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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

192-194

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Schjørring, Jens Holger, Hjelm, Norman A., u. Kevin Ward [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Geschichte des globalen Christentums. Teil 3: 20. Jahrhundert. Übers. v. G. Baumann, Ch. Brocks, Ch. Jacobs, M. Müller, G. Stein.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2018. 809 S. m. 1 Tab. u. 7 Ktn. = Die Religionen der Menschheit, 34. Kart. EUR 179,00. ISBN 9783170219335.

Rezensent:

Klaus Hock

Die »Geschichte des globalen Christentums« wird mit diesem dritten Teilband in der Buchreihe »Die Religionen der Menschheit« abgeschlossen. Konzeptionell hat sich gegenüber den beiden vorausgegangenen Bänden nichts grundlegend verändert (vgl. die Rezension in ThLZ 143 [2018], 1001–1004); als weiterer Mitherausgeber wurde Kevin Ward gewonnen, emeritierter Wissenschaftler der University of Leeds mit Schwerpunkt auf afrikanischen Religionen.
Wie im Vorwort herausgestellt, befassen sich die drei zusammengehörigen Bände »in umfassender Weise mit der globalen Ge­schichte des Christentums, auch wenn dieses Vorhaben nicht im Sinne der traditionellen ›Kirchengeschichte‹ zu verstehen ist« (20). Worin genau die Unterschiede zwischen den beiden Zugängen bestehen, wird nicht vertieft ausgeführt. Der Hinweis, dass nicht so sehr dogmatische und institutionelle Aspekte im Vordergrund stehen, sondern – im Lichte der je spezifischen Wechselwirkungen von Christentum und Gesellschaft – »Kultur« als Referenzrahmen, vermag diese Frage auch nicht befriedigend zu beantworten, beleuchtet aber die besonders in diesem Band erkennbare interdisziplinäre Arbeitsweise. Der anregende Ansatz, dies »mit einem ökumenischen Ausblick« (21) zu verbinden, markiert nochmals die Nahtstelle zwischen »ökumenischer« und »globaler« Christentumsgeschichte, zwischen – im weitesten Sinne – theologischer und religionswissenschaftlicher Perspektivierung. Dies ordnet sich dem Entwicklungsverlauf des Wissenschaftsdiskurses zu, dessen Spannungsbogen von der »Munich School of World Christianity« rund um ihren Spiritus Rector Klaus Koschorke unter anderem in neueren Projekten wie beispielsweise dem von Frieder Ludwig geleiteten zu »Transloyalitäten« (siehe eine erste Skizze hierzu unter https://app.cristin.no/projects/show.jsf?id=674850, abgerufen am 22.10.2020) seine Fortsetzung findet – allesamt Vorhaben, die breite, mitnichten kirchengeschichtlich-theologisch verengte Zugänge integrieren.
Der Aufbau des Bandes versucht eine Verschränkung der Beiträge zu organisieren, die sich einerseits auf die wichtigsten historischen Phasen und Umbrüche, andererseits auf übergreifende thematische Aspekte (u. a. Menschenrechte oder interreligiöse Beziehungen) und schließlich auf regionale Entfaltungen des globa-len Christentums konzentrieren. Zusammengehalten werden sie durch eine Einleitung (Jens Holger Schjørring), in der die bedeutsamsten Parameter der Entwicklung des weltweiten Christentums im 20. Jh. markiert sind, und einen zusammenfassenden Ausblick (Kevin Ward), der diese (historischen, geographischen und thematischen) Markierungen nochmals aufgreift, einige davon vertieft und weitere hervorhebt, namentlich die Schwerpunktverlagerung in den globalen Süden, Christentum und Bildung, die Spannung zwischen modernistischem und liberalem Denken und die mit »Erweckung« überschriebenen Dynamiken. Kevin Ward formuliert seine Schlussbemerkungen mit stark metaphorischen Bezügen, in denen exemplarisch die Breite, Vielfalt und vielleicht auch Widersprüchlichkeit des globalen Christentums zwischen den Polen einer Theologie des Schmerzes Gottes (Kazoh Kitamori) und einem beinahe triumphalistisch gestimmten pfingstkirchlichen Gottesvertrauen (Lian Xi) nachgezeichnet wird.
Wie die anderen beiden Bände der Geschichte des globalen Christentums ist auch dieser dritte Band darum bemüht, die im Schnittbereich von Weltgeschichte und Christentumsgeschichte liegenden Wendepunkte nicht aus (europäisch-nordamerikanischer) Zentralperspektive und nicht entlang linear gedachter Trajektorien zu behandeln, wobei der erste Teil des hier in den Blick genommenen dritten Bandes in seiner formalen Gliederung durchaus von Europa und Nordamerika seinen Ausgang nimmt. Ebenfalls dieser Band will zudem Brüche, widerständige Tendenzen und auch Widersprüche beleuchten und dadurch stärker in den Vordergrund rücken, ohne jene Prozesse zu vernachlässigen, in denen sich »das Christentum« in Auseinandersetzung mit den sich rapide verändernden Realitäten im 20. Jh. seinem Anspruch stellte, »ökumenisch« zu sein. Darin spiegeln sich nicht nur Divergenzen in der Entwicklungsgeschichte verschiedener Christentümer, sondern auch Differenzen zwischen unterschiedlichen Forschungstraditionen und Positionierungen. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang die Weitung der Autorenschaft um afrikanische und asiatische Beiträger, wobei allerdings nach wie vor fast alle im »globalen Norden« – oder, wenn die geographische Verortung »umgerechnet« wird, in wohlhabenden Ländern – lehren und arbeiten. Die erwähnten Differenzen wiederum spiegeln sich nicht nur in grundlegenderen Einschätzungen – so mit Blick auf die Konflikte im Nahen Osten, wie bereits im Vorwort annonciert (22) –, sondern auch in kaum wahrnehmbaren Nuancen: Peter C. Phan etwa spricht konsequent und durchgängig im Plural von »Christentümern« im asiatischen Kontext, die Mehrheit, wie etwa Akintunde A. Akinade in Bezug auf das afrikanische Christentum, im Singular von »dem« Christentum in den jeweiligen Großregionen. Dennoch werden in allen Fällen sowohl die gemeinsamen Herausforderungen als auch die internen Differenzierungen benannt. Gleichermaßen erfreulich ist das durchgängige Bemühen, einerseits die jeweiligen Spezifika herauszuarbeiten und andererseits die Kontinente und Kulturen übergreifenden thematischen Schwerpunkte zu traktieren, mit denen die Christenheit als Ganze befasst ist – sei sie nun pluralisch oder im Singular in den Blick genommen. Besonders gut ist dies im Beitrag von Frieder Ludwig und Ulrike Schröder über »Das Christentum im Kontext anderer Weltreligionen« gelungen, der nicht nur Regionen, sondern auch Religionen und schließlich Themen übergreifende Anliegen aufgreift und vor dem Hintergrund einer globalen Verflechtungsgeschichte in einen Gesamtzusammenhang einzeichnet: Es gibt eben nicht nur eine la­teinamerikanische katholische Befreiungstheologie, sondern viele Befreiungstheologien – afrikanische, asiatische, protestantische, islamische, auf politische, ökonomische, Gender-Gerechtigkeit oder indigene Rechte etc. pp. bezogene –, die aber doch gemeinsame Referenzpunkte und Entwicklungslinien aufweisen.
Nicht nur dieser Beitrag ist bis in die allerjüngste Gegenwart ausgezogen, aber bei ihm fällt es besonders auf. Wenn etwa die Kontroverse um Farid Esack im Zusammenhang mit seinem En-gagement für die umstrittene Boykott-Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) gegen Israel thematisiert wird, bewegen wir uns beinahe schon in einem Fluidum zwischen Zeitgeschichte und »Breaking News«. Dies macht die Stärke dieses Bandes aus – denn damit wird die aktuelle Relevanz von Entwicklungen aus der Tiefe der Geschichte für die unmittelbare Gegenwart deutlich, was von besonderem didaktischen Wert für das Verständnis momentaner Konstellationen und Konflikte ist; doch damit ist zugleich die Möglichkeit einer schnellen Verfallszeit nicht nur des Beschriebenen, sondern auch der darauf applizierten hermeneutischen Rahmung angezeigt. Allerdings führt letztlich kein Weg aus diesem Dilemma heraus, wenn die Aktualität des Vergangenen konkret fassbar werden soll.
Der Band besticht durch die bereits oben erwähnte kompositorische Verschränkung der einzelnen Beiträge; insofern bietet er mehr als die Summe seiner Teile.