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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

440–443

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Römelt, Josef

Titel/Untertitel:

Jenseits von Pragmatismus und Resignation. Perspektiven christlicher Verantwortung für Umwelt, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Unter Mitarbeit von M. Schramm.

Verlag:

Regensburg: Pustet 1999. 365 S. gr.8 = Handbuch der Moraltheologie, 3. Geb. DM 48,-. ISBN 3-7917-1636-0.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Nach seinem ersten Band des "Handbuches der Moraltheologie" unter dem Titel "Vom Sinn moralischer Verantwortung" mit einer "zeitgemäßen Grundlegung der Moraltheologie" und dem zweiten Band "Freiheit, die mehr ist als Willkür" mit eher individualethischen Konkretisierungen dieses Ansatzes in den zwischenmenschlichen Beziehungen, Lebensgestaltung, Krankheit und Tod widmet sich der in Erfurt katholische Moraltheologie und Ethik lehrende Autor in diesem abschließenden dritten Band der Sozialethik. Er greift dabei vor allem die großen Themen der Ökologie, der Friedensethik, der nationalen und internationalen Wirtschaftsethik auf. Er ist dabei von der Hoffnung geleitet, "daß der Mensch trotz komplexer Bedingtheit Verantwortung übernehmen kann, die auch die strukturellen Notwendigkeiten des heutigen moralischen, sozialen und politischen Handelns umfaßt" (19).

Um den Weg dazu aufzuzeigen, entwickelt der Autor in dem ersten Abschnitt A, wie es über die bekannten Kategorien der Gesinnungsethik und Verantwortungsethik hinaus Aufgabe christlicher Sozialethik sein muss, die zur Moderne gehörenden Differenzierungsprozesse zu integrieren, also zwischen der individuellen und strukturellen Ebene menschlicher Verantwortung zu vermitteln und dabei letztlich die "Transzendenzverwiesenheit" des Menschen als "Grunddimension einer menschlichen Gestaltung der Gesellschaft und des sozialen Lebens" immer wieder aufzudecken (39 f.).

Das erste Beispiel solcher "aus christlicher Sicht notwendigen Einheit zwischen Sachlichkeit und personaler Transparenz von sozialer Verantwortung" ist für den Autor die in Abschnitt B betrachtete demokratische Gesellschaftsform, die "Demokratie als Kultur der Freiheit" (48 ff.). Es überrascht in diesem Zusammenhang dennoch seine überzeugende Warnung vor einer "totalen Kolonisierung der Kultur durch den demokratischen Gedanken" (55 f.) - so etwa in der Kunst, Philosophie oder Religion (63). Damit soll aber in keiner Weise die Sachgemäßheit des gegenwärtigen demokratischen Systems bestritten werden. Für das Funktionieren dieses Systems bleibe allerdings selbst in aller Säkularisierung ein nicht in der Gesellschaft selbst generierbarer Bezug auf die Verantwortung vor Gott und auf das Gewissen unaufgebbar (64 f., 74).

Der darauf folgende Abschnitt C befasst sich mit der "ökologischen Herausforderung" als weiterem Bereich sozialethischer Konflikte in einer komplexen Gesellschaft. Das Motiv zur ökologischen Verantwortung leitet der Autor nun zuerst aus dem Grundsatz der Gerechtigkeit ab; denn durch Umweltzerstörung verschlechtere die Elterngeneration der Kindergeneration die Lebensbedingungen. Sodann setzt er sich für die "Achtung des Eigenwertes einer in ihrer Vielfalt bedeutsamen Natur" als moralischen Wert ein (79). Über Albert Schweitzers Ansatz einer "Ehrfurcht vor dem Leben" hinaus (82 ff.) spricht der Autor in seinen Erwägungen deshalb immer wieder von einer "Ehrfurcht vor Mensch und Natur" (124, 130, 132, 194 u. ö.). Schöpfungstheologisch verweist er sodann auf die "imago dei" und dass mit den von Gott verliehenen Herrschaftsrechten untrennbar Herrscherpflichten verbunden seien (87). Aus dieser Perspektive lässt sich dann der Vf. trotz der vielen scharfen ökologischen Konflikte der Gegenwart zu Recht nicht von der positiven Deutung von Schöpfung und Geschichte abbringen, nämlich dass der Mensch "trotz seiner radikalen Schuldfähigkeit und risikoreichen Begrenztheit" fähig sei, "Verantwortung gegenüber der Natur tatsächlich zu übernehmen" (96). Diese These konkretisiert er sodann anhand einer Fülle von sorgfältig ausgeführten Beispielen: etwa in Bezug auf Naturschutz, Züchtung, Genmanipulation, moderne Tierhaltung bis hin zu Bodenqualität, Erosion, Klimafragen, sozialen Kosten von Umweltschäden oder Umweltsteuern (97 ff.).

Allerdings weichen seine Erwägungen kaum von den gegenwärtig genauso außerhalb der Theologie diskutierten Gesprächsgängen ab. Erfreulich konsequent ist sodann sein diesen Abschnitt beschließender Exkurs über das Bevölkerungswachstum (136 ff.) als eine der wichtigsten Ursachen für die gegenwärtigen ökologischen Probleme für Mensch und Natur. Angesichts notwendiger Begrenzungen dieses Wachstums ist dabei aus ethischer Sicht seine Ablehnung der Abtreibung und sein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit als Begrenzungsstrategie des Bevölkerungswachstums genauso folgerichtig (153 f.).

Es fällt am nachfolgenden Abschnitt D über Friedensethik auf, dass zu Beginn nicht die biblische Friedensverheißung für Mensch und Schöpfung diskutiert wird. Auf sie wird erst in einem späteren Exkurs (177 ff.) verwiesen, und das, obwohl ein guter Teil der ja nicht unerheblichen friedensethischen Streitigkeiten auf deutschem Boden (nicht nur im protestantischen Kontext) sich aus der pazifistischen unvermittelten Übernahme dieser christlichen Friedenshoffnung in politische Zusammenhänge ergab.

Dass der Autor sich nicht scheut, friedensethisch in differenzierter Weise auf die Bellum-iustum-Theorie zurückzugreifen (159 ff.), ist zu begrüßen, denn zweifelsohne ist und bleibt ein großer Teil der friedensethischen Argumentationsgänge in ihr durch die ethische Tradition gewahrt. Allerdings ist das Ausblenden des reformatorischen Ringens in diesem Fragenkomplex problematisch. In gleicher Weise wird der in der Bellum-iustum-Theorie wohl verankerte schwierige Satz vom "Krieg auf Gottes Befehl" ignoriert und der Begriff des "Heiligen Krieges" als späterer Eingriff biblischer Redaktoren relativiert (179).

Zum Abschluss wird bei allem "Nein zum Krieg" ethisch sehr klar auf eine (militärische) "Pflicht, dem Unschuldigen zu helfen" verwiesen (183, 190). Damit soll aber keineswegs das friedensethische Primat der Gewaltfreiheit, der Friedensdiplomatie, Abrüstung, Boykott, und insgesamt der Stärkung der UNO usw. in den Hintergrund gedrängt werden. Was die Reform der UNO anbelangt (192 f.), so findet sich dabei allerdings weder ein Wort zu der nach wie vor in der Charta festgehaltenen "Feindstaatenklausel" noch etwas zu der systematischen Konkurrenz einzelstaatlicher Souveränität gegenüber den weltweit durchzusetzenden Menschenrechten.

Erfreulich ist, wie eng verbunden der Autor die Friedensethik mit der Frage nach einer globalen Gerechtigkeit sieht (194 ff.). Bei aller Zustimmung zu der besonders in der lateinamerikanischen Theologie entwickelten "Option für die Armen" (212 ff.) will er sich jedoch nicht auf die dort vielfach gesuchte Nähe zur marxistischen Gesellschaftsanalyse einlassen, sondern sucht hier "ein neues geistiges und moralisches Klima der Bejahung von Verantwortungsbereitschaft für den persönlichen Einsatz und für soziale Rücksicht" (215).

Damit wird übergeleitet zu den beiden wirtschaftsethischen Abschnitten E und F, die von Michael Schramm, einem Erfurter Kollegen des Autors, verfasst sind. Im Konzept einer "Wirtschaftsethik als Kritische Moralpragmatik" (217 ff.) sollen nicht nur für alle Beteiligten Ergebnisse, sondern für alle Beteiligten auch nützliche Ergebnisse hervorgebracht werden, wobei Schramm sich der "Ambivalenz empirisch vorfindlicher Moralforderungen" bewusst bleiben will (247).

Da für ihn im Sinne K. Homanns die "codierten Programmregeln des Wirtschaftssystems" letztlich der "systematische Ort der Moral" sind (228) (was zu ungelösten ethischen Problemlagen auf der Meso-Ebene führen kann), konkretisiert er sein Konzept an ausgewählten makroökonomischen Beispielen im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft: So hat er den Mut, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit vielen guten Argumenten ein Fünf-Punkte-Programm (255 ff.) vorzustellen (Kostenbelastung des Faktors Arbeit senken, Lichtung des Paragraphendschungels, Arbeit teilen, Arbeitsmarkt sozialverträglich nach unten erweitern, Tarifpolitik reformieren). Wenn er dabei auch für ein "Bürgergeld" nach J. Mitschke (bzw. negative Einkommensteuer) eintritt (260 ff.), für mehr marktwirtschaftliche Elemente in der Sozialversicherung (264 f.), für engagierte finanzielle Förderung der Familien oder ökologische steuerliche Reformen (270 ff.), so sind das beachtenswerte und meist bereits auch in der öffentlichen Diskussion mit Ernst vorgebrachte Argumente. Wenn aber nicht schärfer herausgestellt werden kann, wo dabei der spezifisch theologische Topos zu finden ist, bleibt die Frage, warum diese Argumente von einem Theologen noch einmal vorgestellt werden müssen.

Wie sehr es dagegen auch in der Ökonomie um "Glaubensfragen" gehen kann, wird allerdings im abschließenden Abschnitt F über globale Kooperation und Weltwirtschaftsordnung (279ff.) häufiger herausgestellt. Obwohl es (von seiner Konzeption her) durchaus "Pflicht" der Ökonomik sei, alle Dinge in Vorteils-/Nachteils-Kategorienabzuarbeiten, dagegen "Pflicht" der Ethik, den "moral point of view" abzuklären (287), lasse sich doch ein Streit von vor allem zwei "Glaubensrichtungen" erkennen: Die eine erhebt theologisch den Vorwurf, letztlich werde im Neoliberalismus ein "Götze Markt" angebetet, und damit die zunehmende Bereicherung der nördlichen Länder auf Kosten der armen südlichen Länder abgesegnet (289). Die andere von ihm als "liberalistisch" bezeichnete Glaubensrichtung glaube, dass sich aus einem marktorientierten "laissez faire" ein Vorteil für alle ergebe (290 ff.).

In sehr informativer Weise entkräftigt Schramm beide Positionen zugunsten seiner von ihm als "liberal" (nicht "liberalistisch") bezeichneten Position, nach der "Marktwettbewerb grundsätzlich als ein (auch moralisch) wünschenswertes Organisationsinstrument" zu betrachten sei, das allerdings "ordnungsethische (ordnungspolitische) Gestaltungen der Rahmenbedingungen auch des globalen Wettbewerbs" einfordere. Und sein Motto lautet daher im Anschluss an J. Messner "mehr gestalteter Markt" (294). Aus dieser Perspektive relativiert er dann die gängigen im Rahmen der Globalisierung diskutierten Thesen wie Ausbeutung der Entwicklungsländer durch Kolonialismus, Ausbeutung durch die Terms of Trade, Dekapitalisierung durch Multis, Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer. Er schließt mit fünf sozialethischen Forderungen zur Reform der Weltwirtschaftsordnung: Rückführung des Protektionismus, Einrichtung einer internationalen Wettbewerbsbehörde, Einrichtung einer internationalen Sozialinstitution, eine Tobinsteuer (zur Erhöhung der Transaktionskosten spekulativer Kapitalbewegungen), Ökologisierung der weltwirtschaftlichen Rahmenregeln.

Mit viel "Mut zum ethischen Engagement" (313) sind so in diesem 3. Band des "Handbuches der Moraltheologie" ein Fülle drängender ethischer Fragen aufgegriffen worden. Und auf jeden Fall ist in der Komplexität der gegenwärtigen modernen Gesellschaft ein solcher Mut um Gottes willen begrüßenswert. Daher ist den Autoren zu danken und zu wünschen, dass von diesem Werk reiche Anregungen ausgehen mögen.