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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

184-189

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Melanchthon, Philipp

Titel/Untertitel:

Loci praecipui theologici nunc denuo cura et diligentia Summa recogniti multisque in locis copiose illustrati 1559. Lateinisch-Deutsch. Hrsg. u. übers. v. P. Litwan u. S. Grosse unter Mitarbeit v. F. Becher-Häusermann. Bd. 1. M. e. Geleitwort v. Landesbischof C. Rentzing.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. XXV, 548 S. Geb. EUR 68,00. ISBN 9783374052967. Bd. 2. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. X, 571 S. Geb. EUR 78,00. ISBN 9783374066209.

Rezensent:

Johannes Schilling

Editionen und Übersetzungen sind kein Geschäft für Dilettanten, noch dazu, wenn ihnen die Unterscheidung von Buchstabe und Geist nicht geläufig ist. Wer den Georges benutzen kann, ist (deshalb noch) nicht berufen, Melanchthon zu übersetzen. Und wer antikes quod in der Bedeutung »weil« nicht von der mittel- und neulateinischen Äquivalenz »dass« unterscheiden kann, sollte sich an einer ihm angetragenen Aufgabe nicht die Finger verbrennen. Nun sind sie verbrannt, aber nicht nur die Autoren, sondern auch die Käufer und Benutzer dieser Melanchthonübersetzung haben den Schaden. Der Praeceptor Germaniae, von dem der verantwortliche Theologe behauptet, er sei »ein klassischer Philologe mit einer weiten Bildung […], nicht jemand, dessen erste und letzte Ausbildung in der Theologie stattgefunden hat« (XIII), gewesen, würde sich im Grabe umdrehen und hätte die Übersetzer womöglich mit Schimpf und Schande aus dem Hause oder aus Wittenberg gejagt. Aber dahin sind sie (ja erst gar) nicht gekommen.
Während also Grosse Melanchthon nicht für einen gelernten Theologen achtet, hält Peter Litwan ihn nicht für einen ordentlichen Lateiner. »Es ist außer Zweifel, dass Philipp Melanchthon ein profunder Kenner der lateinischen Sprache und ihrer grammatischen und syntaktischen Regeln war« (XXIII), heißt es da oberlehrer- und gönnerhaft. Wie schön! Aber nach der Feststellung einiger Besonderheiten des Textes, von dem nicht sicher sei, ob er insgesamt von Melanchthon herrühre – Mündliches könne eingeflossen sein, und hat er Korrektur gelesen? –, heißt es dann beschwichtigend: »Aber natürlich ist keine dieser Beobachtungen gravierend in dem Sinn, dass mangelnde Lateinkenntnisse vorlägen« (XXIV). Da verschlägt es dem Rezensenten die Sprache: Einer der größten Humanisten wird hier wie ein Schuljunge abgefertigt von einem Lateinlehrer, der sich im nachklassischen Latein nicht auskennt und den Buchstaben über den Geist setzt. Da kann nichts Gutes, nichts Vernünftiges und schon gar nichts Geistliches herauskommen.
Übersetzungen klassischer Texte der Theologiegeschichte sind angesichts schwindender Lateinkenntnisse heute mehr denn je notwendig, und so ist es eigentlich dankenswert, wenn sich jemand der (wahrhaftig nicht geringen) Mühe unterzieht, einen solchen Text zu übersetzen. Das originale Werk stellt, nach jahrzehntelangen Vorbereitungen seit den frühen 1520er Jahren, das Ergebnis von Melanchthons Bemühungen dar, ein Lehrbuch der reformatorischen Theologie zu verfassen. Eine vollständige Übersetzung der Loci in der Ausgabe »letzter Hand« hat es bisher noch nie gegeben – auch Melanchthon selbst oder seine Zeitgenossen haben die Heubtartikel (die auf S. [XVII] zu Heuptartikel mutiert sind) christlicher Lere nach 1553 nicht noch einmal neu gefasst; sie ist, nicht nur in lateinfernen Zeiten, also ein echtes Desiderat – aber das bleibt sie leider auch nach dem Erscheinen der vorliegenden Bücher.
Dass diese im Gewand der Lateinisch-Deutschen und der Deutsch-Deutschen Studienausgabe von Schriften Martin Luthers erscheinen, kann deren Herausgeber nicht erfreuen; denn das Gewand passt ihnen nicht, es ist ihnen zu groß und vermittelt von außen einen Eindruck, dem das Innere nicht gerecht wird.
Schon das umständliche Titelblatt ist ein Fehlgriff. Der Titel des Werkes lautet, wie man aus der nicht abgebildeten Leipziger Ausgabe und aus der Abbildung des Titelblattes der Wittenberger S. 1 ersehen kann: Loci Praecipui Theologici. Die nachfolgende Erläuterung entspricht etwa einer gegenwärtigen Formulierung wie: »Neue, durchgesehene und vermehrte Auflage« und gehört ebenso wenig zum Titel wie die Jahresangabe 1559. Leider setzen sich die Fehler im Inhaltsverzeichnis fort: S. IX, Z. 3 lies: XIX (statt IXX), Z. 5. liest die Wittenberger Ausgabe Melanthon (statt: Melanchthon), wie dieser in seinen späteren Lebensjahren zumeist unterzeichnete und wie sein Name dort auch auf dem Titelblatt zu lesen ist.
Die »Philologische(n) Vorbemerkungen« wirken in jeder Hinsicht unprofessionell. Was zu dem Leipziger Druck gesagt wird, ist jedem mit Drucken des 16. Jh.s Vertrauten geläufig. Zur Latinität kann – und muss – man in Ermangelung einer großen Darstellung für die Frühe Neuzeit etwa Peter Stotz’ fünfbändiges Handbuch der lateinischen Sprache des Mittelalters, München 1996–2004, zu Rate ziehen. Für die Edition den »Mittelweg« zwischen dem Originaldruck und Engellands Ausgabe zu wählen, ist der falsche Weg. Nun hat man hier weder den Text der Leipziger Ausgabe noch denjenigen Engellands (den man freilich gar nicht haben will). Und auf Randnoten zu der Ausgabe der Loci 1559 im Corpus Reformatorum (CR 21, 601–1050) zu verzichten, weil diese Ausgabe »keinen zuverlässigen Text« (XIX) biete, leuchtet ebenfalls nicht ein – auch der Text der vorliegenden Ausgabe ist nach dem Gesagten ja nicht »zuverlässig«.
Melanchthons Opus ist reich an Texten der Bibel, die er nach der Vulgata zitiert. Warum werden diese Bibelverse nicht so übersetzt, wie Melanchthon sie gebrauchte: als Worte der Heiligen Schrift. Man könnte sie wohl am besten nach dem 1559 vorliegenden (also der Lutherbibel von 1545) oder dem gegenwärtig in Gebrauch stehenden Luthertext von 2017 wiedergeben, denn sie sollten damals wie heute die Leser als das ihnen vertraute Bibelwort erreichen. Stattdessen werden sie wie Übungssätze in einer Schulgrammatik behandelt.
Eine Einleitung in die Ausgabe, in der »Einleitungsfragen«, Entstehung, Verbreitung, zeitgenössische Ausgaben usw. behandelt werden, fehlt. Woher aber sollten die Benutzer die nötigen Informationen zu Entstehung, Kontexten, Ausgaben usw. sonst bekommen? Jedenfalls nicht aus der Melanchthon Studienausgabe, deren Bände 1952 und 1953 erschienen und deren Kenntnisstand also seit mehr als einem halben Jahrhundert überholt ist. Warum gibt es zu den Originalausgaben keinen Hinweis auf VD 16 und die Melanchthon-Bibliographie von Helmut Claus? Und keine Hinweise auf die Sekundärliteratur?, deren Kenntnis man ja nicht einfach voraussetzen kann.
1559 erschien in Leipzig bei Valentin Babsts Erben eine Ausgabe der Loci (VD 16 M 3662; Claus 1559.34, ein Münchener Exemplar online). Der Band enthält, wie man aus dem Titelblatt ersehen kann, außer den Loci eine Disputatio de coniugio (De coniugio piae commonefactiones; vgl. VD16 M 2834) sowie Definitiones multarum appellationum (vgl. VD16 M 2943), die in der Ausgabe zu Recht nicht mitgeteilt werden. Warum, wie behauptet, die Wittenberger Ausgabe desselben Textes (VD 16 M 3663) »weniger zuverlässig« (XIX) sein soll als die Leipziger, wird nicht eigens untersucht und be­gründet. Im Apparat werden falsche Lesungen von Engellands Ausgabe mitgeschleppt, als ob sie irgendeine Bedeutung hätten.
Zum Vergleich mit Engellands Ausgabe wurde nach Auskunft der Bearbeiter die Ausgabe Leipzig 1559 aus der Presse von Valentin Babsts Erben (VD 16 M 3662; s. o.) herangezogen. Die Abbildung eines Titelblatts auf S. 1 aber bringt die Leserschaft auf eine falsche Fährte – diese Ausgabe liegt der Edition des lateinischen Textes gerade nicht zugrunde. Sie erschien 1559 bei Johann Krafft d. Ä. in Wittenberg (VD 16 M 3663; Claus 1559.71), das Titelblatt ist das des Exemplars der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle/Saale (Pon Vg 2766b), ohne dass irgendwo auf diese Provenienz hingewiesen würde.
Der dem Text vorangestellte Psalm stammt von Eobanus Hessus. Ob es »glücklich« ist, Psalm 32 wie geschehen zu übersetzen, sei dahingestellt; in der Lutherbibel lautet der Anfang: »Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind.«– Warum dann in der folgenden Zeile mit der Vorlage Graecarum dictionum quae obiter inseruntur, explicatio nur ein Komma vor explicatio, das dort durch den Schriftwechsel zwischen Versalien und Kleinschreibung motiviert ist, gesetzt wird, statt den Relativsatz durch Kommata abzutrennen, erschließt sich gleichfalls nicht. Dass schließlich auch noch der Umbruch durcheinandergekommen und in De humanis viribus seu de libero arbitrio / Die Kräfte für die neue Seite nicht ausgereicht haben, ist leider eine Kalamität; wem sie geschehen ist, können nur die Beteiligten wissen (auf S. X/XI und XI/XII hat sich das Missgeschick wiederholt).
Die Widmungsvorrede an den Leser (MBW 3419) ist »Wittenberg, 1543« datiert. Über das Verhältnis der Ausgaben von 1559 zu derjenigen von 1543 (VD 16 M 3638; Claus 1544.100), in der diese Vorrede erstmals erschien, erfährt man in der Edition ebenfalls nichts. Die Übersetzung von velut in tabella (2,4) durch »wie in einer Tabelle« (3,4 f.) könnte durch das Regest in MBW nahegelegt sein, ist aber eher ein Missgriff: Merkheft, Notizbuch, Gedächtnistafel träfen das Gemeinte besser – es geht ja nicht um Rechenaufgaben, sondern um Glaubenswahrheiten, die in Anfechtungen trösten können und sollen. – Auch der Verzicht von Erläuterungen erweist sich an dieser Stelle sicherlich als ungut: Eck und Cochläus mag man ja kennen, aber wer ist Alfonsus (3,23)? Im Internet findet man ihn jedenfalls nicht leicht, dafür über MBW im VD 16: Alfonso de Virués, dessen Philippicae disputationes … (Antwerpen 1541, zwei Nachdrucke in Köln 1542 und 1545 [VD 16 V 1588 und 1589, online]) sich gegen die lutherischen Lehren richtete, die Melanchthon in Augsburg und Regensburg vertreten hatte. – Die Übersetzung des Widmungsbriefes ist ansonsten im Wesentlichen in Ordnung; 5,37 lies: »der Kirche« (statt: dem Evangelium), und die variatio von posteritati und ad posteros könnte man auch durch »den Nachkommen« wiedergeben.
In der darauffolgenden Übersetzung von Psalm 32 (6–9) stimmt schon die Überschrift nicht: Argumentum (6,6) heißt nicht Vorwort, sondern Inhalt; der Text entspricht etwa dem, was Luther in den Summarien über die Psalmen, die er 1530 auf der Coburg, in Anwesenheit Veit Dietrichs, unternommen hat. – 6,6 lies also: » Inhalt«. Der Rest gehört in die Anmerkungen, und zwar mit einem ordentlichen Nachweis, nicht der bloßen Behauptung der Autorschaft Veit Dietrichs. – 6,17 lies: reatus, – Z. 20 lies: tegi. – Die Anmerkungen 8–12 aus einer Ausgabe von 1539 (welcher?) haben in einer Ausgabe des Textes von 1559 nichts zu suchen. Dass die Übersetzung nicht nur unbeholfen, sondern an mehreren, keineswegs schwierigen Stellen auch noch falsch ist, macht dem Leser keine Freude. Insgesamt sind diese ersten Seiten kein verheißungsvoller Anfang.
Im Abschnitt De Deo geht es leider gleich unschön weiter. Konjunktive haben ihre Bedeutung, und wer sie sprachlich missachtet, wird auch sachlich Unzutreffendes sagen: genus humanum … sit imago et templum Dei (16, 26 f.), heißt es im lateinischen Text – das Menschengeschlecht soll Abbild und Tempel Gottes sein. Es ist es eben nicht einfach – andernfalls hätte Melanchthon die Aussage entsprechend gemacht. Und »wenn die Natur des Menschen vollkommen geblieben (nicht: gewesen 17,37 – mansisset 16,30)« wäre, hätten wir auch keine Übersetzungsprobleme. – Psalm 149,1b heißt in der Lutherbibel »die Gemeinde der Heiligen soll ihn loben«. Was ist dagegen die »Versammlung der Gottgefälligen«? Und der berühmte Psalmvers 118,17 lautet bei Luther » … und des HERRN Werke verkündigen«. Das ist etwas anderes als die schülerhafte Übertragung »von den Werken Gottes erzählen« (19,1).
Die aus Unkenntnis verbreiteten Häresien in dem Kapitel »De Filio« (gezeugt, nicht geschaffen) sind in den »Errata« in Band 2 zum Teil korrigiert. Aber nicht gebannt, wie man an der Übersetzung von quod copulasti tibi naturam humanam (2, 356,17 f.) durch »weil [richtig: dass] du dir die menschliche Natur hinzugefügt hast« (2, 357,21 f.) sehen kann. Ich vermute, dass es in den Bänden keine einzige Seite gibt, auf der nicht etwas richtigzustellen oder zu bessern wäre. Was sollen »unrechte Taten« (203,8.19) in der Übersetzung eines Psalmverses, der von Missetaten redet? Man lese den Abschnitt Decalogus/Die Zehn Gebote (204 f.), um zu ermessen, mit welcher Ignoranz eine »wörtliche« Übersetzung betrieben wird. Oder die Übersetzung von De vocabulo gratiae, in der agnitio Dei (350,3 f. u. ö.) mit »Anerkennung Gottes« statt Gotteserkenntnis übersetzt wird. Ein Lemma »Anerkennung« gibt es im Register nicht, freilich auch keine »Erkenntnis«.
Hos furores damnamus (350,20), möchte ich mit Melanchthon sagen, aber diese furores nicht mit den Übersetzern als »wahnsinnige Äußerungen« (351,26) verurteilen, sondern als Quatsch. – Es bedürfte eines buchstäblichen Durchgangs durch alle Übersetzungen, um jenseits korrekter Wortentsprechungen Stil und geistlichen Sinn in einen theologischen Text Melanchthons zu bringen, der er sein will und ist.
Band 2 enthält die Kapitel über die Kirche, die Sakramente und die Buße bis zu dem letzten über die christliche Freiheit. Am Ende folgen ein Verzeichnis der Abkürzungen [der biblischen Bücher] (521) sowie ein Gesamtregister mit den Unterkategorien Bibelstellen, Begriffe, Nichtbiblische Namen sowie Orts-, Völker- und Gruppennamen (523–570). Eine Seite »Errata zu Band 2« – nein!, zu Band 1 (571) lässt nichts Gutes ahnen: Wenn »geschaffen« in »gezeugt« korrigiert werden soll, wird der Leser noch einmal misstrauisch, wie es die Übersetzer denn mit der Christologie halten und vielleicht auch mit anderen theologoumena.
Leider beginnt auch hier die Übersetzung sogleich mit einem Fehltritt: dictum ist in diesem Zusammenhang wohl besser mit »Wort« als mit »Aussage« wiederzugeben, und die Übersetzung von Röm 8,30 »die er ausgewählt hat, die hat er gerufen« (3,3 f.) entspricht weder der Lutherübersetzung noch der Zürcher Bibel (später [517,41] ist die Stelle dann korrekt übersetzt). Mens (2,10) mit »Gemüt« (3,13) zu übersetzen, scheint ebenfalls nicht ganz sachgemäß – es geht um vernünftige Einsicht. Zudem sind Übersetzung und Nachweise der Psalmverse ungeschickt: In der deutschen Übersetzung sollte nicht die Vulgata-, sondern die Zählung der Lutherbibel erscheinen, und das hebräische Perfekt, das im Lateinischen ebenfalls durch das Perfekt wiedergegeben wurde, ist sachgemäß durch ein Präsens zu übersetzen, wie es schon Luther getan hat.
Der Verzicht auf den Konjunktiv kann, wie wir gesehen haben, im Deutschen zu Unklarheiten führen – warum gäbe es ihn sonst auch? Unschön ist auch der sprachliche Umgang der Übersetzer mit Christus: solius Christi meritum (430,2 f.) heißt hier »das Verdienst allein von Christus« (431,4 f.); propter Chris-tum mit »wegen Christus« (passim) statt »um Christi willen« zu übersetzen, ist mindestens ungewohnt; wenn aber propter quem aeternus Pater est propitius (430,25 f.) durch »wegen dem der ewige Vater uns gnädig ist« (431,33) wiedergegeben wird (was man im Alemannischen sagen kann), muss man als Wahrer des »Schriftdeutschen« doch noch einmal kräftig rufen: Rettet den Genitiv!
Haben die Übersetzer nach der Veröffentlichung von Band 1 etwas gelernt? Ich schaue mir das Kapitel De invocatione dei seu de precatione / Die Anrufung Gottes oder das Gebet (Bd. 2, 294/295–362/363) etwas ausführlicher an.
Da Item (294,31 und 33) einfach bei Aufzählungen steht, muss man es nicht unbedingt übersetzen. Proprium solius Ecclesiae opus (296,2) ist durch »das eigentümliche Werk der einzigen Kirche« nicht gut wiedergegeben, richtig ist: das eigentliche Werk bzw. die eigentliche Aufgabe der Kirche allein. Timor dei wird leider immer wieder mit »Furcht vor Gott« statt mit Gottesfurcht übersetzt, und corporalis durch »körperlich« statt durch leiblich wiederzugeben, trifft auch meist daneben. Das sklavische Festhalten am Passiv in den deutschen Texten mindert mindestens die Eleganz der Übersetzung: tenenda est doctrina de filio Mediatore (300,13 f.) lässt sich auch korrekt übersetzen durch: Man muss an der Lehre vom Sohn als dem Mittler festhalten statt durch »es muss die Lehre von dem Sohn, dem Mittler, festgehalten werden« (301,17 f.). Die interessante Anmerkung 1063 über den Zusammenhang der lateinischen Verse mit EG 366 Wenn wir in höchsten Nöten sein, die in Engellands Ausgabe fehlt, erweist sich bei einem Blick in die Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch (15,36–41, hier 38 f.) als so spekulativ, dass man an diesem Ort besser auf sie verzichten sollte. Und auch in der Anmerkung 1508 (2,468) wird der Leser, will er Genaueres wissen, im Stich gelassen – das Sprichwort steht nämlich nur in der im VD 16 nicht ohne weiteres zu findenden Ausgabe der Schrift des Matthäus Friderich [so, nicht Friederichs] von 1557 (VD 16 F 2772; ein Exemplar München BSB 4o Asc. 1203# Beibd.1, online) auf Bl. E 4r.
Besonders ärgerlich aber ist die Verhunzung des Vaterunsertextes (339–347), die einem erneut die Sprache verschlägt. Selbst die letzte Seite des Textes ist verdorben: Die Ergänzung von Deus (518,14 mit Anmerkung 1636) ist unnötig, da dieser von Z. 11 her Subjekt bleibt; immensum beneficium ist nicht die »außerordentliche«, sondern die unermessliche Wohltat Gottes. Und in dem doppelten Akkusativ ut dona det hominibus, Pastores et Doctores (518,15 f.) sollte man sich durch das rhetorisch bedingte Komma nicht irre machen lassen: Die sachgemäße Übersetzung lautet: um den Menschen Hirten und Lehrer zu schenken.
Für die Übersetzer gilt: Sunt philologi philologi, philologica tractant. Theologen sind sie nicht, und nicht einmal ordentliche Phi-lologen. Daher rühren die unzutreffenden und falschen Übersetzungen. Primum praeceptum ist in einem theologischen Text im entsprechenden Zusammenhang eben nicht – horribile dictu – die »hauptsächlichste Vorschrift« (1, 19,3 – das ist ohnehin kein Deutsch), sondern das Erste Gebot. Und wer irgendeine Idee von Gnade und Barmherzigkeit hat, wird nicht mit Penetranz gratuitus mit »unentgeltlich« übersetzen (349 ff.). Es geht doch dabei um Gottes freie Gnade, und die ist allenfalls umsonst.
Eine Rezension soll einen Korrekturgang nicht ersetzen, und sie kann es auch nicht. Daher breche ich hier ab. Da und dort habe ich die Leipziger Ausgabe von 1559 online verglichen und nicht vermerkte Abweichungen in der Edition und auch Satzfehler gefunden. Wer des Lateinischen mächtig ist, wird diese Fehler selbst finden – andere Leser müssen den Text hinnehmen, wie er eben ist. Dass die Übersetzung lexikalisch oft korrekt ist – und das ist sie natürlich in vielen Fällen –, wird niemand bestreiten, auch der Rezensent nicht, aber man muss sie in jedem Fall immer gründlich prüfen – einfach als irgendwie richtig bzw. möglich hinnehmen kann man sie jedenfalls nicht. Leser ohne Lateinkenntnisse sind deshalb mit dieser Übersetzung schlecht beraten.
Das Verhältnis von Geist und Buchstabe haben die Macher dieser Bücher jedenfalls nicht erwogen und auch wohl nicht verstanden. Sie sind in der Regel dem Buchstaben gefolgt und haben den Geist erst gar nicht geschmeckt, und auch nicht den historischen und theologischen Ort, den dieser Text einnimmt. Denn sonst wären sie mit den Bibeltexten nicht verfahren, als seien diese Vorlagen für Fingerübungen am Lexikon, Rezepte oder technische Anleitungen.