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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

165-167

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wenger, Stefan

Titel/Untertitel:

Reise durch das Alte Testament. Eine theologische Bibelkunde.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2020. 231 S. = Glaube und Gesellschaft, 9. Kart. EUR 29,80. ISBN 9783402122396.

Rezensent:

Achim Müller

Schon der eher feuilletonistische Titel »Reise durch das Alte Testament« macht deutlich, dass Stefan Wenger mit seiner Bibelkunde ein allgemeinverständliches Lehrbuch hat schreiben wollen. W. unterrichtet an der TDS Aarau, einer Höheren Fachschule für Theologie, Diakonie und Soziales in der Schweiz; aus seinen Kursen für Gemeindepädagogen, Diakone und Missionare ist das vorliegende Lehrwerk hervorgegangen.
Das Buch entspricht weitgehend dem üblichen Inhalt einer Bibelkunde, mit der sich Studierende auf die einschlägigen Prüfungen im Rahmen theologischer Studiengänge vorbereiten können. Es enthält Einführungen zu den größeren Abschnitten des Alten Testaments (Tora, Geschichtsbücher, Lehrschriften, Große Propheten, Kleine Propheten) und folgt damit im Aufbau dem christlichen Kanon. Zu den einzelnen Büchern bietet W. eine hilfreiche tabellarische Grobgliederung und eine nur teilweise nacherzählende Inhaltsangabe, die er oft auf theologische Themen der Bücher zuspitzt. Was gegenüber anderen Bibelkunden fehlt, sind thematische Querschnitte zu übergreifenden Themen wie z. B. Schöpfung.
Da die Kurse, aus denen W.s Bibelkunde hervorgegangen ist, offenbar allgemein einführenden Charakter haben, enthält sein Buch auch Abschnitte zu »Entstehung und historische[r] Bühne« der biblischen Schriften. Prägend für W.s Darstellung ist dabei Das Alte Testament von Helmut Engelkraut (5. Aufl. 2012). Es stellt die deutsche Bearbeitung eines amerikanischen Lehrbuches Survey of the Old Testament von W. S. LaSar u. a. dar (2. Aufl. 1996). Schon die amerikanische Vorlage zeichnet sich durch »a confusing combination of traditional and historical-critical perspectives and conclu-sions« aus (D. L. Ockholm u. a., Evangelicals & Scripture, Downers Grove, Ill. 2004, 155). Diese Konfusion überträgt sich auf die Darstellung von W.; beispielsweise stellt er die Argumente für die literarkritische Dreiteilung des Jesajabuches vor, um sie dann beiseite zu wischen: Ein klarer Forschungskonsens fehle; trotz gewichtiger Argumente ergebe die historisch-kritische Forschung doch nur bloße »theologische Thesen« (152), die gegen den »Selbstanspruch« des Buches, von Jesaja verfasst zu sein (151), nicht ausreichten, um die »Möglichkeit von Gott inspirierter Offenbarung künftiger Er­eignisse« (151) ausschließen zu können. Gleichzeitig räumt W. auch ein, dass es sich bei dem Jesajabuch »um ein Werk handeln dürfte, das zwar auf Jesaja zurückgeht, während der folgenden Jahrhunderte aber (umfassende) Erweiterungen erlebt hat« (152). Dieses unausgeglichene Nebeneinander ist typisch für seine historische Einordnung der Bücher. Insgesamt erkennt man jedoch W.s ausge sprochen konservativ-evangelikale Grundhaltung; dies belegt auch die Zeittafel mit ihren Datierungen.
Im Untertitel nennt W. sein Buch eine »theologische« Bibelkunde; er geht über eine bloße Inhaltsangabe hinaus und konzentriert seine Darstellung auf die theologischen Themen. Das ist erfreulich, da Bibelkunde als propädeutische Veranstaltung ja auf das Gesamt der Theologie zielt. Allerdings kann man das Adjektiv »theologisch« auch als Hinweis darauf werten, dass religionsgeschichtliche Aspekte fehlen.
Unbedingt begrüßenswert ist es, wenn W. sein Buch mit hermeneutischen Vorüberlegungen beginnt, in denen er auf das Verhältnis von Altem und Neuem Testament eingeht. Hierbei hebt er hervor, dass das Alte Testament »seinen Eigenwert« (13) habe und als »jüdische Bibel […] dem christlichen Neuen Testament weder untergeordnet, noch ihm gegenüber zu relativieren oder gar nur selektiv zu lesen ist«. Diese jüdische Perspektive, die es »zu entde-cken und zu würdigen« gelte, spielt allerdings in W.s Darstellung keine Rolle und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Übernahme der in der jüdischen Tradition gebräuchlichen Gottesbezeichnung Adonai, die statt HERR bei ihm für den Gottesnamen steht. Das Passafest ist in W.s Darstellung »eine Art prophetisches Zeichen, das über die Zeit des alttestamentlichen Gottesvolkes hinaus und auf den Bund hinweist, den Gott in neutestamentlicher Zeit mit seinem neu gestalteten Gottesvolk geschlossen hat – und damit Zeichen auf das letztgültige Evangelium in Christus« (38).
In diesem Sinne ist das Alte Testament für W. in erster Linie eine christliche Offenbarungsurkunde: »Die volle, von Gott intendierte Bedeutung der Bibel (sensus plenior [Vollsinn, A. M.]) erschließt sich uns, wenn überhaupt, dann nur in der Person Jesu Christi« (14). W. findet im Alten Testament die Geschichte Gottes mit den Menschen. Ausgehend von Schöpfung und Sündenfall erzählt das Alte Testament nach W. dann als Geschichte von menschlichen Verfehlungen und göttlicher Gnade.
W. spart bei seiner theologischen Darstellung keineswegs problematische Aspekte aus; so widmet er sich den Rachepsalmen (122 f.) und kritisiert die Gewalt, von der im Josua- und Esterbuch die Rede ist (62 f.100 f.). Als Ziel der erotischen Lieder im Hohen Lied sieht er die Verherrlichung der Ehe (138), selbst wenn im Text nichts darauf hindeutet – konsequenterweise findet die Auflösung von Mischehen in Esra und Nehemia auch nicht seine Billigung, da sie Familien zerstört (94).
Insgesamt hat W. eine knappe, gut lesbare Einführung in die Bibel verfasst, auch wenn mancher Manierismus (wiederholt: »zu Papyrus gebracht«) und zu viele positiv wertende Adjektive, die dem Text bisweilen etwas Panegyrisches verleihen, stören können. Die Einbeziehung theologischer Aspekte in eine Bibelkunde ist grundsätzlich zu begrüßen, auch wenn die dogmatische Engführung bei W. die Polyphonie des biblischen Zeugnisses (G. Theißen) nicht angemessen zur Geltung bringt. Trotz einer Darstellung von Einleitungsfragen fehlt der Arbeit ein historisch-kritisches Verständnis. Für die Vorbereitung auf universitäre Prüfungen in Bibelkunde ist das Buch nicht zu empfehlen.