören neben der Apostelgeschichte vornehmlich die apokryphen Apostelakten, aus denen dementsprechend auch der überwiegende Teil der behandelten Texte stammt. »Wunder« wird als literarische Gattung verstanden: als Erzählung, in der ein Wundertäter »eine konkrete Handlung an Menschen, Sachen, Natur« vollziehe, die die übliche Ordnung durchbreche, auf das direkte Einwirken einer göttlichen Kraft zurückgeführt werde und eine irritierende, motivierende oder appellative Wirkung bei den Rezipienten und Rezipientinnen hervorrufe (25). Dies wird anschließend unter Aufnahme von Kate-gorien der älteren Formgeschichte (Bultmann, Theißen) auf To-tenauferweckungen, Schau- bzw. Massenwunder, Sach- und Naturwunder, Strafhandlungen, Tierwunder sowie wunderbare Be­wahrungen und Bestrafungen bezogen. Diese Definition hat freilich weder eine Entsprechung in antiker Terminologie und Gattungstheorie noch lässt sich eine Gruppe von Texten mit gemeinsamen Merkmalen auf diese Weise sinnvoll abgrenzen. Dass er­staunliche Phänomene geschildert und auf göttliches Eingrei-fen zurückgeführt werden, ist vielmehr in antiken Texten breit bezeugt und darauf zurückzuführen, dass Wirklichkeit als durchlässig für das unmittelbare Einwirken des göttlichen in den menschlichen Bereich aufgefasst wird. »Wunder« ist deshalb kein literarischer Gattungsbegriff, sondern eine etwas vage inhaltliche Beschreibung von Merkmalen antiker Texte, die sehr disparat sein können. Gleichwohl wird durch diesen Zugang eine wichtige Facette der hier untersuchten Schriften erfasst.
Die Themenartikel befassen sich mit dem Verhältnis von Apos-telgeschichten und antikem Roman (Detlev Dormeyer); Humor in Wundererzählungen (Richard I. Pervo); Wunder versus Magie und Zauberei (Tobias Nicklas); Strafwunder und ihre pädagogische Funktion (Meghan Henning); Tiere und Monster in apokryphen Apostelakten (Livia Neureiter/Janet E. Spittler) sowie mit der Darstellung der Wunder der Apostel in der Kunst (Susanne Luther). Hier können nur einige Aspekte herausgegriffen werden. Richard Pervo lenkt den Blick auf humorvolle Züge in antiken Texten. Dass es in der Antike Sinn für Humor und Reflexionen darüber gab, führt er anhand von Äußerungen Ciceros und Quintilians vor. In frühchristlichen Texten wird dies exemplarisch illustriert anhand der Konkurrenz von Paulus und jüdischen Exorzisten in Ephesus (Apg 19,13–17), Exorzismen Jesu (Mk 5,1–20 und 7,24–30), dem misslungenen Versuch der jüdischen Autoritäten, die Apostel zum Schweigen zu bringen (Apg 5,17–25), der Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis (Apg 12,5–17) sowie Tierepisoden aus den apokryphen Apostelakten (darunter die Taufe eines Löwen durch Paulus in den Acta Pauli). In diesen literarisch wie inhaltlich sehr unterschiedlichen Texten (sie sind auch nicht immer auf die Apostel bezogen) lassen sich Elemente von Humor erkennen: Sie rufen Lachen hervor oder schaffen Distanz, die es erlaubt, Situationen aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Livia Neureiter und Janet Spittler geben einen Überblick über Tiere in apokryphen Apostelakten. Die Autorinnen stellen die enge Verbindung und die fließenden Übergänge zwischen Götter- und Tierwelt sowie zwischen Tier- und Menschenwelt in antiken Überlieferungen heraus. Auch negative Wertungen, etwa die Beurteilung von Leidenschaft und Begehren als animalisch, finden sich in antiken Texten. In den fünf »klassischen« apokryphen Apostelakten des Andreas, Johannes, Petrus, Paulus und Thomas finden sich häufig Darstellungen von Tieren (die entsprechenden Episoden werden im Band selbst im Detail analysiert). Diese können sowohl bedrohlich erscheinen (eine Riesenschlange in den Andreasakten) als auch klug (die wachsamen Wanzen in den Johannesakten) oder hilfreich (ein Hund in den Petrusakten). Eine positive Sicht auf Tiere findet sich auch in den Paulus- und Theklaakten (eine Löwin, die Thekla rettet; der von Paulus getaufte Löwe) sowie in den Thomasakten (eine Schlange; Wildesel und ein domestizierter Esel, die Tiere passen zudem zum indischen Kontext und sind der Sprache mächtig). Die Tiere in den apokryphen Apostelakten dienen zum einen dazu, christliche Ideale zu versinnbildlichen, sie fungieren zum anderen als Mittlerwesen zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bereich. Sie stellen nicht zuletzt eine interessante Verbindung zwischen den christlichen Apostelakten und der nicht-christlichen antiken Literatur her, in der sich vergleichbare Darstellungen von Tieren finden.
Susanne Luther stellt eine Auswahl bildlicher Darstellungen machtvoller Taten der Apostel vor. Sie geht auf die Entstehung der ikonographischen Merkmale von Petrus und Paulus ein, in der sich die berühmte Beschreibung des Paulus in den Paulusakten widerspiegelt (der Text wird auf S. 94 nach Schneemelcher zitiert). In bildlicher Darstellung finden sich nicht nur Szenen aus der neutestamentlichen Apostelgeschichte, sondern auch apokryphe Motive, die mitunter, aber nicht immer, eine literarische Grundlage in den apokryphen Apostelakten haben. Bemerkenswert ist ein Elfenbeintäfelchen aus dem 5. Jh. (Abb.: 97), auf dem Petrus wie Mose in Ex 17,6 bzw. Num 20,10 f. Wasser aus einem Felsen hervorsprudeln lässt. Des Weiteren wird ein Blick auf christliche Amulette geworfen, die auf magische Vorstellungen im antiken Christentum verweisen. Das geht allerdings insofern über das Thema des Bandes hinaus, als sich die Amulette auf machtvolle Taten Jesu, nicht auf solche der Apostel beziehen.
Die behandelten Texte stammen aus der Apostelgeschichte des Neuen Testaments, den bereits genannten fünf Apostelakten, den »Taten und Wunder der heiligen Apostolin und Märtyrerin Christi Thekla«, den Philippus- und den Barnabasakten sowie der Abgar-legende. Die Interpretationen folgen dabei einem einheitlichen Schema: »Sprachlich-narratologische Analyse – Sozial- und realgeschichtlicher Kontext – Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund – Verstehensangebote und Deutungshorizonte – Literatur zum Weiterlesen«. Mitunter wird dies erweitert um »Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte«. Das hat den Vorteil einer auf bestimmte Fragestellungen konzentrierten Auslegung, die auch die Orientierung erleichtert. Das kommt vor allem bei den vermutlich weniger bekannten Texten aus den apokryphen Apostelakten positiv zum Tragen, ist dagegen bei der neutestamentlichen Apostelgeschichte oftmals weniger ergiebig. Jedem Teil vorangestellt ist zudem eine Hinführung, die in die jeweilige Schrift einführt und die »Wundergeschichten« (im Wesentlichen handelt es sich um Exorzismen und Heilungserzählungen sowie andere machtvolle Taten der Apostel) in diese einzeichnet. Diese Einführungen sind mitunter sehr gelungen und informieren auf knappem Raum über die Überlieferungs- und Entstehungsgeschichte der jeweiligen Schrift und wichtige Stationen ihrer Wirkungsgeschichte. Die Einführung in die neutestamentliche Apostelgeschichte von Bernd Kollmann (115–131) ordnet die Schrift in die antike Historiographie und die frühchristliche Überlieferungsgeschichte ein, wirft einen Blick auf die Diskussion über die Machttaten der Apostel in der Forschungsgeschichte und beleuchtet die Erzählungen über die Taten des Paulus im Horizont der Paulusbriefe. Besonders hervorgehoben seien zudem die Einführungen in die Akten des Paulus und der Thekla (403–421, Annette Merz) sowie in die Petrusakten (569–580, Susanne Luther), die wichtige Informationen zu diesen Schriften, einschließlich der Manuskriptüberlieferung und des jeweiligen Ortes in der Literaturgeschichte des frühen Christentums, bieten.
Bei den Einzeltexten kann nur auf wenige Beispiele verwiesen werden Aus der neutestamentlichen Apostelgeschichte werden Heilungs- und Befreiungsgeschichten von Petrus und Paulus, der Konflikt zwischen Philippus und Simon Magus sowie die Bekehrung des Paulus (als »Heilung des Paulus« bezeichnet) behandelt. Die Texte bieten einen guten Einblick in die Charakterisierung dieser Erzählfiguren in der Apostelgeschichte und vermitteln zu­gleich einen repräsentativen Eindruck davon, wie das Wirken Gottes durch die Apostel bzw. die Zeugen Jesu im zweiten Werk des Lukas zur Darstellung gebracht wird.
In den Johannesakten (37–45) findet sich eine ausführliche Schilderung des Einsturzes des Artemisaltars als Folge eines Gebetes von Johannes (335–350, Heike Hötzinger). Sie gehört zur Darstellung des Wirkens des Johannes in Ephesus und spitzt den Kontrast zwischen der Macht des Gottes des Johannes und der heidnischen Göttin Artemis zu. Dabei wird die Überlegenheit des christlichen Gottes über eine griechisch-römische Göttin dargestellt, deren zentraler Kultort der berühmte Artemistempel zu Ephesus war. Die Episode lässt Kenntnisse des ephesinischen Artemiskultes, evtl. sogar der Lage des Artemisions, erkennen und nimmt Traditionen vom Wettkampf zwischen dem Gott Israels und den heidnischen Göttern aus jüdischen Texten auf. Ein weiteres Motiv ist dasjenige der Aufenthaltsdauer von Statthaltern bei Assisereisen, das in den Rahmenteilen der Episode anhand des Aufenthaltes von Johannes in Ephesus und seiner Weiterreise nach Smyrna reflektiert wird.
Eine Episode der Paulusakten schildert die Taufe der Artemilla, der Frau des Hieronymus, des Statthalters der Asia, durch Paulus. Die Analyse der Episode (476–499, Annette Merz), die den Befund des auf zwei Manuskripten (griechisch und koptisch) nur lückenhaft erhaltenen Textes sorgfältig darstellt, vermittelt einen instruktiven Einblick in die Gestaltung der Paulusakten und kann als exemplarisch für die Präsentation der Apostelakten im vorliegenden Band gelten. Die Szene bietet einen umfassenderen Einblick in die Gestaltung der Paulusakten. Sie erzählt von der Verhaftung des Paulus in Ephesus und seinem Gebet im Gefängnis, bei dem er durch das Gebrüll eines Löwen unterbrochen wird. In narratologischer Hinsicht ist interessant, dass die Erzählung von der Begegnung von Paulus und Artemilla sowie Eubula, der Frau des Diophantes, eines Freigelassenen des Hieronymus, ein retardierendes Moment darstellt, das den Fortgang von der Verhaftung des Paulus bis zu seinem Tierkampf in der Arena, bei der es zu einer Wiederbegegnung mit dem getauften Löwen kommt, und seiner Abreise aus Ephesus unterbricht bzw. verzögert. Ein bemerkenswerter so­ziologischer Zug der Erzählung ist, dass sich eine hochgestellte Person zu einer Anhängerin des Paulus und damit des christlichen Glaubens wandelt. Die Bekehrung umfasst mehrere Stufen, zu denen die Bußpredigt des Paulus, die Taufe sowie eine anschließende Mahlfeier mit Brot und Wasser gehören.
Als letztes Beispiel sei auf die Barnabasakten verwiesen (969–992, Bernd Kollmann). Die Schrift geht, ähnlich wie auch die Paulusakten, parallel zur Apostelgeschichte des Neuen Testaments und füllt erzählerische Lücken, vor allem durch die Erzählung von der sich an die dramatisch geschilderte Trennung des Barnabas von Paulus anschließenden Zypernmission mit Johannes Markus, dem fiktiven Verfasser des Textes. Kirchenpolitischer Hintergrund der vermutlich im ausgehenden 5. Jh. entstandenen Akten ist der Konflikt um die Unabhängigkeit der Kirche Zyperns von Antiochia. In diesem Kontext spielte die Legende von der apostolischen Gründung der zyprischen Kirche durch Barnabas eine wichtige Rolle. Dementsprechend wird sein in der Apostelgeschichte dargestelltes Wirken durch die Erzählung verschiedener Machttaten angereichert. Es wird geschildert, wie Barnabas und Johannes Markus als christliche Apostel auf Zypern wirken und dabei mit heidnischer Religiosität konfrontiert werden, wobei der aus Apg 13 bekannte Barjesus als permanenter Widersacher auftritt. Barnabas führt dabei ein Evangelium mit sich, das er von Matthäus erhalten hat.
Zum Wirken von Barnabas und Johannes Markus gehören mehrere Machttaten. In Kapitel 15 werden nacheinander zwei Heilungen berichtet, die erzählerisch auf das Notwendigste beschränkt sind. Zunächst wird Timon durch Handauflegung von hohem Fieber geheilt, anschließend heilt Barnabas Kranke, indem er ihnen das Buch mit den Lehren des Matthäus auflegt. Etwas später bringt Barnabas durch ein Strafwort den westlichen Teil eines Baus zum Einsturz, in dem ein Wettlauf stattfindet, der als »schändlich« beschrieben wird, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nackt sind. Die Analyse dieses Abschnitts arbeitet den sozial- und realgeschichtlichen Kontext sowie den traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund sehr gut heraus (985–991). Die Szene wird im Stadion von Kurion lokalisiert (Abb.: 986), in die antike Wettkampfpraxis eingeordnet sowie im Blick auf den Zusammenhang von Magie und Sport in der Antike beleuchtet. Des Weiteren werden Parallelen aus den Paulus- und Johannesakten angeführt, die ebenfalls vom Einsturz paganer Heiligtümer durch das Wirken der Apostel berichten (s. o. zu den Johannesakten).
Wie anhand dieser ausgewählten Beispiele deutlich wird, be­handelt der Band ein breites Spektrum an Themen und Texten, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Es geht dabei keineswegs vorrangig und schon gar nicht ausschließlich um »Wunder«, sondern um die Wahrnehmung der Texte als Rezeption des Wirkens der Apostel, die den Glauben an Gott und sein vollmächtiges Wirken in paganen Kontexten bezeugen und dabei die Macht Gottes unmittelbar erfahrbar werden lassen. Insofern ist er selbst ein deutlicher Beleg dafür, dass es so etwas wie ein »Wunderverständnis« oder gar eine literarische Gattung »Wunder« in der Antike nicht gegeben hat. Dessen ungeachtet liegt der Wert der Sammlung darin, einen Einblick in antike christliche Texte zu vermitteln, in denen göttlicher und menschlicher Bereich, anders als in moderner Wahrnehmung, direkt miteinander in Verbindung tret en können. Dies kann z. B. durch die göttliche Lenkung der ge­schichtlichen Ereignisse, durch das rettende Eingreifen Gottes zugunsten seiner Zeugen oder durch machtvolle Taten von Gott beauftragter Menschen geschehen.
Der Band vermittelt interessante Einblicke in die neutestamentliche Apostelgeschichte und wichtige apokryphe Apostelakten, sowohl durch die konzisen Einführungen als auch durch die oftmals luziden und kenntnisreichen Interpretationen ausgewählter Texte. Dazu gehören nicht zuletzt wichtige Informationen zu sozial- und religionsgeschichtlichen Kontexten, die für eine differenzierte Sicht auf Entwicklungen des antiken Christentums zu berücksichtigen sind. Die Apostelakten sind dabei instruktive Texte dafür, wie durch Legenden über das Wirken der Apostel Erinnerungsorte des Christentums entstanden, die neben Texten auch durch Bauten, bildliche Darstellungen, Gräber u. a. dokumentiert werden.