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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

167-169

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zenger, Erich

Titel/Untertitel:

Mit Gott ums Leben kämpfen. Das Erste Testament als Lern- und Lebensbuch. Hgg. v. P. Deselaers u. Ch. Dohmen.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 552 S. Geb. EUR 45,00. ISBN 9783451390579.

Rezensent:

Bernd Janowski

Wer das vorliegende, geschmackvoll ausgestattete Buch aufschlägt, stößt gleich zu Anfang auf die feine, von I. Baumgarth-Dohmen beigesteuerte Bleistiftzeichnung, die das Gesicht eines freundlichen und zugewandten Erich Zenger (1939–2010) zeigt. Als am Ostersonntag, dem 04.04.2010, die schlimme Nachricht von seinem plötzlichen Tod die Runde machte, war das für alle, die ihn kannten – und das waren viele –, ein regelrechter Schock. Zehn Jahre später legen nun P. Deselaers, Spiritual im Bistum Münster und einer seiner ersten Doktoranden, und Chr. Dohmen, Professor für Altes Testament an der Universität Regensburg und Schüler von F.-L. Hossfeld, dem langjährigen Freund, Kollegen und Mitarbeiter Z.s, einen stattlichen Band mit 36 kürzeren und längeren Texten vor, die das theologische Profil Z.s noch einmal nachdrücklich vor Augen stellen und die um zwei »Resonanzen« aus ihrer Feder ergänzt werden. Die eine Resonanz ist die kundige Laudatio, die Chr. Dohmen am 06.08.2009 anlässlich der Verleihung des Theologischen Preises der Salzburger Hochschulwochen an Z. vortrug (537–544), und die andere die bewegende Predigt, die P. Deselaers in der Münsteraner Stadtkirche St. Lamberti am 09.04.2010 zum Begräbnis Z.s hielt (545–547).
Nach einem ausführlicheren Vorwort der beiden Herausgeber, das Leben und Werk Z.s anschaulich skizziert (5–11), gliedert sich der Band in sechs Themenblöcke. Der erste Themenblock heißt »Biographische Anhaltspunkte zum Bibelstudium« und wird durch ein Gespräch mit G. Magirius zur »Musikalität der Bibel« eröffnet (19–28). Dort kann man Sätze lesen wie: »Diese Bezeichnung ›Erstes Testament‹ gebrauche ich, um die Würde zu betonen: Nicht abgeschafft, nicht altgeworden« (20). Oder: »Ich bin nicht mit der Bibel groß geworden« (ebd.), sondern vor allem mit Heiligenlegenden. Und: »Ich betreibe meine Wissenschaft nicht primär für meine Kollegen« (27), sondern auch für die so genannten einfachen Leute. Man erfährt hier viel über den Menschen Zenger und über das Ideal, dem er als Wissenschaftler anhing: »Ich versuche Bücher zu schreiben, die sowohl Wissenschaftler verstehen als auch einfache Leute« (ebd.). Das ist ihm nicht immer gelungen (wie denn auch?), aber doch bemerkenswert oft. Neben einer Predigt über 1Sam 3,3b–10 (29–33) sowie »Psalmentheologischen Glossen über die Kirchenmusik« (54–57) finden sich hier noch der biographisch gehaltene Text »Meine Leseerfahrung mit der Bibel« (49–53, mit dem Bekenntnis: Die Bibel ist eine »Schaufel, mit der wir uns umgraben können, damit neues Leben aus uns wachsen kann« [53]), und die gehaltvollen Ausführungen zum rechten Hören des Gotteswortes »Gib deinem Knecht ein hörendes Herz!« (34–48).
Der zweite Themenblock mit der Überschrift »Vom Gotteszeugnis Israels« enthält sechs kürzere und längere Studien zu zentra-len Aspekten alttestamentlicher Theologie: zur alttestamentlichen Rede von Gott (61–82), zum biblischen Bilderverbot (83–93), zum Gotteszeugnis Israels (94–105), zur Gottesmystik in den Psalmen (106–125, mit Kurzexegesen von Ps 16; 73 und 139), zur Gegenwart Gottes in Israel und Kirche (126–128) und zur Theopoesie von Ps 121 im Kontext der Wallfahrtspsalmen Ps 120–134 (129–147). Immer wieder, aber eher am Rande, kommen dabei die neutestamentliche Botschaft und der christliche Glaube in den Blick. Dem wendet sich der dritte Themenblock »Christlicher Glaube und Erstes Testament« intensiv zu, indem zum einen die ›doppelte Leserichtung‹ der zweigeteilten christlichen Bibel (vom Neuen zum Alten, aber auch vom Alten zum Neuen Testament) und zum anderen die Grundlagen des jüdisch-christlichen Dialogs zum Thema gemacht werden. Die Beiträge im Einzelnen: »›Gott hat keiner jemals ge­ schaut‹ (Joh 1,18). Die christliche Gottesrede im Angesicht des Judentums« (151–170, dieser Text ist die grandiose Abschiedsvor-lesung vom 14.07.2004 in Münster), »Das Nein heutiger Juden zu Jesus als ihrem Retter ernst nehmen« (171–182), »Jesus von Nazareth und die messianischen Hoffnungen des alttestamentlichen Israel« (183–220), »›Wie sehr liebe ich deine Tora!‹ (Ps 119,97). Die Bedeutung des jüdischen Gesetzes für das Christentum« (221–235, zu Ps 119 und zum Begriff Tora), »Die gemeinsamen Heiligen Schriften als Grundlage der christlich-jüdischen Verbundenheit« (236–249), »Die Bibel Israels – Wurzel der Gemeinsamkeit für Juden und Christen« (250–262), »Die jüdische Bibel – unaufgebbare Grundlage der Kirche« (263–282) und »Nach 50 Jahren – von der Schuld der Christen und über das Bemühen um Aussöhnung zwischen Christen und Juden« (283–295). Nicht allen hat die Ausrichtung dieser Beiträge gefallen. Umso mehr beeindrucken die Beharrlichkeit und der Mut, mit denen Z. den immer wieder vorgebrachten Ressentiments entgegengetreten ist.
Von einer ähnlichen Intensität zeugt auch der vierte Themenblock »Gottes Schöpfung und der Mensch«, in dem Beiträge zur Schöpfungstheologie und Anthropologie des Alten Testaments versammelt sind. Eröffnet wird dieser Themenblock mit dem bisher unveröffentlichten Aufsatz »Psalm 8« (299–322), den Z. als Mustertext für die Kommentarreihe Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament (HThK.AT, Verlag Herder) verfasst und den eingeladenen Kommentatoren zur Verfügung gestellt hatte (s. dazu jetzt auch Chr. Dohmen, Vom Buch der Psalmen zum AT-Kommentarwerk, in: Chr. Frevel [Hg.], »Mit meinem Gott überspringe ich eine Mauer«. Interreligiöse Horizonte in den Psalmen und Psalmenstudien [HBS 96], Freiburg u. a. 2020, 333–48, und früher B. Janowski, Das Buch der unverfälschten Spiritualität. Zum neuen Psalmenkommentar von F.-L. Hossfeld und E. Zenger, BZ 47 [2003], 43–65). Der Studie zu Ps 8 an die Seite treten die Beiträge »Lebenshaus für alle. Die Botschaft der biblischen Schöpfungstheologie« (323–342, Vortrag im Münsteraner Dom am 24.02.2010), »›Du kannst das Angesicht der Erde erneuern‹ (Ps 104,30). Das Schöpferlob des 104. Psalms als Ruf zur ökologischen Umkehr« (343–358) und »›Das Blut deines Bruders schreit zu mir‹ (Gen 4,10). Gestalt und Aussageabsicht der Erzählung von Kain und Abel« (359–375). Diese zwischen 1983 und 2010 entstandenen Beiträge sprechen für sich selbst und sind gerade heute von erhöhter Aktualität.
Die anthropologische Thematik wird im fünften Themenblock weiterverfolgt und um sechs kürzere Beiträge und einen längeren Aufsatz zu den Aspekten »Leiden, Klage und Trost« bereichert. Den Anfang macht die ursprüngliche Ansprache »Mit Gott ums Leben kämpfen« (379–388), die der vorliegenden Sammlung den Titel gegeben hat und die von den Essays, Katechesen und Meditationen »Hat Leiden Sinn?« (389–398), »Ijob – ein Lebensbuch für Leidende und Mit-Leidende« (399–406), »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (407–410) »Biblische Miniaturen über Trösten und Trost« (411–415), »Heilung und Heil. Biblische Anstöße zu einem notwenigen Zusammenhang« (416–427) aufgenommen und fortgesetzt werden. Am Schluss dieses Themenblocks steht der posthum (2012) veröffentlichte Aufsatz »Streiten mit Gott und im Namen Gottes. Von der humanisierenden Kraft der Klagepsalmen« (428–450), der folgende Abschnitte enthält: Der Psalter als Theopoesie (1), Die Weltwahrnehmung des Psalters (2, mit Kurzauslegungen von Ps 10 und 13), Die Klagepsalmen als praktizierte Theodizee (3) und Die befreiende und humanisierende Kraft der Klagepsalmen (4, mit Kurzauslegung von Ps 139). Die Leidenschaft der Klagepsalmen Israels ist auch die Leidenschaft ihres Münsteraner Auslegers.
Und schließlich der sechste Themenblock mit dem neugierig machenden Titel »Grenzgänge«. Von Grenzgängen erzählen die Mannageschichte in Ex 16 (»Das Manna fällt auch heute noch«, 453–455) oder die dramatische Geschichte von Davids Seitensprung in 2Sam 12 (»Nicht zuständig für Schuld und Leid?«, 523–534). Grenzgänger sind auch die Propheten Israels (»Verrückt sind diese Propheten …«, 456–472), die auf einen Gott setzen, der »die menschliche Welt verwandeln will« (471). Grenzphänomene kommen darüber hinaus in den Beiträgen »Orthodoxie und Orthopraxie im Alten Testament« (473–485, zum Streit um die Wahrheit im alttestamentlichen Israel), »Leib und Geschlechtlichkeit. Biblische und kulturgeschichtliche Aspekte« (486–502) und »Sexualität in der Sicht der Bibel« (503–522, zu Gen 2,4b–25, dem Hohenlied und in der Sicht Jesu) zur Sprache.
»Mit Gott ums Leben kämpfen«, so lautet der Titel dieser posthumen Aufsatzsammlung, die die theologischen Grundintentionen des großen Exegeten und Theologen ebenso umfassend wie detailliert vor Augen führt. »Das Alte Testament«, so hat es Chr. Dohmen in seiner Laudatio von 2009 auf den Punkt gebracht, »in und für Theologie und Kirche – oder besser für die Menschen – lebendig werden zu lassen« (540), das war das Zentrum des Lebenswerks von Erich Zenger. Seine unverwechselbare Stimme, sein einnehmendes Temperament und seine kirchenpolitische Entschiedenheit werden uns noch lange fehlen. Wir haben aber seine Texte und erinnern uns an seine Lebendigkeit. Die Dankbarkeit für seinen Dienst an Theologie und Kirche geht weit über konfessionelle und nationale Grenzen hinaus.