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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

278-281

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Langeloh, Jacob

Titel/Untertitel:

Der Islam auf dem Konzil von Basel (1431–1449). Eine Studie mit Editionen und Übersetzungen unter besonderer Berücksichtigung des Johannes von Ragusa.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2019. XVI, 551 S. m. 9 Abb. = Corpus Islamo-Christianum. Series Latina, 10. Geb. EUR 128,00. ISBN 9783447113243.

Rezensent:

Josef Wohlmuth

In der derzeitigen Weltlage erscheint es geboten, das Verhältnis von Christentum und Islam historisch zu erschließen. Dies geschieht in der vorliegenden Arbeit im Blick auf das Konzil von Basel (1431–1445) in zwei großen Teilen: I. Studie (1–239), II. Editionen (248–505). Der Konzilstheologe Johannes von Ragusa und seine Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Islam werden kritisch ediert und in Übersetzung vorgelegt. Dessen Reise als Basler Konzilsgesandter nach Konstantinopel wird dokumentiert (155–226). Im Basler Konzil selbst spielt der Koran bei der Behandlung der Lehre von der Immaculata conceptio Mariae eine wichtige Rolle. Hier liegt ein Beispiel der Dogmen- und Theologiegeschichte vor, in dem der Koran als außerchristliches Glaubenszeugnis beigezogen wird (49; vgl. zum Streit der Ordensschulen zusammenfassend: 68 f.) Bei Heimerich von Campo wird der Koran sogar als Stütze für die Ekklesiologie herangezogen (69–72; vgl. zur Einschätzung des Islam: 72–107).
Johannes von Ragusa erhielt als Konzilsgesandter nach Konstantinopel (109–163.135–37) eine weltgeschichtliche Bedeutung, da der Islam dabei war, seine Herrschaft auf Europa auszudehnen. Deshalb wollten vor allem die Griechen die Einheit mit der Kirche des Westens herbeiführen (vgl. Briefe 101 und 103: 141–145). Johannes von Ragusa sollte die Griechen für Basel gewinnen, doch dies misslang. Die drei bereits bekannten Briefe (96, 101 und 103) werden nun in kritischer Ausgabe vorgelegt (345–397). Der Konzilsgesandte nützte seine Zeit in Konstantinopel auch dazu, mit Muslimen Kontakt aufzunehmen und an möglichst verlässliche Handschriften zu kommen. Ein interessantes Detail im Gespräch mit den Muslimen betrifft die Überlieferung, die Zeit des Islam dauere nur 800 Jahre, die also inzwischen abgelaufen seien (133–37; Brief 96: 354–357) .
Der Tractatus de martyrio sanctorum (155–186) konfrontiert den Dominikaner Johannes von Ragusa mit dem franziskanischen Vorhaben, wie der Ordensgründer Franziskus den Muslimen das Evangelium zu verkünden und dabei vor dem Martyrium nicht zurückzuschrecken. Der Traktat selbst ist wegen vieler noch offener Fragen und seines Umfangs nur in Ausschnitten in die Edition aufgenommen.
Im zweiten Teil des Buches (249–505) werden an erster Stelle zwei Schriften des Johannes von Ragusa ediert. Sie zeugen von dem Versuch, mit führenden Muslimen – ›Sarazenen‹ genannt – ins Ge­spräch zu treten. In der ersten Schrift, »Bekenntnis des christlichen Glaubens vor den Sarazenen« (250–277), tritt Johannes von Ragusa mit der Einstellung ins Gespräch ein, »die göttliche Ehre und Liebe« lasse die Menschen mit Hochachtung und brüderlicher Liebe einander gegenübertreten (251 f.). Man wolle aber ganz offen auch den eigenen Standpunkt vertreten. Nach dem Zitat aus Sure 5,46 gilt der Koran über alle menschliche Vernunft hinaus als Schrift, in der »Weisung, Licht und offenbarte Wahrheit« zu finden seien (254 f.). Die Christenheit bekenne Jesus jedoch als wahren Gott und Mensch und als den einzigen Weg zum Heil (vgl. das Römische Glaubensbekenntnis; 254–256). Johannes von Ragusa spricht seine Hörer als »Hochverehrte« an und beteuert, die christliche Gotteslehre und der Glaube an Jesus Christus gäben mehr zu denken, als es der Koran versuche (258 f.). Bei der Auslegung der Trinitätslehre teilt Johannes von Ragusa viele Gottesprädikate mit dem Islam und gesteht seinen Hörern zu, dass der Koran viel »Wahres, Herrliches und Großartiges« über Jesus enthalte (260 f.). Wenn der Koran aber ablehnt, dass Christus wirklich gestorben ist, sei dies in keiner Weise akzeptabel (262 f.). Deshalb gebe es auch in der Heilsfrage keinerlei Gemeinsamkeit. Aus Joh 17,3 folgert Johannes von Ragusa, dass sich aus der Gottesschau »eine Art Verwandlung« ergibt, weshalb sich Islam und Christentum in der Eschatologie deutlich unterscheiden (270 f.).
Die zweite Schrift, »Abhandlung über die Beschaffenheit der Gesetze des Korans und des Evangeliums« (278–325), beginnt Johannes von Ragusa mit dem Verweis auf die Schöpfungsgeschichte. Nach Gen 1,27 sei der Mensch mit Verstand (ratio) und Vernunft (intellectus) geschaffen. Deshalb steht seine Gottebenbildlichkeit im Zentrum. Ferner geht es aber um den Unterschied zwischen den beiden Gründungsgestalten. Dem Stifter des Evangeliums, Chris­tus, steht Muhammad gegenüber, der im Koran überraschend positiv »verkündigt, dass Jesus Christus der heiligste, tugendhafteste, weiseste und wahrhaftigste über allen Menschen war« (280 f.). Ja, der Koran nenne ihn sogar »Wort Gottes, Geist Gottes und Seele Gottes, den größten Propheten, der ohne Vater von einer Jungfrau geboren ist.« (280 f.) Johannes von Ragusa setzt dem entgegen, dass sich Muhammads Leben mit dem Leben Jesu nicht vergleichen lasse, und begründet es mit Zitaten aus der Bergpredigt (282 f.; 283–285). Wie aber, wenn die Muslime sagen, unabhängig von ›rein‹ oder ›unrein‹ gelte Muhammad als »Prophet Gottes«, der vieles vorhergesagt und ein Gesetz gegeben hat? Johannes von Ragusa fragt seine Gesprächspartner, warum Gott einem ungebildeten Menschen wie Muhammad sein Wort gegeben hat. Die ausgetauschten Argumente landen bei der Wahrheitsfrage, für die gerade auch die unbestreitbare Heiligkeit und Vollkommenheit Christi zu beachten sei (292 f.).
Darauf nimmt das Gespräch einen anderen Verlauf. Die Muslime werfen nämlich den Juden und Christen vor, die Tora des Mose verfälscht zu haben, »indem sie Propheten und das Evangelium hinzufügten und das entfernten, was ihnen nicht behagte, so dass nichts von der Wahrheit der genannten [Schriften] übrigblieb, außer das, was davon im Koran enthalten ist.« (292 f.) Johannes von Ragusa versucht diesen gravierenden Einwand zu entkräften (294–295). Zu seinen Lebzeiten habe der Prophet Muhammad seine Leute sogar zu den Juden geschickt, »um jene zu fragen, die das Buch vor euch gelesen haben« (295 mit Anm. 13; vgl. Sure 10,94). Johannes schließt den Beweisgang mit dem Satz: »Also waren auch die Bücher der Juden und Christen zur Zeit Muhammads nicht verdorben und fehlerhaft, wie ihr sagt, außer ihr wolltet vielleicht mithilfe göttlicher Gesetze euren Propheten sowohl zu einem Lügner machen als auch ihn so nennen.« Auch nach Muhammads Tod seien die Schriften keineswegs gefälscht worden (294 f.). Das Alte Testament galt den Muslimen sogar als Inbegriff göttlicher Gerechtigkeit. Aber sie wenden ein: Wenn weder Juden noch Christen das Gesetz und das Evangelium entsprechend erfüllen, sind sie keine Familie des Buches. Die Muslime hingegen verstehen sich klar als Familie des Buches (298 f.). Sie erwarten deshalb von den Christen, ihnen zu zeigen, welche Teile verfälscht oder unverfälscht sind, damit sich die Muslime mit Gewissheit an die unverfälschten Teile der Schrift halten können.
Für Johannes von Ragusa ist es klar, dass seit der Zeit Christi den Juden und Christen das Gesetz des Mose und das Alte Testament gemeinsam waren und gleiche Verehrung erfuhren. Die Schriften des Alte Testaments würden bei den Christen sogar noch mehr verehrt, »weil sie ja Zeugnis für Christus und das Evangelium ablegen.« Daher gehörten die Kodizes des Alten Testaments beiden Völkern (298 f.). Hätte es nach der Lebenszeit Christi eine Fälschung gegeben, dann hätte diese entweder von beiden Völkern oder je von der einen oder der anderen Seite vorgenommen werden müssen. Dies aber ist nicht geschehen. Noch einmal resümiert Johannes von Ragusa: Wäre nach der Ankunft Christi das Alte Testament verfälscht worden, so hätte dies durch beiderseitiges Einverständnis von Juden und Christen oder jeweils allein von den Juden oder allein von den Christen geschehen müssen. Abgesehen davon, dass eine solche Fälschung ein Übel an sich wäre, wäre eine von Juden und Christen einvernehmlich erfolgte Fälschung ein noch unerhörteres Verbrechen gewesen, das nicht unbekannt hätte bleiben können (300 f.).
Johannes von Ragusa fügt noch an, Christen und Sarazenen seien in dieser Frage noch mehr voneinander getrennt als in den (oben besprochenen) Fragen der Heiligkeit Christi. Johannes von Ra-gusa spricht die Muslime direkt an: »Auch wenn ihr leugnet, dass Christus Gott ist, haltet ihr Christus doch für einen Mann der Heiligkeit und für den größten Propheten, der von der Jungfrau geboren wurde.« Wie aber, wenn die Juden beides leugnen und Jesus für einen Verführer halten? Dann wäre es umso unmöglicher gewesen, dass sich bei Juden und Christen »genau die gleichen Bücher finden, die sich durchweg an keiner einzigen Stelle unterscheiden« (300 f.). Also gilt: Es wurden keine Veränderungen vorgenommen. Das Alte Testament ist (wie) eine Arche, aber sie dauert fort in ihrer Wahrheit und Kraft wie es zur Zeit Christi war (302 f.). Man spürt förmlich, wie sehr die Frage nach sicheren Quellen in der Luft lag und der Ruf Ad fontes! schon im 15. Jh. ernst genommen wurde. Der Fälschungsverdacht musste aus der Welt geschafft werden. Johannes von Ragusa war deshalb auch als Suchender nach alten Handschriften unterwegs.
Johannes von Ragusa geht anschließend die frühkirchlichen häretischen Strömungen durch und kommt zum Ergebnis, dass sich bei ihnen dieselben Schriften finden, ja, dies gelte sogar von den Muslimen. Hier würde eine textkritische Prüfung heute allerdings differenzierter urteilen. Studiert man die textkritischen Ap­parate ursprachlicher Bibelausgaben, ahnt man, welche Früchte die Diskussionen seit dem Basler Konzil hervorgebracht haben. Eine grundsätzliche Differenz zwischen Islam und Christentum sieht Johannes von Ragusa darin, dass der Islam keine Wunder kennt, die bekräftigen würden, dass er von Gott kommt. Für die Christenheit bestehe das Wunder darin, dass auch ganz einfache Menschen »zuletzt noch ihr eigenes körperliches Leben freiwillig dem Tod an(bieten)« (216 f.; vgl. 310–317). Hier zeigt Johannes von Ragusa seine Nähe zur Schrift über das Martyrium an. Das Evangelium ist kein »Gesetz der Knechtschaft, sondern lehrt eine Gottesverehrung, die von der reinen Liebe getragen wird« (318 f.). Die Tötung durch das Schwert bildet deshalb den schärfsten Gegensatz zur Lebenshingabe aus Liebe. Der muslimische Ruf »Tötet, tötet!« steht dem von Gott geschenkten Glauben völlig entgegen (320 f.). Das Christentum kennt »kein Gesetz des Schwertes«.
Johannes von Ragusa klagt: »Aber ach, euer Gesetz ist deutlich anders und weit entfernt vom vorher genannten Gesetz Gottes […]« (322 f.). Muhammad selbst habe gelehrt, dass das alte Gesetz und das neue Evangelium »nicht in Rhythmus oder Versen, sondern in einfachen und reinen Worten von Gott überliefert werden«. Die Propheten haben die Stimme Gottes gehört, aber ihre Weissagungen haben sie »nicht rhythmisch in Versform aufgeschrieben«. Die Stimme Gottes wird nicht »in Rhythmen und Versen« niedergeschrieben (324 f.). Diese Sätze zeigen, dass der Islam den Koran in den Rang der Poesie erhebt, dem die biblische Literatur nicht standzuhalten scheint. Der Koran empfiehlt sich demnach als die modernere, weil poetische Religion. Dem Abendland aber wird be­wusst, dass es dem Islam weder religiös noch kulturell oder politisch unterlegen sein darf.
Das vorliegende Werk ist in vieler Hinsicht beachtlich. Das islamisch-christliche Gespräch der Zukunft wird davon profitieren. Die Schriften des Johannes von Ragusa kritisch zu edieren, war eine sehr gute Entscheidung. Dem Buch ist eine breite Rezeption zu wünschen.