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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

89–91

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bogner, Daniel, u. Markus Zimmermann[Hgg.]

Titel/Untertitel:

Fundamente theologischer Ethik in postkonfessioneller Zeit. Beiträge zu einer Grundlagendiskussion.

Verlag:

Basel u. a.: Schwabe Verlag; Würzburg: Echter Verlag 2019. 438 S. = Studien zur theologischen Ethik, 154. Kart. EUR 76,00. ISBN 9783796540929 (Schwabe Verlag); 9783429054588 (Echter Verlag).

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Dieser sehr lesenswerte Band versammelt Beiträge einer Tagung, die unter dem Titel »Fundamente der theologischen Ethik« im Oktober 2017 an der Universität Fribourg in der Schweiz stattfand. Anlass dafür waren ein Jubiläum der bekannt gelb eingebundenen Buchreihe »Studien zur theologischen Ethik« sowie die Reverenz für ihren langjährigen, mittlerweile verabschiedeten Herausgeber Adrian Holderegger. Der Band besitzt allerdings nicht den Charakter einer Festschrift, sondern mit guten Gründen haben sich die Herausgeber für ein gemeinsames Thema entschieden. Und wirklich alle Beiträger haben sich an die Vorgabe gehalten, dieses Thema der Postkonfessionalität in der Ethik aus unterschiedlichen Facetten zu beleuchten. Insofern wäre es sicherlich angemessen gewesen, neben den Vorträgen selbst auch noch Teile der Diskussionen in welcher Form auch immer zu dokumentieren.
Das im Titel genannte Thema Postkonfessionalität ist deshalb für die ethische Diskussion aktuell, weil Entwürfe christlicher oder konfessioneller Ethik einem zunehmenden Legitimations- und Profilierungsdruck ausgesetzt sind. Das gilt im Übrigen generell für Entwürfe partikularer Ethik. Auf dieses Problem antworten ethische Reflexionen, die sich an so etwas wie einer postkonfessionellen oder interreligiösen Ethik abarbeiten, wobei das nicht das Gleiche ist. Manche sprechen von einer theologischen Ethik jenseits des Konfessionalismus, nicht aber jenseits der Konfessionen. Damit war – so die Herausgeber in ihrer Einleitung (9–15) – das spannende Thema der Tagung gegeben.
Leider ist es nicht möglich, im Rahmen dieser Rezension alle Beiträge dieses sehr lesenswerten Bandes vorzustellen. Die hier ge­troffene Auswahl orientiert sich an den Beiträgen, die aus protes-tantischer Perspektive auf das Problem eingehen oder für diese Perspektive besonders interessant sind.
Die pointierteste These vertritt gleich zu Anfang der katholische Ethiker Walter Lesch (19 ff.): »Innerhalb des theologischen Fächerkanons ist Ethik die postkonfessionelle Disziplin par excellence.« Wer sich als Ethiker dieser Herausforderung nicht stelle, der könne höchstens zu einer »von religiöser Autorität diktierte[n] Moraldoktrin« (24) kommen. Lesch spricht von einer »seltsamen Entweltlichung«, die im anderen Fall Religionen »ohne ethische Bodenhaftung« charakterisiere (25). Postkonfessionelle Ethik bemisst sich für Lesch an den Voraussetzungen der Autonomie des Menschen, der Konsensfindung in einer pluralistischen Gesellschaft und der Be­achtung der Veränderungen lebensweltlicher Realitäten in der Moderne. Sie muss Antworten geben, die von allen übernommen werden können, kann sich also nicht auf partikulare Voraussetzungen stützen. Lesch konzediert, dass es immer noch »Stile« in der Ethik gibt. Es fehle postkonfessioneller Ethik oft an eindeutigen Begründungen und Forderungen, und die Gefahr des Synkretismus sei nicht von der Hand zu weisen. Dennoch sieht er keinen anderen Weg, als dieses Projekt aus Gründen der Modernitätskompatibilität weiter zu verfolgen.
Diesem weitestgehenden Vorschlag wollen sich die Mitreferenten nicht alle anschließen. Thomas Laubach (59 ff.) macht einen Kompromissvorschlag. Er spricht von »konfessionelle[r] Ethik be­stimmter religiöser Narrrative«, die »zugleich als nichtkonfessionelle Ethik um die Fragen von gut und böse« ringe (72).
Christian Polke will auf dieser Linie das protestantische Profil nicht hinter sich lassen oder preisgeben. Was Lesch Stil und Laubach Narrativ genannt hat, nennt er protestantische »Basismarker« (116). Er bettet die Frage nach den Markern ein in den Hintergrund einer »Mentalitätsanalyse protestantischer Ethiken« (117). Für ihn unterscheiden sich theologische und philosophische Ethiken nicht in der vernunftorientierten Methodik, sondern in der Referenz auf die christliche Überlieferung. Er kommt dann zu einem »historischen prägnante[n] Profil evangelischer Ethik« (119), das er an zwei Markern identifiziert. Das eine ist für ihn die »fallible Vernunft« (120 ff.), dargestellt an Luthers Vernunftkritik. Den anderen Marker nennt er das »prekäre Ethos« (126 ff.), nämlich die Einsicht in die historische Relativität allen Lebens und damit auch aller Ethik. Dieses Argument entwickelt er im Anschluss an die protestantisch-historistische Religionsphilosophie Ernst Troeltschs. Ethik ist niemals abgehoben von ihren historischen Kontexten zu denken. Beide Marker zusammen ordnet Polke schließlich einer bestimmten protestantischen Mentalität zu (130).
Georg Pfleiderer (135 ff.) untersucht die Bezugnahmen evangelischer Ethik auf ihre katholischen Kollegen; er wird bei den Entwürfen von Wolfgang Lienemann, Johannes Fischer und Dietz Lange fündig. Auch er hält an einer evangelischen Prägung fest; aber evangelische Ethik sei insofern postkonfessionell, als sie sich an einer Subjektphilosophie orientiere. Eberhard Schockenhoff (152 ff.) begrüßt den Abschied von der alten Kontroverstheologie. Er be­nennt, was ihn an evangelischer Ethik fasziniert, aber auch, was ihn irritiert. Er fragt dann nach Gemeinsamkeiten und Dissensen in der Frage der Ehe sowie der Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Er sieht hier ökumenische Verständigungsprobleme heraufziehen und verbindet das mit kritischen Bemerkungen zu einer Ökumene der Profile.
Durch viele der folgenden Beiträge, besonders die von Goertz (199 ff.), Lob-Hüdepohl (229 ff.) und Baranzke (253 ff.), zieht sich die Frage nach der Autonomie des Menschen und seines Handelns.
Hansjörg Schmid lässt das Postkonfessionelle gleich ganz beiseite und wählt als Bezugsbegriff seiner Erläuterungen das so genannte Postsäkulare, das er als »Entdifferenzierung, Wiederkehr von Reli-gion oder Entprivatisierung« (330) deutet. Demgegenüber spielt er wieder den Begriff der »Zeichen der Zeit« (340) ein, als Ermöglichungsgrund von Theologie in pluralen, offenen Gesellschaften, die Religionsfreiheit garantieren. Im Ergebnis kommt Schmid zu einer »interreligiöse[n] Sozialethik« (350), verstanden als ein »Beitrag der Religionen in der öffentlichen Kommunikation« (351).
Dietmar Mieth (377 ff.) macht sich an das Projekt einer narrativen Ethik (379). Er will »reflektierte Narrativität« als Chance be­trachten, »Religionen aus sich selbst heraus moralisch weiter zu entwickeln« (380). Von dort aus kommt er dann zu einer kritischen Lektüre des Konzepts des Weltethos, zu dessen Erstunterzeichnern Mieth einmal selbst gehörte.
Weil sich alle Beiträger an das gemeinsame Thema gehalten haben und durchweg von hoher Qualität bestimmte Reflexionen vorgelegt haben, erscheint dieser Band als außerordentlich lesenswert und gelungen. Er widmet sich einer in der gegenwärtigen ethischen Diskussion sehr aktuellen Frage, und aus der Vielzahl von Beiträgen entstehen eine ganze Menge von Anregungen zu weiterführenden Debatten. Man kann konstatieren: Die meisten Beiträge, evangelisch wie katholisch, versuchen sich an Vermittlungsmodellen, sie definieren universale Fragen und Probleme, halten aber an bestimmten eigenen, partikularen Prägungen fest, gleichgültig ob man von theologischen Stilen, Mentalitäten oder Narrativ-Einbindungen spricht. Die These Leschs, die am weites-ten geht und den theologisch-ethischen »Stilen« nur noch eine eher marginale Rolle zuschreibt, erweckt den Eindruck, als sollten mit der postkonfessionellen Ethik gleich die konfessionellen Kirchen und Ekklesiologien mit erledigt werden. Demgegenüber wird man geltend machen müssen, dass an der Kontextualisierung und Historisierung von Ethik weiterhin festzuhalten ist. Dann aber entsteht die Frage danach, wie sich solche Kontextualisierungen, Prägungen, Stile zueinander verhalten, wie sie sich möglicherweise tolerieren oder bekämpfen. Der Band erscheint auch deshalb von großer Bedeutung, weil er Grundsatzentscheidungen thematisiert, welche die Richtung der ethisch-theologischen Diskussion in den kommenden Jahren bestimmen werden.