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Ausgabe: | April/2000 |
Spalte: | 438–440 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Autor/Hrsg.: | Liedke, Ulf, u. Harald Wagner [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Ins Wort fallen ... Impulse zur Weiterführung und Verwirklichung des Sozialwortes der Kirchen. |
Verlag: | Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1999. 191 S. 8 = Akzente der Entwicklung sozialer Arbeit in Gesellschaft und Kirche, 4. Kart. DM 24,80. ISBN 3-374-01726-6 |
Rezensent: | Christian Rose |
Am 28.02.1997 wurde das Sozialwort (= SW) der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" veröffentlicht. Nach der zunächst beachtlichen Resonanz ist es ruhiger geworden um das SW. Demgegenüber wollen die unterschiedlichen Autoren und Autorinnen aus Ost- und Westdeutschland "einen Beitrag dazu leisten, daß der vom Sozialwort angeregte zivilgesellschaftliche Diskussionsprozeß fortgesetzt wird" (9).
Die 13 Beiträge sind nach vier Schwerpunkten geordnet. Der erste Schwerpunkt ("Wort und Wirkung": 11-50) behandelt die mit dem SW verbundene Hoffnung auf eine zivilgesellschaftliche, globale Solidarität (F. Hengsbach: Das Sozialwort - ein politische Erfolgsgeschichte?). Obwohl das SW in vielen Kirchengemeinden der östlichen Bundesländer nicht "angekommen" ist (F. Woldt: "Bei uns ist das anders ..."), sollte es nachhaltiger in den gesellschaftlichen Dialog eingebracht werden. Hierfür, - so R. Roemheld (Kirche in Politik und Gesellschaft) -, müssen allerdings die Kirchen ihren gesellschaftlichen Platz neu bestimmen und die Gemeindeglieder aktiv einbezogen werden.
Im Schwerpunkt "Moral und Markt" (51-100) stellt U. Liedke (Gerechtigkeit als Konsens) das SW in den Kontext wirtschaftsethischer Diskussion, lobt dessen diskursethischen Ansatz und kritisiert die Vernachlässigung der verschiedenen Orte der Vermittlung von Markt und Moral. In seinem zweiten Beitrag (Ökumene und Ökonomie) konstatiert U. Liedke den starken Einfluss der katholischen Soziallehre auf das SW, der jedoch durch die überwiegend biblische Argumentation "ökumenisch geöffnet und konsensfähig gemacht" wurde (72 f.). H. Christa reflektiert die Bedeutung der "Ökonomie für die soziale Arbeit": Chancen und Gefahren des Sozialmanagements sind sorgsam zu beachten. Das häufig vernachlässigte Sozio-Marketing könnte eine "öffentliche Wertschätzung" der sozialen Arbeit bewirken.
Im Themenbereich "Gerechtigkeit und Globalisierung" (101-141) fordert H. Przybylski (Sozialstaat, Globalisierung und Gerechtigkeit) angesichts der Globalisierung eine neue Gerechtigkeitskultur, in die die Kirchen als "Hoffnungsagenturen" den biblischen Schlüsselbegriff der Gerechtigkeit welt- und naturumfassend einbringen können. K. Schneider-Danwitz (Sozialwort, Sozialstaat und Weltwirtschaft) plädiert dafür, die Herausforderungen der Globalisierung anzunehmen und durch ein internationales Sozial-, Umwelt- und Wettbewerbsrecht zu gestalten. U. Riedel-Pfäfflin ("Das ganze Haus") fordert gegenüber dem "Terror der Ökonomie" einen (feministischen) Paradigmenwechsel, bei dem lokale Subsistenzwirtschaft und das tägliche Miteinanderleben im "Lebenshaus" stärker berücksichtigt werden sollten.
Im Schwerpunkt "Wort und Wagnis (142-187) plädiert H. Wagner ("Menschen im Schatten?") dafür, dass sich die Kirchen auf Grundlage des SW und der Lebenslagestudie von Caritas und Diakonie (1997) der Verflüchtigung des Sozialen entgegentreten und dabei deutlicher als bisher die biblische Option für die Armen und Ausgegrenzten vertreten. Nach Meinung von F. Bringt (Zukunft und [Erwerbs-]Arbeit) tritt das SW wohl für die "Zukunftsfähigkeit von Politik und Wirtschaft" ein, aber es atmet selbst den "neoliberalen Zeitgeist" und versäumt es, wirklich zukunftsfähige Konzepte heranzuziehen. Außerdem bleibt die Kirche als Arbeitgeber "oft weit hinter ihren eigenen Postulaten" zurück (166). Worten müssen eben - auch innerkirchlich - Taten folgen. Diese erkennt J. Hoffsommer (Der Dienst der Kirchen für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit) im sozialdiakonischen Engagement der Kirchen(-Gemeinden), das die vom SW geforderte "neue Bekehrung zur Diakonie" exemplarisch vorlebt. Die Kirche gewinnt u. a. dann an Glaubwürdigkeit, wenn sie - wie M. Petzold (Exemplarische Existenz der Kirche?) fordert - den sog. "Dritten Weg" verlässt und sich an den üblichen Standards des Arbeits- und Tarifrechts ausrichtet.
In der abschließenden "Ideenbörse zur Weiterführung und Verwirklichung des Sozialwortes" (188-191) setzen sich einige der Autoren und Autorinnen dafür ein, "den konziliaren Prozess der Kirchen in der DDR" in die Diskussion einzubringen bzw. fortzuführen (F. Bringt), das SW in der kirchlichen Ausbildung (neu) zu thematisieren (J. Hoffsommer) und regelmäßig Bilanz zu ziehen (U. Liedke/H. Przybylski). In summa: "Das Sozialwort verdient es - trotz aller Bedenken - lebendig erhalten zu werden" und regelmäßig ins öffentliche Bewusstsein gebracht zu werden - "vielleicht wäre der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit dafür ein günstiger Termin?" (H. Wagner, 191).
Der vorliegende Sammelband hält m. E., was der (Unter-)Titel verspricht. Der Vielfalt der Autoren und Autorinnen entspricht das breite Spektrum an kritischer Reflexion und an Impulsen für die "Weiterführung und Verwirklichung des Sozialwortes". Die verschiedenen Beiträge bieten selber, was in der Ideenbörse vorgeschlagen wird: eine gut gelungene "Zwischenbilanz" der leider ins Stocken geratenen Diskussion um das SW. So ist es in der Tat an der Zeit, dem Schweigen um das SW "ins Wort (zu) fallen". Manche der angesprochenen Hoffnungen im Blick auf eine gerechte und solidarische Zukunft unserer Gesellschaft, die mit dem Regierungswechsel Nahrung erhalten hatten, wurden bislang nicht erfüllt oder scheinen zu zerplatzen wie Seifenblasen!? Umso wichtiger ist es, nachhaltig die Impulse aufzunehmen, die den Konsultationsprozess vorantreiben und nicht aufgeben wollen, - denn mir scheint: Es gibt zum Dialog keine Alternative. Für künftige "Zwischenbilanzen" würde ich mir wünschen, dass - wenn möglich - auch Beiträge solcher Autoren aufgenommen werden, die ihrerseits den Kirchen gerne "ins Wort fallen" möchten. Vielleicht kann dadurch der gesamtgesellschaftliche Dialog neue Impulse bekommen und vermehrt über den innerkirchlichen Rahmen hinausgeführt werden.