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Ausgabe:

April/2000

Spalte:

430–432

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Laube, Martin

Titel/Untertitel:

Im Bann der Sprache. Die analytische Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. IX, 498 S. gr.8 = Theologische Bibliothek Töpelmann, 85. Lw. DM 208,-. ISBN 3-11-015456-0.

Rezensent:

Peter Kunzmann

Titel und Untertitel des Werkes, 1995 als Dissertation in der evangelischen Theologie angenommen, verheißen zweierlei: Eine Darstellung der analytischen Religionsphilosophie (wobei "im 20. Jahrhundert" überflüssig wäre) und eine Deutung, welche die Philosophie im Bann der Sprache sieht und sie möglicherweise daraus lösen möchte.

Der Inhalt verzeichnet denn auch, was im Rahmen einer analytischen Religionsphilosophie Rang und Namen hat: In einem 1. Kap. geht Laube Klassiker der Sprachanalyse unter der Perspektive "Sprache und Bedeutung" durch und seine Wahl fällt auf den "Wiener Kreis", auf Quine, Dummet und Davidson. Enger auf die Religion gemünzt diskutiert er (Kap. 2) Ayer, Flew und Braithwaite. Es folgt ein reichlich hektisches Kap. 3 über die "epistemische Wende", die eigentlich etwas wie ein erklärendes Wörterbuch der fortan gebrauchten Ausdrücke wie "externalistisch" oder "internalistisch" ergibt. Dann führt er A. Plantinga (Kap. 4) und Dalferth (Kap. 5) vor, um in einem 6. Kapitel endlich Wittgenstein als des Pudels Kern und aller Rätsel Lösung zu präsentieren.

Eine Darstellung analytischer Religionsphilosophie im Sinne einer Doxographie, einer Paraphrase, einer Erklärung, einer Interpretation oder auch einer Kritik der vorgestellten Autoren liefert das Buch gerade nicht. Laube geht recht destruktiv zu Werke, nicht eigentlich kritisch: Zur "Kritik" einer Religionsphilosophie gehört die Darstellung und die Würdigung ihres eigenen Potentials, die ein Leser unter dem Titel vermuten könnte. Aber bis auf das Kap. 6 müssen sich die behandelten Autoren seitenweise anhören, wie "ihr Ansatz zum Scheitern verurteilt" (44) sei, sie einer "Aporetik verhaftet bleiben" (98), sie leiden "an Einseitigkeit" (111), sind von einer "insgesamt kennzeichnenden Äußerlichkeit geprägt" (114), bleiben "die Ausarbeitung ... schuldig" (160), müssen "ihr Ziel ... immer schon verfehlen" (211) und lassen sich auch nicht (87) eines Besseren belehren. Bei den beiden ausführlich behandelten Autoren, A. Plantinga und I. U. Dalferth, steht das Verdikt auf S. 139 schon fest: "Das Ergebnis lautet, daß beide Ansätze scheitern." Den einen zeiht Laube (144 f.) der "unkritische[n] Aufnahme eines philosophischen Gottesbegriffs, [der] selbst wieder einen metaphysischen Rahmen voraussetzt, der in seiner Tragweite und Problematik nicht in den Blick kommt." Der andere, Dalferth (hier: 241), "verstrickt sich mithin in eine Aporie".

Und jetzt, als Kostprobe für die Sprache des Buches : "Auf der einen Seite gesteht er die strukturelle Interpretativität sprachlich vermittelter Erfahrung zu und nimmt das Begegnungsmodell als explikatives Interpretament der christlichen Grunderfahrung in Anspruch. Daraus ergibt sich die notwendige Konsequenz, auf einen Rückgang hinter die sprachlich vermittelte Interpretation der Grundsituation als Anredeerfahrung verzichten zu müssen. ... Auf der anderen Seite verpflichtet ihn seine Intention, die Religiosität christlicher Glaubensrede ihrer allgemeinen Sprachlichkeit zu entziehen, zu dem Schluß, sie in einer nichtsprachlich strukturierten Situation verankert zu sehen ... Dalferths kerygmatisch bestimmte Intention, von Gott immer nur rezeptiv im Modus seiner Erfahrung reden zu wollen, führt ihn zu der Einsicht in die strukturelle Interpretativität des Erfahrungsbegriffs ... Gerade aus diesem Grunde muß das Dalferthsche Programm scheitern: Sowohl die These eines sprachlichen Zugangs zur nichtsprachlichen Wahrnehmung als auch der Rückfall in ein korrespondenztheoretisches Gegenüber von Sprache und Welt erweisen sich als selbstreferentiell inkonsistent."

Damit ist auch genannt, woran Dalferth scheitert und all die anderen: L. legt seine Messlatte in der Einführung mit der Frage "ob und in welcher Weise sich die Problemlage [der analytischen Religionsphilosophie] auf die Bestimmung des Verhältnisses von religiöser Besonderheit und allgemeiner Geltung abbilden läßt" (8) oder anders "aus einem dezidiert theologischen Interesse heraus die Wahrnehmung der vorfindlichen Besonderheit religiöser Rede zur Forderung nach ihrer grundsätzlichen Eigenständigkeit" voranzutreiben (11). Ansatz und Anlass ist K. Barths radikaler Versuch, die Offenbarung als das Eigentliche der Theologie gerade nicht als Spezialfall natürlichen Vernunftgebrauchs auszuweisen, sondern es als eine Dimension eigenen Rechts davon abzusetzen. Diese Anliegen nun projiziert L. auf die analytische Religionsphilosophie; er dokumentiert äußerst belesen und in vielen filigranen Einwänden, wie die Beschäftigung mit der Sprache der Religion eben an diesem Punkt versagt. Der Grund des Misslingens wird (s. o. zu Dalferth) regelmäßig in einer Bedeutungstheorie geortet, welche die Sprache den Dingen naiv gegenüberstellt oder der "Illusion" (170) einer Korrespondenztheorie der Wahrheit, die das Denken der Welt gegenüberstellt. Kurz: "Die Suche nach einer religiösen Eigenständigkeit scheitert an der notwendigen Voraussetzung eines realistisch geprägten Rahmens"( 13).

L. konfrontiert die Abgehandelten mit seiner Frage, um, wie es scheint, Platz zu schaffen für seinen Helden: Ludwig Wittgenstein. "Die entscheidende These lautet, daß die religiösen Gleichnisse in Bilder gekleidete ,Lebensregeln’ darstellen. ... Wittgenstein setzt also an die Stelle des überkommenen realistischen Paradigmas einen funktionalen Ansatz. Religiöse Äußerungen kommen nicht mehr unter der Frage in den Blick, in welcher Weise sie als wahr gelten können ..., sondern sie stehen unter dem Primat der Frage nach ihrer funktionalen Leistungsfähigkeit und lebensweltlichen Erschließungskraft" (317).

In welchem Sinne und nach welchen Kriterien Religion "wahr" ist, ist als Frage obsolet. Religiöse "Weltabschlußdeutungen" (320, Anm. 8; 375 u. ö.) sind überflüssig. Die "Begründungsansprüche überkommener philosophisch-theologischer Sinnkonstruktionen" (315) haben sich erübrigt. Wittgenstein "unterläuft" (449) L.s ursprüngliches "Problem des Verhältnisses von religiöser Besonderheit und sprachlicher Allgemeinheit, von interner Glaubensperspektive und externer Beobachtungsperspektive", indem er "der Religion das Recht bestreitet, sich in der Form einer kognitiv lehrhaften Theorie auszulegen."

Hier wiederum nimmt L. seinen Wittgenstein mit der gewohnten Heftigkeit gegen "eingefahrene Mißverständnisse" in Schutz (314) - gegen "irreführende Verzeichnungen des Wittgensteinschen Ansatzes" (393). Sein prominentester Testfall ist D. Z. Philips (397-417), dem er attestiert, gleich "in dreifacher Hinsicht die Stoßrichtung des Wittgensteinschen Ansatzes geradewegs in ihr Gegenteil" (411) zu verkehren. Ähnlich ergeht es dem Versuch, Wittgensteins "Weltbild selbst nochmals als ein letztes universales System anzusetzen - damit wäre die Stoßrichtung seines gesamten philosophischen Denkens von Grund auf verfehlt" (383).

Eine pragmatische ("funktionale") Theorie der Sprache sichert das Recht der religiösen Äußerung; die Bedeutung liegt im Gebrauch, in der "Unverzichtbarkeit des ethisch-religösen Sinnvollzugs" (312). So neu ist dies bei Licht besehen nicht.

Wäre die Monographie eine Detektivgeschichte, hätte der Leser von Anfang an diesen Verdacht geschöpft. Schon auf S. 105-107 verteidigt L. den Primat des "Gebrauchsprinzips" der Sprache und kündigt auf S. 141 Wittgensteins "grundstürzende Destruktion jeglicher Form von metaphysischer und theologischer Sinnkonstruktion" an. Untrügliches Indiz ist der Aufbau des Buches, der Sprachpragmatiker (wie J. L. Austin) außen vor lässt und sich Wittgenstein, auch den "frühen", bis zum Schluss aufhebt. A propos: Hier ist L.s Referat, etwa über den "immer schon sprachlogisch strukturierten Raum möglicher Tatsachen" (324) durchaus bestreitbar. Wenn L. am Ende mit seinem Wittgenstein vorschlägt, "die beiden Ebenen des religiösen Bildgebrauchs und seiner funktional geleiteten Beobachtung" strikt zu trennen, liegt darin keine Antwort auf die Frage, sondern - in Wittgensteinschen Worten- deren "Zurückweisung". Der Preis allerdings ist hoch, denn das heißt, Philosophie, auch Religionsphilosophie als Außenansicht unüberbrückbar gegen die Theologie als internen Bildgebrauch zu stellen. Dieser Schluss kommt nicht überraschend (bes. im Hinblick auf K. Barth), aber wofür ist dieser Schluss ein Anfang?